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BERICHT/349: Junge Erwachsene mit geistiger Behinderung im ländlichen Raum Tansanias (bezev)


Behinderung und internationale Entwicklung 1/2011

Junge Erwachsene mit geistiger Behinderung im ländlichen Raum Tansanias
Eine qualitative Studie zu ihrer Lebenssituation und ihren Zukunftsperspektiven

Von Anne Keiner


In dem folgenden Artikel werden die Ergebnisse einer qualitativen Befragung von jungen Erwachsenen mit geistiger Behinderung(1) und ihren Bezugspersonen in Tansania vorgestellt. An einer dortigen Sonderschule stellte sich fünf Jahre nach Gründung die Frage nach einer angemessenen pädagogischen Betreuung und Vorbereitung der ältesten Schüler und Schülerinnen auf ein Leben nach der Schule. Zur Ableitung pädagogischer Konsequenzen wurden die erhobenen Sichtweisen der Betroffenen auf ihre Lebenssituation und Zukunftsperspektiven als Basis genommen. Das Vorgehen zeigt exemplarisch den möglichen Beitrag partizipatorischer Forschung für ein Projektmanagement, das die soziokulturellen Gegebenheiten berücksichtigt.



Einführung

Im Fokus der hier vorzustellenden Studie liegt eine Sonderschule im Nordosten Tansanias, an welcher ich ein siebenmonatiges Praktikum absolvierte. Fünf Jahre nach der Schulgründung stand man vor der Herausforderung, eine adäquate pädagogische Vorbereitung der ältesten Schüler und Schülerinnen auf ein Leben nach der Schule bereitzustellen. Die pädagogische Begleitung sollte die Perspektiven der Betroffenen selbst wie auch die kulturellen Gegebenheiten einbeziehen. Somit war das leitende Forschungsinteresse geprägt durch Fragen nach den Zusammenhängen von kulturspezifischer Entwicklung und Sozialisation in der Region - insbesondere von Kindern und jungen Erwachsenen mit geistiger Behinderung. Vor diesem Hintergrund wurden schließlich Konsequenzen für die pädagogische Begleitung der jungen Erwachsenen abgeleitet.



Methodik

Einen angemessenen Zugang zu einer Situationsanalyse von jungen Erwachsenen mit geistiger Behinderung aus Betroffenensicht bietet die qualitative Sozialforschung. Sie nimmt "Lebenswelten 'von innen heraus' aus der Sicht der handelnden Menschen" (Flick/ von Kardorff/ Steinke 2004: 14) in den Fokus. Dieser Anspruch hat besondere Relevanz, werden doch die Wirklichkeitskonstruktionen von Menschen mit geistiger Behinderung häufig nur von außen (Eggert in Schuppener 2007: 112) betrachtet. Die Dominanz der Professionellen - welche Menschen mit Behinderung und ihre Familien nicht als Experten in eigener Sache anerkennen - ist auch im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit zu bemängeln (vgl. Kasonde-Ng'andou 1999; Devlieger 1999).

Neben einer Erhebung der Sichtweisen der Menschen mit Behinderung selbst(2) erachtete ich eine problemzentrierte Befragung der Eltern oder anderer Bezugspersonen der Interviewpartner als bedeutsam. Es war davon auszugehen, dass die Erwartungshaltungen und Normvorstellungen des vom großfamiliären Bezug geprägten Umfeldes (vgl. Stone-MacDonald 2010) die Entwicklung der jungen Erwachsenen und ihrer Wirklichkeitskonstruktionen beeinflussten.



Vorstellung der befragten Personen

Insgesamt befragte ich fünf Elternpaare bzw. -teile sowie vier Schüler und eine Schülerin auf Kiswahili - der lingua franca Tansanias (Stone-MacDonald 2010: 134). Die befragten SchülerInnen - Editha, Elija, Zepha, Abdul und Wilson(3) - waren zum Zeitpunkt der Befragung im Alter zwischen 17 und 28 Jahren. Ihre Biographien ähnelten sich dahingehend, dass sie alle aus dem regulären Schulsystem herausfielen. Meist wurde den Eltern nach Besuch des Kindergartens von einer Einschulung abgeraten oder aber es zeigten sich innerhalb eines kurzen Zeitraums an der Primarschule Lernschwierigkeiten. Erst mit Eröffnung der Sonderschule fand sich ein Lernort, wo die SchülerInnen - nach eigenen Aussagen und denen ihrer Eltern - adäquat gefördert werden konnten.

Die jeweiligen familiären Lebenssituationen zeichneten sich jedoch durch große Unterschiede aus und somit auch die Ausgangsbedingungen für die jungen Erwachsenen: Die verwitweten Mütter von Elija und Editha lebten zum Zeitpunkt der Befragung beide von Gelegenheitsarbeiten. Zepha wuchs zwar ebenfalls bei einer alleinerziehenden Mutter auf, diese hatte jedoch eine hohe Bildung genossen und war nun als Buchhalterin und Ladenbesitzerin tätig. Auch Abduls und Mathayos Eltern waren sehr gebildete Personen und lebten mit ihren Familien in wohl situierten Verhältnissen.



Darstellung der Studienergebnisse

Grundlegende Charakteristika der Situation von jungen Erwachsenen mit geistiger Behinderung in einem ländlichen Teil Tansanias

Das Zusammenspiel von ökonomischer Situation und Gesellschaftsstruktur erwies sich als ein bedeutsamer Bezugsrahmen zum Verständnis der Schüler- und Elternaussagen. Wie ich bei der Annäherung an den sozioökonomischen Kontext der Studie bereits herausgearbeitet hatte, zeigte sich auch in den Interviews, dass v.a. die Ausrichtung auf Subsistenzwirtschaft und der großfamiliäre Zusammenhalt als soziales Absicherungssystem (vgl. Müller-Mbwilo 2008) tatsächlich charakteristisch für die Lebenssituationen der Befragten waren.

Ok, [in] unsere[r] afrikanische[n] Gesellschaft, wenn (...) die Eltern sterben ... gibt es jene Familiengemeinschaft, jenen Familienclan, in welche das Kind hineinkommt. - Mathayos Vater

Hinsichtlich der Einstellungen gegenüber Menschen mit Behinderungen und dem Umgang mit ihnen berichteten die Eltern von gesellschaftlichen Isolierungstendenzen und fehlenden Teilhabemöglichkeiten. Diese traten auf, wenn ein Kind mit Behindperung nicht den gesellschaftlichen Konventionen oder den äußeren Normvorstellungen entsprach und wurden häufig religiös begründet (z.B. Behinderung als Fluch Gottes). Mangelnde Teilhabemöglichkeiten von Menschen mit geistiger Behinderung wurden u.a. sichtbar bei Erfahrungen fehlender Anerkennung ihrer Lernfähigkeit und ihres Rechts auf Schulbildung.

Zu den erfahrenen negativen Einstellungen und Umgangsformen standen die Ansichten der befragten Eltern selbst in einem starken Gegensatz. Sie gründeten sich meist ebenfalls in religiösen Überzeugungen, waren jedoch positiv konnotiert (z.B. ein Kind mit Behinderung als Geschöpf Gottes oder Teil in Gottes/Allahs Plan).

Es gibt andere Eltern ... wenn sie ihre Kinder sehen, also, Gott hat sie beglückt. Dies ist Schicksal. Deshalb sage nicht, es sei eine Verdammnis. Nein! ... Dies ist Gottes Plan. (...) Ich glaube an Gott. Ich meine, dass (...) es ist kein böses Schicksal, dass Gott mir diese Kinder gegeben hat. Ich sehe es als das, was Gott für mich vorbereitet hat. - Abduls Vater

Die Eltern selbst sahen Menschen mit geistiger Behinderung als lern- und entwicklungsfähige Menschen an und betonen ihr Anrecht auf gesellschaftliche Teilhabe.

Im Rahmen einer entwicklungspsychologischen Annäherung an das junge Erwachsenenalter im tansanischen Kontext schienen sich insbesondere die sog. Entwicklungsaufgaben nach Havighurst anzubieten. Die Offenheit für kontextuelle Einflüsse und Wechselwirkungen zwischen Individuum und Umwelt sind charakteristisch für dieses Konzept (vgl. Lehr 1995; Montada 2008).

Anhand der Eltern- und Schüleraussagen konnten als Entwicklungsaufgaben, die das junge Erwachsenenalter im Allgemeinen prägen, Selbstständigkeit/Arbeit, Partnerschaft/Heirat, Elternschaft und Gründung eines eigenen Haushaltes herausgearbeitet werden.

In unserer Tradition: Wenn ein Mensch erwachsen wird, (...) sollte er einen Weg finden, selbstständig zu werden. (...) Er sollte eine Arbeit finden, Gelegenheitsarbeiten, (...) damit er selbstständig ist ... besser als von mir weiter abhängig zu sein. - Elijas Mutter

Von einem Erwachsenen wird erwartet (...) wenn es eine Frau ist, dass sie geheiratet werde, mit ihrem Mann zusammen sei, dass sie Kinder bekomme, mit ihrer Familie zusammen sei, dass sie ihre täglichen Notwendigkeiten gesichert wisse. - Zephas Mutter

Diese genannten Aufgaben konstituieren die gesellschaftliche Erwartungshaltung, auf welche auch ein junger Erwachsener mit geistiger Behinderung trifft. Bei Havighurst spielen aber nicht nur diese gesellschaftlichen Normen eine Rolle sondern auch die individuellen, persönlichkeitsspezifischen Erwartungen und Wertvorstellungen (vgl. Lehr 1995). Die individuellen Wünsche und Bedürfnisse können in einem Spannungsverhältnis zu den individuellen Einschränkungen sowie den gesellschaftlichen Normen und sozioökonomischen Gegebenheiten stehen. Dies wurde besonders bei den Schilderungen von Zephas Mutter deutlich. Sie attestierte ihrem Sohn zwar sexuelle Bedürfnisse einerseits, andererseits konnte er diese aber nicht in der derzeitigen Gesellschaft ausleben.

Es ist nicht leicht. Obwohl er diese Zeichen eines Erwachsenen hat: Er liebt .. er wird geliebt. Aber dieses Testen .. mit wem soll er es versuchen? (...) Ein Mädchen, wo bekommt er das? (...) (Pause) Also, hier .. stecken wir ein wenig fest. - Zephas Mutter

Bezogen auf den Themenkomplex der Selbstständigkeit und Arbeit wurde deutlich, dass Schüler und Eltern in ihren Beschreibungen der Situation von jungen Erwachsenen mit geistiger Behinderung und den Zukunftsvorstellungen scheinbar bereits eine Angleichung der Diskrepanzverhältnisse geschaffen hatten: So entsprachen die von den SchülerInnen geäußerten Interessen der Erwartung, soweit wie möglich durch Hilfeleistung in Haushalt und Landwirtschaft einen Beitrag zur familiären Entlastung und zur Existenzsicherung zu leisten.

Interviewer: Kannst Du mir erklären, wie es nach der Schule sein wird?
Editha: Es wird ... leicht werden.
Interviewer: Kannst Du mir das bitte noch etwas mehr erklären?
Editha: Und Spülen und Kochen und Waschen.

Die Zukunftsvisionen der Eltern wie SchülerInnen entsprachen ihrem Erfahrungs- und kulturellen Kontext. Sie äußerten Ideen, welche meist der landwirtschaftlichen Orientierung Tribut zollten. Auch zogen die Eltern bei den Überlegungen zu zukünftigen Perspektiven ihrer Kinder deren individuelle Einschränkungen mit ein.

Ein einflussreicher Faktor war zudem die generelle familiäre Lebenssituation. Schwierigkeiten das Schulgeld zu zahlen, aber auch fehlende Beziehungen, um den Kindern berufliche Perspektiven zu eröffnen, wurden bereits in die Darstellung von Entwicklungsaufgaben und -möglichkeiten von jungen Erwachsenen mit geistiger Behinderung integriert.


Zukunftsperspektiven der befragten jungen Erwachsenen

Die zukunftsbezogenen Interviewaussagen beinhalteten Ideen, die an der aktuellen Situation der Betroffenen ansetzten und relativ kurzfristige Zukunftsperspektiven eröffnen würden. Es wurden aber auch Faktoren genannt, von denen sich die Befragten einen langfristigen Wandel des Umgangs mit ihnen und damit auch der pädagogischen Begleitung erhofften.

Mathayos Vater entwickelte beispielsweise verschiedenste Ideen (finanzielle Absicherung durch Mieteinnahmen und kleine Einkommensprojekte, das Einsetzen eines Vormundes für seinen Sohn), mit welchen er für seinen Sohn Zukunftsperspektiven schaffen wollte.

Dieser Betreuer ... seine Aufgabe ist nur, nach ihm zu schauen. Aber Mathayos Einkommen wird gesichert durch sein Vieh, seine Felder, sein Haus, wenn es vermietet ist. Mathayo wird ... leben können, wie er mit seinen Eltern gelebt hat. - Mathayos Vater

Die Vorschläge des Vaters setzten am allgemeinen sozioökonomischen Kontext in Lushoto, der ökonomischen Lage der Familie und an den individuellen Fähigkeiten seines Sohnes an. Auf ähnliche Weise setzen andere der befragten Eltern v.a. an den praktischen Fähigkeiten ihrer Kinder an. Beispielsweise sehen sie im Schreinerhandwerk eine berufliche Perspektive für ihre Kinder. Edithas Mutter betont die hauswirtschaftlichen Fähigkeiten ihrer Tochter, mit denen sie als Haushaltshilfe bei einer Privatperson oder in einem Gästehausbetrieb tätig werden könnte. Jedoch äußert sie klar, dass sie angesichts ihres niedrigen sozialen Status nicht in der Lage sei, ihrer Tochter eine Anstellung zu verschaffen.

Auch an anderen Stellen wurde der Zusammenhang zwischen den Entwicklungs- und Zukunftsperspektiven der jungen Erwachsenen und der sozialen Ausgangssituation ihrer Familie deutlich. Genaue Untersuchungen der strukturellen Gegebenheiten scheinen demnach bei der Entwicklung von Projekten, die jungen Erwachsenen mit geistiger Behinderung Zukunftschancen eröffnen sollen, bedeutsam zu sein.

In den Überlegungen der befragten Personen hinsichtlich ihrer Zukunftsperspektiven bot die bereits bestehende schulische Struktur einen Anknüpfungspunkt zur Entwicklung von Zukunftsperspektiven. So äußerten die Eltern den klaren Wunsch, die berufliche Rehabilitation der jungen Erwachsenen mit geistiger Behinderung von der Schule ausgehend verstärkt zu fördern.

Wegen der Tätigkeiten an der Schule, beginnt er/sie auch Zuhause zu arbeiten: Ackern, .. Gemüse verkaufen, auf einen Botengang geschickt werden. (...) Sie [die LehrerInnen der IRS, Anm.d.A.] sollten eine Abteilung eröffnen, wo diese Schüler angestellt werden können. Dass sie dann dort unter der Beaufsichtigung und Anleitung von Leitern sind. Und dann, beginnend von dort, könnten weitere Umfelder erschlossen werden. - Zephas Mutter

Aus meinen Kenntnissen der Schulabläufe sowie den Beobachtungen möglicher Beschäftigungsperspektiven in der Region scheint mir, dass die genannten Ideen der Eltern ohne großen finanziellen und personellen Aufwand in den derzeitigen Schulalltag integriert werden könnten: Beispielsweise könnte der sogenannte Clubday Anknüpfungspunkt für das langsame Heranführen der ältesten SchülerInnen an einkommensschaffende Tätigkeiten darstellen. Einmal wöchentlich werden klassenübergreifende Projekte, beispielsweise in Musik, Kunst oder in praktischen Fertigkeiten, angeboten. Ohne dass eine organisatorische Umstellung notwendig wäre, könnte dieser Tag von den ältesten SchülerInnen auch intensiv zum Erlernen und Einüben berufsbezogener Fertigkeiten genutzt werden. In einem weiteren Schritt wäre es denkbar, kleine Beschäftigungs-Projekte außerhalb der Schule durchzuführen. An die gängige Tageslohn-Praxis anknüpfend könnten die SchülerInnen in den umliegenden Institutionen und Häusern Dienstleistungen wie Grasschneiden, kleine Bürodienste, Putzaktionen o.ä. erbringen. Das Lehrpersonal hätte die Aufgabe, die SchülerInnen bei ihren Tätigkeiten anzuleiten und zu begleiten. Wichtig wäre aber auch eine Sensibilisierung des Umfeldes, mögliche Vorurteile von Arbeitgebern und MitarbeiterInnen zu entschärfen sowie eine Einführung in den (pädagogischen) Umgang mit Menschen mit geistiger Behinderung zu geben.

Idealerweise könnten - ausgehend von einer solchen Sensibilisierung der Öffentlichkeit durch die Schule - für die jungen Erwachsenen mit geistiger Behinderung immer mehr Wege zur gesellschaftlichen und beruflichen Teilhabe eröffnet werden.



Resümee

Anhand der Eltern- und SchülerInnenaussagen konnte ein plastisches Bild der Lebenssituation von jungen Erwachsenen mit geistiger Behinderung in der betrachteten Region gezeichnet und schwerpunktmäßige Entwicklungsaufgaben herausgearbeitet werden. Die Perspektiven der Betroffenen ermöglichten die Ableitung konkreter zukunftsbezogener Handlungsmöglichkeiten, die für die Begleitung der befragten SchülerInnen durch das Elternhaus und die Schule relevant sind.

Jegliche Projekte, die die Gestaltung von Zukunftsperspektiven von jungen Erwachsenen mit geistiger Behinderung zum Ziel haben, haben der Komplexität menschlicher Entwicklung und dem sozioökonomischen Kontext der Nutzer Rechnung zu tragen.

Die Relevanz der qualitativen Befragung für eine den kulturellen Gegebenheiten angepasste pädagogische Begleitung und die Planung und Gestaltung jeglicher programmatischer Interventionen und Projekte ist deutlich geworden. Das Einbeziehen der Betroffenenperspektiven hilft einen möglichen Zentrismus auf die eigene Kultur und die reine Außen-Perspektive von Professionellen auf einen Menschen mit sog. geistiger Behinderung zu vermeiden. Im Kontext partizipativer Entwicklungsprozesse können konkrete Handlungsmöglichkeiten, die für Jugendliche mit geistiger Behinderung relevant sein können, identifiziert werden.

Dem verstehenden Anspruch der Heilpädagogik gerecht zu werden, bedeutet, sich stets der individuellen Wirklichkeitskonstruktionen und Lebenskonzepte des Gegenübers und der Komplexität menschlicher Entwicklung gewahr zu sein und diese in der pädagogischen Begleitung anzuerkennen. Ein Kiswahili-Sprichwort verdeutlicht treffend diesen Fokus auf die Individualität menschlicher Entwicklung sowie auf die Einzigartigkeit von Lebensentwürfen:

"Kila ndege huruka na mbawa zake."(4) - Jeder Vogel fliegt mit seinen eigenen Flügeln.


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Anmerkungen

(1) Der Begriff Geistige Behinderung kann nur im Bewusstsein seiner Begrenztheit verwendet werden. Die Problematik der damit verbundenen stigmatisierenden Klassifizierungs- und Zuweisungsprozesse muss stets mitberücksichtigt werden. Für den Rahmen der Studie ergab sich jedoch die Problematik, einerseits die Zielgruppe für den deutschen Sprachraum verständlich benennen zu müssen, andererseits ein offenes Behinderungsverständnis zu wahren, um dem kulturübergreifenden Kontext Rechnung zu tragen.

(2) Zu den Besonderheiten bei der Befragung von Menschen mit einer geistigen Behinderung, welche auch in der Durchführung meiner eigenen Befragung zum Tragen kamen, sei auf Hagen (2001), Kulig/Theunissen (2010) sowie Buchner (2008) verwiesen.

(3) Die Namen aller Schüler wurden pseudonymisiert. Zusätzlich findet sich im Text das Pseudonym Mathayo. Dieser konnte auf Grund einer Erkrankung nicht befragt werden, jedoch seine Eltern.

(4) Swahili proverbs. Abrufbar unter
www.mwambao.com/methali.htm [Stand 03.04.2010]



Literatur

BUCHNER, T. (2008): Das qualitative Interview mit Menschen mit so genannter geistiger Behinderung. Ethische, methodologische und praktische Aspekte. In: BIEWER, G. / LUCIAK, M. / SCHWINGE, M. (Hrsg.) (2008): Begegnung und Differenz: Menschen - Länder - Kulturen. Beiträge zur Heil- und Sonderpädagogik. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt, S. 516-528

DEVLIEGER, P. J. (1999): Local Knowledge and International Collaboration in Disability Programs. In: HOLZER, B. / VREEDE, A. / WEIGT, G. (Hrsg.) (1999): Disability in Different Cultures. Reflections on Local Concepts. Bielefeld: Transcript, S. 169-177

FLICK, U. / VON KARDORFF, E. / STEINKE, I. (2004): Was ist qualitative Forschung? Einleitung und Überblick. In: FLICK, U. / VON KARDORFF, E. / STEINKE, I. (Hrsg.) (2004) (3.Aufl.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Reinbeck b. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch, S. 12-28

HAGEN, J. (2001): Ansprüche an und von Menschen mit einer geistigen oder mehrfachen Behinderung in Tagesstätten. Aspekte der Begründung und Anwendung lebensweltorientierter pädagogischer Forschung. Marburg: Lebenshilfe

KASONDE-NG'ANDOU, S. (1999): Bio-Medical versus Indigenous Approaches to Disability. In: HOLZER, B. / VREEDE, A. / WEIGT, G. (Hrsg.) (1999): Disability in Different Cultures. Reflections on Local Concepts. Bielefeld: Transcript, S. 114-121

KULIG, W. / THEUNISSEN, G. (2010): Behindertenhilfe. In: BOCK, K. / MIETHE, I. (Hrsg.) (2010): Handbuch Qualitative Methoden in der Sozialen Arbeit. Opladen / Farmington Hills: Barbara Budrich, S. 535-540

LEHR, U. (1995): Zur Geschichte der Entwicklungspsychologie der Lebensspanne. In: KRUSE, A. / SCHMITZ-SCHERZER, R. (Hrsg.) (1995): Psychologie der Lebensalter. Darmstadt: Steinkopff, S. 3-14

MONTADA, L. (2008): Fragen, Konzepte, Perspektiven. In: OERTER, R. / MONTADA, L. (Hrsg.) (2008) (6.Aufl.): Entwicklungspsychologie. Weinheim / Basel: Beltz Verlag, S. 3-48

MÜLLER-MBWILO, A. (2008): Leben mit Behinderung in einem afrikanischen Land am Beispiel Tansanias - eine empirische Studie in der Stadt Mwanza. Dissertation. Technische Universität Dortmund: Fakultät der Rehabilitationswissenschaften

SCHUPPENER, S. (2007): Geistig- und Schwermehrfachbehinderungen. In: BORCHERT, J. (Hrsg.) (2007): Einführung in die Sonderpädagogik. München: Oldenbourg, S. 111-147

STONE-MACDONALD, A. K. (2010): From Goats to Gardens: Preparing Children with Developmental Disabilities for Community Integration in Rural Tanzania. Dissertation. Indiana University, School of Education, Department of Special Education


Abstract: In the following article we present the results of a qualitative survey of young adults with intellectual disability and their contact persons in Tanzania. At a special needs school the question of appropriate educational support and preparation for life after school for the older students is investigated. In order to draw educational consequences the views of those affected and their situation in life and future perspectives are used. The process shows a possible model for use of participative research for project management, that takes account of the socio cultural environment.


Résumé: Cet article présente les résultats d'un sondage qualitatif auprès de jeunes handicapés mentaux et de leurs proches en Tanzanie. Cinq ans après la création d'une école spécialisée s'est posée la question d'un accompagnement pédagogique approprié et d'une préparation des étudiants les plus âgés à leur vie après l'école. Les avis collectés auprès des intéressés ont servi de base pour tirer des conclusions pédagogiques. Cette expérience a démontré le bénéfice potentiel d'une recherche participative pour la gestion d'un projet qui prend en compte les données socioculturelles environnantes.


Resumen: El artículo presenta resultados de una encuesta cualitativa realizado con jovenes adultos con discapacidad mental y sus educadores en un centro especial en Tanzania. Después de cinco años de su fundación se plantearon la pregunta sobre la preparación adecuada para la vida después de la escuela. Para deducir consecuencias pedagógicas fueron investigados los puntos de vista de los alumnos y sus educadores sobre la situación de vida de los discapacitados y sus futuras perspectivas. El procedimiento enseña en forma ejemplar la contribución de la investigación participatoria para la gestión de proyecto, que considera la situación sociocultural de la gente.


Autorin: Anne Keiner (Diplom-Heilpädagogin) absolvierte während ihres Studiums an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen (Deutschland) ein Praktikum an einer tansanischen Sonderschule. Anschließend führte sie 2010 im Rahmen der Verfassung ihrer Diplomarbeit die vorgestellte Studie durch. Z.Z. ist die Autorin in der Arche Tecklenburg - einer internationalen Wohn- und Lebensgemeinschaft von Menschen mit und ohne Behinderung - tätig.
Kontakt: Anne Keiner, Bodelschwinghweg 6, 49545 Tecklenburg
E-Mail: annekeiner@yahoo.de


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Quelle:
Behinderung und internationale Entwicklung, 22. Jahrgang, Ausgabe 1/2011, S. 4-8
Schwerpunkt: Menschen mit kognitiver Behinderung/Lernschwierigkeiten in Entwicklungsprozessen
Redaktionsgruppe: Stefan Lorenzkowski, Christiane Noe, Mirella Schwinge, Gabriele Weigt, Susanne Wilm
Schriftleitung: Gabriele Weigt
Anschrift: Wandastr. 9, 45136 Essen
Tel.: +49 (0)201/17 88 963, Fax: +49 (0)201/17 89 026
E-Mail: gabi.weigt@t-online.de
Internet: www.zbdw.de

Für blinde und sehbehinderte Menschen ist die Zeitschrift
im Internet erhältlich unter www.zbdw.de

Die Zeitschrift Behinderung und internationale Entwicklung wird von
Behinderung und Entwicklungszusammenarbeit e.V. (bezev) herausgegeben.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juni 2011