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BILDUNG/318: Chancen auf dem Arbeitsmarkt - Ausbildungskonzepte der Zukunft (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 3/2011

CHANCEN AUF DEM ARBEITSMARKT
Ausbildungskonzepte der Zukunft

von Niels Reith


In Berufsbildungswerken (BBW) wird das aus der dualen Ausbildung bekannte Zusammenwirken von praktischer Ausbildung und Berufsschule medizinisch, psychologisch und sozialpädagogisch ergänzt. Die Ausbildung erfolgt in modernsten Werkstätten und Berufsschulen, die speziell auf die Belange der Jugendlichen ausgerichtet sind. Individuelle Rehabilitations-Pläne tragen den Fähigkeiten und Talenten der Jugendlichen Rechnung und beziehen sie aktiv ein. Junge Menschen mit Behinderungen erwerben so anerkannte Ausbildungsabschlüsse und erhalten eine nachhaltige Qualifikation für den ersten Arbeitsmarkt.


Die Berufsbildungswerke bilden an 52 Standorten rund 15.000 junge Menschen mit Behinderung in über 240 anerkannten Berufen aus. Im Mittel der letzten 15 Jahre waren 62,5% der BBW-Absolventen ein Jahr nach ihrer Ausbildung sozialversicherungspflichtig auf dem ersten Arbeitsmarkt beschäftigt.

Bei der Ausbildung arbeiten die BBW eng mit zahlreichen Wirtschaftsunternehmen zusammen und gestalten die Ausbildung dadurch realitätsnah und so arbeitsmarktorientiert wie möglich. Neben den Auszubildenden und den BBW profitieren auch die Unternehmen von dieser engen Zusammenarbeit: Firmen, die junge Menschen mit Behinderung ausbilden, stehen für Chancengleichheit und soziale Vielfalt. Doch nicht nur das: Junge Auszubildende mit Behinderung sind oft besonders motiviert, besitzen viel Potenzial und kompensieren ihre Einschränkungen oftmals durch eine besonders hohe Einsatzbereitschaft. Unternehmen, die sich an der Ausbildung und Integration von jungen Menschen mit Behinderung beteiligen, betreiben zudem aktiv zukunftsorientierte Fachkräftesicherung und können darüber hinaus staatliche Fördermöglichkeiten in Anspruch nehmen. Das Ergebnis der Zusammenarbeit sind zukunftsfähige inklusive Ausbildungsmodelle die individuell auf die Bedarfe junger Menschen mit Behinderung ausgerichtet sind.


Inklusive Ausbildungsmodelle

Eines davon ist die Verzahnte Ausbildung mit Berufsbildungswerken - kurz VAmB genannt. Sie wurde ab 2004 gemeinsam mit der METRO Group entwickelt und seit 2005 durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales als Projekt der Initiative "job - Jobs ohne Barrieren" gefördert. 2007 wurden die METRO Group, und die BAG BBW für die Verzahnte Ausbildung mit dem Initiativpreis Aus- und Weiterbildung der Otto Wolff-Stiftung, der "WirtschaftsWoche" und des Deutschen Industrie- und Handelskammertages ausgezeichnet.

Seit 2009 setzen die BBW und die Bundesarbeitsgemeinschaft der Berufsbildungswerke e.V. das Projekt eigenständig um. Mittlerweile bieten bereits 45 BBW die Verzahnte Ausbildung an und gegenwärtig absolvieren rund 450 Jugendliche Teile ihrer Ausbildung verzahnt in einer Vielzahl verschiedener kleiner und großer Unternehmen des ersten Arbeitsmarktes.

Einer von ihnen ist Julian Sinner, der eine Ausbildung zum Tischler im BBW Südhessen absolviert. "Ich habe schon als Kind gern mit Holz gearbeitet", erinnert er sich. Tischler zu werden lag für den heute 28-Jährigen daher nahe. Dass er seinen Berufswunsch schließlich verwirklichen konnte, hat er dem BBW Südhessen zu verdanken. Hier absolviert der junge Mann eine VAmB-Ausbildung.


Erfolgreicher Start in den Arbeitsmarkt

Der Weg bis zum Ausbildungsbeginn war lang: Als Julian Sinner 17 Jahre alt war, begann er plötzlich unter Panikattacken zu leiden. Bald schon wurde dem damaligen Hauptschüler der Schulbesuch unmöglich. "Ich konnte nicht mehr aus dem Haus gehen", berichtet er selbst, "und an Bus- oder Straßenbahnfahrten war überhaupt nicht zu denken." Sieben Jahre lang hielt ihn seine Erkrankung von Ausbildung und Beruf ab, dann half ihm eine Psychotherapie weiter - und wurde ihm letztlich zum Türöffner in die Ausbildung. "Mein Psychologe kannte das Berufsbildungswerk in Karben und empfahl mich dorthin", ist Julian Sinner heute noch dankbar. Damit begann sein Weg in den Beruf. Eine BBW-Kompetenzanalyse am Anfang machte schnell klar, dass der junge Mann alle erforderlichen Voraussetzungen für die Ausbildung zum Tischler mitbringt - und dass das VAmB-Modell eine passende Förderung für ihn bietet.

"Hinter dem Ausbildungsmodell VAmB verbirgt sich eine spezifische Form kooperativer Berufsausbildung mit Partnerunternehmen", erklärt Reiner Huber, Bereichsleiter für die Berufe in Holz- und Metalltechnik. Die jungen Menschen absolvieren dabei in der Regel das erste Lehrjahr im BBW und wechseln anschließend bis zu zwölf Monate in den externen Partnerbetrieb, um dort mit enger Begleitung durch die BBW-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die praktische Ausbildung fortzuführen. Verzahnt wird die Ausbildung im Betrieb mit individuellen Förderangeboten, psychosozialer Unterstützung, Ausbildungszeiten und Phasen der Prüfungsvorbereitung im BBW. Die Unternehmen können jederzeit auf die Unterstützung des BBW zurückgreifen und haben außerdem die Möglichkeit, alle VAmB-Auszubildenden doppelt auf die so genannte Beschäftigungspflichtquote für Menschen mit Behinderung anzurechnen.

"Julian Sinner ist der erste angehende Tischler, der im BBW Südhessen im Rahmen von VAmB ausgebildet wird", lobt Huber, "und er hat bislang hervorragende Leistungen erbracht und viel Selbstvertrauen gewonnen.

Die Verzahnte Ausbildung mit einem Betrieb bietet nicht nur die Chance auf inklusive betriebliche Ausbildungsanteile, sondern auch die beste Vorbereitung auf die spätere Berufstätigkeit und verbesserte Integrationschancen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Das sieht auch Julian Sinner so: "Es macht einen Riesenunterschied, in einem Betrieb zu arbeiten, hier muss alles viel schneller gehen und es gibt eine klare Orientierung an den Aufträgen der Kunden.

Der angehende Tischler absolviert mittlerweile seine Verzahnte Ausbildung in einem kleinen Familienbetrieb in der Region. Den Betrieb hat er sich über das Internet selbst gesucht und die Arbeit macht ihm Spaß. "Ich weiß, das ist der richtige Beruf für mich", sagt er. Schon jetzt informiert er sich regelmäßig online über offene Stellen, damit er im Anschluss an seine Abschlussprüfung im kommenden Jahr nahtlos in eine feste Beschäftigung wechseln kann. "Da stehen die Chancen gut", freut er sich, "Tischler werden im Rhein-Main-Gebiet gesucht. Und einen Traum hat er auch noch: Eines Tages möchte sich der Holzliebhaber gern eine Hobby-Werkstatt zu Hause einrichten.


Niels Reith
BAG BBW mit freundlicher Unterstützung des BBW Südhessen


KONTAKT

Bundesarbeitsgemeinschaft der Berufsbildungswerke e.V.
Kurfürstenstraße 131
10785 Berlin
Tel.: (030) 263 98 09 90
Fax:  (030) 263 98 09 99
Mail: info@bagbbw.de
www.bagbbw.de


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Quelle:
Selbsthilfe 3/2011, S. 24-25
Zeitschrift der BAG SELBSTHILFE
Herausgeber: Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
BAG SELBSTHILFE
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Tel.: 0211/31 00 6-0, Fax: 0211/31 00 6-48
E-Mail: info@bag-selbsthilfe.de
Internet: www.bag-selbsthilfe.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. November 2011