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FRAGEN/152: Persönliches Budget - Nicht so bequem wie all-inclusive (LHZ)


Lebenshilfe Zeitung, Nr. 4 - Dezember 2008

Nicht so bequem wie all-inclusive

Persönliches Budget fordert Eltern und Betreuer


Wie bekommt man das Persönliche Budget? Das erklärte das Magazin 3/08 der Lebenshilfe-Zeitung am Beispiel von Anna Preuß. In ihrem Auftrag bezahlt ihr Vater Helferinnen. Christoph Preuß ist auch der gesetzliche Betreuer seiner Tochter. Welche Erfahrungen hat er gemacht?


Frage: Herr Preuß, wie sind Sie darauf gekommen, für Ihre Tochter das Persönliche Budget zu beantragen?

Christoph Preuß: Anna kam schlecht mit immer wieder wechselnden Helferinnen von verschiedenen Trägern und Anbietern zurecht. Für eine individuelle, ganz persönliche Begleitung ist ein Budget besser.

Frage: Was haben Sie sich für Ihre Tochter erhofft und was befürchtet?

Christoph Preuß: Vor allem ging es uns um Individualität. Anna sollte/wollte eine sehr persönliche Beziehung zu den Menschen entwickeln können, die sie so ganz intim und hautnah täglich mit ihren Defiziten und Handicaps erleben.

Dass Anna jetzt alleine lebt, war so nicht geplant. Sie hätte gerne weiter in einer WG gelebt, aber dort war durch den Träger eben doch eine Art "Heimstruktur" entstanden.

Wir hatten natürlich Angst vor Vereinsamung und Überforderung. Dann aber haben wir erlebt, wie gut es Anna geht, wie sie sich weiterentwickelt und wie sie das Alleinesein auch genießt: Wenn keiner mehr etwas von ihr will und ihr keine Entscheidungen abverlangt werden.

Selbstbestimmung hat ja vor allem mit Entscheidungen zu tun. An dieser Stelle müssen Betreuer/innen genau aufpassen, dass sie sie nicht einerseits durch ständiges Abfragen (Soll es so oder anders sein?) überfordern und andererseits nicht durch eigene Vorgaben und Vorauswahl manipulieren.

Frage: Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?

Christoph Preuß: Zufrieden im Sinne von zurücklehnen sicher (noch) nicht. Das Unterstützerinnenteam macht eine prima Arbeit, ist engagiert und bereit, immer weiter zu lernen und zu reflektieren. Das ist eine tolle Erfahrung für uns Eltern und für Anna. Sie ist zufrieden und möchte momentan nicht anders leben.

Das Geld reicht nie. Mit mehr könnte einiges besser und leichter gehen. Nach jetzt einjähriger Erfahrung stellt sich heraus, dass auch für die beteiligten Ämter mit dem Budget Neuland betreten und nicht alles zu Ende gedacht wurde. So hat Anna ja mit ihren Helferinnen Arbeitsverträge, die auch erfüllt werden müssen. Zum Beispiel steht den Helferinnen bezahlter Urlaub zu, der aber nicht ins Budget eingerechnet ist.

Frage: Muss man quasi Profi sein, um den Aufwand, den das Persönliche Budget erfordert, zu bewältigen?

Christoph Preuß: Profi im Sinne von Experte im Sozialhilferecht sicher nicht. Wichtig ist zu wissen, was gebraucht wird, um dann mit entsprechendem Durchsetzungsvermögen mit den Ämtern zu verhandeln. Nötig ist auch, sich Rat und Hilfe zu holen, zum Beispiel bei Betreuungsvereinen oder Selbsthilfegruppen von Eltern.

Man darf keine Angst haben, Bescheiden von Ämtern zu widersprechen. Ämter sind gehalten zu sparen. Sie tun das oft in der Hoffnung, dass der Aufwand eines Widerspruchs gescheut wird. Das Amt wird auch kaum dahingehend beraten, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, also brauchen wir andere Berater.

Einfacher und bequemer ist natürlich, alles wie bisher einem Träger zu überlassen. Das ist dann "all-inclusive", aber in der Regel auf Kosten von Individualität. Dann geht es oftmals nicht mehr um die Verwirklichung der persönlichen Wünsche und Bedürfnisse des Menschen mit Behinderung, sondern um die Einordnung in das Gefüge der Einrichtung.

Frage: Wird der Aufwand für "Budgetassistenz" vergütet?

Christoph Preuß: Die Mehrkosten für die Assistenz müssen gleich mit bedacht und beantragt werden. Es ist doch völlig klar, dass Anna das Budget nicht selbst verwalten, dass sie keine Arbeitsverträge aushandeln und nicht mit dem Sozialamt um den Bedarf streiten kann. Also muss die Budgetassistenz genauso mit einbezogen sein wie die Assistenz für das Einkaufen oder Kochen.

Für ein Team, wie Anna es hat, braucht es ein Management, eine Teamkoordination, jemand, der die Fäden bündelt, die Aufgaben verteilt, Defizite und Ressourcen entdeckt und, und, und ... Diese Arbeit muss "professionell" gemacht und entsprechend bezahlt werden. Hier wünsche ich mir, dass es zum Beispiel bei einem Beratungsverein entsprechend fitte Menschen gibt, die für mehrere Teams diese Arbeit zu bezahlbaren Preisen übernehmen.

Frage: Was wünschen Sie sich von den Ämtern/der
Gesetzgebung/den Verbänden?

Christoph Preuß: Das Persönliche Budget beinhaltet viele Chancen zur Verbesserung der Lebensbedingungen für Menschen mit Behinderung. Leider wird es aber seitens der Kostenträger vor allem als Sparprogramm angesehen. Hier sehe ich eine wichtige Beratungsaufgabe durch unabhängige Institutionen. Auch die Lebenshilfe könnte diese Beratung übernehmen. Allerdings ist die Lebenshilfe oft auch wieder Träger von Einrichtungen, und diese sehen in der bisherigen Sachleistungsregelung den Vorteil, die Regie für sich in Anspruch nehmen zu können. Beim Persönlichen Budget liegt die Regie beim Budgetnehmer beziehungsweise dessen Betreuer. Damit können viele Einrichtungsträger noch nicht gut umgehen.

Vieles ist auch noch nicht zu Ende gedacht: Wer sorgt für Qualität? Es sollen Arbeitsverträge mit den Assistentinnen und Assistenten geschlossen werden, daraus entsteht ein Betriebsrisiko ohne Betrieb. Das Trägerübergreifende des Budgets funktioniert selten.

Frage: Was raten Sie anderen Eltern und Betreuern?

Christoph Preuß: Mut zum Risiko. Wenn sich die Budgetnehmer und ihre Betreuer zusammenschließen, gemeinsam beraten, sich gegenseitig weiterhelfen, dann wird das Persönliche Budget dazu beitragen, dass die Menschen mit Behinderungen in unserer Gesellschaft ankommen.

Nicht die Behinderung des davon betroffenen Menschen ist das Problem, sondern die Behinderung der Entwicklung und Entfaltung von unterschiedlichen Menschen durch bevormundende Gesetze und Institutionen.

Die Fragen stellte Gertrud Genvo.


Wo gibt's Infos und Beratung?

Fragen zum Persönlichen Budget beantworten die Orts- und Kreisvereinigungen der Lebenshilfe.
Eine Liste der Beratungsstellen finden Sie unter:
www.familienratgeber.de

Beantragen kann man das persönliche Budget zum Beispiel beim Sozialamt, beim Gesundheitsamt, beim Arbeitsamt oder bei einer Servicestelle.
Die Adressen der Servicestellen findet man unter:
www.reha-servicestellen.de

Über das persönliche Budget informieren auch die Internetseiten
www.bmas.bund.de
www.berlin.de
www.lebenshilfe.de
und die Adressen der Lebenshilfe-Landesverbände.


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Quelle:
Lebenshilfe Zeitung, Nr. 4/2008, 29. Jg., Dezember 2008, S. 9
Herausgeber: Bundesvereinigung Lebenshilfe
für Menschen mit geistiger Behinderung
Bundesgeschäftsstelle, Raiffeisenstr. 18, 35043 Marburg
Telefon: 06421/491-0, Fax: 06421/491-167
E-Mail: lhz-redaktion@lebenshilfe.de
Internet: www.lebenshilfe.de

Die Lebenshilfe-Zeitung mit Magazin erscheint
jährlich viermal (März, Juni, September, Dezember).


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Januar 2009