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FRAGEN/163: "Mein Ziel ist es, die Konvention auf ein breites Fundament zu stellen" (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 1/2010

Hubert Hüppe, Behindertenbeauftragter der Bundesregierung:

"Mein Ziel ist es, die Konvention auf ein breites Fundament zu stellen"


Hubert Hüppe, der langjährige behindertenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag, ist seit dem 1. Januar 2010 neuer Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen. Hubert Hüppe tritt die Nachfolge von Karin Evers-Meyer an, die das Amt seit 2005 ausgeübt hatte. Wie seine Vorgängerin ist er selbst Vater eines behinderten Kindes.


Zur Person

Hubert Hüppe wurde am 3. November 1956 im westfälischen Lünen geboren. Er ist verheiratet und hat drei Kinder. Zwischen 1991 und 2009 war er Mitglied des Deutschen Bundestages. Er war Beauftragter der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages für die Belange der Menschen mit Behinderungen. Hubert Hüppe ist kooptiertes Mitglied im Bundesvorstand der Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V., er ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Spina bifida und Hydrocephalus e.V., Mitglied des Fachbeirates der BAG Integrationsfirmen e.V. und der Bundesarbeitsgemeinschaft Gemeinsam Leben - Gemeinsam Lernen e.V..


FRAGE: Herr Hüppe, Sie stellen die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention auf Ihrer Homepage in den Mittelpunkt Ihres neuen Amtes. Das ist ein sehr weites Feld. Sehen Sie Bereiche, in denen die Umsetzung der UN-Konvention besonders dringend vorangetrieben werden muss?

HUBER HÜPPE: Die Behindertenrechtskonvention zeichnet das Bild einer inklusiven Gesellschaft. Das bedeutet, dass alle Bereiche des Lebens, alle wesentlichen Schnittstellen im Alltag eines jeden Menschen, von Beginn an so gestaltet werden, dass jeder einzelne mit seinen besonderen Bedürfnissen und Fähigkeiten teilhaben kann. Teilhabe ist damit ein Menschenrecht.

Es gibt natürlich Bereiche, auf die wir bei der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention unsere Augen besonders richten müssen.

Teilhabe und Inklusion fangen klein an. Durch gemeinsamen vorschulischen und schulischen Unterricht entstehen wechselseitige Berührungsängste gar nicht erst, ein Leben in Vielfalt ist selbstverständlich - auch über das Schulalter hinaus. Das "zusammen leben", das "zusammen arbeiten" und das "zusammen seine Freizeit verbringen" sind dann Normalität.

Die Konvention fordert uns auf, Maßnahmen einzuleiten, die Menschen mit Behinderung berufliche Teilhabe ermöglichen. Der Schwerpunkt liegt dabei ganz deutlich auf Beschäftigung am 1. Arbeitsmarkt - also außerhalb von besonderen Institutionen. Wir werden uns der Aufgabe stellen müssen, dieser Forderung nachzukommen - nicht zuletzt deshalb, weil wir es uns schlichtweg nicht leisten können, eine ganze Gruppe von Menschen mit ihren Talenten und ihrem Einsatzwillen vom Arbeitsmarkt fernzuhalten.

Im Bereich des Wohnens müssen sich die gewachsenen Strukturen ändern. Behinderte Menschen, die selbst bestimmen, wo sie leben, wer sie pflegt und bei welchen Tätigkeiten sie Unterstützung in Anspruch nehmen möchten, definieren für sich einen neuen Bedarf, den traditionelle Einrichtungen der Behindertenhilfe häufig noch nicht oder nur in begrenztem Umfang bereit stellen können.

FRAGE: Von Januar bis März 2009 fanden im Rahmen der Kampagne "alle inklusive!" acht Fachveranstaltungen zu unterschiedlichen Themenfeldern der UN-Behindertenrechtskonvention statt. Ihre Vorgängerin, Karin Evers-Meyer, hat mit dieser Kampagne versucht, die Rechte behinderter Menschen in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu tragen. Finden Sie hier einen gut bestellten Acker? Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen, um die Umsetzung der UN-Konvention zu einem zentralen Thema in der Öffentlichkeit zu machen?

HUBER HÜPPE: In der Tat fangen wir bei der Bewusstseinsbildung der Öffentlichkeit nicht bei Null an. Die Kampagne meiner Vorgängerin hat den gesetzgeberischen und sonstigen Handlungsbedarf in der Bundesrepublik aufgezeigt und öffentlich gemacht. Artikel 8 der Behindertenkonvention verpflichtet uns ja, Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung zu ergreifen, um ein differenzierteres, respektvolleres und positiveres Bild von Menschen mit Behinderungen in den Medien und der Gesellschaft insgesamt zu fördern. Diese Verpflichtung ist eine gesamtstaatliche Aufgabe. Ich werde natürlich meinen Teil dazu beitragen, um eine übergreifende gesellschaftspolitische Diskussion um die Botschaft des Übereinkommens anzustoßen.

Ganz konkret bedeutet das, dass ich Fachtagungen oder Kampagnen durchführen möchte, um die Öffentlichkeit für alle wichtigen Themen im Rahmen der Umsetzung des Übereinkommens zu informieren. Darüber hinaus will ich auch eine Internetseite über meine Arbeit als Koordinierungsstelle einrichten, um die Öffentlichkeit zu informieren, aber auch die Anregungen der Betroffenen aufzunehmen.

FRAGE: Sie haben gesagt: "Gemeinsam mit den Menschen mit Behinderungen und in Zusammenarbeit mit der Bundesregierung werde ich den Aktionsplan entwickeln, der in allen Bereichen des Lebens ihre Teilhabe sicherstellt." Wie stellen Sie sich die Arbeit am gemeinsamen Aktionsplan konkret vor? Welche Rolle werden Sie persönlich bei der Erstellung und Umsetzung des nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Konvention spielen?

HUBER HÜPPE: Die Verantwortung für die Erstellung eines Aktionsplanes auf Bundesebene liegt in erster Linie beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Bei der Erstellung des Aktionsplanes kommt dem Amt des Behindertenbeauftragten aber eine besondere Bedeutung zu. Bereits am 10. September 2008 hat der Bundesminister für Arbeit und Soziales meiner Vorgängerin, Frau Evers-Meyer, die Aufgabe der Koordinierungsstelle nach Artikel 33 der Behindertenrechtskonvention übertragen. Diese Stelle soll eine Schnittstelle zur aktiven Einbindung verschiedener staatlicher und zivilgesellschaftlicher Ebenen, wie Verbände, Träger, Landesbehindertenbeauftragte und Wissenschaft bilden, sowie ein Forum zur Diskussion und Information bei der Umsetzung der UN-Konvention darstellen.

Dabei muss ich von Anfang an darauf hinwirken, dass alle relevanten Akteure von Anfang in die Erarbeitung des Aktionsplanes der Bundesregierung eingebunden werden. Mein Ziel ist es, die Umsetzung der Konvention auf ein breites Fundament zu stellen und erarbeitete Lösungen besser durchzusetzen.

FRAGE: Wie soll die Beteiligung der Behindertenverbände an der Erarbeitung des Aktionsplans aus Ihrer Sicht aussehen?

HUBER HÜPPE: Ich stelle mir vor, dass bei der Koordinierungsstelle ein Beirat eingerichtet wird, um die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention langfristig und strategisch zu begleiten. Durch den Beirat könnte der von der Koordinierungsstelle organisierte Informationsfluss sowohl in Richtung der staatlichen Anlaufstellen (das Bundesministerium für Arbeit und Soziales) als auch in Richtung der Zivilgesellschaft, also Betroffenenverbände und -selbsthilfegruppen, getragen werden und unterstützt damit den Ansatz, die Teilhabe behinderter Menschen in allen Politikfeldern von Anfang an zu berücksichtigen. Auch hier gilt: Nichts über uns ohne uns!

Darüber hinaus soll bei dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen eine Internetseite der Koordinierungsstelle eingerichtet werden. Auf dieser Seite sollen auch Beteiligungselemente des Web 2.0 eingebunden werden, um auch die einzelnen behinderten Menschen bei der Umsetzung einzubinden.

FRAGE: Herr Hüppe, Sie haben gesagt, dass es Ihnen bei der anstehenden Reform der Eingliederungshilfe persönlich besonders wichtig sei, dass Teilhabe als Menschenrecht begriffen werde. Was bedeutet das in diesem Zusammenhang konkret?

HUBER HÜPPE: Ich hatte es vorhin schon gesagt, Teilhabe ist ein Menschenrecht. Das bedeutet, bei allen Leistungen steht der einzelne Mensch selbst mit seinen individuellen Stärken und Schwächen, seinen individuellen Wünschen und Bedürfnissen im Mittelpunkt. Er soll nach seinen eigenen Vorstellungen eigenverantwortlich und selbstständig leben und an der Gesellschaft teilhaben können. Dies ist aber nur möglich, wenn jeder genau die Leistungen erhält, die er braucht. Jeder behinderte Mensch hat einen anderen, einen individuellen Unterstützungsbedarf. Keine Behandlung ist wie die andere, keine Leistung passt für alle. Das bedeutet, dass alle wesentlichen Schnittstellen im Alltag eines jeden Menschen von Beginn an so gestaltet werden, dass jeder einzelne mit seinen besonderen Bedürfnissen und Fähigkeiten teilhaben kann.

Für die anstehende Reform der Eingliederungshilfe bedeutet es ganz konkret eine konsequente Anbindung der Leistungen der Eingliederungshilfe an den Bedarf des behinderten Menschen, also das, was heute allgemein als Personenzentrierung bezeichnet wird.

FRAGE: Herr Hüppe, hat es für Ihr Amt als Behindertenbeauftragter der Bundesregierung eigentlich eine Bedeutung, dass Sie kein Bundestagsabgeordneter sind? Gibt es Vor- und/oder Nachteile dieses Umstandes?

HUBER HÜPPE: Auf mein Amt als Behindertenbeauftragter der Bundesregierung hat es natürlich Auswirkungen, dass ich kein Bundestagsabgeordneter bin. Ich habe beispielsweise kein Rederecht vor dem Deutschen Bundestag. Das heißt allerdings nicht, dass ich mit den Abgeordneten nicht ins Gespräch komme. Mit den behindertenpolitischen Sprechern der Bundestagsfraktionen habe ich bereits erste Gespräche geführt. Darüber hinaus habe ich gerade meine Schwerpunkte für die nächsten vier Jahre vor dem Menschenrechtsausschuss des Bundestages dargelegt.

Es bringt aber auch ein paar Vorteile mit sich, dass ich kein Bundestagsabgeordneter bin. So kann ich mich sehr viel intensiver auf meine Aufgabe als Behindertenbeauftragter konzentrieren und so die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention voranbringen. Und manchmal kann es auch von Vorteil sein, wenn man nicht dem Fraktionszwang unterliegt.


Text: Elisabeth Fischer


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Quelle:
Selbsthilfe 1/2010, S. 12-13
Zeitschrift der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
Herausgeber: BAG Selbsthilfe
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Tel.: 0211/31 00 6-0, Fax: 0211/31 00 6-48
E-Mail: info@bag-selbsthilfe.de
Internet: www.bag-selbsthilfe.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. April 2010