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FRAGEN/173: Was bringt der Nationale Aktionsplan wirklich? (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 3/2011

INTERVIEW
Was bringt der Nationale Aktionsplan wirklich?


Der Nationale Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (NAP) ist bei den Behindertenverbänden auf große Kritik gestoßen. Warum der Aktionsplan wenig Zuspruch erhalten hat und was er in Zukunft bewirken kann, haben wir Hannelore Loskill, stellvertretende Bundesvorsitzende der BAG SELBSTHILFE, gefragt.



FRAGE: Frau Loskill, besonders wurde kritisiert, dass man sich auf die Durchführung kurzfristiger Projekte beschränken will und dass Gesetzesänderungen nahezu gar nicht ins Auge gefasst werden. Teilen Sie diese Ansicht?

HANNELORE LOSKILL: Ja, durchaus. Sie werden das Wort Gesetz allenfalls im Abkürzungsverzeichnis finden. Jedoch finden Sie in der 100-seitigen Kurzfassung des Plans jede Menge Absichtserklärungen, zu prüfen, sich einzusetzen, zu unterstützen usw. Im Maßnahmenkatalog finden Sie solche, die schon 2009 begonnen haben. Selbst das Patientenrechtegesetz, das seit Jahren zwischen den Ministerien hin- und herwandert, ist jetzt eine Maßnahme. Auch Zukunftsmodelle nach 2014. Diese Zeitangaben sind teilweise recht verwirrend, auch im Hinblick auf die Überprüfung und Überarbeitung - wer macht dann was und wann?

FRAGE: Im NAP wird Barrierefreiheit nicht umfassend aufgearbeitet. Welchen Stellenwert messen Sie diesem Thema auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft bei?

HANNELORE LOSKILL: Einen sehr hohen selbstverständlich. Ohne Barrierefreiheit keine Inklusion. Ich bin jedoch Realistin genug, um zu wissen, dass eine umfassende Barrierefreiheit nur schrittweise erreichbar ist. Mit einem einzigen Aktionsplan werden wir nicht weit kommen. Viele Akteure müssen eigene Pläne entwickeln, um dieses hochgesteckte Ziel zu erreichen. Erreichbarkeit, Zugänglichkeit, Nutzbarkeit und Verständlichkeit betreffen schließlich nicht nur Bauen.

FRAGE: Im Handlungsbereich "Arbeit" fällt auf, dass für das berufliche Orientierungsverfahren eine große Summe investiert werden soll. Wo sehen Sie darüber hinaus Handlungsbedarf, um die Teilhabe am Arbeitsleben zu verbessern?

HANNELORE LOSKILL: Das seit einigen Jahren eingeführte "Betriebliche Eingliederungsmanagement" bietet mit Sicherheit Verbesserungspotential. Ausgehend davon, dass über 80% der Menschen ihre Behinderung oder chronische Erkrankung im Laufe ihres Arbeitslebens bekommen, gibt es insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen Unterstützungsbedarf, um auch bei schubweise verlaufenden chronischen Erkrankungen den Arbeitnehmern den Arbeitsplatz zu sichern. Und die oft gerühmte Vereinbarkeit von Familie und Beruf sollte auch bei Familien mit Behinderungen angewendet werden. Das Potential erfahrener Arbeitnehmer, erst recht wenn sie älter sind, ist nicht zu unterschätzen.

FRAGE: Wie beurteilen Sie das Vorhaben, dass der Behindertenbericht der Bundesregierung künftig auf der Basis wissenschaftlicher Expertise indikatorengestützt erstellt werden soll?

HANNELORE LOSKILL: Grundsätzlich ist die Idee nicht schlecht, allerdings muss dazu erst einmal eine entsprechende Datenbasis geschaffen bzw. zugänglich gemacht werden. Seit Jahren wird von den Behindertenorganisationen gefordert, dass die dazu existierenden Statistiken alle Aspekte differenziert umfassen müssen. Vielleicht bekommen wir dann auch endlich konkrete Zahlen über die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen. Ein Datenfriedhof darf auf keinen Fall entstehen.

FRAGE: Zur Hilfsmittelversorgung enthält der NAP der Bundesregierung kaum Aussagen. Wie beurteilen Sie die Situation in diesem Bereich im Lichte der UN-Behindertenkovention?

HANNELORE LOSKILL: Selbst die UN-BRK bekräftigt nur den Anspruch auf eine Versorgung mit hochwertigen Hilfsmitteln. Dabei liegt es doch auf der Hand, dass für viele Menschen mit Behinderung eine Teilhabe nur mit Hilfsmitteln möglich ist. Und dieser Kampf darum erzeugt immer wieder neue Variationen: Da hält sich der Patient an die Vorgaben seiner Kasse, bestellt beim vorgegebenen Versorger und sieht sich schließlich einem Kartonberg gegenüber, denn der Versorger liefert nicht mehr über eine Spedition - die die Zustellung telefonisch ankündigt - sondern mit DHL.

FRAGE: Wie beurteilen Sie die Arbeit des Inklusionsbeirats, in dem Sie ja mitwirken und der von Herrn Hüppe eingesetzt wurde, um die Umsetzung der UN-Konvention in Deutschland zu begleiten?

HANNELORE LOSKILL: Als dieser Beirat konstituiert wurde, gab es den NAP noch nicht. Den Namen haben wir uns zur Abgrenzung zum schon existierenden Teilhabebeirat selbst gegeben. Nun findet sich hier im NAP die Beschreibung seiner Aufgaben, z. B.: "... Hierzu gewährleistet er (der Beirat) den Informationsfluss sowohl in Richtung der staatlichen Anlaufstelle im BMAS als auch in Richtung der Zivilgesellschaft sowie soweit möglich auf die Länderebene, betreibt aktiv Öffentlichkeitsarbeit und koordiniert die Arbeit der Fachausschüsse. ... Der Beirat ist für die Kommunikation und Vertretung nach außen zuständig."
Es gibt noch erheblichen Klärungsbedarf damit der Inklusionsbeirat diese Aufgabe so wahrnehmen kann, wie im NAP beschrieben. Sitzungsfrequenz und Kommunikation sind noch verbesserungswürdig. Der Inklusionsbeirat soll die Umsetzung der UN-BRK begleiten. Eine der Maßnahmen ist der NAP und der Inklusionsbeirat ist ein Teil davon ... Alles klar?


Interview | Burga Torges


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Quelle:
Selbsthilfe 3/2011, S. 27
Zeitschrift der BAG SELBSTHILFE
Herausgeber: Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
BAG SELBSTHILFE
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Tel.: 0211/31 00 6-0, Fax: 0211/31 00 6-48
E-Mail: info@bag-selbsthilfe.de
Internet: www.bag-selbsthilfe.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Oktober 2011