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FRAGEN/175: Im Gespräch mit Hubert Hüppe (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 3/2011

NACHGEFRAGT
Im Gespräch mit Hubert Hüppe


Das Bundeskabinett hat im Juni dieses Jahres den Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention beschlossen. Daraus sollten konkrete Maßnahmen der Bundesregierung hervorgehen, wie diese die Rechte von Menschen mit Behinderungen in den nächsten zehn Jahren zügig Umsetzen möchte. Wie diese Maßnahmen tatsächlich zu bewerten sind, haben wir den Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Hubert Hüppe, gefragt.


FRAGE: Herr Hüppe, wie bewerten Sie die Maßnahmen, die die Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in ihrem Aktionsplan zum Thema Inklusive Bildung verankert hat?

HUBERT HÜPPE: Die Richtung in Sachen inklusiver Bildung ist im Aktionsplan jedenfalls klarer erkennbar, als ich zunächst angenommen hatte. Wenn die Bundesregierung formuliert, dass "inklusives Lernen zur Selbstverständlichkeit" werden muss, dass Inklusion Leitgedanke bei der Beschulung ist und "alle Schülerinnen und Schüler in einer Klasse bzw. unter einem Dach zu unterrichten" sind, dann geht das weiter als jede andere Bundesregierung sich in dieser Frage zuvor positioniert hat. Das Wort "Inklusion" durfte noch bei den Beratungen zur Konvention in der letzten Legislaturperiode in der offiziellen deutschen Übersetzung der UN-Behindertenrechtskonvention nicht einmal auftauchen. Was die Maßnahmen im Bereich Bildung anbelangt, so ist Einiges enthalten, aber natürlich hätte man einige Punkte noch konkreter aufgreifen müssen, die viele Menschen mit Behinderungen beeinträchtigen. Hierzu gehört etwa die fehlende Absicherung des behinderungsbedingten Mehrbedarfs nach einem ersten berufsqualifizierenden Abschluss oder bei einem Studienaufenthalt im Ausland. Im Bereich der frühen Bildung in Kindertagesstätten hätte man überprüfen müssen, wie die Vergabe von Bundesmitteln an die Gewährleistung von Inklusion zu knüpfen gewesen wäre. Das wäre sicherlich ein effektives Instrument und ein starker Anreiz für Kommunen gewesen, inklusive Angebote zu schaffen.

FRAGE: Sie sind in der Szene der Behindertenpolitik als vehementer Verfechter bekannt, Kinder und Jugendliche mit Behinderungen an die Regelschulen zu holen. Konnte man im Aktionsplan wirklich nicht mehr verankern?

HUBERT HÜPPE: Man hätte beispielsweise verankern können, dass der Bund Gespräche mit den Ländern führt, um konkrete und ehrgeizige Ziele zum inklusiven Unterricht mit einer konkreten Zeitschiene zu fixieren. Es ist ja so, dass in vielen Bereichen die Zahl der Schüler an Förderschulen immer noch steigt. Ob die Länder sich darauf ein gelassen hätten, wage ich nach dem im Dezember des letzten Jahres vorgelegten Entwurf der Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zur inklusiven Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen allerdings zu bezweifeln. Dieser Entwurf ist eine Mogelpackung in Sachen Inklusion. Der Druck auf die Länder darf insgesamt nicht nachlassen. Sie müssen endlich ihren Verpflichtungen nachkommen und das Recht behinderter Kinder auf gemeinsamen Unterricht anerkennen und den Weg für gemeinsamen Unterricht frei räumen. Hier sehe ich auch den Bund weiter in der Pflicht, die Länder auf ihre Verpflichtungen aus der UN-Behindertenrechtskonvention hinzuweisen.

FRAGE: Was halten Sie von der Idee, dass die Kanzlerin beim nächsten Bildungsgipfel, den sie einberuft, das Thema Inklusion zum Schwerpunktthema macht?

HUBERT HÜPPE: Ich würde dies ausdrücklich begrüßen und unterstützen.

FRAGE: Auf Bundesebene wird den Behindertenverbänden oft entgegengehalten, dass Bildung eben Ländersache sei. Hinsichtlich der Forschung und der Hochschulen hat der Bund aber Kompetenzen. Welche Perspektiven sehen Sie für die Vision inklusiver, barrierefreier Hochschulen?

HUBERT HÜPPE: Es müssen die dringlichen Probleme von Studierenden mit Behinderung gelöst werden, etwa die Probleme bei der Absicherung des behinderten bedingten Mehrbedarfs, wie oben erwähnt. Wobei ich der Auffassung bin, dass dieser behinderungsbedingte Mehrbedarf eher eine Bildungsangelegenheit der Länder ist und keine Aufgabe der Sozialhilfe. Und es muss mehr dafür getan werden, sowohl bauliche wie auch kommunikative Hürden zu beseitigen. Außerdem ist eine ausreichende Beratung von Studierenden mit Behinderung ein wichtiger Schlüssel zu einem erfolgreichen Studien- und späteren Berufseinstieg. Ich sehe hier ebenfalls den Bund in der Verantwortung, zusammen mit Ländern und Hochschulen Lösungen zu finden. Im Bereich der Beratung fördert er etwa die Beratungsstelle Studium und Behinderung beim Deutschen Studentenwerk, was ich sehr unterstütze.

FRAGE: Was halten Sie von der Idee, dass Eliteunis nur dann Fördergelder bekommen, wenn Räumlichkeiten und Angebote barrierefrei sind?

HUBERT HÜPPE: Barrierefreiheit sollte ein Qualitätszeichen einer jeden Universität sein. Dies gilt natürlich insbesondere für "Eliteunis", die zusätzliche öffentliche Mittel erhalten. Wer nicht für Barrierefreiheit sorgt, hat den Titel "Eliteuni" und die damit verbundenen Förderungen jedenfalls nicht verdient.

FRAGE: Welche Rolle wird der von Ihnen eingesetzte Inklusionsbeirat spielen, um dem Ziel inklusiver Bildungsangebote näher zu kommen?

HUBERT HÜPPE: Der Inklusionsbeirat hat als wichtigstes Gremium der Koordinierungsstelle die Aufgabe, die Zivilgesellschaft für mehr Inklusion zu aktivieren. Er nimmt eine starke Position bei der Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung ein, z.B. bestimmt er die Beispiele, die auf die Landkarte der inklusiven Beispiele gesetzt werden. Hier sind auch schon etliche inklusive Beispiele aus dem Bereich Bildung dabei. Der Inklusionsbeirat ist ebenfalls im Fachausschuss Arbeit und Bildung der Koordinierungsstelle beteiligt. Im Fachausschuss sind weitere Mitglieder der Zivilgesellschaft auch aus dem Bildungsbereich abgebildet, wie Lehrer- und Elternverbände, so dass auch hier ein Austausch stattfinden kann, um für mehr inklusive Bildungsangebote zu werben.

FRAGE: Was werden Ihre nächsten Projekte in diesem Handlungsfeld sein?

HUBERT HÜPPE: Als nächstes stehen die weiteren Vorbereitungen für den Jakob-Muth-Preis an, den ich zusammen mit der Bertelsmann Stiftung, der Sinn-Stiftung und der Deutschen UNESCO-Kommission auslobe. Bewerbungsstart für Schulen war der 15. Juni. Außerdem wird der "Wegweiser für Eltern zum gemeinsamen Unterricht" neu aufgelegt. Über die "Landkarte der inklusiven Beispiele" gibt es laufend neue inklusive Beispiele aus dem Bereich Bildung. Ich hoffe, dass sie viele Nachahmer finden werden. Und ich werde im Rahmen meiner Inklusionstour wieder inklusive Schulen auszeichnen. Die nächsten Stationen sind Niedersachsen und voraussichtlich Rheinland-Pfalz.

INTERVIEW | Burga Torges


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Quelle:
Selbsthilfe 3/2011, S. 28-29
Zeitschrift der BAG SELBSTHILFE
Herausgeber: Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
BAG SELBSTHILFE
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. November 2011