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FRAGEN/184: Behinderung und Führerschein - wie geht das? (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 4/2013

Bahn frei!
Behinderung und Führerschein - wie geht das?
Interview mit Tomas Ciura

Von Birgit Brink



Menschen, die durch einen Unfall oder eine Krankheit in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt sind, fragen sich, ob ihr einmal erworbener Führerschein auch noch weiterhin gültig ist und was sie unternehmen müssen, um eine Veränderung ihrer Situation anzuzeigen. Andere sind bereits von Geburt an behindert. Um die Fahrerlaubnis zu erhalten, müssen sie einiges beachten.
Wir haben zu diesen Themen Tomas Ciura befragt. Er ist Geschäftsführer des Verkehrsinstituts Hanse GmbH, Verkehrspädagoge, Mitglied im Beirat des Projektes autoanpassung.de, Dozent für Verkehrsrecht und Fahrlehrer für Behinderte. Er beschäftigt sich seit langer Zeit mit Themen rund um die Fahrerlaubnis für Menschen mit Behinderungen.


Selbsthilfe: Herr Ciura, kann ich auch weiterhin mit meinem Führerschein am Verkehr teilnehmen, auch wenn ich beispielsweise nach einer Krankheit oder einem Unfall körperlich eingeschränkt bin?

Tomas Ciura: Der Führerschein selbst bleibt gültig, allerdings muss jede Person mit fahreignungsrelevanten Erkrankungen und/oder körperlichen Einschränkungen geeignete Vorsorge ergreifen, wenn sie weiterhin am Straßenverkehr teilnehmen will. Rechtsgrundlage ist Paragraph 2 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV). Jeder trägt selbst die Verantwortung für sein Handeln und haftet gegebenenfalls für die Folgen. Man sollte deshalb unbedingt eine verkehrsmedizinische Stellungnahme von einem dafür zugelassenen Arzt in Auftrag geben. Ist diese positiv, hat man so die geforderte Vorsorge getroffen. Ggf. ist noch ein technisches Gutachten notwendig, falls Veränderungen am Fahrzeug vorgenommen werden müssen. Wer sich bezüglich seiner Fahreignung unsicher ist, kann sich an die Führerscheinstelle wenden, die, wenn sie Informationen über Erkrankungen oder Behinderung erfährt, entsprechende Gutachten anfordern wird. Auch TÜV oder DEKRA, der örtlich zuständige Fahrlehrerverband bzw. spezialisierte Fahrschulen, Selbsthilfegruppen, Beratungseinrichtungen und Sozialverbände können Auskünfte erteilen.


Selbsthilfe: Was beinhalten verkehrsmedizinische und/oder technische Gutachten?

Tomas Ciura: Das medizinische Gutachten sollte

  • eine Diagnose und
  • eine Beschreibung der funktionellen Einbußen enthalten
  • sowie zu einer Aussage zur Kraftfahreignung, gegebenenfalls mit Einschränkungen (auf das Fahrzeug bezogen oder auf den Umfang der Fahrberechtigung), kommen.
  • Eventuell ist eine Fahrverhaltensbeobachtung notwendig, um zu prüfen, ob trotz festgestellter Leistungsminderungen die Fahreignung möglich ist, da technische Hilfen verwendet werden können, Routinen und Verantwortungsbewusstsein zum Ausgleich von Schwächen herangezogen werden können und Begabungen ebenfalls hilfreich sind. Auf Wunsch von Ärzten können diese Fahrproben besonders geschulte Fahrlehrer/innen, Verkehrspsychologen oder TÜV/DEKRA durchführen.

Das technische Gutachten beschreibt die erforderlichen Fahrhilfen (z. B. Gas und Bremse von Hand zu bedienen) bzw. Fahrzeuge (z. B. nur Fahrzeuge mit automatischer Kraftübertragung, keine motorisierten Zweiräder) und kann auch beschreiben, ob beim Fahren die ausreichende Verkehrssicherheit gegeben ist.


Selbsthilfe: Wer fertigt die erforderlichen Gutachten an?

Tomas Ciura: Die Gutachten können fünf Gruppen von Ärzten anfertigen und zwar

  • Fachärzte/innen mit verkehrsmedizinischer Qualifikation
  • Arbeits- und Betriebsmediziner/innen
  • Amtsärzt/innen
  • Rechtsmediziner/innen
  • Ärzt/innen in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung.

Ein technisches Gutachten wird von einem anerkannten Sachverständigen oder Prüfer für den Kraftfahrzeugverkehr (TÜV/DEKRA) erstellt.


Selbsthilfe: Wem werden Gutachten vorgelegt?

Tomas Ciura: Zunächst sind die Gutachten für einen selbst und werden benötigt, wenn jemand die Fahreignung in Zweifel zieht. Sie können allerdings von der zuständigen Fahrerlaubnisbehörde verlangt werden, wenn diese Kenntnisse von einer Erkrankung erlangt hat. In diesem Fall sind sie der Behörde innerhalb einer festgelegten Frist vorzulegen. In jedem Fall dürfen die Gutachten nicht ohne ausdrückliche Genehmigung des Betroffenen an die Führerscheinstelle geschickt werden. Der Betroffene ist Auftraggeber für die Gutachten und der Eigentümer. Er entscheidet, ob er ein Gutachten der Behörde vorlegt.


Selbsthilfe: Wer legt fest, welche technischen Umbauten an einem Fahrzeug notwendig sind?

Tomas Ciura: Dafür sind amtlich anerkannte Sachverständige oder Prüfer für den Kraftfahrzeugverkehr beim TÜV oder der DEKRA zuständig. Diese erstellen wie die Mediziner/innen auch ein Gutachten und legen ggf. Auflagen fest, z. B. nur Fahrzeuge mit automatischer Kraftübertragung oder Gas und Bremse von Hand bedienbar, Gaspedal links von der Bremse, kein Anhängerbetrieb, keine motorisierten Zweiräder, nur Kfz bis 3,5 t. Ist das technische Gutachten auf Anordnung der Fahrerlaubnisbehörde erstellt worden, werden die Auflagen und Beschränkungen in den Führerschein in Form von Zahlencodes eingetragen und sind verbindlich. Ein Verstoß gegen eine Beschränkung bedeutet eine Straftat, da es ein Fahren ohne gültige Fahrerlaubnis darstellt.


Selbsthilfe: Man ist mit den Beschränkungen und Auflagen nicht einverstanden. Kann man sich dagegen auch wehren?

Tomas Ciura: Sollte sich die eigene körperliche Situation wieder verbessern, können in den Führerschein eingetragene Beschränkungen oder Auflagen auf Antrag und unter Vorlage eines geeigneten Gutachtens entfernt oder verändert werden. Wer nicht mit einem Gutachten einverstanden ist, muss dieses nicht an die Fahrerlaubnisbehörde weitergeben, sondern kann einen anderen Sachverständigen bitten, ein weiteres Gutachten zu erstellen. Entspricht dieses Gutachten den Erfordernissen, so reiche ich dieses an die Behörde.


Selbsthilfe: Junge Menschen, die gerade 17 oder 18 Jahre alt geworden sind, möchten einen Führerschein erwerben. Nun ist die betroffene Person aber körperlich eingeschränkt. Was ist auf dem Weg zum Führerschein zu beachten?

Tomas Ciura: Es sollte eine geeignete, erfahrene Fahrschule gesucht werden. Diese kann häufig über alle Bereiche richtige Auskünfte geben, z. B. über Finanzierungsmöglichkeiten, die erforderlichen Gutachten und die notwendige Fahrzeugausstattung. Eine Finanzierung ist immer zuerst sicherzustellen, bevor mit der Ausbildung angefangen wird. Denn eine entsprechende Fahrausbildung mit Handicap kann zwischen 100,00 Euro und mehreren hundert Euro teurer sein. Finanzielle Unterstützung können im Einzelfall z. B. die Arbeitsagentur, die Deutsche Rentenversicherung, die Berufsgenossenschaft, die Unfallkasse, die gegnerische Versicherung, das Sozialamt oder das Integrationsamt bieten.


Selbsthilfe: Wer legt fest, welche Gutachten vorgelegt werden müssen? Was sollte dabei unbedingt beachtet werden?

Tomas Ciura: Die Fahrerlaubnisbehörde entscheidet über die notwendigen Gutachten. Die Behörde ist dabei an Rechtsgrundsätze gebunden, die in Paragraph 11 der Fahrerlaubnisverordnung geregelt sind und die Betroffene vor Willkür schützen.


Selbsthilfe: Wem werden Gutachten vorgelegt?

Tomas Ciura: Der Verkehrsbehörde/Führerscheinstelle und vorher der auszubildenden Fahrschule, die häufig beurteilen kann, ob die Gutachten ausreichend sind.


Selbsthilfe: Was kosten die Gutachten?

Tomas Ciura: Gutachten können zwischen 100,00 Euro und 700,00 Euro liegen.


Selbsthilfe: Vielen Dank.


Das Interview für die BAG SELBSTHILFE führte Birgit Brink (autoanpassung.de)

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Quelle:
Selbsthilfe 4/2013, S. 16-17
Zeitschrift der BAG SELBSTHILFE e.V.
Herausgeber: Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
BAG SELBSTHILFE
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Telefon: 0211/3 10 06-0, Fax: 0211/3 10 06-48
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Februar 2014