Schattenblick →INFOPOOL →PANNWITZBLICK → PRESSE

MEDIEN/215: 50 Jahre DER RING 1961-2011 (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel - Juni 2011

50 Jahre DER RING 1961-2011

Spannende "Premieren" und dunkle Wolken in Bethel

Von Petra Wilkening


Großes Kompliment für die Redaktion: "Wenn ich den RING im Briefkasten finde, erfaßt mich eine unvernünftige Freude", schreibt Alice Wegmann begeistert im Februar 1986. Gar nicht unvernünftig, aber mindestens ebenso groß ist die Freude, die NRW-Gesundheitsminister Hermann Heinemann Bethel in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre bereitet. Der ein Jahr zuvor abgelehnte Kernspintomograf werde nun doch bewilligt, meldet DER RING im Januar 1986.


Fünf Millionen Mark kostet das Diagnosegerät, das Ende 1987 zum ersten Mal zum Einsatz kommt - das einzige seiner Art in der Region Ostwestfalen-Lippe. Nicht nur die Neurologie und Neurochirurgie profitieren enorm von den neuen diagnostischen Möglichkeiten, unverzichtbar ist der Kernspintomograf auch für ein künftiges Arbeitsfeld in Bethel - die Epilepsiechirurgie.

Heute eine Selbstverständlichkeit, ist die Einführung der Epilepsiechirurgie in den 1980er-Jahren umstritten. Mitarbeitende befürchten, dass die "kostenintensive Apparatemedizin" zu Lasten des Langzeitbereichs gehen könnte. Zu den Befürwortern der Epilepsiechirurgie gehört Prof. Dr. Peter Wolf, leitender Arzt der Klinik für Anfallskranke Mara. Die chirurgische Epilepsiebehandlung sei in der Bundesrepublik bisher vernachlässigt worden, eine entsprechende neurochirurgische Einrichtung in Bethel würde einen Qualitätssprung für die gesamte Arbeit in den v. Bodelschwinghschen Anstalten bedeuten, wird der Mediziner im Mai 1 986 zitiert. Im darauffolgenden Dezember kündigt DER RING an, dass das erste Zentrum für Epilepsie-Neurochirurgie der Bundesrepublik in Bethel aufgebaut werden soll. Es dauert noch mehr als drei Jahre, bis aus den umfangreichen Planungen Ernst wird: Im Juni 1990 werden die Leser informiert, dass die erste Operation an einem Kind vorgenommen wurde und zehn Stunden dauerte. Der Eingriff sei planmäßig verlaufen.

Unter den neuen Entwicklungen nimmt die Epilepsiechirurgie eine herausragende Stellung ein, sie ist aber nicht die einzige in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre. Pionierarbeit leistet auch das Haus Neue Heimat in der Ortschaft Bethel. Zehn behinderte Paare trainieren hier seit Anfang 1986 das Zusammenleben mit dem Ziel der Ehe.

Während sich das Fußballteam der Betheler Gemeinschaftswerkstätten unter der Leitung von Trainer Wendelin Nolte im Frühjahr 1987 auf die 1. Diakonie-Fußball-Meisterschaft vorbereitet und den Pokal gewinnt, verabschiedet der Betheler Verwaltungsrat eine neue Satzung. Die bisherigen v. Bodelschwinghschen Anstalten heißen ab 1. Mai 1987 "v. Bodelschwinghsche Anstalten Bethel". Damit sei etwas vollzogen, was in der Praxis schon seit einigen Jahren geläufig gewesen sei, kommentiert DER RING.

Im September 1987 treffen sich Menschen aus unterschiedlichen Berufen und Bereichen im Haus Salem, um über die Begleitung von Sterbenden zu sprechen. "Eine bemerkenswerte Versammlung", bilanziert Anstaltsleiter Pastor Johannes Busch einen Monat später. Er glaubt nicht, dass man Hospizeinrichtungen wie in England braucht. "Besser wäre es wohl, die vorhandenen Einrichtungen und Dienste könnten so ausgestattet und gestaltet werden, daß Sterbehilfe zur Lebenshilfe wird." Im Februar 1989 greift DER RING das Thema wieder auf. Dr. Rosemarie Dirks, ehrenamtlich in der Betheler Hospizinitiative tätig, setzt sich für einen Hausbetreuungsdienst ein, damit Menschen in ihrem Zuhause sterben können.

In den "Diakonischen Heimen Freistatt" werden neue Konzepte in der Jugendhilfe umgesetzt. Erzieher nehmen Jugendliche in ihren eigenen Häusern auf, ist im Mai 1990 zu lesen. Die Wohngruppen befinden sich in den Nachbarorten Wagenfeld und Ehrenburg - ganz im Zeichen von Dezentralisierung und Regionalisierung.

Unter die "Premieren" in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre fällt auch das erste Frauenforum. Dass dieses ausgerechnet im Brüderhaus stattgefunden habe, sei doch wohl ein "Bethel-Spezial", spöttelt "Eva" in ihrer Glosse im April 1990. Bethel-Spezial heiße eben nicht nur der Platenkuchen aus der Bethel-Bäckerei, Bethel-Spezial sei geradezu ein Synonym für einiges, was in Bethel ablaufe. Viele Dienstzeiten in Sitzungen abzusitzen sei auch so eine Bethel-Spezialität.


Ethikkommission

Im Mai 1986 meldet DER RING, dass die v. Bodelschwinghschen Anstalten eine Ethikkommission berufen wollen. Die Sterilisation ist ein Thema der Kommission. "Von vielen Paaren behinderter Menschen in Bethel ist anzunehmen, dass sie aufgrund ihrer Behinderung nicht in der Lage sind, die Rolle von Eltern wahrzunehmen", stellt Pastor Busch im Juni 1986 fest. Mit den behinderten Menschen werde die Frage des Verzichts auf Kinder offen besprochen. Ein Zwang zu einer bestimmten Form von Schwangerschaftsverhütung, zum Beispiel zur Sterilisation, werde nicht ausgeübt. Im März 1988 erscheint als Betheler Arbeitstext Nr. 5 ein Orientierungspapier für die Mitarbeitenden. Es stellt klar, dass in Bethel niemand gegen seinen Willen sterilisiert werden darf und dieses strafrechtlich relevant wäre. Trotzdem hält sich unter den Bewohnern das Gerücht, in Bethel werde wieder sterilisiert, berichtet DER RING in der Juli/August-Ausgabe 1988. Das sensible Stichwort "Sterilisation" genüge, um Ängste hochkommen zu lassen.

Auch die "Praktische Ethik" von Peter Singer beschäftigt die Ethikkommission und sorgt nicht nur in Bethel für große Empörung. Der Australier muss einen Vortrag in Dortmund zum Thema "Haben schwerstbehinderte neugeborene Kinder ein Recht auf Leben?" aufgrund heftiger Proteste absagen. Pastor Busch warnt im Oktober 1989: "Die Frage nach dem Recht auf Leben und die Frage nach dem Wert des Menschen führen in die Irre. Wer diese Fragen aufwirft, wird mit seinen Erwägungen dort landen, wo Singer mit seiner "Praktischen Ethik" landet, worauf es mit grausamer Konsequenz auch bei den Nationalsozialisten hinauslief: Immer bleiben Menschen übrig, die weniger wert sind, ein geringeres Recht auf Leben haben." DER RING greift das Thema noch einmal im Januar 1990 auf. "1989, das war auch das Jahr, in dem eine seit längerem im Ausland stattfindende Euthanasie-Diskussion bei uns in der Bundesrepublik Eingang fand", schaut Pastor Busch zurück. "Bei uns in Bethel ist die Reaktion auf die neuerliche Euthanasie-Diskussion von seltener Einmütigkeit und Eindeutigkeit bestimmt. Menschliches Leben ist uns nicht verfügbar. Niemand darf die Hand reichen zu aktiver Beendigung eines Menschenlebens." Johannes Busch geht - auch mit Blick auf die Entwicklung der Embryonen-Forschung - davon aus, dass die Euthanasie-Diskussion das Grundsatzthema der nächsten Jahre sein wird.

Immer wieder im Gespräch ist die Personalfrage. Im Sommer 1986 kann DER RING noch verkünden, dass der Mitarbeitermangel Geschichte ist. Genügend Mitarbeiter seien zu finden, bestätigt auch Personaldezernent Reiner Heekeren und warnt zugleich: "Wir müssen jedoch davon ausgehen, dass sich dies in drei bis vier Jahren wieder stark verändern kann." So lange dauert es nicht. Bereits im Januar 1988 ist die Rede von neuen dunklen Wolken am Horizont. Die Bewerberzahlen an den Ausbildungsstätten nehmen ab, Engpässe werden bereits deutlich.

Auch der Osten Deutschlands steht vor großen Problemen. Nach dem Mauerfall wechseln viele Mitarbeitende aus dem sozialen Bereich in den Westen. "Die neue Phase der Partnerschaft zwischen Bethel und Lobetal stellt uns gemeinsam vor bisher kaum zu übersehende Herausforderungen. Wenn man beispielsweise bei einem Besuch in einer Zweiganstalt Lobetals im Vorübergehen erfährt, dass die letzte Mitarbeiterin einer Gruppe von 30 behinderten Menschen soeben in den Westen gegangen ist und dort eine bessere Stelle gefunden hat, dann verschlägt es einem die Sprache ...", schreibt Johannes Busch im März 1990.

Schon drei Jahre zuvor musste Pastor Busch eine schlechte Stimmung in der Mitarbeiterschaft feststellen. Im vergangenen Jahr seien ihm "besonders viele unzufriedene, verdrossene Mitarbeiter" in Bethel begegnet, äußert er im Januar 1988 im RING. Außerordentlich lang müssen die Gesichter im November 1987 gewesen sein. Einige sogenannte Beamte, in der Mehrzahl Lehrer und Pastoren, hätten sich verwundert die Augen gerieben, spöttelt DER RING in der Januar-Ausgabe. Auf ihrer Gehaltsabrechnung fehlte das 13. Monatsgehalt, stattdessen wurde ihnen das Ende ihrer Dienstzeit zum 31. Dezember angekündigt. Zu dem Irrtum hatte eine Umstrukturierung der Personalabteilung geführt - eine böse Weihnachtsüberraschung!

Eine gute Nachricht ist dagegen im Dezember 1990 die Meldung, dass die Hoffnungstaler Anstalten in Lobetal künftig als selbstständige Einrichtung zum Verbund der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel gehören.


*


Quelle:
DER RING, Juni 2011, S. 15-19
Monatszeitschrift für Mitarbeiter, Bewohner, Freunde
und Förderer der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Redaktion: Quellenhofweg 25, 33617 Bielefeld
Telefon: 0521/144-35 12, Fax: 0521/144-22 74
E-Mail: presse@bethel.de
Internet: www.bethel.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juli 2011