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MEDIZIN/182: Synonyme oder Gegenbegriffe bei der Unterstützung von Patienten (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 1/2011

INTERN
Synonyme oder Gegenbegriffe bei der Unterstützung von Patienten

Klartext von Dr. Martin Danner


In einem immer komplexer werdenden Gesundheitswesen gilt die Patientenberatung als Schlüssel zur Stärkung der Rolle von Patientinnen und Patienten im Behandlungsgeschehen. Doch was ist eigentlich unter "Beratung" zu verstehen?


Der Begriff der "Beratung" bezeichnet umgangssprachlich einen strukturierten Austausch zwischen Personen, der zum Ziel hat, eine Aufgabe oder ein Problem zu lösen oder sich der Lösung zumindest anzunähern.

Berater sehen sich dabei in der Rolle derer, die anderen in helfender Absicht einen Rat geben. Dabei wird die Rolle der Berater oft überschätzt, da deren Ratschläge von den Ratsuchenden erst angenommen und in die Tat umgesetzt werden müssen, um Wirksamkeit zu erlangen. Was aus Beratung wird, entscheiden somit letztlich die Beratenen. Dies ist auch gut so, da es ja an ihnen ist, zu entscheiden, auf welche Weise sie ihr Problem lösen wollen. Die Lösung des Problems muss somit immer als Endpunkt der Beratung angesehen werden.

Betrachtet man sich die aktuelle Entwicklung bei der Patientenberatung nach § 65 b SGB V, dann wird dort der Fokus vor allem auf die Situation der Beraterinnen und Berater und die von ihnen zu vermittelnden Inhalte gelegt: Die Inhalte sollen qualitätsgesichert und evidenzbasiert sein; die Beraterinnen und Berater sollen darin qualifiziert werden, einen bestimmten Kanon an Inhalten zu vermitteln. Entscheidend für das Gelingen von Beratung ist aber, ob die entsprechenden Angebote auch zu den Problemen der Patientinnen und Patienten passen.

Ohne Zweifel ist es für Patientinnen und Patienten hilfreich, wenn Informationen, die sie zur Lösung ihres Problems brauchen, qualitätsgesichert und evidenzbasiert sind.

Insoweit kann die Patientenberatung nach § 65 b SGB V auch künftig einen wichtigen Beitrag zur Unterstützung von Patientinnen und Patienten leisten. Auch die Patienteninformationen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) orientieren sich zunächst mal an der Frage, ob es evidenzbasiertes Wissen zu einem bestimmten Thema gibt.

Der springende Punkt ist jedoch, dass die Probleme von Patientinnen und Patienten sehr vielfältig sind. Oftmals lassen sich die Probleme nicht allein mit evidenzbasierten Informationen lösen. Möchte beispielsweise ein Patient mit einer bestimmten chronischen Erkrankung in Urlaub fahren und benötigt er Angaben zur krankheitsbezogenen Infrastruktur, zu verträglichen Speisen, zu Ansprechpartnern in diesen Ländern, dann kann ihm allein anhand von Wissen aus medizinischen Studien in aller Regel nicht geholfen werden. Entsprechendes gilt dann, wenn der Patient gar keine Information, gar nicht "Wissen" sucht, sondern schlichtweg eine emotionale Unterstützung bei seinem Problem.

Zieht sich die Beraterin oder der Berater in solchen Fällen mit dem Hinweis aus der Affäre, dass er nichts Evidenzbasiertes beisteuern kann, dann mag er seine Zielkriterien im Beratungsgeschehen erfüllt haben. Er hat dann jedenfalls nicht "falsch" beraten.

Andererseits wurde aber das Problem der Patientin/des Patienten außer Acht gelassen und zur Lösung dieses Problems gar nichts beigetragen. Eine echte Patientenberatung hat dann gar nicht stattgefunden.

Die Selbsthilfe wählt hier einen ganz anderen Ansatz: Bei der Selbsthilfearbeit geht es zunächst einmal darum, dass sich Patientinnen und Patienten mit ihren Problemen zur gegenseitigen Unterstützung zusammenschließen. Ausgangspunkt ist somit nicht der Berater und sein Wissen, das er möglichen Klienten offeriert. Ausgangspunkt der Beratungen ist es vielmehr, sich über Probleme und ihre Lösungen auszutauschen und hierdurch Anwendungswissen zu generieren. Selbstverständlich ist es hilfreich, wenn dieses Anwendungswissen auch evidenzbasiert ist.

Der Ansatz der Selbsthilfearbeit ist jedoch wesentlich weiter gefasst. Die heutzutage oft gestellte Frage, ob die Beratungsangebote der Selbsthilfe denn überhaupt evidenzbasiert seien, führt somit in die Irre:

In erster Linie sind die Beratungsangebote der Selbsthilfe an den Problemen der Patientinnen und Patienten orientiert. Bedarf es zur Problemlösung evidenzbasierten Wissens - und ist solches verfügbar -, dann müssen sich die Angebote der Selbsthilfe hieran messen lassen.

Selbsthilfe steigt aber nicht dort aus, wo Patientinnen und Patienten Probleme haben, zu deren Lösung es gar keine studienbasierte Evidenz gibt. Selbsthilfe ist vielmehr gerade hier in besonderer Weise gefragt.

Begrifflich geht Selbsthilfearbeit daher weit über Patientenberatung im evidenzbasierten Sinn hinaus.

Die evidenzbasierte Patientenberatung der Selbsthilfeorganisationen chronisch kranker und behinderter Menschen ist lediglich ein Baustein der Selbsthilfearbeit insgesamt.

Es ist zu hoffen, dass die Träger der künftigen Patientenberatung, nach § 65 b SGB V, vor allem aber die Ratsuchenden, dies erkennen. Denn nur so wird es gelingen, Patientinnen und Patienten bestmöglich bei der Lösung all ihrer Probleme zu unterstützen.

Die Selbsthilfeorganisationen chronisch kranker und behinderter Menschen werden diesen selbst gesteckten Auftrag mit großem Engagement weiterverfolgen.

Auch für sie gilt dabei, dass der Erfolg jeder Unterstützung vom Ratsuchenden abhängt: Nur eine Unterstützung, die vom Patienten auch als hilfreich angesehen wird, wird angenommen werden und kann so ihre Wirksamkeit entfalten.


DER AUTOR
Dr. Martin Danner ist Bundesgeschäftsführer der BAG SELBSTHILFE.


*


Quelle:
Selbsthilfe 1/2011, S. 10-11
Zeitschrift der BAG SELBSTHILFE
Herausgeber: Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
BAG SELBSTHILFE
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Mai 2011