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POLITIK/462: Warten auf die Reform der Eingliederungshilfe (LHZ)


Lebenshilfe Zeitung, Nr. 3 - September 2009

EINE UNENDLICHE GESCHICHTE?

Warten auf die Reform der Eingliederungshilfe


Aus der Eingliederungshilfe werden viele Leistungen für Menschen mit Behinderung bezahlt. Aber das Gesetz ist recht kompliziert. Die Lebenshilfe fordert schon lange, dass es einfacher werden soll.


CDU/CSU und SPD haben vor vier Jahren in ihrer Koalitionsvereinbarung angekündigt, die in der Sozialhilfe geregelte Eingliederungshilfe für behinderte Menschen reformieren zu wollen. Doch die Eingliederungshilfe wird nicht vom Bund, sondern ganz überwiegend von den Städten und Gemeinden finanziert. Angesichts der schlechten Finanzlage öffentlicher Haushalte schrecken Bund, Länder und Kommunen davor zurück, Vorschläge zur Eingliederungshilfe aufzugreifen, die möglicherweise steigende Kosten zur Folge haben. Ohnehin wird von den Trägern der Sozialhilfe beklagt, dass immer mehr Mittel für die Eingliederungshilfe bereit gestellt werden müssen, weil die Zahl der behinderten Menschen kontinuierlich wächst.

Das für die Reform der Eingliederungshilfe federführend zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat sich deshalb darauf beschränkt, in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe mitzuwirken. Dieses Gremium hat im November 2008 ein Reformkonzept vorgestellt, das im ersten Halbjahr 2009 mit allen Behindertenverbänden und Selbsthilfegruppen behinderter Menschen ausführlich beraten worden ist.


Personenzentrierte Hilfen

Im Mittelpunkt steht das Bestreben, die Unterschiede zwischen ambulanten, teilstationären und vollstationären Hilfen in der Eingliederungshilfe zu beseitigen und stattdessen "personenzentrierte Hilfen" einzuführen. Nicht der Ort, wo Leistungen erbracht werden, soll maßgebend sein, sondern nur der behinderte Mensch mit seinen Wunsch- und Wahlrechten und seinem individuellen Bedarf an Hilfe. Wie dieser Hilfebedarf ermittelt werden soll, ist allerdings sehr streitig und wird in einzelnen Bundesländern unterschiedlich beurteilt. Es zeichnet sich jedoch ab, dass der Mensch mit Behinderungen bzw. seine Vertrauensperson am Bedarfsfeststellungsverfahren und der darauf aufbauenden individuellen Hilfeplanung, die insbesondere die Bereiche Wohnen, Arbeiten und Freizeitgestaltung erfasst, unmittelbar beteiligt werden soll.


Fallmanager

Die in der Sozialhilfeverwaltung tätigen Sachbearbeiter sollen zu Fallmanagern aus- und fortgebildet werden, die steuern und überprüfen sollen, ob die gewährte Eingliederungshilfe wirksam ist. All dies klingt noch sehr theoretisch und hat angesichts des neuen Vokabulars, das in der Reformdiskussion verwendet wird, auf viele behinderte Menschen und ihre Angehörigen eine eher abschreckende Wirkung.

Die Vertreterinnen und Vertreter der Bund-Länder-Arbeitsgruppe betonen deshalb immer wieder, dass ihre Reformansätze das Ziel verfolgen, die Selbstbestimmungsrechte von behinderten Menschen in den Vordergrund der Leistungen zu stellen. Ein auf Eingliederungshilfe angewiesener Mensch soll in die Lage versetzt werden, selbst zu entscheiden, wo und mit wem er leben möchte. Ihm sollen die Wege dafür geebnet werden, nicht mehr in großen Wohnheimen betreut zu werden, sondern so normal wie möglich mitten in der Gemeinde zu wohnen und dort auf die für ihn notwendige und angemessene Unterstützung zurückgreifen zu können.


Nicht zum Sparen missbrauchen

Diese Zielvorgabe entspricht Artikel 19 der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, die von Deutschland ratifiziert wurde und damit seit März 2009 innerstaatliches Recht ist.

Die Bundesvereinigung Lebenshilfe unterstützt den Ansatz der personenzentrierten Eingliederungshilfe. Sie weist im Diskussionsprozess jedoch immer wieder darauf hin, dass die Reformdebatte nicht dazu missbraucht werden darf, Gesetzesvorschriften zu formulieren, die letztlich darauf zielen, im Bereich der Eingliederungshilfe Einsparungen zu erreichen.

Die ambulante Betreuung von Menschen mit geistiger Behinderung kann teurer ausfallen als die stationäre Förderung und Versorgung, wenn Menschen mit ganz unterschiedlichen Bedarfen zusammenleben wollen und deshalb auf unterstützendes Personal mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Qualifikationen angewiesen sind.

Überdies muss das Umfeld in den Städten und Gemeinden verändert und ausgebaut werden, wenn insbesondere mehrfachbehinderte Menschen nicht ständig auf Barrieren stoßen sollen, die sie an einem möglichst gleichberechtigten Zusammenleben mit nicht behinderten Bürgerinnen und Bürgern hindern.

Im November will die ASMK (Arbeits- und Sozialministerkonferenz) Eckpunkte zur Reform der Eingliederungshilfe präsentieren und anschließend mit der neuen Bundesregierung darüber sprechen, wie und in welchem Zeitrahmen diese Eckpunkte in einen neuen Gesetzentwurf zur Reform der Eingliederungshilfe einmünden sollen.


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Quelle:
Lebenshilfe Zeitung, Nr. 3/2009, 30. Jg., September 2009, S. 10
Herausgeber: Bundesvereinigung Lebenshilfe
für Menschen mit geistiger Behinderung
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jährlich viermal (März, Juni, September, Dezember).


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. September 2009