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TAGUNG/284: Technische Assistenzsysteme können Brücken bauen (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel - Juni 2012

Fachtag Altenhilfe in der Neuen Schmiede
Technische Assistenzsysteme können Brücken bauen

Von Robert Burg



Eine rasch alternde Gesellschaft, sich ändernde Gewohnheiten und Lebenszusammenhänge sowie eine in den vergangenen Jahren rasant verlaufene technische Entwicklung haben unmittelbaren Einfluss auf bestehende Angebote und Versorgungsstrukturen vieler Träger der Altenhilfe. Jetzt hat die Altenhilfe Bethel ihren diesjährigen Fachtag zum Thema "Schöne neue Welt - Technik als Hilfe in Pflege und Betreuung" ausgerichtet und Experten aus Pflege und Wissenschaft eingeladen.


Ende April trafen sich 170 Mitarbeitende und Auszubildende aus allen Einrichtungen des Stiftungsbereichs in der Neuen Schmiede in Bielefeld-Bethel. Sie informierten sich über technische Assistenzsysteme und deren Anwendungsbereiche und setzten sich mit den fachlichen und ethischen Herausforderungen auseinander.


Mehr Lebensqualität

"Technik soll nicht menschliche Zuwendung ersetzen, sondern die Selbstbestimmtheit und die Teilhabemöglichkeiten älterer und behinderter Menschen unterstützen", machte Ulrich Strüber, Geschäftsführer der Betheler Altenhilfe, schon zu Beginn der Tagung unmissverständlich klar. Technische Hilfsmittel sollen eingesetzt werden, um die Lebensqualität von Seniorinnen und Senioren zu erhöhen und die Arbeitsbelastung der Mitarbeitenden zu senken. "Vorrangig muss es um die Frage gehen, welche Möglichkeiten Technik bietet, um das Leben älterer Menschen so gut wie möglich zu gestalten."


Besonderer Waschtisch

"Ambient Assisted Living" lautete ein Schlüsselbegriff der Tagung. Hinter diesem Schlagwort verbergen sich Konzepte, Produkte und Dienstleistungen, die das Leben älterer Menschen leichter, selbstbestimmter und sicherer machen sollen. Es geht um technische Hilfsmittel, die es älteren Menschen ermöglichen, länger im eigenen Zuhause wohnen zu bleiben, oder die, bei hohem Unterstützungsbedarf, die Lebensqualität im stationären Bereich fördern. "Wir benötigen lernfähige und benutzerzentrierte Systeme", so Prof. Dr. Stefan Kopp, Leiter der Forschungsgruppe "Sociable Agents" an der Universität Bielefeld. Zurzeit arbeite man in einem gemeinsamen Projekt mit Bethel an einem in die Umgebung integrierten Hilfesystem - einem intelligenten Waschtisch, der Menschen mit Behinderung im Bedarfsfall beider Körperpflege situationsbezogen anleitet.

Für einen durchdachten Einsatz von Technik wirbt Elisabeth Rother vom Münchener Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaften: "Gerade weil so viel möglich ist, brauchen wir eine gesteigerte ethische Sensibilität." Die Wissenschaftlerin hat selbst lange in der Pflege gearbeitet. Sie ist überzeugt: "Technik ist Mittel zum Zweck der Verbesserung menschlichen Lebens. Technik wird die menschliche Sorge nicht ersetzen, sondern nur unterstützen können."


Video-Kommunikation

In einem weiteren gemeinsamen Projekt der Universität Bielefeld und Bethels wird ein Hilfesystem zur Kontaktaufnahme und Kommunikation entwickelt. Angesteuert wird das Programm auf einem Bildschirm im Bewohnerzimmer. Es vermittelt auf Zuruf die Video-Kommunikation mit Angehörigen oder Pflegekräften oder verwaltet und erinnert an Termine. Avatar "Billy" ist das "Gesicht" dieser Anwendung. Die Pixelfigur ist ein virtueller, aber nützlicher Lotse im Alltag. Weil das Computerprogramm nicht nur lernfähig, sondern auch in der Lage sein soll, einen Dialog zu bestreiten, muss es visuelle Äußerungen, wie Mimik, korrekt interpretieren können. Zuletzt zählen auch Sympathiewerte: "Das System muss dauerhaft positiv wahrgenommen werden." Daher ist das äußere Erscheinungsbild des virtuellen Assistenten grundsätzlich an die Wünsche oder besonderen Bedürfnisse der Nutzenden anpassbar.


Impulswasserzähler

Noch ist "Billy" Zukunftsmusik. Aber schon jetzt sind zahlreiche technische Assistenzsysteme in Bethel im Einsatz. "Es gibt zum Beispiel seniorengerechte Telefone mit Gegensprechfunktion, die eine Sprachverbindung zwischen dem Bewohnerzimmer und dem Personal ermöglichen, nachdem der Schwesternruf betätigt worden ist. Auch Internet-Cafés, Spielekonsolen, mobile Notrufsender - die so genannten "Funkfinger" - gehören zur Ausstattung mehrerer Häuser", berichtet Ulrich Johnigk vom Stiftungsbereich Altenhilfe.

"In den Seniorenwohnungen in Dissen bieten wir auf Wunsch eine Vitalitätsüberwachung über Impulswasserzähler an. Wenn beispielsweise am Tag keine zehn Liter Wasser verbraucht wurden, schaut ein Mitarbeiter nach, ob alles in Ordnung ist", so Ulrich Johnigk. Der Altenhilfe-Experte weiß, dass viele ältere Menschen, insbesondere wenn es um Sicherheit und Kommunikation geht, der Technik gegenüber aufgeschlossen sind. "Senioren nutzen zunehmend nicht nur Computer und Mobiltelefone, sondern auch Videotelefonie, Smartphones, Einparkhilfen, Navigationsgeräte, eReader und Tablet-PC ."


Betten mit Sensortechnik

Diese Entwicklung wurde bei der Planung des Seniorenzentrums Breipohls Hof in Bielefeld berücksichtigt. In dem Neubau gibt es ein flächendeckendes Datennetz, aufwändige Sensortechnik, Tageslichtsimulation sowie multimediale Terminals, die sowohl Fernsehen, Telefon, Internet und Lichtruf zusammenbringen als auch zur Pflegedokumentation genutzt werden können. Und noch ein anderer Aspekt kam beim Neubau des Seniorenzentrums zum Tragen: Das Gebäude zeichnet sich als Passivhaus durch eine äußerst niedrige CO2-Emission aus. Eine weitere Besonderheit sind tiefenverstellbare Pflegebetten, die im Bedarfsfall mit Sensortechnik ausgestattet werden können. So können Pflegekräfte sofort informiert werden, wenn ein Mensch mit erheblicher Gangunsicherheit das Bett verlässt. Die Erfahrungen der Mitarbeitenden im Seniorenzentrum Dissen, wo die Betten bereits in der Pflege und Betreuung sturzgefährdeter Menschen getestet worden sind, waren durchweg positiv. "Viel besser als die Matten, die man vor dem Bett auslegt", sagt eine Mitarbeiterin aus Dissen. "Die wurden von den Bewohnern als Hindernis wahrgenommen."

Einen wachsamen und differenzierten Umgang mit der Technik forderte Pastor Bernward Wolf: "Wir müssen ganz genau beobachten, wo die Vor- und Nachteile liegen", so der stellvertretende Vorstandsvorsitzende Bethels. Eine skeptische Haltung zum Technikeinsatz in der Altenhilfe sei durchaus verständlich. "Andererseits nutzen wir heute wie selbstverständlich das Telefon, den Rollstuhl oder den Aufzug." Somit seien technische Assistenzsysteme nichts grundsätzlich Neues. Die Zielsetzung sei eindeutig: "Zum einen müssen wir die Bewohner in ihrer Autonomie stärken, zum anderen die Mitarbeitenden bei Routinetätigkeiten entlasten. Dann bleibt auch mehr Zeit für Betreuung."

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Quelle:
DER RING, Juni 2012, S. 12-13
Monatszeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juli 2012