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TAGUNG/292: "Zukunft der Teilhabe am Arbeitsleben" (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel - Januar 2013

Tagung "Zukunft der Teilhabe am Arbeitsleben"
Inklusion ja, aber ohne Traumtänzerei

Von Gunnar Kreutner



"Wir halten die Werkstätten auch in Zukunft im Gesamtspektrum für bedeutend. Das ist völlig unstrittig!" Mit dieser klaren Position trat Roland Matzdorf, Ministerialdirigent im Arbeitsministerium NRW, Ende November in Paderborn den Bedenken von rund 130 anwesenden Bethel-Mitarbeitenden entgegen. Sie befürchten, Werkstätten für Menschen mit Behinderung könnten als Folge der UN-Behindertenrechtskonvention und des "Inklusions"-Gedankens ihre Bedeutung verlieren.


Aus nahezu allen Regionen, in denen Bethel vertreten ist, waren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angereist, um sich über den aktuellen Stand der Umsetzung der Teilhabe für behinderte Menschen am Arbeitsleben zu informieren. An der zweitägigen Veranstaltung nahmen Mitarbeitende von Bethel.regional, Bethel im Norden, proWerk, aus den Betrieben, Schulen sowie den Hoffnungstaler Werkstätten teil. Die Tagung im Hotel Aspethera wurde von proWerk und Bildung & Beratung Bethel organisiert.


Mehr Druck auf Träger

Im Aktionsplan der NRW-Landesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention wird der Druck auf die Träger der beruflichen Rehabilitation erhöht. Sie sollen die Eingliederung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt stärker fördern - ganz im Sinne von mehr "Inklusion".

Die UN-Konvention ist für Bethel-Vorstand Dr. Rainer Norden "ein Mittel innerhalb unserer Bethel-Vision 'Gemeinschaft verwirklichen'". Bei der Umsetzung der Konvention stünden alle Beteiligten erst am Anfang der Entwicklung. In der Inklusions-Diskussion verstünden viele die Werkstätten als eher ausgrenzende, nicht-inklusive Einrichtungen. "Andere sehen in ihnen eine echte Alternative zum Arbeitsmarkt. Das zeigt das Spannungsfeld", sagte Dr. Rainer Norden. Für Bethel seien Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation, wie das Berufsbildungswerk Bethel oder die Werkstätten, wichtige Angebote in der Gegenwart wie in der Zukunft. "Sie haben ihre Sinnhaftigkeit über viele Jahre bewiesen."

Roland Matzdorf vom NRW-Arbeitsministerium unterstrich ebenfalls die Bedeutung von Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Gleichzeitig forderte er die Träger auf, sich "noch mehr zu öffnen, zu flexibilisieren und zu vernetzen". Integrationsunternehmen seien für ihn ein erfolgreiches Modell. "Das müssen wir ausbauen", betonte er. Für die Zukunft seien sowohl lntegrationsarbeitsplätze als auch die Werkstätten wichtig.


Wichtige Bausteine

Die Positionen des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe erläuterte Landesrat Matthias Münning. "An der Existenzberechtigung der Werkstätten brauchen wir nicht zu rütteln", meinte der Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe. Integrationsprojekte seien aber auch für ihn wichtige Bausteine. Die Träger von Werkstätten forderte er auf, sich noch mehr für Integrationsprojekte zu engagieren. Bethel sei in dieser Hinsicht bereits vorbildlich. Seiner Ansicht nach gebe es noch ein "riesiges Potenzial", um möglichst viele Menschen in normalen gewerblichen Unternehmen unterzubringen. Die Träger von Arbeitsangeboten müssten dafür noch mehr Partner gewinnen.


Ausgleichs-Institutionen

Zu der Tagung eingeladen war auch Dr. Jochen Walter aus München. Er ist Vorstandsmitglied der Stiftung Pfennigparade, eines großen Trägers der Behindertenhilfe In der Pfennigparade lernen, arbeiten und leben knapp 3.000 Menschen mit und ohne Behinderung zusammen. Die Stiftung betreibt auch Werkstätten für behinderte Menschen und Integrationsfirmen. Dr. Jochen Walter erläuterte seine Einschätzung zur Bedeutung der UN-Behindertenrechtskonvention für die Teilhabe am Arbeitsleben: "Mehr Inklusion heißt nicht automatisch mehr Lebensqualität für den einzelnen behinderten Menschen." Die individuelle Perspektive der Werkstattbeschäftigten werde außer Acht gelassen, wenn behauptet werde, Werkstätten als "Sonderwelten" seien mit der UN-Konvention nicht vereinbar.

Dr. Jochen Walter kritisierte, dass die Abwesenheit von "Sondereinrichtungen" als Kriterium für Inklusion gelte. "Gerade um Exklusion zu vermeiden, hat sich im Laufe vor allem des vergangenen Jahrhunderts ein spezifisches Hilfesystem herausgebildet. Denn verschiedene gesellschaftliche Systeme, zum Beispiel das Bildungssystem oder der Arbeitsmarkt, haben Exklusion produziert", so Jochen Walter. Neuerdings würden jedoch diese Hilfesysteme oder Einrichtungen und nicht mehr die gesellschaftlichen Systeme als Ursache von Exklusion verstanden. Werkstätten seien eigentlich "Ausgleichs-Institutionen" für die Nicht-Inklusion bestimmter Personengruppen am Arbeitsmarkt. "Die Prognose einer wahrscheinlich dauerhaften Exklusion einer Person am Arbeitsmarkt ist faktisch die Zugangsvoraussetzung in die Werkstatt. Und nun wird Exklusion kurzerhand als Anwesenheit der Sondereinrichtung Werkstatt definiert - das ist für mich Verwechslung von Ursache und Wirkung!"


Doppelstrategie

Schlussendlich waren sich alle Tagungsteilnehmerinnen und Teilnehmer einig, dass in Zukunft eine "Doppelstrategie" notwendig sein werde. Einerseits sollen der Umbau und die Öffnung der Einrichtungen engagiert verfolgt werden. Andererseits muss die Inklusionsdebatte sehr kritisch begleitet werden. Roland Matzdorf brachte es abschließend auf den Punkt: "Inklusion darf nicht zu Traumtänzerei führen!"

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Quelle:
DER RING, Januar 2013, S. 18-19
Monatszeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. März 2013