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VERBAND/704: 15 Jahre stationäres Hospiz in Bethel - Feierstunde mit nachdenklichen Tönen (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel - Juli 2013

15 Jahre stationäres Hospiz Haus Zuversicht
Feierstunde mit nachdenklichen Tönen

Von Silja Harrsen



Das erste stationäre Hospiz in Bethel, "Haus Zuversicht", feierte das 15-jährige Bestehen. Das Jubiläum wurde Mitte Juni mit einem Festakt begangen. 120 Gäste wurden erwartet, und genauso viele Stühle standen im Kleinen Saal im Assapheum in Bielefeld-Bethel. Doch sie reichten nicht aus. Zur Freude der Veranstalter kamen etliche Besucher mehr, die ihre Verbundenheit mit der Einrichtung ausdrücken wollten. Die Hospiz-Mitarbeitenden nutzten die Feier auch für einen kritischen Blick auf die Entwicklung der Hospizbewegung.


Zuerst gab es großes Lob - für das Haus, für die Mitarbeiterschaft und deren Einsatz für die sterbenden Menschen. "Durch Ihre tägliche Arbeit zeigen Sie den Menschen: Ihr seid nicht alleine", sprach der stellvertretende Bielefelder Oberbürgermeister, Detlef Helling, seine Hochachtung aus. Der Vorstandsvorsitzende des Hospizvereins in Bethel, Pfarrer Christoph Berthold, nannte die Einrichtung "ein Haus der Wahrheit", denn jeder, der dort aufgenommen würde, wisse, dass er sterben müsse. Der Hospizverein und das stationäre Hospiz haben dieselben Wurzeln. "Es sind dieselben Menschen, die den Verein und das Hospiz gegründet und auf den Weg gebracht haben." Mittlerweile engagieren sich rund 50 Ehrenamtliche für das Haus Zuversicht.

Auch Bethels stellvertretender Vorstandsvorsitzender Pastor Bernward Wolf unterstrich die Bedeutung, die die Hospizarbeit für die v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel hat. "Die Bewunderung, der Respekt und das gute Ansehen auch außerhalb Bethels - das ist Ihr Verdienst", so Bernward Wolf. Die ersten 15 Jahre seien wie bei einem Menschenleben die prägendsten. "Das war eine bewegte Zeit. Aber die Aufbruchsphase ist jetzt vorbei, irgendwann ist man nicht mehr Pionier, sondern mitten in der Gesellschaft angekommen. Jetzt heißt es, sich mit dem Phasenwechsel auseinanderzusetzen."

Die aktuellen Herausforderungen der Hospizbewegung sind Themen wie Differenzierung, Institutionalisierung und Standardisierung. Ulrike Lübbert, Leiterin des Hauses Zuversicht, zitierte in diesem Zusammenhang den polnischen Lyriker Stanislaw Jerzy Lec: "Geh mit der Zeit, aber komm von Zeit zu Zeit zurück." Das bedeute für die Arbeit im Hospiz, zu hinterfragen, welche Veränderungen wirklich sinnvoll seien. "Wir müssen uns immer wieder klarmachen, was unsere tragenden Werte sind, was Hospizarbeit ausmacht", so Ulrike Lübbert.

Die Hospizmitarbeitenden hatten mit der Referentin Dr. Michaela Fink eine Wissenschaftlerin eingeladen, die die Entwicklung der Hospizbewegung kritisch begleitet. In ihrem Buch "Von der Initiative zur Institution - Die Hospizbewegung zwischen lebendiger Begegnung und standardisierter Dienstleistung" analysiert sie den Unterschied zwischen menschlicher Zuwendung und der bloßen Handreichung aus dem Leistungskatalog. "Die Hospizbewegung ist immer mehr eingebunden in einen Prozess der 'Industrialisierung des Sterbens', bei dem das 'Produkt sterbender Mensch' zu Markte getragen wird", so die wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Soziologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen.


Brisante Entwicklung

Ursprünglich wollte die Hospizbewegung das Sterben zurück ins Leben holen, also den todkranken Menschen in der Obhut der Familien und der Gemeinschaft belassen bei optimaler ganzheitlicher Versorgung. Seit jedoch die ambulante Palliativ-Versorgung in der gesetzlichen Krankenkasse verankert ist, kümmern sich zunehmend "Sterbeexperten" um die schwerstkranken Menschen in der letzten Phase ihres Lebens. Dr. Michaela Fink zitierte die Sozialwissenschaftlerin Charlotte Jurk: "Die Begleitung Sterbender wurde - und das macht die besondere Brisanz dieses Projekts aus - aus den Händen der ehrenamtlichen, bürgerschaftlichen Hospizbewegung in die Zuständigkeit bürokratisch planerischer und an ökonomischen Kennzahlen orientierter Gesundheitspolitik gezwungen."

Die Institutionalisierung der Hospizbewegung, die Standardisierung der Dienstleistungen und das Qualitätsmanagement in der Sterbebegleitung haben mit den ursprünglichen Vorstellungen der Pionierinnen und Pioniere nicht mehr viel zu tun. Adelheid Rieffel war eine dieser Vorkämpferinnen und Mitbegründerin des ersten deutschen Dachverbands, der Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz. In Bethel setzte sie sich für die Einrichtung des stationären Hospizes ein, das sie dann sieben Jahre lang leitete. Wenn Empathie standardisiert wird, findet sie das problematisch. "Da ist ein Angehöriger zu Besuch im Hospiz, der bekommt einen Kaffee gereicht. Eine kleine, aber in dieser Situation bedeutende Geste der Zuwendung. Wenn sie das in einen Standard nehmen, dann machen sie diese Geste kaputt", beschreibt Adelheid Rieffel anschaulich. Die Soziologin Dr. Michaela Fink übernimmt dieses Beispiel in ihre wissenschaftliche These. "Die Implementierung einer standardisierten Dienstleistung in der Hospiz- und Palliativarbeit gefährdet die offene Begegnung von Menschen." Worauf es in ihrer Arbeit wirklich ankommt, beschrieben die Hospizmitarbeiter während des Festakts in eigenen Beiträgen. Der sterbende Mensch - der Gast, wie er im Hospiz genannt wird - sei der Bestimmer, betonte die Pflegedienstleiterin Christine Hölken. "Für unser multiprofessionelles Team bedeutet das, sich zurückzunehmen, abzuwarten und aushalten zu können." Ohne den Einsatz der Ehrenamtlichen im Haus Zuversicht gäbe es weniger Zuwendung. "Wir machen alles außer Pflege", betonen sie. Die Ehrenamtlichen führen Gespräche auf der Bettkante, schauen sich mit den Gästen Fotoalben an oder lesen aus der Zeitung vor. Sie habe Freude an dieser Aufgabe, sagte die ehrenamtliche Mitarbeiterin Ute Heiler. "Weil ich auch einmal so gut betreut sterben möchte und weil mich die Arbeit sehr dankbar macht."

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Quelle:
DER RING, Juli 2013, S. 10-11
Monatszeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Stiftungen
Bethel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. August 2013