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VERBAND/707: 100 Jahre Handweberei Bethel (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel - Sept. 2013

100 Jahre Handweberei Bethel
"Supertruppe mit Chefin, die tolle Sachen entwirft"

Von Petra Wilkening



"Weben ist so wunderschön", schwärmt Berna Brune und streicht liebevoll über das Holz ihres Webstuhls. "Ein ganz altes Schätzchen ist das. Bestimmt schon über 100 Jahre alt und immer noch voll im Einsatz." Berna Brune arbeitet in der Handweberei Bethel in Bielefeld. Die Werkstatt für behinderte Menschen feiert in diesem Monat ihr 100-jähriges Bestehen.

Rund 50 Menschen mit einer Behinderung oder einer psychischen Beeinträchtigung, auch immer mehr Menschen mit einem besonderen Betreuungsbedarf, sind in der Handweberei beschäftigt. "Die einen weben zehn Zentimeter am Tag, die anderen schaffen ein bis zwei Meter", sagt die Leiterin Cornelia Krüger-Schütte. Berna Brune ist seit einem Jahr dabei. Eine "Supertruppe" seien sie, in der man zusammenhalte und sich gegenseitig helfe. Besonders stolz ist die 26-Jährige auf ihre Chefin. "Die entwirft ganz tolle Sachen!"

Die "Chefin", Diplom-Textildesignerin Cornelia Krüger-Schütte, leitet die Handweberei seit 26 Jahren. Neben der Weberei mit 32 Webstühlen in zwei Räumen gehören auch eine Näherei mit 22 Nähmaschinen und ein kleines Ladengeschäft zu der Werkstatt. Fünf Mitarbeiterinnen für die Anleitung der Beschäftigten, darunter zwei weitere Textildesignerinnen, eine Weberin und zwei Nähereifachkräfte, unterstützen Cornelia Krüger-Schütte. Deren Auftrag war es 1987, die Produktpalette zu modernisieren. "Wir sind weggegangen von komplizierten Mustern und hin zu mehr Farbigkeit. Dadurch wurde es leichter, auf modische Trends zu reagieren", berichtet die Designerin und Künstlerin. Und es wurde einfacher, der wachsenden Zahl von Beschäftigten mit größeren Einschränkungen gerecht zu werden. "Es bleibt aber nach wie vor ein Spagat, auf der einen Seite die Arbeit so zu gestalten, dass der Leistungsdruck den anfalls- und psychisch kranken Beschäftigten nicht schadet, und auf der anderen Seite ein wirtschaftlich gutes Ergebnis zu erzielen."

"Sport" am Webstuhl

In der Handweberei Bethel entstehen hochwertige Textilien für den Haushalt, wie Geschirrtücher, Tischläufer und Tischsets, Schürzen, Kissen und Wolldecken. Die Stoffe, die die Beschäftigten auf den Webstühlen fertigen, werden in der Näherei weiterverarbeitet. Ebenso erstellt der Nähbereich der Handweberei aus zugekauften Stoffen Eigenprodukte und übernimmt auch Lohnaufträge. "Für einen Internetverkäufer stellen wir zum Beispiel Körnerkissen her", so Cornelia Krüger-Schütte. Zurzeit macht die Designerin für die Zionsgemeinde in Bielefeld-Bethel Entwürfe für Paramente. Die sakralen Bildgewebe sind für die Zionskirche bestimmt. Aufträge für Paramente kommen aus ganz Deutschland.

Ansprechende Produkte zu fertigen und zugleich etwas für seinen Körper zu tun - das ist das Besondere an der Webstuhl-Arbeit. "Das ist wie Sport", bestätigt Berna Brune, und man glaubt es ihr sofort, wenn man ihr beim Weben zuschaut. Ihr Oberkörper schaukelt im gleichmäßigen, schnellen Rhythmus nach vorne und wieder nach hinten, während sie mit der einen Hand die Lade, einen großen hölzernen Webkamm, vor- und zurückbewegt, mit der anderen Hand an der "Peitsche" zieht, einem Zugband, mit dem sie den "Schützen" mit dem Garn hin- und herschießt, und außerdem mit ihren Füßen zwei Tritte betätigt. Bei Berna Brune sieht es leicht aus, aber es ist eine anstrengende Tätigkeit. "Darum soll man auch Pausen machen", betont sie. Damit die junge Frau in ihrer Begeisterung für das Weben auch selbst daran denkt, klebt an ihrem Webstuhl ein Zettel: "Nachlassen - durchatmen!" Im Wechsel mit der Arbeit am Webstuhl sind Ausgleichstätigkeiten vorgesehen. Strick- und Papierarbeiten gehören dazu, oder auch die Fertigung der "Be-Männchen". Die Holzfigürchen, eine Idee von Cornelia Krüger-Schütte, sind begehrte Sammelobjekte. Das "Be" steht für Bethel.

Die Handweberei hat ihren Ursprung in der Webeschule Bethel, die Julia von Bodelschwingh 1913 gründete. Die Idee brachte die Frau des Anstaltsleiters Fritz von Bodelschwingh aus Schweden mit. Sie hatte in Berlin Malerei studiert und wollte das Arbeitsspektrum der Bewohner durch kreative Tätigkeiten erweitern. Mit einem Webstuhl in der eigenen Küche begann sie. Bis Anfang der 1930er-Jahre wuchs die Zahl der Webstühle in verschiedenen Pflegehäusern auf 100 an. 1931 wurde die Handweberei aus dem Bereich der Handwerksbetriebe ausgegliedert und als "Krankenbeschäftigungsstelle" an den Standorten Ebenezer und Heilstatt sowie in einer Holzbaracke am Haus Heilgarten weitergeführt. Im Jahr 1934 holte Julia von Bodelschwingh die Bauhaus-Künstlerin Benita Koch-Otte nach Bethel, die die Handweberei bis 1957 leitete. Farbstimmungen von Benita Koch-Otte werden heute wieder als Vorlagen für eine Wohnserie eingesetzt. Seit 1975 befindet sich die Handweberei neben dem Dankort am Quellenhofweg, als Bereich der Abteilung "Kunsthandwerk" im Stiftungsbereich proWerk.

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Ausstellung an 3 Orten

Zum Handweberei-Jubiläum findet vom 15. September bis 27. Oktober eine Ausstellung in der Historischen Sammlung, im Dankort und in der Handweberei statt. In der Handweberei kann man die heutige Arbeitsatmosphäre erleben. Außerdem gibt es Lesungen und besondere Aktionen zum Mitmachen. Die Ausstellung wird am 15. September um 15 Uhr in der Historischen Sammlung, Kantensiek 9, von Bethels Vorstandsvorsitzendem Pastor Ulrich Pohl eröffnet.

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Quelle:
DER RING, September 2013, S. 14-15
Monatszeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2013