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VERBAND/724: Präventionsstrategie - Welche Rolle spielt die Selbsthilfe? (Selbsthilfe)


Selbsthilfe 2/2015

Präventionsstrategie - Welche Rolle spielt die Selbsthilfe?

Klartext von Dr. Martin Danner


Die Bundesregierung hat das Präventionsgesetz auf den Weg gebracht. Hiernach soll die Prävention stärker an Gesundheitszielen ausgerichtet werden. Eine nationale Präventionskonferenz hat den Auftrag eine Präventionsstrategie zu entwickeln und die gesetzlichen Krankenkassen sollen in ganz erheblichem Umfang Gelder der Versicherten für die Prävention bereitstellen. Erstaunlicherweise spielt die Selbsthilfe bei diesen Überlegungen kaum eine Rolle.


Selbsthilfegruppen und -organisationen bilden soziale Netzwerke, in denen Menschen sich über lange Zeiträume hinweg kontinuierlich begegnen und sich zu gesundheitlichen Fragen austauschen, ja sogar ein vertrauensvolles Miteinander aufbauen. Menschen sind hauptberuflich und zu einem überwiegenden Anteil ehrenamtlich ihr Leben lang "in der Selbsthilfe" tätig. D.h. sie erleben die Selbsthilfe als geschützten Bereich, als spezifische Lebenswelt. Damit stellt die Selbsthilfe ein klassisches Handlungsfeld für Prävention und Gesundheitsförderung, wenn man so will - ein umfassend ausgeprägtes Setting dar.

Selbsthilfe ist aktive Erhaltung und Förderung der Gesundheit

Die Menschen, die sich in Selbsthilfegruppen und Selbsthilfeorganisationen zusammenschließen, weisen spezifische Merkmale auf, die sie als Zielgruppe klar identifizierbar machen. Damit ist die Selbsthilfe für all diejenigen interessant, die die Menschen in Selbsthilfegruppen und -organisationen bei der Erhaltung und Förderung ihrer Gesundheit unterstützen möchten.

Das besondere Kennzeichen der Selbsthilfe ist es aber, nicht nur passives Handlungsfeld Anderer im Bereich Prävention und Gesundheitsförderung zu sein. Die Selbsthilfe ist selbst Akteur, und zwar einerseits bezogen auf die eigene Arbeit, aber auch bezogen auf andere Zielgruppen.

Demgemäß ist es ein Kernbestandteil der Selbsthilfearbeit, die Verschlimmerung von Erkrankungen bei den eigenen Mitgliedern zu verhindern, Folgeerkrankungen zu vermeiden oder aber zumindest frühzeitig zu erkennen (Prävention). Ferner ist es Kernbestandteil der Selbsthilfearbeit, den eigenen Mitgliedern ein größtmögliches Maß an Selbstbestimmung über ihre gesundheitlichen Möglichkeiten zu erstreiten und sie im Umgang mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen zu befähigen (Gesundheitsförderung). Selbsthilfegruppen und -organisationen legen aber auch Projekte auf, die sich auf die Prävention und Gesundheitsförderung von Menschen beziehen, die nicht von der eigenen chronischen Erkrankung oder Behinderung betroffen sind. Die Selbsthilfe stellt insoweit ihre Betroffenenkompetenz als Teil der Zivilgesellschaft in den Dienst Anderer, um diese beim Erhalt und bei der Förderung ihrer Gesundheit zu unterstützen.

Die Selbsthilfe ist daher

• als Teil der Zivilgesellschaft ein wichtiger Baustein, damit Prävention und Gesundheitsförderung in sämtlichen Gesellschaftsbereichen wirkungsvoll umgesetzt werden können,

• ein soziales System, das schon aufgrund der Zielsetzungen seiner Mitglieder auf interne Umsetzung von Prävention und Gesundheitsförderung angelegt ist,

• ein Setting, das sich für die Umsetzung von Präventionsprogrammen und gesundheitsfördernden Maßnahmen sehr gut eignet.

Selbsthilfeförderung muss auf 1 EUR pro Versicherten erhöht werden

Seit Jahren leistet die Selbsthilfe wichtige Arbeit in allen Bereichen der Prävention; dabei wird die Finanzierung der Arbeit der Selbsthilfe der Bereich der Sekundär- und Tertiärprävention teilweise durch die Krankenkassenförderung nach § 20c (nunmehr § 20h) abgedeckt; für die Arbeit im Bereich der Primärprävention steht nunmehr nach unserem Verständnis die §§ 20, 20a, b als Förderungsmöglichkeit zur Verfügung. Die BAG SELBSTHILFE hält es insoweit für unbedingt erforderlich, auch die Vorschriften des bisherigen § 20c SGB V (nunmehr § 20h) zur Selbsthilfeförderung in den aktuellen Reformprozess einzubeziehen. Insgesamt muss angemerkt werden, dass die Selbsthilfe seit Jahren über die § 20c Förderung wichtige Arbeiten im Gesundheitssystem übernimmt und damit das Gesundheitssystem erheblich entlastet. Viele sprechen inzwischen von der Selbsthilfe als vierte Säule des Gesundheitssystems. Vor diesem Hintergrund sollte auch die Selbsthilfeförderung für die Sekundär- und Tertiärprävention nach § 20c (nunmehr § 20h) auf 1 EUR pro Versicherten erhöht werden.

Diskriminierung der Selbsthilfe-Dachverbände muss aufhören

Um eine verlässliche Förderung sicherzustellen, ist es zudem aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE unerlässlich, dass der Anteil der pauschalen Förderung sowie der Anteil der Förderung der Bundesverbände erhöht werden. Es sollte klargestellt werden, dass eine Diskriminierung der Dachverbände bei der Selbsthilfeförderung nicht zulässig ist. Ferner sollte ausdrücklich gesetzlich verankert werden, dass die Grundsätze nach § 20c Abs. 2 nicht dazu dienen sollen, im Gesetz nicht vorgesehene Einschränkungen der Förderung vorzusehen, sondern das Förderverfahren unbürokratisch auszugestalten. Es wäre aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE ferner zu klären, dass mit dieser Vorschrift nicht die bereits dargestellte Arbeit der Selbsthilfe im Bereich der Primärprävention abgedeckt ist.

Unter dem Gesichtspunkt der Förderung wird es für die Selbsthilfe aber auch darauf ankommen, sich an Aktivitäten der Gesundheitsförderung und der Primärprävention zu beteiligen. Denn wie diese Ausführungen aufzeigen, kann die Selbsthilfe ein wichtiger Partner der gesetzlichen Krankenversicherung bei der Umsetzung entsprechender Maßnahmen nach den neuen §§ 20a ff. SGB V sein kann. Insbesondere im Bereich der betrieblichen Gesundheitsförderung existieren hier in erheblichem Umfang Potentiale, die noch nicht ausgeschöpft wurden.

Mit Unterstützung des BKK DV und des BKK LV Bayern untersucht die BAG SELBSTHILFE aktuell in einem Projekt sowohl den Status quo der Kooperation zwischen Selbsthilfe und Betrieben als auch das Weiterentwicklungspotential der betrieblichen Gesundheitsförderung unter Beteiligung der Selbsthilfe.

Wenn man also genauer hinschaut, stecken auch im aktuellen Präventionsgesetz große Chancen für eine Weiterentwicklung der Selbsthilfearbeit. Es ist nun auch an uns Allen, diese Chancen zu nutzen.


Autor Dr. Martin Danner ist Bundesgeschäftsführer der BAG SELBSTHILFE

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Quelle:
Selbsthilfe 2/2015, S. 8 - 9
Zeitschrift der BAG SELBSTHILFE e.V.
Herausgeber: Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e.V.
BAG SELBSTHILFE
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Internet: www.bag-selbsthilfe.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juli 2015

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