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BUNDESTAG/3134: Heute im Bundestag Nr. 139 - 19.03.2012


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 139
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Montag, 19. März 2012 Redaktionsschluss: 17:15 Uhr


1. Geteiltes Echo auf Gesetzentwurf zu geplanter Verbunddatei gegen Rechtsextremismus
2. Öffentliches Fachgespräch zur Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Bildung
3. Experten fordern besseren Opferschutz beim Kampf gegen Menschenhandel
4. Neues Entgeltsystem für psychiatrische und psychosomatische Einrichtungen geplant


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1. Geteiltes Echo auf Gesetzentwurf zu geplanter Verbunddatei gegen Rechtsextremismus

Innenausschuss (Anhörung)

Berlin: (hib/STO) Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur geplanten Verbunddatei gegen Rechtsextremismus (17/8672) stößt bei Experten auf ein unterschiedliches Echo. Dies wurde am Montag bei einer Sachverständigenanhörung des Innenausschusses deutlich. Während dabei mehrere Experten die Vorlage begrüßten, äußerten andere Bedenken gegen die Vorlage.

Der Vizepräsident beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), Alexander Eisvogel, betonte, die aktuelle Bedrohung durch den Rechtsextremismus erfordere "adäquate Werkzeuge zur Gewinnung und zum Austausch von Erkenntnissen". Mit dem geplanten Gesetz werde eine moderne Informationstechnologie implementiert, die die Zusammenarbeit zwischen Nachrichtendiensten und Polizeien ergänzen und festigen werde. Die Verbunddatei werde einen schnelleren und reibungsfreieren Informationsaustausch zwischen dem BfV und Polizeibehörden ermöglichen. Mit der Möglichkeit der "verdeckten Speicherung" stelle der Entwurf einen "praxistauglichen Kompromiss zwischen dem Exekutivinteressen der Polizeibehörden und den besonderen Geheimhaltungsinteressen des BfV und der übrigen Nachrichtendienste dar". Der Vizepräsident beim Bundeskriminalamt, Jürgen Maurer, nannte es "das Gebot der Stunde", unterschiedlich verfügbare Informationen zu verzahnen. Zentral sei dabei eine Datei, die die verschiedenen Datenbestände zusammenführe.

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar, forderte mit Blick auf die geplante Datei eine umfassende Prüfungskompetenz, die er gerne gemeinsam mit den Landesdatenschutzbeauftragten ausüben wolle. Eine entsprechende Regelung solle in das Gesetz eingefügt werden.

Der Berliner Rechtsanwalt Sönke Hilbrans argumentierte, gemeinsame Dateien seien unter dem Aspekt der Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten eine "Risikotechnologie für die Demokratie und für den Datenschutz". Hilbrans warf zugleich die Frage auf, ob es nicht noch viel zu früh sei, sich auf bestimmte Instrumente festzulegen. Er plädierte unter anderem dafür, zunächst die Ergebnisse der Untersuchungsausschüsse des Bundestages und des Thüringer Landtages zu der dem "Nationalsozialistischen Untergrund" angelasteten Mordserie abzuwarten. Auch Professor Fredrik Roggan von der Polizeiakademie Niedersachsen sagte, der Bundestag solle die Ergebnisse der im Bund und mehreren Ländern eingesetzten Untersuchungsgremien abwarten.

Professor Dieter Kugelmann von der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster sah in dem Gesetzentwurf "einige Unschärfen". Er regte unter anderem an, die vorgesehene Kennzeichnungspflicht für bestimmte Daten auszudehnen. Professor Ralf Poscher von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg plädierte dafür, in den Entwurf bestimmte Mitteilungspflichten gegenüber Betroffenen aufzunehmen. Professor Heinrich Amadeus Wolff von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) sagte, die neue Datei ermögliche unter anderem, dass Sicherheitsbehörden, die von Rechts wegen Informationen austauschen dürfen, "sich wechselseitig finden und es dann zu diesem Informationsaustausch kommt". Dies sei eine sehr sinnvolle Funktion. Auf diese Weise verhindere die Datei, dass "durch die differenzierte Sicherheitsarchitektur Deutschlands ungewollt Effizienzeinbußen bei der Sicherheitsgewährleistung" anfielen.


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2. Öffentliches Fachgespräch zur Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Bildung

Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (Anhörung)

Berlin: (hib/ ROL) Bei der künftigen Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern in Bildung und Forschung sollen Finanzhilfen des Bundes erleichtert werden. Das war die mehrheitliche Meinung bei einer Öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung am Montagnachmittag. Der Anhörung zu "verfassungsrechtlichen Grenzen und Perspektiven einer besseren Zusammenarbeit von Bund und Ländern" bei Bildung und Wissenschaft lagen mehrere Anträge der Fraktionen von SPD (17/8455), Die Linke (17/785; 17/6094) und Bündnis 90/Die Grünen (17/1984; 17/8902) sowie eine Unterrichtung der Bundesregierung (17/8226) zugrunde. In ihnen wird Bundesregierung aufgefordert, eine Änderung des Grundgesetzes und des Artikels 91b vorzulegen, um eine Kooperation von Bund und Ländern bei der allgemeinen Bildung wieder möglich zu machen. Zu einer Grundgesetzänderung besteht sowohl in der Wissenschaft wie auch in der Politik große Einigkeit.

Durch die Föderalismusreform I und das im Jahr 2006 eingeführte Kooperationsverbot ist die Zusammenarbeit von Bund und Ländern sehr erschwert worden. Einer der Sachverständigen, Ulrich Thöne von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, sagte: "Die Hoffnungen, die viele in einen konkurrierenden Föderalismus gesetzt hatten, haben sich nicht erfüllt." Nun gehe es darum, dieses Kooperationsverbot wieder zu lockern.

Das Problem bestehe jedoch unter anderem darin, dass der Bund in Zukunft mehr Geld für Bildung und Wissenschaft geben soll, ohne die Hoheit der Länder zu stark anzutasten, wie der Sachverständige Professor Joachim Wieland von der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften ausführte: "Die Länder haben die Kompetenz und der Bund hat das Geld."

Die Opposition und auch mehrere Länder fordern zudem den Entwurf eines neuen Artikels 104b und c, der Finanzhilfen ermöglicht, die über kurzzeitig reine Investitionen hinausgehen. Er soll den Weg zu einer neuen Kooperations- und Vertrauenskultur zwischen Bund und Ländern öffnen. Die Hamburger Senatorin für Wissenschaft und Forschung, Dorothee Stapelfeldt (SPD), betonte, dass es eine gerechte Mittelverteilung zwischen den Ländern geben müsste. Insgesamt hätten sich in den vergangenen Jahren zu viele Unterschiede in der Bildungslandschaft Deutschland entwickelt.

Professor Hans-Peter Füssel vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung machte ebenfalls deutlich, dass die Strukturen so gestaltet werden müssten, dass es innerhalb Deutschlands kein Hemmnis für Mobilität gebe. "Es müssen Standards zur Vergleichbarkeit erarbeitet werden."

Professor Wolfgang Marquardt vom Wissenschaftsrat führte in seinem Gutachten aus, dass viele Universitäten über ein schlechtes Betreuungssystem verfügen, die starken Universitäten sich aber gegenseitig "zu Tode siegen". Oft könnten diese Hochschulen ihre Schwerpunkte nicht vollständig und langfristig angemessen ausstatten und seien dann gezwungen, sie auszutrocknen oder sie aktiv auszugliedern, um in den Genuss einer Bundesfinanzierung zu kommen. Marquardt betonte, künftig müssten alle Ziele "einer nationalen Wissenschaftspolitik" dienen.


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3. Experten fordern besseren Opferschutz beim Kampf gegen Menschenhandel

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Berlin: (hib/AW) Experten fordern einhellig Nachbesserung beim Aufenthaltsrecht im Zuge der Ratifizierung des Übereinkommens des Europarates zur Bekämpfung des Menschenhandels. Vor dem Familienausschuss betonten die sieben geladenen Sachverständigen am Montag Nachmittag in einem öffentlichen Expertengespräch über den Gesetzentwurf der Bundesregierung (17/7316) zur Ratifizierung des Abkommens, dass Hauptanliegen der Europaratskonvention sei die Stärkung der Rechte von Opfern von Menschenhandel und Ausbeutung. Opfern müsse deshalb unabhängig davon, ob sie aus einem EU-Mitgliedstaat oder einem Drittstaat stammen, ein "humanitäres Aufenthaltsrecht" eingeräumt werden. Dieses Aufenthaltsrecht sei zudem von der Frage abzukoppeln, ob das Opfer bereit sei, in einem Strafprozess auszusagen oder anderweitig mit den Ermittlungsbehörden zu kooperieren. Es gehe in erster Linie um die Umsetzung eines Menschenrechts, nicht darum, die Strafverfolgung von Tätern zu gewährleisten, sagte der Strafrechtler Joachim Renzikowski von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Die Opfer hätten einen Schutzanspruch an die Bundesrepublik Deutschland fügte Naile Tanis, Geschäftsführerin des "Bundesweiten Koordinationskreises gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen im Migrationsprozess e.V.", an. In diesem Sinne äußerten sich auch die Berliner Rechtsanwältin Regina Kalthegener, Heike Rabe vom Deutschen Institut für Menschenrechte, Özlem Dünder-Özdogan von der "Zentralen Koordinierungs- und Beratungsstelle für Opfer von Menschenhandel", Jae-Soon Joo-Schauen von der "Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung" und Schwester Lea Ackermann von "Solidarität mit Frauen in Not".

Die Experten widersprachen mit ihren Ausführungen der Auffassung von Bundesregierung und Bundesrat (17/7368), dass die aus der Europaratskonvention entstehenden Verpflichtungen Deutschlands bezüglich Aufenthalts- und asylrechtlicher Bestimmungen bereits im nationalen Recht verwirklicht seien. Auch die SPD-Fraktion fordert in einem Antrag (17/8156) eine Reihe von Nachbesserung im deutschen Recht zu Gunsten der Opfer.

Nachbesserung wurden von den Experten übereinstimmend auch bei der sogenannten Alimentierung von Opfern gefordert - vor allem bei der medizinischen und therapeutischen Betreuung. Auch könne es nicht ausschlaggebend sein, ob das Opfer aus einem EU-Staat oder einem Drittstaat stamme. Dies sei eine "weitere Diskriminierung" der Opfer, kritisierte Dünder-Özdogan. Auch Kalthegener argumentierte, dass der Zugang zu therapeutischer und medizinischer Versorgung nicht abhängig gemacht werden dürfe von der voraussichtlichen Länge eines Strafverfahrens und eines daran gekoppelten Aufenthaltsrechtes. Rabe plädierte zudem dafür, dass die Entschädigung von Opfern von Ausbeutung verbessert werden müsse. Gerade Opfer aus Drittstaaten könnten ihre Ansprüche, die ihnen wegen der zwangsweise geleisteten Arbeit zustehen, schon deshalb nicht einklagen, weil sie Deutschland wieder vorzeitig verlassen müssten.

Die Sachverständigen wiesen zudem auf die Probleme in der Praxis hin. Zum einen würden die Opfer von den Behörden zu spät oder unzureichend über ihre rechte informiert, beklagte Schwester Ackermann. Zudem fehle es bei vielen Ermittlungsbeamten aber auch Richtern an der nötigen Sensibilität im Umgang mit Opfern von sexueller Ausbeutung.


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4. Neues Entgeltsystem für psychiatrische und psychosomatische Einrichtungen geplant

Gesundheit/Gesetzentwurf

Berlin: (hib/MPI) Die Bundesregierung will das Entgeltsystem für psychiatrische und psychosomatische Einrichtungen reformieren. Sie hat dazu einen Gesetzentwurf (17/8986) vorgelegt, nach dem künftig die voll- und teilstationäre Behandlung psychisch kranker Menschen nicht mehr krankenhausindivduell vereinbart, sondern nach bundeseinheitlichen Entgelten vergütet werden soll. "Die heutige krankenhausindividuelle Mischfinanzierung der psychiatrischen und psychosomatischen Krankenhausleistungen erlaubt keinen Rückschluss auf die Leistungsgerechtigkeit der Finanzierung", heißt es in dem Entwurf. Deshalb solle "ein leistungsorientiertes und pauschalierendes Entgeltsystem" in psychiatrischen und psychosomatischen Einrichtungen eingeführt werden.

Mit der Neuregelung würden die Behandlungen in das System der Krankenhausfinanzierung eingebunden. Der Gesetzentwurf legt zugleich die Grundlagen für eine systematische Qualitätssicherung in der psychiatrischen und psychosomatischen Versorgung. Der Gemeinsame Bundesausschuss - das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen - wird darin verpflichtet, in seinen Richtlinien erforderliche Maßnahmen zur Sicherung der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität einschließlich Indikatoren zur Beurteilung der Versorgungsqualität für diesen Bereich festzulegen.

Das neue Entgeltsystem soll den Angaben zufolge im Rahmen eines lernenden Systems mit einer vierjährigen Einführungsphase (budgetneutrale Phase) und einer fünfjährigen Überführungsphase (Konvergenzphase) bis zum Jahr 2022 eingeführt werden. In den ersten beiden Jahren der Einführungsjahren 2013 und 2014 können laut Gesetzentwurf die psychiatrischen und psychosomatischen Einrichtungen das neue Entgeltsystem auf freiwilliger Grundlage einführen. Mit der langen Umstellungsphase werde den Einrichtungen ausreichend Zeit gegeben, sich auf die künftige Veränderung ihres Erlösbudgets einzustellen, heißt es in der Vorlage. Die langen Zeiträume der Ein- und Überführungsphase trügen auch den noch zu leistenden Entwicklungsarbeiten für das neue Entgeltsystem Rechnung. Das "Leistungsgeschehen" solle "transparenter" werden, schreibt die Regierung. Weiter heißt es, die Einführung des neuen Systems habe auf die gesetzliche Krankenversicherung insgesamt keine finanziellen Auswirkungen, da nicht mehr Mittel verausgabt werden als bisher. "Die Mittel werden zwischen den Einrichtungen lediglich stärker leistungsorientiert verteilt", schreibt die Regierung.

In seiner Stellungnahme begrüßt der Bundesrat den Gesetzentwurf der Bundesregierung grundsätzlich. Die Vorschläge der Länder zielen im Kern darauf ab, "die finanziellen Steuerungsmöglichkeiten eines künftigen Entgeltsystems nicht allein zur Herstellung von mehr Kostentransparenz und zur Kostendämpfung im stationären Sektor zu nutzen, sondern mit geeigneten finanziellen Anreizen auch dem Ziel einer qualitativen Verbesserung der psychiatrischen, psychotherapeutischen und psychosomatischen Gesamtversorgung gerecht zu werden". Die Regierung lehnt in ihrer Gegenäußerung zwar die meisten Einzelvorschläge ab, sagt aber zugleich zu, den Vorschlag der Länder im laufenden Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss bei den zu beschließenden Maßnahmen zur Versorgungsqualität die Besonderheiten der kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgung berücksichtigen soll.


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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 139 - 19. März 2012 - 17:15 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2012