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BUNDESTAG/3326: Heute im Bundestag Nr. 331 - 03.07.2012


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 331
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Dienstag, 3. Juli 2012 Redaktionsschluss: 14:45 Uhr

1. Ausschuss macht Tempo bei Aufklärung der Aktenvernichtung
2. SPD-Fraktion fordert Änderung des Genossenschaftsgesetzes
3. Antiterror-Paragraphen: Linksfraktion erkundigt sich nach Zwischenbilanz



1. Ausschuss macht Tempo bei Aufklärung der Aktenvernichtung

2. Untersuchungsausschuss (Rechtsterrorismus)

Berlin: (hib/KOS) Der Untersuchungsausschuss, der Pannen und Fehlgriffe bei den Ermittlungen zu der inzwischen dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) angelasteten Mordserie durchleuchten soll, dringt auf eine schnelle Aufklärung der Affäre um die Vernichtung von Akten über die NSU-Zelle durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Das NSU-Trio soll verantwortlich sein für die Erschießung von neun türkisch- oder griechischstämmigen Kleinunternehmern sowie einer Polizistin.

Am Dienstag beschloss das Gremium unter Vorsitz von Sebastian Edathy (SPD) überraschend, kurzfristig für Donnerstag jenen BfV-Referatsleiter beim BfV vorzuladen, der die Verschredderung der Unterlagen wenige Tage nach dem Auffliegen der NSU-Zelle im Herbst 2011 angeordnet hatte. Allerdings kann dieser Zeuge wegen des gegen ihn laufenden Disziplinarverfahrens die Aussage verweigern. Der Referatsleiter soll am 5. Juli noch vor Heinz Fromm befragt werden, der sich im Zuge der kritischen Debatte über die Rolle der Bundesbehörde bei den Ermittlungen zur Mordserie und über das Schreddern der Unterlagen von seinem Amt als Präsident des Inlandsgeheimdiensts zurückzieht.

Schon am Mittwoch dieser Woche will der Ausschuss in der Berliner Außenstelle des BfV die noch existenten Akten zur "Operation Rennsteig" prüfen. Zwischen 1996 und 2003 hatten das Bundes- und das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz sowie der Militärische Abschirmdienst (MAD) im Umfeld des "Thüringer Heimatschutzes", bei dem das NSU-Trio bis zum Abtauchen 1998 mitgemischt hat, mehrere Spitzel im Einsatz. Edathy zeigte sich "sehr verärgert", dass der Ausschuss bislang nicht umfassend über die "Operation Rennsteig" unterrichtet worden sei, "jetzt muss Klartext geredet werden". Grünen-Obmann Wolfgang Wieland monierte, dass die Gewinnung und Führung der V-Leute offenbar nur unvollständig dokumentiert worden seien, und fragte, ob auch versucht worden sei, im NSU-Umfeld Spitzel anzuwerben. SPD-Sprecherin Eva Högl bezeichnete die Aktenvernichtung als "unglaublichen Skandal", es müsse geklärt werden, ob es "Dusseligkeit" oder "Vorsatz" war.

Aus Sicht von Clemens Binninger ist dieser Vorgang geeignet, "das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden zu erschüttern". Der Unionsobmann warnte indes davor, nur Fromm zum "Sündenbock" zu machen. Für die FDP sagte Hartfrid Wolff, mit den Akten sei auch das "Vertrauen in den Aufklärungswillen des Verfassungsschutzes geschreddert worden". Petra Pau meinte, die Vernichtung der Dokumente allein könne Fromms Rücktritt wohl nicht rechtfertigen: "Was geschah noch?" Die Linken-Obfrau warf dem MAD vor, seine Akten zum NSU bisher nicht an den Ausschuss zu übermitteln, das sei ein "Skandal". Högl erklärte, Fromms Rückzug verdiene Respekt, der BfV-Präsident sei ein "engagierter Kämpfer gegen den Rechtsextremismus" gewesen. Wieland gab sich überzeugt, dass Fromms Abgang "nicht der letzte Rücktritt" sein werde, auch die "Staatssekretärs- und Ministerebene" könne noch betroffen sein.

Die Zeugenvernehmung am Dienstag steht im Zeichen von drei Attentaten in Nordrhein-Westfalen, für die der NSU verantwortlich gemacht wird. Auch auf mehrere Nachfragen aus den Reihen der Abgeordneten hin betonte Edgar Mittler, bei dem Kölner Sprengstoffanschlag vom Januar 2001 auf ein Lebensmittelgeschäft mit einer verletzten 19jährigen Iranerin hätten keinerlei Hinweise auf ein rechtsextremes Motiv existiert. Auch der Staatsschutz haben keinen politischen Hintergrund gefunden, so der einst für die Aufklärung dieses Falls zuständige Polizist. Ein Vergleich mit anderen Sprengstoffattentaten habe ebenfalls keine brauchbaren Spuren ergeben. Da alle Untersuchungen, so etwa im Blick auf Streit des Familienvaters mit einem Bauunternehmer oder auf den iranischen Geheimdienst erfolglos geblieben seien, habe man die Ermittlungen im Juni 2001 eingestellt. Mittler sagte, ihm sei damals nicht bekannt gewesen, dass nach der untergetauchten NSU-Zelle, bei der eine Bombenwerkstatt entdeckt worden war, bundesweit gesucht wurde. Der Zeuge äußerte rückblickend Unverständnis, warum er darüber nicht informiert worden sei.

Mehrfach kritisierten Abgeordnete, dass nicht nachdrücklicher ein rechtsextremer Hintergrund als mögliches Motiv in Betracht gezogen worden sei. Binninger erklärte, eine gründlichere Sprengstoffanalyse bei diesem Fall wie vor allem beim Kölner Nagelbombenattentat vom Juni 2004 mit 22 Verletzten samt genauem Abgleich mit ähnlichen Vorfällen in entsprechenden Dateien hätte zum NSU führen können.

Nach Mittler wollte der Ausschuss bis zum Abend noch drei weitere Zeugen zum Nagelbombenanschlag und zur Ermordung eines türkischstämmigen Kioskbetreibers in Dortmund im April 2006 vernehmen.

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2. SPD-Fraktion fordert Änderung des Genossenschaftsgesetzes

Recht/Antrag

Berlin: (hib/VER) Die SPD-Fraktion fordert die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf zur Änderung des Genossenschaftsgesetzes vorzulegen. Nach dem Vorbild der Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) soll eine "Kooperativgesellschaft (haftungsbeschränkt)" eingeführt werden, heißt es in dem Antrag (17/9976) der Fraktion. Für die Gründung einer solchen Kooperativgesellschaft solle weder eine "externe Gründungsprüfung durch einen Prüfverband", noch eine "externe Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse und der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung" nötig sein, schreibt die SPD-Fraktion weiter. Ziel sei es, die Genossenschaft als Geschäftsmodell attraktiver zu machen.

Zur Begründung heißt es, die Rechtsform der Genossenschaft habe "großes Potenzial für gemeinschaftliche Existenzgründungen". Es gebe viele Betätigungsfelder "im sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Bereich" sowie in der "Kultur- und Kreativwirtschaft". Allerdings werde dieses Potenzial nach Ansicht der SPD-Fraktion "in Deutschland bei weitem nicht ausgeschöpft". 2010 seien "monatlich allenfalls 20 neue Genossenschaften" gegründet worden. Von Januar bis Oktober des gleichen Jahres seien aber monatlich etwa 2.000 Unternehmergesellschaften (haftungsgeschränkt) neu gegründet und insgesamt 2010 etwa 5.300 neue GmbHs 2010 in die Handelsregister eingetragen worden.

Die "geringe Attraktivität der Rechtsform Genossenschaft" führt die SPD-Fraktion auf "vergleichsweise hohe Rechtsformkosten" zurück. Außerdem sei sie "mit erheblichen Aufwand verbunden; auch würden Genossenschaftsgründer "nur unter Schwierigkeiten oder gar keine Gründungsförderung" erhalten.

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3. Antiterror-Paragraphen: Linksfraktion erkundigt sich nach Zwischenbilanz

Recht/Kleine Anfrage

Berlin: (hib/VER) Die Linksfraktion will sich über die Evaluierungsergebnisse der Antiterror-Paragraphen informieren. In einer Kleinen Anfrage (17/10013) erkundigt sich die Fraktion bei der Bundesregierung nach den Details der Umsetzung. Sie will unter anderem wissen, wie viele Ermittlungsverfahren gegen wie viele Personen sich "konkret gegen den Aufenthalt in sogenannten Terrorcamps" richteten, in welchen Ländern sich diese befänden und welche Organisationen sie betrieben.

Im Mai 2009 hatte der Bundestag die "Antiterror-Paragraphen" 89a "Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat", 98b "Aufnahme von Beziehungen zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Straftat" und 91 "Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Straftat" des Strafgesetzbuches (StGB) beschlossen. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP sei zu Beginn der 17. Wahlperiode vereinbart wurden, dass Paragraph 89a "bis zur Mitte der Legislaturperiode zu evaluieren" sei, schreibt die Linksfraktion in ihrer Anfrage. Eine entsprechende Studie sei an die Kriminologische Zentralstelle e.V. Wiesbaden und die Ruhr-Universität Bochum vergeben worden. "Der Forschungsbericht sollte demnach zum 31. Oktober 2011 vorgelegt werden", heißt es weiter.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 331 - 3. Juli 2012 - 14:45 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juli 2012