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BUNDESTAG/3770: Heute im Bundestag Nr. 170 - 21.03.2013


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 170
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Donnerstag, 21. März 2013 Redaktionsschluss: 15:00 Uhr

1. Ex-Geheimdienstler übt Selbstkritik
2. Regierung will vertrauliche Geburten regeln
3. Grüne: Menschen mit Behinderung in die Entwicklungszusammenarbeit integrieren



1. Ex-Geheimdienstler übt Selbstkritik

2. Untersuchungsausschuss (Rechtsterrorismus)

Berlin: (hib/KOS) "Wir haben nicht tief genug gegraben": Mit diesen Worten schrieb Joachim Tüshaus vor dem Untersuchungsausschuss, der Pannen und Fehlgriffe bei den Ermittlungen zu der dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) angelasteten Mordserie durchleuchten soll, auch dem sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Verantwortung für Versäumnisse bei der Suche nach dem im Januar 1998 abgetauchten Jenaer Trio zu, aus dem später der NSU wurde. Zum Auftakt der Zeugenvernehmungen am Donnerstag sprach Tüshaus, bis 2004 beim Dresdner Geheimdienst für Extremismus zuständig, von einer "schweren Niederlage der Sicherheitsbehörden". Es habe eine "Vielzahl von Bemühungen" gegeben, der Gruppe habhaft zu werden, "aber es war nicht genug". Bis zum Auffliegen des NSU im Herbst 2011 sei es nicht gelungen, eine Spur zu Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe zu finden, räumte Tüshaus ein, und man habe auch keinen Zusammenhang zwischen der Zelle und der Mordserie sowie mehreren Banküberfällen gesehen.

Derzeit prüft der Ausschuss, wieso das Trio nach seinem Verschwinden in Jena Anfang 1998 bis zum November 2011 unerkannt in Chemnitz und Zwickau leben konnte. Tüshaus erklärte, das sächsische LfV habe über keine eigenen Informationen zum Aufenthaltsort der Untergetauchten verfügt. Federführend bei der Fahndung nach der Gruppe seien Verfassungsschutz und Landeskriminalamt in Thüringen gewesen, das Dresdner LfV habe die Behörden des Nachbarlands lediglich unterstützt. Der Zeuge berichtete über diverse Meldungen von V-Leuten, einen öffentlichen Fahndungsaufruf, Observationen und Abhöraktionen in Sachsen, die aber letztlich keine Hinweise auf den Verbleib der Zelle geliefert hätten. Erfolglos sei auch der Betrieb einer konspirativen Wohnung in Chemnitz geblieben, wovon man sich Erkenntnisse über eine eventuelle Kontaktaufnahme des Trios mit einer Kontaktperson aus der rechtsextremistischen Szene erhofft habe.

Tüshaus sagte, Erfurt habe seinerzeit dem Dresdner LfV mehrfach "relevante" Informationen zu der abgetauchten Gruppe nicht übermittelt. Dies habe er nachträglich dem von Ex-Bundesrichter Gerhard Schäfer erstellten Bericht über die Arbeit der Thüringer Sicherheitsbehörden in der NSU-Affäre entnommen. Deshalb habe man auch nichts von Meldungen erfahren, so der Zeuge, wonach Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe von einem bestimmten Zeitpunkt an keine Geldzuwendungen aus dem rechtsextremen Milieu mehr benötigten, weil sie inzwischen "jobben" würden und "Aktionen" planten. Diese Erkenntnisse hätten eine Verbindung zu Banküberfällen schlagen können.

Unions-Obmann Clemens Binninger fragte, wieso Thüringen für die Suche nach der Gruppe zuständig gewesen sei, wo sich nach deren Verschwinden das Geschehen doch nach Sachsen verlagert habe. Das sei damals so entschieden worden, meinte Tüshaus, das Ergebnis könne man aus heutiger Sicht "anzweifeln". Seiner Auffassung nach hätte wegen der "gemischten sächsisch-thüringischen Lage" das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die Zuständigkeit erhalten sollen.

SPD-Sprecherin Eva Högl kritisierte, es habe beim sächsischen LfV "offenbar nicht viel ausgelöst", dass gesuchte Bombenbauer in einem Bundesland mit einer hohen Zahl gewaltbereiter Rechtsextremisten untergetaucht seien. Der Zeuge entgegnete, nach einer Analyse des BfV habe damals in der rechtsextremen Szene keine Akzeptanz für Terrorismus existiert. Dies sei jedoch "zu kurz gedacht" gewesen, man habe sich seinerzeit am Muster des Linksterrorismus mit festen Organisationsstrukturen orientiert. Tüshaus bezeichnete es als Fehler, dass man sich nach dem Verschwinden des Trios nur gefragt habe, "wo" es verblieben sei, nicht jedoch, "was" die Gruppe jetzt mache: "Dann hätte man anders denken müssen."

Auf eine entsprechende Kritik des FDP-Parlamentariers Jimmy Schulz konzedierte der Ex-Geheimdienstler, damals sei beim Verfassungsschutz die Fähigkeit zur Einordnung und Analyse eingehender Informationen mangelhaft gewesen. Jens Petermann (Linke) sprach von einer unzureichenden Zusammenarbeit zwischen Verfassungsschutz und LKA. Tüshaus: "Die war ausbaufähig, aber nicht schlecht." Grünen-Obmann Wolfgang Wieland warf dem LfV vor, nach dem Hinweis auf die Beschaffung von Waffen durch die Zelle nicht überlegt zu haben, auf welche Weise dies bewerkstelligt werden sollte. Der Zeuge: "Diese Frage haben wir uns nicht gestellt." Nur hinter verschlossenen Türen wollte Tüshaus die Frage des Ausschussvorsitzenden Sebastian Edathy (SPD) beantworten, wieso man eine sächsische Rechtsextremistin nicht näher unter die Lupe genommen habe, die Beate Zschäpe ihren Pass habe überlassen wollen und in ihren Kreisen für Anschläge im Untergrund plädiert habe.

Im Laufe des Tages wollte der Ausschuss u.a. auch Reinhard Boos vernehmen, der im Sommer 2012 im Zuge der NSU-Affäre von seinem Amt als Präsident des sächsischen Geheimdienst zurückgetreten ist.

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2. Regierung will vertrauliche Geburten regeln

Familie, Senioren, Frauen und Jugend/Gesetzentwurf

Berlin: (hib/AW) Die Bundesregierung will es Frauen ermöglichen, ihre Kinder in Notlagen vertraulich zur Welt zu bringen. Der entsprechende Gesetzentwurf (17/12814) sieht zudem den Ausbau von umfassenden und ergebnisoffenen Beratungen für schwangere Frauen in Notlagen vor, um ihnen doch die Chancen für ein Leben mit ihrem Kind zu ermöglichen. Erst nach diesen Beratungen soll den Frauen die vertrauliche Geburt angeboten werden. Ziel des Gesetzes ist es, die Zahl der nach der Geburt ausgesetzten oder getöteten Kinder zu verringern. In Deutschland werden nach einer Studie des Deutschen Jugendinstituts etwa 20 bis 35 Kinder nach der Geburt ausgesetzt oder getötet. Eine offizielle Statistik existiere nicht, es müsse von einer erheblichen Dunkelziffer ausgegangen werden. Die vertrauliche Geburt soll zudem eine Alternative zu den sogenannten Babyklappen bieten. Zwischen 1999 und 2010 seien nahezu 1.000 Kinder anonym geboren, in eine Babyklappe gelegt oder anderweitig anonym übergeben worden.

Konkret sieht der Gesetzentwurf vor, dass die schwangere Frau ihr Kind unter Angabe eines Pseudonyms entbinden kann. Ihre richtigen Personaldaten sollen zwar vertraulich aufgenommen aber bis zum 16. Lebensjahres versiegelt aufbewahrt werden. Das Kind soll in aller Regel zur Adoption freigegeben werden. Bei Vollendung des 16. Lebensjahres soll das Kind dann erfahren dürfen, wer seine leibliche Mutter ist, wenn diese dagegen keinen Einspruch einlegt. In diesem Fall soll ein Familiengericht entscheiden, ob die Identität der Mutter weiterhin vertraulich bleiben soll, weil Gefahren für Leib, Leben, Gesundheit, persönliche Freiheit oder ähnliche schutzwürdige Belange der Mutter befürchtet werden müssen.

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3. Grüne: Menschen mit Behinderung in die Entwicklungszusammenarbeit integrieren

Entwicklungszusammenarbeit/Antrag

Berlin: (hib/BOB) Bündnis 90/Die Grünen fordern das Recht von Menschen mit Behinderungen, in die deutsche Entwicklungszusammenarbeit integriert zu werden. Auf nationaler Ebene sei dazu jeweils ein Ansprechpartner im Entwicklungsministerium sowie aus den Organisationen zu benennen, schreiben die Grünen in ihrem Antrag (17/12844). Diese könnten das Thema Menschen mit Behinderung "strategisch und inhaltlich" betreuen und verantworten. Es seien dabei zeitnah "klare und messbare Kriterien" für Projekte, in denen Menschen mit Behinderung berücksichtigt werden, einzuführen. Die Grünen machen darauf aufmerksam, dass Ende März 2009 die Behindertenkonvention der Vereinten Nationen ratifiziert wurde. Als völkerrechtlicher Vertrag habe die Konvention ein deutliches Zeichen für eine menschenrechtsbasierte Behindertenpolitik gesetzt.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 170 - 21. März 2013 - 15:00 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. März 2013