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BUNDESTAG/4424: Heute im Bundestag Nr. 289 - 02.06.2014


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 289
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Montag, 02. Juni 2014, Redaktionsschluss: 19.00 Uhr

1. Ökostrommarkt strittig
2. Der Wirtschaft gefällt die Ausgleichsregelung
3. Experten kritisieren die Ceta-Verhandlungen



1. Ökostrommarkt strittig

Ausschuss für Wirtschaft und Energie (Anhörung)/

Berlin: (hib/PST) Wer Strom aus erneuerbaren Energiequellen wie Sonne und Wind erzeugt, kann diesen bisher zu einem festen, staatlich festgelegten Preis an die Netzbetreiber liefern. Die Differenz zum Marktpreis wird aus der EEG-Umlage beglichen. Die EEG-Novelle 2012 schuf zudem die Möglichkeit, Ökostrom am Strommarkt zu Marktpreisen zu verkaufen. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) fördert diese Direktvermarktung mit einer Marktprämie.

Mittlerweile wird bereits rund die Hälfte des Ökostroms direkt vermarktet. Das sagten mehrere Sachverständige bei einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie am Montag zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur grundlegenden Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und zur Änderung weiterer Bestimmungen des Energiewirtschaftsrechts (18/1304). Dem Gesetzentwurf zufolge soll bis 2017 ganz auf Direktvermarktung umgestellt werden. Die Höhe der Marktprämie solle über Ausschreibungen ermittelt werden. Diese beiden Punkte waren in der Anhörung heftig umstritten. Es wurde deutlich, dass die Auswirkung beider Maßnahmen schwer vorherzusehen ist.

Die Leipziger Strombörse (EEX) begrüßt die von der Bundesregierung mit der EEG-Novelle geplante Direktvermarktung des Stroms aus erneuerbaren Energiequellen ausdrücklich. "Mit Blick auf die im Gesetzentwurf gewählten Instrumente sind wir der Meinung, dass vor allem die verpflichtende Direktvermarktung und die beabsichtigte wettbewerbliche Ermittlung der Förderhöhe mittels Ausschreibungen positiv zu bewerten sind", erklärte die Strombörse in ihrer Stellungnahme für die Anhörung. "Um unnötige Belastungen der Verbraucher zu vermeiden und sicherzustellen, dass die Vergütungssätze so hoch wie nötig und gleichzeitig so niedrig wie möglich sind, sollten diese in einem regelmäßigen wettbewerblichen Verfahren ermittelt werden", begründet die Strombörse ihre Haltung. EEX-Vorstandschef Peter Reitz plädierte allerdings für eine leistungsbasierte Marktprämie, die sich danach richtet, wie viel Strom der Erzeuger liefern kann und nicht (arbeitsbasiert) danach, wie viel tatsächlich abgenommen wird.

Auch der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) begrüßt den Umstieg auf eine verpflichtende Direktvermarktung von Strom aus erneuerbaren Energien. Sie müsse aber so ausgestaltet werden, dass man aus einer regionalen EEG-Anlage direkt mit EEG-Strom beliefert werden kann. Wer heute die Energiewende direkt durch den Bezug von Ökostrom fördern wolle, müsse in der Regel Strom aus ausländischen Anlagen beziehen, "also gerade nicht aus Anlagen, die im Rahmen der Energiewende errichtet werden". Bei einer Direktvermarktung ließen sich Mehrerlöse erzielen, was zur Senkung der EEG-Umlage beitragen könne. Außerdem fordern die kommunalen Unternehmen eine "zügige Einführung des Ausschreibungsmodells". Der vorliegende Gesetzentwurf stelle aber für Kleinerzeuger keine praktikable Lösung vor, kritisierte Michael Wübbels, Leiter der Abteilung Energiewirtschaft beim VKU. Wübbels schlug vor, bei Ausschreibungen "eine Größen-Untergrenze zu setzen und Kleinerzeugern den letzten bei einer Auktion ermittelten Preis, eventuell mit einem kleinen Zuschlag, zu zahlen". Außerdem empfahl er, verschiedene Ausschreibungsmodelle zu testen.

Ähnlich äußerte sich Hildegard Müller, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Bei richtiger Ausgestaltung könnten Ausschreibungen die Wettbewerbsfähigkeit der erneuerbaren Energien erhöhen. Die Schwierigkeit sei, ein Konstrukt zu finden, das "keine bestehenden Akteure vom Markt verdrängt". Die vorgesehene Frist bis 2017 für die Umstellung befand Müller für viel zu kurz. Detlef Raphael vom Deutschen Städtetag als Vertreter der Kommunalen Spitzenverbände plädierte dafür, das Ausschreibungssystem breiter auszutesten als nur, wie im Gesetzentwurf vorgesehen, mit einem Pilotmodell für nur eine Technologie. Daniel Hölder vom Bundesverband Bioenergie empfahl, eine Verordnungsermächtigung in den Gesetzentwurf aufzunehmen, so dass die Bundesregierung die Ausschreibungsregeln im Lichte der Erfahrungen mit Pilotprojekten regeln könne. Damit werde "die Tür offen gelassen" für sinnvolle Lösungen.

Anders als einige andere Sachverständige erwartet Professor Uwe Leprich (Institut für ZukunftsEnergieSysteme) unvermeidlich höhere Kosten durch die Direktvermarktung. Auch bei Ausschreibungen werde die theoretisch höhere Kosteneffizienz des Instruments durch deutlich höhere Transaktions- und Finanzierungskosten konterkariert und könne sogar in ihr Gegenteil umschlagen. Bisherige europäische Erfahrungen mit Ausschreibungen, ergänzte Jörg Müller vom Windanlagenbetreiber Enertrag AG, würden keinen einheitlichen Vorteil dieses Instruments zeigen. Vielmehr sei es zu steigenden Risikoprämien, Projektausfällen und einer Begünstigung großer Unternehmen gekommen. Auch eine wirtschaftliche sinnvolle Vermarktung fluktuierender Energie ohne Speichermöglichkeit sei praktisch nicht möglich.

Das in Norwegen ansässige Energieunternehmen Statkraft begrüßt die Einführung einer verpflichtende Direktvermarktung. Sie solle aber auch Anlagen unter 100 Kilowatt Leistung einschließen. Es handele sich um 1,5 Millionen Anlagen, die einen kritischen Faktor für die Energieversorgung darstellen würden. Die Erzeugung auch aus kleinen Anlagen müsse optimal prognostiziert und eingesetzt werden können. Deshalb sollten alle Anlagengrößen so schnell wie möglich direkt vermarktet werden. Allerdings hielt auch Statkraft-Repräsentant Stefan-Jörg Göbel Details des Gesetzentwurfs für änderungsbedürftig.

Thomas E. Banning verwies darauf, dass gut eineinhalb Millionen Menschen in Deutschland in EEG-Anlagen investiert hätten. Zusammen mit ihren Familien rede er von fünf Millionen Menschen. Von diesen werde der Gesetzentwurf der Bundesregierung "nicht verstanden oder sogar als gegen sie gerichtet empfunden". Folge der verpflichtenden Direktvermarktung werde "kein Markt" sein, sondern eine Marktkonzentration auf wenige Akteure. Man solle viel stärker auf den Markt im Kleinen setzen, empfahl Banning. Professor Dietmar Lindenberger vom Energiewirtschaftlichen Institut den der Universität Köln folgte ihm dabei insoweit, als lokale Direktvermarktung eine sinnvolle Option sei, die stärker berücksichtigt werden müsse. Allerdings seien auch lokale Verbraucher zur Versorgungssicherheit fast immer auf das Netz als Back-Up angewiesen.

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass "spätestens 2017 die finanzielle Förderung und ihre Höhe für die erneuerbaren Energien wettbewerblich über technologiespezifische Ausschreibungen ermittelt werden. Um Erfahrungen mit Ausschreibungen zu sammeln, wird die Förderung von Photovoltaik-Freiflächenanlagen als Pilotmodell auf ein Ausschreibungssystem umgestellt". Auf Grundlage dieser Erfahrungen ist vorgesehen, spätestens 2017 die Förderhöhe für erneuerbare Energien generell im Rahmen von Ausschreibungen wettbewerblich zu ermitteln. Außerdem soll die Direktvermarktung von aus erneuerbaren Energien erzeugtem Strom verpflichtend werden. Die Direktvermarktung ist zunächst für Neuanlagen und ab einer Leistung von 500 Kilowatt ab 1. August 2014 vorgesehen. Ab 1. Januar 2016 sinkt die Grenze auf 250 Kilowatt und ab 1. Januar 2017 auf 100 Kilowatt.

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2. Der Wirtschaft gefällt die Ausgleichsregelung

Ausschuss für Wirtschaft und Energie/Öffentliche Anhörung

Berlin: (hib/HLE) Wirtschaftsverbände und Industrie haben die von der Koalition geplanten Änderungen aus der Besonderen Ausgleichsregelung für die Entlastungen von Unternehmen von der Umlage nach dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) begrüßt, zugleich aber Änderungen gefordert.

In einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie am Montag begrüßten die Verbände der energieintensiven Industrien in Deutschland (Baustoffe, Glas, Chemie, Papier, Metall und Stahl) in ihrer Stellungnahme die wenn auch eingeschränkte Fortführung der Ausgleichsregelung. Dies sei nicht nur aus Gründen des Vertrauens- und Investitionsschutzes notwendig. Bedenken, es gebe eine Flucht in die Eigenversorgung mit Strom, wurden zurückgewiesen. Die Nutzung ökologisch und energiewirtschaftlich sinnvoller Technologien zur Eigenversorgung leiste einen wichtigen Beitrag für die nachhaltige Stromversorgung am Industriestandort Deutschland. Genannt wurden zum Beispiel Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK), die Nutzung von Wärmesenken und von Restgasen. Durch die Neuregelung drohe Unternehmen mit einem hohen Strombedarf eine Mehrbelastung mit einem sechsstelligen Euro-Betrag. Der Verband deutscher Maschinen und Anlagenbau (VDMA) begrüßte, dass jetzt Rechtssicherheit für die energieintensive Industrie geschaffen werde und verlangte die Aufhebung der Diskriminierung von neu gegründeten Unternehmen. Neue energieintensive Unternehmen könnten erst im dritten Geschäftsjahr einen Antrag in der Besonderen Ausgleichsregelung stellen.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) erklärte in seiner Stellungnahme, er unterstützte die Zielrichtung der Energiewende, solange in jeder Phase der Umsetzung die Versorgungssicherheit auf hohem Niveau erhalten bleibe und das Preisniveau für Strom nicht noch mehr zu einer Belastung für die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft werde. Die Pläne der Regierung würden diesen Anforderungen nur teilweise gerecht, klagte die Organisation, die ebenfalls "deutliche Markteintrittsbarrieren" für neue energieintensive Unternehmen kritisierte. Die geplante Belastung der Eigenerzeugung von Strom mit EEG-Umlage ist nach Ansicht des DIHK "grundsätzlich nicht zielführend". Der Bundesverband der Deutschen Industrie kritisierte, "durch die EEG-Reform wird die Industrie insgesamt stärker belastet und leistet damit einen größeren Beitrag zur Energiewende, was weiterhin mit erheblichen Einbußen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit einhergeht." Die stromintensive Industrie befinde sich bereits in einem "Gefährdungsszenario". Insgesamt bewertete BDI-Vertreter Markus Kerber die Reform als "Energiekostenanstiegsgesetz".

Dagegen erklärte Professor Uwe Leprich (Institut für ZukunftsEnergieSysteme), die Industrie profitiere von kontinuierlich sinkenden Preisen an der Strombörse. Der Großhandelspreis sei seit Ende 2008 um die Hälfte gefallen. "Der vorliegende Gesetzentwurf erhält die Privilegierung der Industrie mindestens aufrecht." Eine Entlastung der Verbraucher gebe es dadurch nicht. Leprich empfahl, die Industrieprivilegien an die Durchführung von Effizienzmaßnahmen zu knüpfen.

Stephan Kohler (Deutsche Energie-Agentur, dena) sprach sich dafür aus, Eigenstrom grundsätzlich in die Umlage einzubeziehen. Ausnahmen solle es aber zum Beispiel für Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK) geben, um die Energieeffizienz zu fördern. Felix Christian Matthes vom Öko-Institut sprach vom "Mythos Eigenverbrauch". Es handele sich dabei um nur um einen Wechsel des Transfersystems. Kosten würden nicht gespart, sondern für die Kosten müssten andere aufkommen.

Der Verbraucherzentrale Bundesverband wandte sich gegen die Einbeziehung der Eigenstromerzeugung mit erneuerbarer Energie in die EEG-Umlage, was auch zu einer Belastung privater Anlagenbetreiber führen würde. Dies würde einen "elementaren Bestandteil der Energiewende elementar bedrohen". Der Effekt bei der Umlage betrage bis 2018 höchstens 55 Cent pro Haushalt und Jahr. Die Neugestaltung der Ausnahmen für die Industrie werde die Belastung der nicht begünstigten Stromverbraucher weiter erhöhen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) begrüßte den Bestandsschutz für Eigenversorgungsanlagen der Industrie und unterstützte zugleich die Absicht der Koalition, Neuanlagen zu einer anteiligen Zahlung der EEG-Umlage heranzuziehen. Bei der Besonderen Ausgleichregelung hat der Aspekt des Erhalts von Arbeitsplätzen für den DGB einer "herausgehobene Bedeutung". Interessen von Verbrauchern und Industriebetrieben dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden. In der Anhörung wies DGB-Vertreterin Inge Lippert darauf hin, dass Schmieden bei den Vergünstigungen nicht berücksichtigt worden seien, was zu Wettbewerbsnachteilen gegenüber Gießereien führen könne. Nach Angaben des DIHK wurden auch Textilveredler und Härtereien nicht berücksichtigt.

Detlef Raphael (Kommunale Spitzenverbände) erklärte, die Schienenbahnen würden durch die Novellierung mit 80 bis 100 Millionen Euro belastet. Es müsse in diesem Bereich eine Lösung gefunden werden, um Fahrpreiserhöhungen zu vermeiden. Betroffen seien vor allem kleine Bahnbetriebe. Auch Matthes sprach von einer Belastung von 100 Millionen Euro für die Bahnen. Holger Krawinkel (Verbraucherzentrale) erklärte in seiner Stellungnahme, der von den Schienenbahnen zu zahlende Betrag werde sich in vielen Fällen mehr als verdoppeln. Es bestehe die Gefahr, dass der umweltfreundliche Schienenverkehr durch den daraus resultierenden Anstieg der Ticketpreise an Attraktivität verlieren werde: "Eine derartige Entwicklung kann angesichts der angestrebten Dekarbonisierung des Verkehrsbereichs nicht im Sinne der Energiewende sein."

Mit der Reform der Besonderen Ausgleichsregelung für stromkosten- und handelsintensive Unternehmen wollen die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD in ihrem gemeinsamen Gesetzentwurf (18/1449) die bisherigen EEG-Ausnahmeregelungen fortführen und so zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschafts- und Industriestandorts Deutschland beitragen. Anträge auf Reduzierung der EEG-Umlage können Unternehmen aus jenen Branchen stellen, die von den Umwelt- und Energiebeihilfeleitlinien der EU-Kommission als strom- und handelsintensiv eingestuft worden und die auf zwei Listen zusammengestellt worden sind. Außerdem muss der Anteil der Stromkosten an der Bruttowertschöpfung der Unternehmen einen Mindestanteil aufweisen. Die privilegierten Unternehmen sollen grundsätzlich 15 Prozent der EEG-Umlage bezahlen. Diese Belastung soll jedoch auf vier beziehungsweise 0,5 Prozent der Bruttowertschöpfung der Unternehmen begrenzt werden. Ungeachtet dessen sollen alle privilegierten Unternehmen für die erste Gigawattstunde die EEG-Umlage in voller Höhe und für alle darüber hinausgehenden Kilowattstunden mindestens 0,1 Cent bezahlen. Unternehmen, die höher belastet werden als bisher, sollen bis 2019 Zeit erhalten, um sich auf den Anstieg der Belastung einzustellen: "Zu diesem Zweck darf sich die von einem Unternehmen zu zahlende EEG-Umlage von Jahr zu Jahr höchstens verdoppeln", heißt es in dem Entwurf. Für die Unternehmen gibt es noch weitere Übergangs- und Härtefallregelungen.

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3. Experten kritisieren die Ceta-Verhandlungen

Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft/

Berlin: (hib/EIS) Mehr Transparenz und die Einbindung der Öffentlichkeit in die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen Ceta (Comprehensive Economic and Trade Agreement) zwischen der Europäischen Union und Kanada fordern Sachverständige im Deutschen Bundestag. Tobias Andres von der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie kritisierte während einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft am Montagnachmittag das deutliche Ungleichgewicht der Informationspolitik seitens der EU-Kommission zwischen den Ceta-Verhandlungen und den Gesprächen zum TTIP-Abkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership) mit den USA. Dieser Kritik schloss sich der Rechtswissenschaftler Peter-Tobias Stoll von der Universität Göttingen an, denn selbst Experten erhielten kaum Einblick in den Stand der Verhandlungen, um sich eine adäquate Meinung bilden zu können. Bei der derzeit geübten Praxis würden die Sachverständigen in der Regel über einen geringeren Informationsstand verfügen als die Bundestagsabgeordneten, weil nur Abgeordnete über die entsprechenden parlamentarischen Rechte verfügten, solche Informationen abfragen zu dürfen. Weil das Verhandlungsmandat über Ceta bei der EU-Kommission liege, müsse deshalb die Bundesregierung, "die gesetzlich dazu verpflichtet ist, den Bundestag mit Informationen zu versorgen", im Interesse der Öffentlichkeit aktiver werden. Auch der Sachverständige Frank Schmidt-Hullmann von der Industriegewerkschaft Bau-Agrar-Umwelt bemängelte, das es kaum belastbare Textentwürfe gebe, die eine Bewertung des Verhandlungsstandes zulassen. "Es gibt keine konsolidierte Basis, die eine Meinungsbildung ermöglicht", monierte er mit Blick auf die Konsequenzen für die Arbeitnehmer und die Arbeits- sowie Sozialstandards.

Wesentlich optimistischer bewertete P. Michael Schmitz von der Justus-Liebig-Universität Gießen die Folgen eines Freihandelsabkommens mit Kanada: "Die Milchwirtschaft wird zusätzlich profitieren." Insgesamt ging er von einer positive Entwicklung für den europäischen Agrarmarkt aus. Doch rechnete er im Bereich der Rind- und Schweinefleischwirtschaft auch mit "Druck" auf die europäischen Produzenten.

"Dieser Druck entsteht aufgrund unterschiedlicher regulatorischer Kosten", erklärte Bernhard Krüsken vom Deutschen Bauernverband. So seien EU-Agrarunternehmen zum Beispiel schärferen Zulassungsverfahren, Umwelt- und Flächennutzungsrechten ausgesetzt als kanadische Unternehmen. Deshalb seien aus Sicht der Landwirtschaft sogenannte Tarifquoten wichtig, um ungleiche Marktpositionen auszugleichen.

Tobias Andres von der Ernährungsindustrie betrachtete das Handelsabkommen als eine Chance. "Der Export ist für uns unverzichtbar", sagte er, denn die Einkünfte aus Exporten würden bereits einen Anteil von rund 30 Prozent branchenweit ausmachen. Derzeit würden Lebensmittel in einem Volumen von nur 216 Millionen Euro mit Kanada gehandelt bei einem internationalen Gesamtvolumen von rund 40 Milliarden Euro. "Wir hoffen, den Marktanteil ausbauen zu können", sagte Andres.

Dass das Handelsabkommen negative Auswirkungen auf die Entwicklungs- und Schwellenländer haben werde, verneinte der Sachverständige Schmitz. "Es trifft Drittländer nicht, wenn die EU und Kanada stärkeren Handel treiben", sagte er. Seiner Ansicht nach würde der durch solche Handelsabkommen bestärkte Trend, Handelsschranken abzubauen, das Geschäftsklima insgesamt begünstigen, weil Zölle reduziert würden. "Eine Öffnung der Märkte ist für die Entwicklungsländer grandios."

Auf mögliche Folgen im Bereich der Lebensmittelstandards wies Scott Sinclair vom Canadian Centre for Policy Alternatives hin. So funktioniere die gegenseitige Anerkennung von Standards am besten, "wo beide Seiten annähernde Positionen vertreten". Doch im Bereich "Genfleisch" und "Hormonbehandlung" stünden sich die Standpunkte der Nordamerikaner und Europäer "radikal" gegenüber. Sinclair warnte, dass aus seiner Sicht die dafür vorgesehenen Regulierungsmechanismen einen Ausgleich nicht fördern würden. Zudem gab er zu bedenken, dass am Beispiel des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (Nafta) zwischen den USA, Mexiko und Kanada diverse Investitionsschutzklagen anhängig sind, die Kanada derzeit viele Millionen Dollar Prozesskosten aufbürden würden. Weil es in Zukunft immer mehr internationale Investoren geben werde, forderte Sinclair, das System der Schiedsgerichtsbarkeit und Entschädigungen zu überdenken. Sinclair sprach sich dafür aus, dass Unternehmen zuerst die regulären Rechtsmittel ausschöpfen müssen, wenn sie sich benachteiligt fühlen, bevor Entschädigungen durch ein Schiedsgerichtsverfahren erstritten werden können. Die EU, Kanada und Deutschland würden über ein weit entwickeltes Rechtssystem verfügen, das Investoren bereits ausreichend schützen würde. Als Negativbeispiel führte Sinclair an, dass in Kanada US-amerikanische Firmen über kanadische Tochterfirmen wiederum die USA im Rahmen des Nafta verklagt hätten, um auf diese Weise gegen Regulierungen vorzugehen.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 289 - 2. Juni 2014 - 19.00 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juni 2014