Schattenblick → INFOPOOL → PARLAMENT → FAKTEN


BUNDESTAG/5282: Heute im Bundestag Nr. 482 - 29.09.2015


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 482
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Dienstag, 29. September 2015, Redaktionsschluss: 10.44 Uhr

1. Experten-Disput um Öffnung der Ehe
2. Zwist um Glyphosat
3. 760 Millionen Euro für den Mittelstand
4. Doppelbesteuerungsabkommen mit Jersey
5. Abkommen mit Frankreich ergänzt
6. Fraktionen können auf mehr Geld hoffen
7. Abwanderung aus dem Osten gestoppt


1. Experten-Disput um Öffnung der Ehe

Recht und Verbraucherschutz/Anhörung

Berlin: (hib/SCR) Der Rechtsausschuss hat sich am Montagnachmittag mit der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare beschäftigt. Sieben Sachverständige nahmen dabei Stellung zu drei verschiedenen Gesetzentwürfen und einem Antrag. Im Wesentlichen ging es dabei um die verfassungsrechtliche Frage, ob eine Öffnung der Ehe einfachgesetzlich durch eine Erweiterung im Bürgerlichen Gesetzbuch möglich ist, so wie es der Gesetzentwurf (18/8) sowie ein Antrag der Fraktion Die Linke (18/5205) und ein Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen (18/5098) vorsehen, oder ob dafür eine Verfassungsänderung im Artikel 6 des Grundgesetzes notwendig ist. Die Diskussion dreht sich dabei sowohl um Auslegungsfragen als auch um die Interpretation von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Die Beantwortung eben jener Frage hat auch Auswirkungen auf das Verfahren: Für eine einfachgesetzliche Lösung bräuchte es eine einfache Mehrheit im Bundestag,für eine Verfassungsänderung jeweils eine Zweidrittel-Mehrheit im Bundesrat und Bundestag.

Sehr klar für die Notwendigkeit eine Verfassungsänderung sprach sich Jörg Benedict, Rechtswissenschaftler von der Universität Rostock, aus. Im Ehe-Begriff des Grundgesetzes sei die Verschiedengeschlechtlichkeit der Partner ein konstitutives Merkmal. Der von Befürwortern angeführte gesellschaftliche Wandel sie keine Rechtsquelle und führe nicht von sich aus zu einem Verfassungswandel.

In diese Richtung äußerte sich auch Jörn Ipsen, Rechtswissenschaftler von der Universität Osnabrück. Das Verständnis der Ehe sei auf eine Beziehung von Mann und Frau ausgelegt, eine Öffnung erfordere daher zwingend eine Änderung des Artikels 6 des Grundgesetzes. Der soziale Wandel mache diese nicht obsolet. Ohnehin sei die Verfassung sehr flexibel in derlei Hinsicht, werde sie doch fast jedes Jahr geändert, betonte Ipsen. Bedauerlich sei, dass die Verfassung es nicht zulasse, über diese Frage eine Volksabstimmung durchzuführen. Damit könnte der vermutete gesellschaftliche Wandel belegt werden. Katharina Jestaedt vom Katholischen Büro in Berlin des Kommissariats der Deutschen Bischöfe führte zudem an, dass auch das Bundesverfassungsgericht an diesem Ehe-Verständnis über Jahre festgehalten habe.

Die Gegenposition vertrat unter anderem Frauke Brosius-Gersdorf, Rechtswissenschaftlerin von der Leibniz Universität Hannover. Die historische Sichtweise, etwa die Vorstellungswelt des Parlamentarischen Rates, sei "irrelevant", der Gesetzgeber könne diesen Begriff ausgestalten, denn es handle sich um einen offenen Begriff. Zudem wies sie Argumente zurück, die auf eine Verknüpfung der Begriffe "Ehe" und "Familie" und einer angenommen Fortpflanzungsfunktion der Ehe verweisen. "Ehe" und "Familie" müssten in Artikel 6 des Grundgesetzes vielmehr entkoppelt gesehen werden. Und selbst wenn sie gekoppelt verstanden würden, so Brosius-Gersdorf, führe die in den vergangenen Jahrzehnte erfolgte Öffnung des Familienbegriffs, der auch gleichgeschlechtliche Paare umfasse, dazu, dass der Ehe-Begriff nicht auf verschiedengeschlechtliche Paare reduziert werden könne.

Friederike Wapler, Rechtswissenschaftlerin von Goethe-Universität Frankfurt am Main, argumentierte, dass der Ehe-Begriff jeher Wandlungen unterworfen gewesen sei. Konstitutiv sei die Annahme, dass es sich dabei um eine Verbindung in "wechselseitiger Solidarität" handle. Solidarität kenne aber kein Geschlecht, betonte Wapler.

Wolfgang Schwackenberg vom Deutschen Anwaltsverein unterstrich ebenfalls, dass die Ehe sich vor allem als "Beistands- und Verantwortungsgemeinschaft" konstituiere. Zudem hätten die Autoren des Grundgesetzes den entsprechenden Artikel nicht als "bewusste Entscheidung gegen eine bestimmte Lebensform" formuliert, so Schwackenberg. Manfred Bruns vom Lesben- und Schwulenverband in Deutschland merkte an, dass selbst wenn eine einfachgesetzliche Regelung schließlich vor dem Bundesverfassungsgericht landen würde, das Gericht diese wohl nicht verwerfen würde.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung (18/5901) war weniger Gegenstand der Diskussionen. Er sieht überwiegend redaktionelle Änderungen hinsichtlich der Gleichstellung von Lebenspartnerschaften und Ehe im Zivil- und Verfahrensrecht sowie dem sonstigen öffentlichen Recht vor. Bruns kritisierte, dass nicht sämtliche Vorschriften, in denen noch diskriminiert werde, bereinigt würden. Nach welchen Kriterien die Bundesregierung vorgegangen sei, sei nicht ersichtlich. Begrüßenswert sei im Entwurf der Bundesregierung die vorgesehene Änderung im Personenstandsgesetz, nach der gleichgeschlechtlichen Paaren ein Äquivalent zum Ehefähigkeitszeugnis ausgestellt werden soll, wenn sie planten, im Ausland eine verbindliche Partnerschaft oder Ehe einzugehen.

*

2. Zwist um Glyphosat

Ernährung und Landwirtschaft/Anhörung

Berlin: (hib/EIS) Die Einschätzungen zur gesundheitlichen Auswirkung des Wirkstoffes Glyphosat in Pflanzenschutzmitteln gehen unter Experten auseinander. Anlässlich des aktuellen Genehmigungsverfahrens für den Wirkstoff auf EU-Ebene hat sich der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft am Montagnachmittag in einer Anhörung mit den "Auswirkungen von Glyphosat auf die Gesundheit von Anwenderinnen und Anwendern und Verbraucherinnen und Verbrauchern sowie die Tiergesundheit sowie mögliche Konsequenzen im Hinblick auf die Zulassung als Pestizid-Wirkstoff" beschäftigt. Grundlage für eine Verlängerung der Anwendungsgenehmigung über Dezember 2015 hinaus ist die erneute wissenschaftliche Prüfung des Wirkstoffes Glyphosat in Unkrautbekämpfungsmitteln (Herbizide). Glyphosat ist nach Darstellung des Bundesinstitutes für Risikobewertung (BfR) weltweit einer der am meisten eingesetzten Wirkstoffe im Bereich des Pflanzenschutzes zur Verhinderung von unerwünschtem Pflanzenwuchs im Kulturpflanzenbau oder zur Beschleunigung des Reifeprozesses bei Getreide (Sikkation). In Deutschland werden pro Jahr rund 5.900 Tonnen Glyphosat in der Landwirtschaft und etwa 40 Tonnen im Haus- und Kleingartenbereich ausgebracht. Weltweit sei mit rund 650.000 Tonnen pro Jahr ein steigender Verbrauch zu erkennen.

Eine Analyse des BfR habe ergeben, dass "bei sachgemäßer Anwendung" der Wirkstoff nicht krebserregend sei. Doch Andreas Hensel, Präsident des BfR, schränkte ein, das müsse nicht für alle Beistoffe wie Netzmittel (Tallowamine) gelten, die mit dem Wirkstoff zusammen bei der Anwendung ausgebracht werden. Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, äußerte sein Vertrauen in die EU-Zulassungsverfahren, die im internationalen Vergleich von hohem Standard seien. Aus Sicht der Landwirte unterstrich er, dass Glyphosat in der Praxis eine Schlüsselrolle zufalle aufgrund des einfachen Wirkmechanismus und der Bedeutung bei der Anwendung des Pflanzenschutzmittels bei der bodenkonservierenden Bearbeitungsmethode, die unter anderem die Bodenfruchtbarkeit erhöhen soll. Zwar sei der Ersatz des Wirkstoffes durch andere möglich, würde aber einen Einsatz anderer "Wirkstoffcocktails" erforderlich machen, die in Bezug auf Resistenzbildung viel schwieriger zu handhaben seien.

Kritisch äußerte sich Karen Friedrich von der Fundação Oswaldo Cruz, Sergio Arouca National School of Public Health in Rio de Janeiro: "Glyphosat hat das Potenzial, Schaden zu verursachen." Studien an Zellkulturen und Labortieren hätten Schädigungen aufgezeigt. Auch bei Konsumenten von Lebensmitteln hätten Rückstände nachgewiesen werden können. "Glyphosat wird schnell ausgeschieden", was den Nachweis schwierig mache. Das heiße jedoch nicht, dass das keine toxikologische Wirkung zur Folge haben könne. Hingegen kein Verständnis über die "Aufregung" in der Diskussion über den Wirkstoff wollte Helmut Greim von der Technischen Universität München aufbringen. Zwar sei Glyphosat eine toxische Substanz, aber die Betrachtung der Anwendung und der Anwendungsbedingungen lasse nicht die Schlussfolgerung zu, dass die Anwender oder Verbraucher gefährdet seien. Greim sprach sich für die Verlängerung der Zulassung des Wirkstoffes aus, weil "kein Problem existiert".

Dieser Einschätzung widersprach Eberhard Greiser vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen. Greiser könne die Bewertung hinsichtlich der wahrscheinlich krebserregenden Wirkung des Stoffes nachvollziehen. Kritik äußerte er an der Stellungnahme des BfR, das nur Glyphosat singulär betrachtet habe, jedoch nicht in Zusammenwirkung mit den in den Pflanzenschutzmitteln enthaltenen übrigen Begleitstoffen bewerte. Kritisch äußerten sich auch die Sachverständigen Christopher J. Portier und Ivan Rusyn vom MD Texas A&M University College of Veterinary Medicine and Biomedical Sciences am methodischen Vorgehen des BfR zur toxikologischen Bewertung des Wirkstoffes. Portier stellte fest, dass Glyphosat "genotoxisch" sei, jedoch das BfR aufgrund der unterschiedlichen Bewertung einzelner Studien zu anderen Schlüssen komme. Auch Rusyn wollte einzelne Einschätzungen des BfR nicht teilen, weil das Bundesinstitut positive Tierversuche als nicht valide genug negiert habe.

*

3. 760 Millionen Euro für den Mittelstand

Wirtschaft und Energie/Gesetzentwurf

Berlin: (hib/HLE) Die Bundesregierung hat den Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2016 (18/6159) eingebracht. Mit dem ERP-Wirtschaftsplangesetz sollen 760,5 Millionen Euro bereitgestellt werden. Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft (insbesondere des Mittelstands) und Angehörige der freien Berufe könnten damit zinsgünstige Finanzierungen aus ERP-Programmen mit einem Volumen von insgesamt sechs Milliarden Euro erhalten. Wie die Bundesregierung erläutert, sollen die ERP-Finanzierungshilfen der Unterstützung von Unternehmensgründungen und -übernahmen, der Leistungssteigerung mittelständischer privater Unternehmen sowie der Förderung von Exporten der gewerblichen Wirtschaft dienen. Förderungsbeträge könnten auch für Energieeffizienzmaßnahmen eingesetzt werden.

4. Doppelbesteuerungsabkommen mit Jersey

Finanzen/Gesetzentwurf

Berlin: (hib/HLE) Die Bundesregierung und die Regierung der britischen Insel Jersey haben ein neues Doppelbesteuerungsabkommen geschlossen. Das Abkommen sei mit dem bisherigen Abkommen inhaltsgleich, heißt es in dem von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 7. Mai 2015 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Jersey über die Zusammenarbeit in Steuersachen und die Vermeidung der Doppelbesteuerung bei bestimmten Einkünften (18/6157). Das Abkommen enthalte Regelungen in Bezug auf Ruhegehälter und Renten, in Bezug auf verbundene Unternehmen sowie in Bezug auf Zahlungen an Studenten, Praktikanten oder Auszubildende. "Darüber hinaus gehende Regelungen sind aus deutscher Sicht aufgrund der beschränkten wirtschaftlichen Beziehungen zu Jersey nach wie vor nicht erforderlich", schreibt die Regierung.

*

5. Abkommen mit Frankreich ergänzt

Finanzen/Gesetzentwurf

Berlin: (hib/HLE) Das bestehende Doppelbesteuerungsabkommen mit Frankreich soll durch ein Zusatzabkommen geändert und ergänzt werden. Diesem Ziel dient der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zu dem Zusatzabkommen vom 31. Mai 2015 zum Abkommen vom 21. Juli 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der französischen Republik zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern (18/6158). Das Abkommen werde nicht nur an die gegenwärtigen wirtschaftlichen Beziehungen angepasst, sondern es werde auch ein Fiskalausgleich in Bezug auf die im Abkommen enthaltene Grenzgängerregelung eingeführt, heißt es im Gesetzentwurf. Auch die Rentenbesteuerung wird neu geregelt.

*

6. Fraktionen können auf mehr Geld hoffen

Bundestagsnachrichten/Unterrichtung

Berlin: (hib/STO) Die Bundestagsfraktionen können im kommenden Jahr auf eine leichte Anhebung der Geldleistungen aus dem Bundeshaushalt hoffen. Dies geht aus einem als Unterrichtung (18/6155) vorgelegten Vorschlag von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) im Benehmen mit dem Ältestenrat hervor. Danach würde der monatliche Grundbetrag für jede Fraktion ab dem Haushaltsjahr 2016 bei 393.676 Euro liegen und der monatliche Betrag für jedes Mitglied bei 8.218 Euro. Wird der Vorschlag umgesetzt, bedeutet dies eine Erhöhung der Geldleistungen um insgesamt 0,69 Prozent. Die für die laufende Legislaturperiode festgelegten Oppositionszuschläge blieben unverändert.

In der Unterrichtung wird darauf verwiesen, dass sich nach Feststellungen des Statistischen Bundesamtes im Juli 2015 gegenüber dem Vorjahresmonat eine durchschnittliche Preiserhöhung von 2,46 Prozent bei den Kosten für Bücher, Zeitungen und Zeitschriften sowie Verpflegungs-, Beherbergungs- und Verkehrsdienstleistungen ergeben habe. Diese Preiserhöhung müsste angesichts der Verwendung der Geldleistungen durch die Fraktionen zu 28 Prozent für ihre Sachausgaben zu einer Erhöhung der Geldleistungen um 0,69 Prozent für 2015 führen.

Wie es in der Unterrichtung weiter heißt, endet die Laufzeit der geltenden Entgeltregelungen des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst frühestens am 29. Februar kommenden Jahres. Zum jetzigen Zeitpunkt könne daher "insoweit eine Anpassung der Geldleistungen an die Fraktionen im Haushaltsjahr 2016 noch nicht vorgeschlagen werden".

Dem Vorschlag zufolge werden die Geldleistungen im Haushaltsjahr 2015 nicht angehoben. Damit leisteten die Fraktionen "einen Beitrag zu den Einsparungen im Bundeshaushalt". Der Bundestagspräsident ist nach dem Abgeordnetengesetz verpflichtet, dem Parlament einen Vorschlag zur Anpassung der Geldleistungen an die Fraktionen vorzulegen.

*

7. Abwanderung aus dem Osten gestoppt

Wirtschaft und Energie/Unterrichtung

Berlin: (hib/HLE) 25 Jahre nach der Herstellung der deutschen Einheit ist die Abwanderung aus den neuen Bundesländern und Berlin in die alten Länder weitgehend zum Erliegen gekommen. "Inzwischen sind die Wanderungsbewegungen von Ost nach West und umgekehrt nahezu ausgeglichen", heißt es in dem von der Bundesregierung als Unterrichtung vorgelegten Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit 2015 (18/6100). Im Jahr 2013 habe der Osten sogar einen Binnenwanderungsüberschuss von 1.150 Personen zu verzeichnen gehabt. Als Grund hierfür wird "die hohe Anziehungskraft von Berlin" angegeben. Allerdings hätten die Länder Brandenburg und Sachsen auch Bevölkerungsgewinne aus der Binnenwanderung. Vorausgesagt wird, dass Berlin, Potsdam, Dresden, Leipzig und Erfurt voraussichtlich auch künftig eine günstige Bevölkerungsentwicklung verzeichnen könnten. "Demgegenüber ist zu erwarten, dass die Schrumpfungs- und Alterungsprozesse in den nordöstlichen Regionen Ostdeutschlands sowie in Sachsen-Anhalt, der Lausitz und im Norden von Sachsen noch weiter an Dynamik gewinnen werden", heißt es in dem Bericht.

Die Bundesregierung schreibt ein Vierteljahrhundert nach der Einheit von einem beachtlichen Aufholwachstum in den neuen Ländern. "Das reale Bruttoinlandsprodukt, das den Gesamtwert aller Wirtschaftsleistungen nach Abzug der Preissteigerung misst, hat sich seit 1991 mehr als verdoppelt", heißt es in dem Bericht. Wettbewerbsfähige Unternehmen und Arbeitsplätze seien entstanden, die Verkehrsinfrastruktur sei grundlegend erneuert und ausgebaut worden, die Wohnsituation sei spürbar verbessert und der Verfall der Innenstädte gestoppt worden. Die Bundesregierung zieht ein positives Fazit: "Der Aufbau Ost, der Aufbau einer sozialen und ökologisch orientierten Marktwirtschaft in den ostdeutschen Ländern, ist insgesamt gelungen."

Allerdings wird auch eingeräumt, dass der Abstand in der durchschnittlichen Wirtschaftskraft zwischen den neuen und den alten Ländern auch heute noch groß sei. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner liege die Wirtschaftsleistung der neuen Länder bei rund 67 Prozent des Westniveaus. Auch bei der relativen Arbeitsproduktivität hätten die neuen Länder erst 71 Prozent des westdeutschen Niveaus erreicht. Die Gründe für den langsam verlaufenden Angleichungsprozess seien die geringere Exportquote der Unternehmen in den neuen Ländern, niedrigere Ausgaben für Forschung und Entwicklung sowie die Kleinteiligkeit der ostdeutschen Wirtschaft: "So verfügt Ostdeutschland über kein Unternehmen, dass im deutschen Börsenleitindex DAX-30 notiert ist", schriebt die Regierung. Gut entwickelt hat sich die Landwirtschaft. Ihr Wertschöpfungsanteil an der Gesamtwirtschaft habe 2014 mit 1.2 Prozent deutlich höher als in den westdeutschen Ländern gelegen.

Gewürdigt wird auch der Rückgang der Arbeitslosigkeit. Die Zahl der Arbeitslosen in Ostdeutschland habe im vergangenen Jahr bei 800.000 Personen und damit 18 Prozent niedriger als im Jahr 1991 gelegen. Insgesamt sei die Arbeitslosenquote mit 9,8 Prozent noch überdurchschnittlich hoch, auch wenn sich der Unterschied zur Situation in den alten Ländern verringert habe. Als eine "dynamische Wachstumsbranche" in Ostdeutschland wird der Tourismus mit mehr als 355.000 Erwerbstätigen bezeichnet. Besonders erfolgreich hätten sich die Reiseziele in Mecklenburg-Vorpommern etablieren können.

Zur finanziellen Lage der neuen Länder heißt es in dem Bericht, die Haushaltskonsolidierung sei weiter vorangekommen. Die ostdeutschen Flächenländer und ihre Gemeinden hätten zwischen 2010 und 2014 Haushaltsüberschüsse erzielen können. Im vergangenen Jahr habe der Überschuss 1,9 Milliarden Euro beziehungsweise 153 Euro je Einwohner betragen. Der Schuldenstand werde seit 2005 (Ausnahme: 2010) verringert. Zum Jahresende 2014 hätten die ostdeutschen Flächenländer und Gemeinden Schulden in Höhe von 76,8 Milliarden Euro gehabt. Das seien 6.146 Euro je Einwohner und damit weniger als in den alten Ländern (10.326 Euro je Einwohner). Da die durchschnittliche Steuerkraft pro Einwohner in den ostdeutschen Ländern auch ein Viertelahrhundert nach der Wiedervereinigung nur bei rund 57 Prozent des Bundesdurchschnitts liege, sei auch weiterhin ein leistungsfähiger Finanzausgleich erforderlich, damit alle Länder und Kommunen ihre Aufgaben erfüllen können, heißt es zur Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen nach 2019.

*

Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 482 - 29. September 2015 - 10.44 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
PuK 2 - Parlamentskorrespondenz
Platz der Republik 1, 11011 Berlin
Telefon: +49 30 227-35642, Telefax: +49 30 227-36191
E-Mail: mail@bundestag.de
Internet: www.bundestag.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Oktober 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang