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BUNDESTAG/6567: Heute im Bundestag Nr. 320 - 18.05.2017


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 320
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Donnerstag, 18. Mai 2017, Redaktionsschluss: 09.35 Uhr

1. Auflösung von Kinderehen zweischneidig
2. Disput um Strafschutz für Staatschefs
3. Firmen sollen Menschenrechte einhalten
4. Lebensmittelretter entkriminalisieren
5. Umbau der Gewerbesteuer gefordert


1. Auflösung von Kinderehen zweischneidig

Recht und Verbraucherschutz/Anhörung

Berlin: (hib/PST) Beim rechtlichen Vorgehen gegen die Verheiratung von Minderjährigen ist es kaum möglich, alles richtig zu machen. Das nahmen Abgeordnete und Zuhörer von einer öffentlichen Anhörung am Mittwoch im Rechtsausschuss mit nach Hause. Gegenstand war ein Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU und SPD "zur Bekämpfung von Kinderehen" (18/12086). Mit ihm soll das Ehemündigkeitsalter im deutschen Recht ausnahmslos auf 18 Jahre festgelegt werden. Die bisherige Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen schon mit 16 zu heiraten, wird abgeschafft. Vor Vollendung des 16. Lebensjahres geschlossene Ehen sollen mit Inkrafttreten des neuen Gesetzes unwirksam werden. Das soll auch für nach ausländischem Recht wirksam geschlossene Ehen gelten. Im Alter von 16 oder 17 Jahren geschlossene Ehen sollen nicht nur wie nach geltendem Recht aufgehoben werden können, sondern in der Regel aufgehoben werden müssen. Hier soll, im Gegensatz zur Nichtigkeitserklärung bei noch jüngerer Heirat, die Letztentscheidung bei einem Gericht liegen.

Dominik Bär vom Deutschen Institut für Menschenrechte schickte seiner Stellungnahme die Bemerkung voraus, dass sich seine Organisation für ein weltweites Mindest-Ehealter von 18 Jahren ausspreche. Gleichwohl kam er zu der Feststellung, dass der vorliegende Gesetzentwurf "nicht im Einklang mit der UN-Kinderrechts-Konvention" stehe. Denn diese verlange eine individuelle Prüfung in jedem Fall, ob die Auflösung tatsächlich dem Kindeswohl diene. Bei der pauschalen Nichtigkeitserklärung sei dies nicht möglich. Aber auch bei den mit 16 oder 17 geschlossenen Ehen sei die vorgesehene Härtefall-Klausel zu eng und damit der Entscheidungsspielraum für Gerichte zu stark beschränkt.

Brigitte Meyer-Wehage vom Deutschen Juristinnenbund wies darauf hin, dass in der Diskussion Kinderehen häufig mit Zwangsehen gleichgesetzt würde. Für letztere gebe es aber seit 2011 eine gesetzliche Regelung. Meyer-Wehe kritisierte neben einigen Aspekten des Gesetzentwurfs auch den Zeitpunkt seiner Einbringung. Denn beim Bundesgerichtshof sei ein Verfahren im Zusammenhang mit Minderjährigen-Ehen anhängig, dessen Ausgang besser abgewartet werden solle.

Vehement für die Nichtigkeitslösung sprach sich Monika Michell aus, die sich für die Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes um betroffene Mädchen kümmert. Da diese oft unter starkem Druck ihrer Familie stünden und nicht mit ihr brechen wollten, würden sie vor Gericht "mit aller Überzeugungskraft" beteuern, freiwillig geheiratet zu haben, auch wenn dies tatsächlich gegen ihren Willen geschehen sei. Michell plädierte dafür, Kinderehen generell als Indiz für Kindeswohlgefährdung zu werten und zu verbieten. Wenn die Mädchen wollten, könnten sie dann mit 18 erneut heiraten.

Ganz anders positionierte sich der Heidelberger Rechtsprofessor Thomas Pfeiffer. Die Lebenswirklichkeit sei "sehr vielgestaltig", weshalb es sich verbiete, "alle Verbindungen über einen Kamm zu scheren". Mit der Unwirksamkeit der unter 16 geschlossenen Ehen und der Auflösung der meisten unter 18 geschlossenen werde zudem "das Wohl der aus der Verbindung hervorgegangenen Kinder" missachtet. Pfeiffer verwies darauf, dass sich Deutschland mit der Genfer Flüchtlingskonention verpflichtet habe, alle in der Heimat geschlossenen Ehen anzuerkennen.

Gegen eine "Per-Se-Nichtigkeitserklärung" sprach sich auch Meike Riebau von der Kinderhilfsorganisation Save the Children aus. Diese sei unverhältnismäßig und verstoße gegen die Kinderrechts-Konvention. Auch für mit unter 16 Jahren Verheiratete sei ein "individualsiertes Aufhebungsverfahren" angebracht. Immerhin werde in Sorgerechts-Verfahren sogar dreijährigen Kindern eine Mitsprache eingeräumt.

Auch Wolfgang Schwackenberg vom Deutschen Anwaltverein wandte sich dagegen, "grundsätzlich 16-Jährigen abzusprechen, dass sie zu einer freien Entscheidung fähig sind". Auch mahnte er, Respekt vor anderen Rechtsordnungen zu wahren und nicht im Ausland gültig geschlossene Ehen pauschal zu annullieren. Schwackenberg warnte vor Problemen, die eine Nichtigkeitserklärung beim Erbrecht und der Versorgung der betroffenen Frauen, aber auch beispielsweise für die gemeinsamen Kinder mit sich bringen werde.

Das Vertrauen mancher anderer Sachverständiger in die sachgerechte Entscheidung von Familiengerichten vermochte die türkischstämmige, für den Kinderschutzbund Augsburg tätige Anwältin Nazan Simsek nicht zu teilen. Vor allem für zugewanderte Frauen und Mädchen sei es oftmals gar nicht möglich, bestehende Rechte in Deutschland wahrzunehmen, da ihnen dazu das sprachliche und kulturelle Verständnis fehle. Auf der anderen Seite seien die Voraussetzungen, "den Willen der Kinder zu erfassen, in den Familiengerichten wenig gegeben". "Nur diese Lösung bietet Schutz", sagte Simsek zu den Nichtigkeitserklärungen. "Diese Kinder gehören nicht ins Ehebett, sondern auf die Schulbank."

Der Heidelberger Rechtsprofessor Marc-Philipp Weller bewertete die Nichtigkeitslösung zwar als rechtlich zulässig, vertrat aber die Ansicht, dass deren Ziel durch eine Aufhebungs-Lösung ebenfalls zu erreichen sei. Die Rechte der Betroffenen ließen sich dadurch sogar besser wahren, da auf individuelle Besonderheiten eingegangen werden könne. Weller plädierte durchaus für eine "Soll-Lösung", in der die Auflösung der Ehe das Ziel ist, "aber mit Elastizität".

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2. Disput um Strafschutz für Staatschefs

Recht und Verbraucherschutz/Anhörung

Berlin: (hib/PST) Bundesregierung (18/11243), Bundesrat (18/10980), die Fraktionen Die Linke (18/8272) und Bündnis 90/Die Grünen (18/8123) haben jeweils Gesetzentwürfe zur Abschaffung der als "Majestätsbeleidigung" bekannt gewordenen Strafvorschrift eingebracht. Doch vor dem Rechtsausschuss zeigten Sachverständige am Mittwoch keine vergleichbare Einigkeit über die Sinnhaftigkeit dieses Schritts. Bei öffentlichen Anhörung zu den vier Gesetzentwürfen waren vielmehr zwei der vier Rechtsexperten dezidiert dafür, den Paragrafen 103 des Strafgesetzbuches - Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten - beizubehalten.

Der Göttinger Lehrstuhlinhaber für internationales Strafrecht Alexander Heinze wies die Ansicht zurück, ausländische Staatsoberhäupter könnten genauso gut nach den allgemeinen Beleidigungsparagrafen 185 und folgende ihr Recht einklagen. Bei deren Beleidigung gehe es nicht in erster Linie um ihre persönliche Ehre und schon gar nicht um Majestäten, sondern um den vom Oberhaupt repräsentierten Staat. Paragraf 103 solle auch um das Interesse der Bundesrepublik an guten Beziehungen zu anderen Staaten schützen. Würde er abgeschafft, entstünde die Situation, dass es für einen körperlicher Angriff auf ein Staatsoberhaupt, etwa eine Ohrfeige, eine besondere Strafnorm gibt, nicht aber für eine schwere Beleidigung.

Ähnlich argumentierte der Potsdamer Strafrechtsprofessor Wolfgang Mitsch. Er problematisierte zudem die Tatsache, dass alle vier Gesetzentwürfe einzig als Reaktion auf die Vorgänge um das Schmähgedicht des Satirikers Jan Böhmermann gegen den türkischen Staatschef Erdogan eingebracht wurden. Mitsch stellte die Frage in den Raum, ob ebenso vorgegangen worden wäre, wenn etwa ein Pegida-Redner sich ähnlich über Queen Elisabeth geäußert hätte. Ebenso wie Heinze plädierte Mitsch dafür, alle vier Gesetzentwürfe abzulehnen.

Der Potsdamer Völkerrechtler Andreas Zimmermann beschränkte sich in seiner Stellungnahme auf den völkerrechtlichen Aspekt. Er führte aus, dass weder im Völkerrecht noch im Völkergewohnheitsrecht etwas dagegen spreche, Paragraf 103 abzuschaffen. Das Völkerrecht denke in Kategorien des Schutzes der Ehre anderer Staaten, wobei das Strafrecht nicht im Vordergrund stehe. Daher gebe es keine Verpflichtung, den Sondertatbestand aufrechtzuerhalten.

Für den Deutschen Anwaltsverein erklärte Ali Norouzi, er begrüße grundsätzlich, wenn einmal eine Strafnorm abgeschafft statt eine neue eingeführt wird. Es sei fraglich, ob das Strafrecht geeignet sei, diplomatische Interessen der Bundesrepublik zu schützen. Norouzi gab zu bedenken, dass es in Staaten mit einem anderen Rechtsverständnis auch als Ehrverletzung empfunden werden könne, wenn ein Verfahren nach Paragraf 103 mit Freispruch endet oder eingestellt wird.

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3. Firmen sollen Menschenrechte einhalten

Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung/Antwort

Berlin: (hib/JOH) Die Fraktion Die Linke will Menschenrechtsverletzungen von Unternehmen verbindlich sanktionieren. Das fordert sie in einem Antrag (18/12366), den der Bundestag am Donnerstag, dem 18. Mai 2017, ohne Aussprache zur weiteren Beratung an die Ausschüsse überweisen will.

Die Bundesregierung solle den Treaty-Prozess des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen aktiv unterstützen und bei der nächsten Tagung der UN-Arbeitsgruppe vom 23. bis 27. Oktober 2017 "eine produktive Rolle zugunsten eines verbindlichen Vertragswerks" spielen, schreiben die Abgeordneten. Unter anderem sollten die Unterzeichnerstaaten zusagen, ansässige Unternehmen rechtlich auf die Einhaltung der Menschenrechte zu verpflichten. Dies solle Menschenrechtsverletzungen bei Geschäften im Ausland, entlang internationaler Lieferketten und von Tochterunternehmen in den Anwendungsbereich einschließen. Außerdem sollen die Unterzeichnerstaaten zusagen, Betroffenen auch im Heimatstaat des Unternehmens Klagerechte zu gewähren.

Der UN-Menschenrechtsrat befasst sich seit 2014 mit der Erstellung eines entsprechenden Menschenrechtsabkommens. Dieser so genannte UN-Treaty-Prozess soll den Opfern von Menschenrechtsverletzungen erstmals verbindlichen Schutz garantieren und die dafür verantwortlichen transnational agierenden Unternehmen in Haftung nehmen.

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4. Lebensmittelretter entkriminalisieren

Ernährung und Landwirtschaft/Antrag

Berlin: (hib/EIS) Die Fraktion Die Linke fordert in einem Antrag die Entkriminalisierung von sogenannten Lebensmittelrettern (18/12364). Die Abgeordneten stören sich daran, dass Menschen, die sich vom Handel entsorgte genießbare Lebensmittel aneignen, wegen Diebstahls und Hausfriedensbruchs angeklagt und zu hohen Geldstrafen verurteilt werden können. Weil jährlich 18 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen werden, obwohl ein Großteil davon noch genießbar sei, soll die Bundesregierung den Handel verpflichten, genießbare Waren, die aus dem Verkauf genommen wurden, kostenfrei an interessierte Personen oder gemeinnützige Einrichtungen weiterzureichen. Eine Zuwiderhandlung soll ordnungsrechtlich geahndet werden können. Die Aneignung entsorgter Lebensmittelabfälle soll darüber hinaus von der Strafverfolgung ausgenommen werden, indem Lebensmittelabfälle als herrenlose Sache definiert werden.

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5. Umbau der Gewerbesteuer gefordert

Finanzen/Antrag

Berlin: (hib/HLE) Die Fraktion Die Linke will die Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftsteuer weiterentwickeln. Dafür sollten mit Ausnahme der Land- und Forstwirtschaft alle selbständigen wirtschaftlichen Betätigungen in die Steuerpflicht einbezogen werden, heißt es in einem Antrag (18/12365). Auch die Bemessungsgrundlage soll im Vergleich zur heutigen Gewerbesteuer erweitert werden.

Zur Begründung heißt es, viele Kommunen würden unter chronischer Unterfinanzierung leiden und seien kaum in der Lage, eine bedarfsorientierte Erfüllung aller freiwilligen Aufgaben zu leisten und den kommunalen Investitionsstau abzubauen. Der Anstieg der sogenannten Kassenkredite der Kommunen von 1,4 Milliarden im Jahre 1992 auf mehr als 51 Milliarden Anfang 2015 zeige deutlich die zunehmende strukturelle Überforderung. Neben der Möglichkeit einer gezielten Förderung der wirtschaftlichen Betätigung der Kommunen durch den Abbau von Einschränkungen müsse daher die Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftsteuer weiterentwickelt werden.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 320 - 18. Mai 2017 - 09.35 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Mai 2017

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