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BUNDESTAG/6638: Heute im Bundestag Nr. 391 - 22.06.2017


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 391
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Donnerstag, 22. Juni 2017, Redaktionsschluss: 09.48 Uhr

1. Härtere Strafen für Einbrecher umstritten
2. Experten bedingt einig gegen Raser
3. Nachholbedarf bei digitaler Verwaltung


1. Härtere Strafen für Einbrecher umstritten

Recht und Verbraucherschutz/Anhörung

Berlin: (hib/PST) Die Absicht von Bundesregierung und Koalitionsfraktionen, Einbrüche in Privatwohnungen härter zu bestrafen, ist bei einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses auf ein geteiltes Echo gestoßen.

Die identischen Gesetzentwürfe von CDU/CSU- und SPD-Fraktion (18/12359) sowie der Bundesregierung (18/12729) sollen einen neuen Straftatbestand des Einbruchdiebstahls in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung schaffen. Die Mindeststrafe soll ein Jahr betragen, einen minder schwerer Fall soll es nicht mehr geben. Bisher sieht das Strafgesetzbuch eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vor, in minder schweren Fällen von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Durch die Erlaubnis einer rückwirkenden Funkzellenabfrage bei Einbrüchen in dauerhaft genutzte Privatwohnungen soll zudem die Fahndung nach Einbrecherbanden erleichtert werden.

Der Berliner Rechtsanwalt Stefan Conen sieht diesen Vorstoß "den Schlagzeilen geschuldet". Tatsächlich sei die Zahl der Wohnungseinbrüche seit Jahren rückläufig, eine Verschärfung daher nicht gerechtfertigt. Zumindest aber müsse der minderschwere Fall beibehalten werden. Conen nannte das Beispiel des hinausgeworfenen Bewohners einer Wohngemeinschaft, der mit einem Nachschlüssel eindringe und etwas mitnehme, von dem er glaubt, dass es ihm zusteht. In einem solchen Fall könne der Richter nach der Neuregelung nicht anders, als ihn zu einem Jahr Haft zu verurteilen.

Dagegen begrüßte Roswitha Müller-Piepenkötter, Bundesvorsitzende der Hilfsorganisation für Verbrechensopfer Weisser Ring, die Strafverschärfung. Ein Wohnungseinbruch sei mehr als ein Eigentumsdelikt. Durch das Eindringen in die Privatsphäre werde ein Grundrecht verletzt. Eine Belastung für die Opfer sei aber auch, neben der geringen Aufklärungsquote, die häufige und sehr schnelle Einstellung der Verfahren. Die sei nach der Neuregelung nicht mehr möglich.

Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Oliver Malchow, kam zu derselben Einschätzung. Derzeit hätten seine Kollegen das Gefühl, den Erwartungen der Opfer nicht gerecht werden zu können. Malchow begrüßte im übrigen die vorgesehene Möglichkeit, Handy-Verkehrsdaten auszulesen. Dies werde helfen, Serientäter zu erkennen.

Der Richter am Bundesgerichtshof, Ulrich Franke, wies darauf hin, dass der im Gesetzentwurf vorgesehene Strafrahmen immer noch mild sei im Vergleich beispielsweise zu Raubdelikten. Als problematisch bezeichnete Franke jedoch, wie auch eine Reihe anderer Sachverständiger, die Formulierung "dauerhaft genutzte Privatwohnung". Allerdings gab er sich zuversichtlich, dass die Rechtsprechung hier für eine genauere Definition sorgen werde.

Gerd Neubeck, Vorstand des von Bund und Ländern getragenen Deutschen Forums für Kriminalprävention, bezweifelte, dass der schärfere Strafrahmen Täter beeindruckt. "Sie kennen ihn in der Regel nicht, und er interessiert sie auch nicht, da sie nicht mit einer Festnahme rechnen." Allerdings erwarte er dadurch, dass die Neuregelung mehr Möglichkeiten in der Strafverfolgung eröffnet, eine höhere Aufklärungsquote, sagte Neubeck.

Was die Wirkung auf Einbrecher angeht, kam der Münchener Oberstaatsanwalt Thomas Weith zu einer anderen Einschätzung. Diese träfen sehr wohl eine Risiko-Nutzen-Analyse, meinte er. Auf Fragen, ob die neuen Möglichkeiten der Telekommuniskationsüberwachung von den Ermittlern überhaupt personell bewältigt werden könnten, antwortete Weith, man müsse ja nicht in jedem Fall auf sie zurückgreifen. Man habe dann aber die Möglichkeit, "in entscheidenden Verfahren alle erfolgversprechenden Maßnahmen einzusetzen".

Wenig bis nichts hält dagegen der ehemalige Kriminalbeamte Thomas Wüppesahl, der auch für die Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizistinnen sprach, von dem Gesetzentwurf. Professionell tätige Einbrecher hätten ein Entdeckungsrisiko von unter fünf Prozent, deshalb liefen die Maßnahmen ins Leere. Es sei "Tagträumerei, eine relevante Täterzahl abschrecken zu können".

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2. Experten bedingt einig gegen Raser

Recht und Verbraucherschutz/Anhörung

Berlin: (hib/PST) Die Absicht des Gesetzgebers, die Teilnahme an illegalen Autorennen von der Ordnungswidrigkeit zur Straftat heraufzustufen, hat bei einer öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss fast allgemeine Zustimmung gefunden. Inwieweit dies auch für andere Formen extremen Rasens gelten soll, darüber allerdings gingen die Meinungen auseinander.

Ein Gesetzentwurf des Bundesrates (18/10145) sieht vor, in Paragraf 315 des Strafgesetzbuches einen neuen Tatbestand für nicht genehmigte Rennen im Straßenverkehr einzuführen. Die Veranstaltung von oder Teilnahme an verbotenen Kraftfahrzeugrennen soll mit Geldstrafe oder bis zu zwei Jahren Haft sanktioniert werden. Bei schweren Personenschäden sollen bis zu zehn Jahre Haft verhängt werden können. Durch die Heraufstufung zur Straftat soll es zudem möglich werden, die Fahrzeuge der Beteiligten einzuziehen.

Gegenstand der Anhörung war zudem ein Antrag der Grünen (18/12558). Unter der Überschrift "Verkehrssicherheit erhöhen - Raserei und illegale Autorennen wirksam bekämpfen" fordern sie darin härtere Sanktionen im Strafgesetzbuch sowie im Straßenverkehrsgesetz. So soll die Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen durch zu schnelles Fahren grundsätzlich strafbar sein, nicht nur bei Autorennen und nicht nur "an unübersichtlichen Stellen, an Straßenkreuzungen, Straßeneinmündungen oder Bahnübergängen", wie es derzeit im Strafgesetzbuch heißt.

Ein Änderungsantrag, den die Koalitionsfraktionen in die Ausschussberatungen eingebracht haben, sieht ebenfalls, wenn auch eingeschränkter als im Antrag der Grünen, die Verfolgung extremer Einzelraser als Straftäter vor.

Der Kölner Kriminalhauptkommissar Rainer Fuchs, der seit zwei Jahren ein Projekt gegen illegale Autorennen leitet, wies darauf hin, dass trotz der Tätigkeit seines Teams immer noch ständig illegale Straßenrennen in der Innenstadt stattfänden. Oft seien es aber auch Einzelraser, die die Straßen unsicher machten. Die bisherigen Sanktionen seien unzureichend und hätten "keine abschreckende Wirkung", sagte Fuchs. Deshalb begrüße er die vorgesehenen Verschärfungen, nicht zuletzt die Möglichkeit, Fahrzeuge einzuziehen. "Nimmt man denen das Spielzeug weg, hört es auf", sagte Fuchs.

Ebenfalls für den Gesetzentwurf des Bundesrates, vor allem aber für den Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen sprach sich der Kölner Staatsanwalt Arne von Bötticher aus. Die Gefahr durch Raserei sei der durch Trunkenheitsfahrten vergleichbar, und die seien ebenfalls strafbar. Allerdings sei das Vorliegen eines Rennens meist nicht nachweisbar. Oft fänden sie nicht geplant statt, sondern entstünden spontan aus dem Verkehrsgeschehen heraus. In solchen Fällen könne eine Strafbarkeit auch von Einzelrasern als Auffangtatbestand herangezogen werden. Zudem seien die Einzelraser in der Mehrzahl gegenüber Rennteilnehmern.

Dagegen äußerte Ulrich Franke, Richter am Bundesgerichtshof, "erhebliche Bedenken" gegen die Regelung zu Einzelrasern im Änderungsantrag der Koalition. Die dort genannten Tatbestandsmerkmals "grob verkehrswidrig", "rücksichtslos" und "um eine besonders hohe Geschwindigkeit zu erzielen" seien "viel zu unbestimmt".

Auch die Bonner Kriminologin Scarlett Jansen trug "erhebliche Bedenken" gegen den Koalitionsantrag vor. Hingegen sei bei illegalen Rennen die Einstufung als "abstraktes Gefährdungsdelikt" gerechtfertigt. Denn bei diesen führe das "gegenseitige Hochschaukeln zu einer immer riskanteren Fahrweise". Angesichts dieses Bedrohungsgefahr sei es auch gerechtfertigt, dass der Strafrahmen höher als bei Trunkenheitsfahrten liegen soll.

Ganz anders fiel die Beurteilung durch den Regensburger Strafrechtler und Kriminologen Henning Ernst Müller aus. Abstrakte Gefährdungsdelikte seien im Strafrecht regelmäßig durch objektive Merkmale gekennzeichnet. Bei den Rennen habe man es mit subjektiven Merkmalen zu tun. Verteidiger würden daher bei Prozessen bestreiten, dass überhaupt ein Rennen stattgefunden hat. Objektiv sei dagegen das Rasen, wenn man die Kriterien konkreter fasse als im Antrag der Grünen und im Änderungsantrag der Koalition. Zudem würden hundert mal so viele Tote allgemein durch zu schnelles Fahren verursacht als duch Rennen.

Aus anderen Gründen wandte sich Gül Pinar vom Deutschen Anwaltverein gegen die Einstufung der Rennen als abstraktes Gefährdungsdelikt. Denn damit würden alltägliche Verhaltensweisen mit kriminalisiert, wie der Kavalierstart an der Ampel oder die Wette, welcher Weg am schnellsten zu einem bestimmten Ziel führt. Pinar äußerte Sympathie für den Entwurf der Grünen, der allerdings noch genauer gefasst werden müsse. Einzelraser seien am gefährlichsten. Oft verhielten sie sich auch wie in einem Rennen, da sie sich im Wettbewerb mit allen Verkehrsteilnehmern sähen.

"Volle Sympathie" für die Zielsetzung des Gesetzentwurfs wie auch der beiden Anträge drückte Markus Schäpe, Chefjurist des ADAC, aus. Angesichts des Geschehens auf den Straßen sei es "notwendig, dass der Gesetzgeber tätig wird". Dennoch sei der Änderungsantrag der Koalition "problematisch". Die unklare Definition, "wo Rasen beginnt", werde zu Problemen in der Rechtspraxis führen. Dagegen sei die Einstufung als Gefährdungsdelikt sei gerechtfertig, da "Raser mit Trunkenheitsfahrern vergleichbar" seien.

Der Würzburger Strafrechtler Frank Peter Schuster nahm zu der Frage Stellung, ob die jüngst in Berlin erfolgte Verurteilung des Teilnehmers eines tödlichen Rennens wegen Mordes die Neuregelung überflüssig macht. Schuster bezweifelte, dass dieses Urteil vor dem Bundesgerichtshof Bestand haben werde. Die Annahme, dass der Täter mit Vorsatz gehandelt habe, sei nicht haltbar. Schließlich habe er als Schnellster ans Ziel kommen und nicht einen Unfall verursachen wollen. Im übrigen kam Schuster zu der Ansicht, dass "Allein-Rasen etwas weniger sanktionswürdig" als die Teilnahme an Rennen sei, da hier die Ablenkung durch andere und die Gruppendynamik eines Renngeschehens fehle.

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3. Nachholbedarf bei digitaler Verwaltung

Ausschuss Digitale Agenda/Anhörung

Berlin: (hib/EB) Deutschland hat im Bereich der digitalen Dienstleistungen und Transparenz der Verwaltung großen Nachholbedarf. Das war die einhellige Meinung der Sachverständigen in einem Öffentlichen Fachgespräch des Ausschusses für Digitale Agenda. Sie empfahlen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft stärker einzubeziehen und Experimentierräume zu schaffen. Die Experten sprachen sich zudem in der Mehrheit für das sogenannte Once-Only-Prinzip aus, nach dem Behörden die einmal hinterlegten Nutzerdaten von Bürgern untereinander austauschen und für verschiedene Dienstleistungen verwenden können.

"Es ist fünf vor zwölf oder noch später", sagte der Vorsitzende des Nationalen Normenkontrollrates, Johannes Ludewig, und verwies auf die Platzierungen Deutschlands in internationalen Rankings. Das Onlinezugangsgesetz aus dem Jahr 2016 habe den rechtlichen Rahmen für die Digitalisierung der Verwaltung verbessert. Entscheidend sei nun, dass Bund und Länder im IT-Planungsrat vertrauensvoll zusammenarbeiten und ein ausreichendes Budget bereitstellen.

Die Verwaltungsmodernisierung in Deutschlands sei in den vergangenen Jahren rückläufig, betonte Ines Mergel (Universität Konstanz). Zudem würden nur 19 Prozent der Online-Angebote von den Bürgern genutzt. Anstelle von Gesetzen sollten künftig freiwillige E-Government-Prinzipien, wie etwa das Once-Only-Prinzip, den Digitalisierungsprozess leiten. Erfolgversprechend sei eine Digitalisierungsagentur, die außerhalb der bürokratischen Strukturen Ideen entwickelt und diese kurzfristig in die öffentliche Verwaltung einbringen können, sagte sie mit Verweis auf die USA, Dänemark und Estland.

Es gebe erfolgreiche E-Government-Ansätze in Ländern und Kommunen, nicht aber flächendeckend, sagte Matthias Kammer (Direktor des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet). Eine Voraussetzung für die gelingende Verwaltungsdigitalisierung seien politische Entscheidungsträger, die den Prozess steuern und verantworten. Während die Digitalisierung alle Lebensbereiche durchdringe, arbeite der Staat als geschlossenes System und nehme zu selten die Nutzerperspektive ein, kritisierte er.

Es geht um eine politische Frage, nicht um eine technische", argumentierte Walter Palmetshofer (OpenKnowledge Foundation Deutschland e.V.). Der moderne Staat funktioniere als digitale Plattform und zeichne sich durch Transparenz, Anwenderfreundlichkeit sowie Datenschutz aus. Um öffentliche Daten nutzen zu können und eine offene Verwaltungskultur zu etablieren, solle der Gesetzgeber ein einheitliches Transparenzgesetz schaffen, forderte er.

Das Vertrauen der Bürger könne nur durch höchste Transparenz in der Datenverwendung gewonnen werde, sagte auch Mario Martini von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. Der geplante Portalverbund von Bund, Ländern und Kommunen müsse durch eine stabile Verwaltungseinheit und Standards gestützt werden. Im Hinblick auf das sogenannte Once-Only-Prinzip betonte er, dass die Datenhoheit bei den Bürgern verbleiben müsse.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 391 - 22. Juni 2017 - 09.48 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juni 2017

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