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BUNDESTAG/7262: Heute im Bundestag Nr. 412 - 14.06.2018


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 412
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Donnerstag, 14. Juni 2018, Redaktionsschluss: 10.16 Uhr

1. Mitbestimmung in planetarischen Grenzen
2. Kontroverse über Vorratsdatenspeicherung
3. Bundesrat will Prospektrecht ändern


1. Mitbestimmung in planetarischen Grenzen

Parlamentarischer Beirat für nachhaltige Entwicklung/Ausschuss

Berlin: (hib/HAU) Vor dem Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung hat der Soziologe und Leiter des Instituts für transformative Nachhaltigkeitsforschung Potsdam (IASS), Professor Ortwin Renn, am Mittwochabend über "Aktuelle Herausforderungen der Nachhaltigkeitspolitik" gesprochen. Die Entwicklung der Welt sei gegenwärtig von drei großen Transformationswellen geprägt, sagte Renn vor den Abgeordneten. Dies seien die Globalisierung, die Digitalisierung und die Nachhaltigkeit. Die drei Prozesse würden parallel laufen und vereinten in sich auch Brüche und Widersprüche. Beleg dafür seien unter anderen die Gegenbewegungen bei der Globalisierung.

Mit Blick auf die Digitalisierung sei vor allem die soziale Nachhaltigkeit ein wichtiges Thema, sagte der Institutsleiter. Da wiederum sei die Frage der sozialen Gerechtigkeit bedeutsam. Zu verzeichnen sei aktuell eine ungleiche Verteilung der Ressourcen, die wiederum durch die Globalisierung verstärkt worden sei. Zwar sei insgesamt die Armut geringer geworden. "Die Diskrepanz zwischen sehr arm und sehr reich ist aber umso größer geworden", sagte Renn.

Nachhaltigkeitspolitik, so der Experte weiter, müsse betrachten, wie die wichtigen Politikfelder Energie, Ernährung, Arbeit, Konsum, Mobilität und andere "von den drei großen Wellen geformt werden". Es gelte, die bestehenden Widersprüche aufzugreifen und mit ihnen demokratisch und nachhaltig umzugehen. "Das ist auch die wesentliche Aufgabe des Parlamentarischen Beirates für nachhaltige Entwicklung", sagte Renn.

Der Leiter des IASS Potsdam ging entsprechend einer Nachfrage der Abgeordneten auf den Begriff der Postwachstumsgesellschaft ein. Die Wirtschaft lebe von Dynamik, sagte er. Es sei schwer, auf ein Null-Wachstum zu steuern. Im Übrigen sei auch ein Null-Wachstum nicht zwingend nachhaltig.

Bei den zukünftigen Berufsfeldern, so Renn in der Antwort zu einer weiteren Nachfrage, werde es enorme Veränderungen durch die Digitalisierung geben. Es gelte Perspektiven zu entwickeln, "damit nicht ganze Berufsgruppen abgehangen werden", forderte er. Auf der anderen Seite gebe es einen Riesenmangel im Bereich der sozialen Dienstleistungen, die auch künftig nicht von Robotern übernommen werden könnten. Diese Berufe müssten durch die Politik aufgewertet werden, verlangte der Soziologe. Zugleich sprach er sich vor dem Hintergrund der mit der Digitalisierung verbundenen erhöhten Wertschöpfung für ein gerechtes Steuersystem "mit einer Maschinensteuer oder auch anderem" aus, damit es zu einer gerechten Verteilung kommen könne.

Auf das Thema Mitbestimmung durch Bürgerbeteiligung eingehend, sagte Renn, man müsse vom "Stammtisch zum Runden Tisch" kommen. Die Menschen seien bereit, Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen. Sie wollten aber über tatsächlich relevante Themen mitbestimmen "und nicht darüber, ob an dem Windrad nun Efeu oder wilder Wein wächst". Komme man aber an "planetarische Grenzen", könnten die auch nicht durch einen demokratischen Beschluss überschritten werden. Dann sei Kommunikation gefragt "und im Notfall muss man mit Mehrheit auch mal etwas durchsetzen". Wichtig dabei sei aber, dass Politik und Wirtschaft ebenfalls bereit sind, sich an die planetarischen Grenzen zu halten, betonte Renn.

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2. Kontroverse über Vorratsdatenspeicherung

Recht und Verbraucherschutz/Anhörung

Berlin: (hib/mwo) Die von der FDP-Fraktion mit einem Gesetzentwurf angestrebte Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung war Gegenstand einer öffentlichen Sachverständigenanhörung am Mittwochnachmittag im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. Unter Leitung des Vorsitzenden Stephan Brandner (AfD) befragten die Abgeordneten neun Experten aus Praxis und Wissenschaft, die den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Bürgerrechte (19/204) unterschiedlich bewerteten. Zur Debatte stand daraus der Themenkomplex Vorratsdatenspeicherung.

In dem Entwurf heißt es, im Fall der Vorratsdatenspeicherung habe der Europäische Gerichtshof (EuGH) bereits unmissverständlich festgestellt, dass diese Maßnahme gegen die europäischen Grundrechte verstößt, und deutsche Gerichte folgten dieser Ansicht. Um die Rechtsprechung des EuGH umzusetzen, sollen daher die Regelungen zur anlasslosen Speicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten aufgehoben werden. Der Staat müsse seine Bürger zwar vor Bedrohungen durch Kriminalität und Terrorismus schützen, dürfe dabei aber nicht die Grenzen des Grundgesetzes überschreiten.

In der Anhörung sprachen sich die eingeladenen Richter und Staatsanwälte gegen die Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung aus. Dagegen begrüßten die Vertreterinnen des Deutschen Anwaltvereins und des Chaos Computer Clubs den Entwurf. Die anwesenden Rechtswissenschaftler vertraten unterschiedliche Ansichten. Klärung erhoffen sich die Experten von einem in diesem Jahr erwarteten Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Fragen der Abgeordneten drehten sich vor allem um mögliche Auswirkungen der EuGH-Rechtsprechung, Konsequenzen der einschlägigen deutschen Urteile und um Möglichkeiten, gespeicherte Daten zu missbrauchen.

Ferdinand Wollenschläger von der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg erklärte in seinem Statement, die im Gesetzentwurf vorgesehene Aufhebung der Verkehrsdatenspeicherung - wie die Vorratsdatenspeicherung auch genannt wird - sei weder verfassungs- noch europarechtlich geboten. Darüber hinaus sei es trotz der strengen EuGH-Rechtsprechung unionsrechtlich vertretbar, an der aktuellen Regelung im Telekommunikationsgesetz mit seinem Konzept einer restriktiven allgemeinen Verkehrsdatenspeicherung - unter Inkaufnahme eines Prozessrisikos - festzuhalten. Mark Cole von der Universität Luxemburg betonte dagegen, dass die mitgliedstaatliche Regelung einer Vorratsdatenspeicherung mit dem Europarecht in Einklang zu bringen sei. Die anlasslose und generelle Speicherung von Verkehrsdaten sei schon vom Ansatz her grundrechtlich problematisch. Cole sprach sich für die Abschaffung nationaler Vorratsdatenspeicherungsregelungen in der bisherigen Gestalt aus.

Heide Sandkuhl, Fachanwältin für Strafrecht, erklärte, eine Aufhebung der Regelungen sei dringend geboten. Nach der Rechtsprechung des EuGH stehe fest, dass die anlasslose Speicherung von Daten unionsrechtswidrig ist. Dass der Gesetzgeber dies jedoch bislang nicht zum Anlass genommen habe, die nationalen Regelungen über die Vorratsdatenspeicherung aufzuheben und es nach wie vor den Gerichten überlasse, mit dieser Rechtslage umzugehen, schaffe Rechtsunsicherheiten.

Jens Gnisa, Vorsitzender des Deutschen Richterbundes, sagte, zur Nutzung der Vorratsdatenspeicherung durch die Strafverfolgungsbehörden gebe es keine Alternative. Er habe keine Anhaltspunkte, dass die Bürger Angst vor dem Datenschutz hätten und sehe keine Vertrauenskrise. Die Bürger vertrauten weitgehend auf die Integrität der Daten und sähen in deren Speicherung auch einen Schutz vor Kriminalität. Gnisa nannte Fälle, in denen Ermittlern bei Kinderpornografie oder Volksverhetzung oft nur die IP-Adresse der Täter bleibe. Und wenn dann Ermittlungen nicht möglich seien, ergänzte die Berliner Oberstaatsanwältin Petra Leister, würden die Verfahren eingestellt. Als Folge des Gesetzes würden also schwere Straftaten unverfolgt bleiben.

Wie auch Gnisa warb Leister dafür, die EuGH-Rechtsprechung umzusetzen, ohne die deutschen Regeln auszusetzen. Dann müsse wenigstens eine teilweise Vorratsdatenspeicherung ermöglich werden, sagte Leister. Alfred Huber von der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg sagte, wer für die Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung plädiere, trage Verantwortung dafür, dass schwere Straftaten nicht aufgeklärt werden können. Für die Strafverfolgungsbehörden sei die Vorratsdatenspeicherung so etwas wie das Werkzeug für den Handwerker.

Der Richter am Bundesgerichtshof Marcus Köhler betonte wie die anderen Praktiker, dass die Erhebung und Verwertung von Verkehrsdaten für eine effektive rechtsstaatliche Verfolgung und Aufklärung schwerer Straftaten notwendig sei. Eine eklatante, offensichtliche Unvereinbarkeit der geltenden Regelungen über die Vorratsdatenspeicherung mit Verfassungs- oder Unionsrecht sei nicht ersichtlich. Eine Notwendigkeit für gesetzgeberisches Handeln bestehe derzeit nicht, sagte Köhler. Sein Kollege vom Oberlandesgericht Hamburg Marc Wenske erklärte, die Verkehrsdatenspeicherung sei heute als Instrument zeitgemäßer strafrechtlicher Ermittlungen nicht wegzudenken und stehe in ihrer kriminalistischen Bedeutung den Errungenschaften der Daktyloskopie gleich. Eine Alternative zur Speicherung von Verkehrsdaten über einen begrenzten Zeitraum durch private Anbieter sei derzeit nicht ersichtlich. Aus seiner Sicht hat der EuGH erkennbar weiterhin gesetzgeberischen Handlungsspielraum gesehen.

Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Clubs, betonte die Notwendigkeit eines sicheren Umgang mit persönlichen Daten angesichts der stetig weiter wachsenden Speicherhungers von Unternehmen und Behörden. Es seien immer mehr Menschen und Geräte betroffen. Die Gesamtüberwachungsrechnung müsse neu durchdacht werden. Sie freue sich, dass mit dem Gesetzentwurf der FDP eine Trendwende angegangen werde.

03. Bundesrat will Prospektrecht ändern
Finanzen/Unterrichtung

Berlin: (hib/HLE) Der Bundesrat verlangt Änderungen an dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Ausübung von Optionen der EU-Prospektverordnung und zur Anpassung weiterer Finanzmarktgesetze (19/2435). In der von der Bundesregierung als Unterrichtung (19/2700) vorgelegten Stellungnahme der Länderkammer heißt es, der Entwurf der Regierung sehe für Ausnahmen von der Prospektpflicht zwei Grenzen vor: Finanzinstitute dürften danach bei Emissionen bis fünf Millionen Euro auf die Herausgabe von Wertpapierprospekten verzichten, bei allen anderen Emittenten seien es acht Millionen Euro. Für die unterschiedlichen Grenzen seien keine Gründe erkennbar, argumentiert der Bundesrat, der außerdem einen Verzicht auf die von der Regierung in dem Entwurf vorgesehenen Anlageschwellen für nicht qualifizierte Anleger empfiehlt. Sie sollen bei den Klein-Emissionen je nach der Höhe ihres Vermögens und ihrer Einkünfte nur Beträge zwischen 1.000 und 10.000 Euro investieren dürfen. Damit wird nach Ansicht des Bundesrates die Entscheidungshoheit von Privatanlegern eingeschränkt und der Erwerb von bewährten Standardprodukten wie Inhaberschuldverschreibungen, deren Risiko für Privatanleger überschaubar und verständlich sei, würde limitiert.

Die Bundesregierung lehnt in ihrer Gegenäußerung die Forderungen des Bundesrates ab. Auch Kreditinstitute könnten Wertpapiere bis acht Millionen Euro prospektfrei emittieren; sie müssten dann aber ein Wertpapier-Informationsblatt erstellen und die Anlageschwellen für nicht qualifizierte Anleger beachten. Bei Angeboten bis fünf Millionen Euro entfalle diese Verpflichtung, da Kreditinstitute der Solvenzaufsicht nach dem Kreditwendengesetz unterliegen würden, wodurch dem Anlegerschutz Rechnung getragen werde. Die Vorschrift bezieht sich nach Angaben der Regierung auch auf Emissionen von Aktiengesellschaften, deren Aktien bereits zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind.

Den Wegfall der Anlageschwellen lehnt die Bundesregierung ebenfalls ab. "Entfällt der Prospekt als Informationsquelle und Haftungsdokument, erscheinen Einzelanlageschwellen als zusätzlicher Schutz für nicht qualifizierte Anleger sinnvoll", heißt es in der Gegenäußerung.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 412 - 14. Juni 2018 - 10.16 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juni 2018

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