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BUNDESTAG/8018: Heute im Bundestag Nr. 152 - 11.02.2019


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 152
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Montag, 11. Februar 2019, Redaktionsschluss: 17.05 Uhr

1. Klimaschutz als Staatsziel umstritten 2. Agrarexperten bewerten Digitalisierung unterschiedlich


1. Klimaschutz als Staatsziel umstritten

Inneres und Heimat/Anhörung

Berlin: (hib/HAU) Die Forderung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, mit einer Änderung des Grundgesetzes eine verfassungsrechtliche Stärkung des Klimaschutzes zu erreichen, trifft bei Experten auf ein unterschiedliches Echo. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Innenausschusses am Montag deutlich. Laut einem von den Grünen vorgelegten Gesetzentwurf (19/4522) soll in Artikel 20a des Grundgesetzes "konkretisierend und mit klarstellender Wirkung" eingefügt werden, "dass die internationalen Zielvorgaben und Verpflichtungen bei der Erfüllung der Schutzpflicht verbindlich sind". Zugleich soll "der bestehende Konsens zum Ausstieg aus der Atomenergie auf Ebene der Verfassung festgeschrieben" werden.

Während der Anhörung machten die Befürworter der Gesetzesinitiative geltend, dass damit ein Schutzniveau für den Klimaschutz geschaffen werden könne, an das sich der Gesetzgeber halten müsse. Die Kritiker wiesen hingegen darauf hin, dass schon jetzt das Grundgesetz in Artikel 20a durch das Staatsziel Umweltschutz den Gesetzgeber zum Klimaschutz verpflichte. Würde der Grünenvorschlag umgesetzt, käme dies einer Entparlamentarisierung nahe, hieß es.

Aus Sicht von Professor Christoph Degenhart von der Universität Leipzig wäre Letzteres "demokratiestaatlich problematisch". Der Gesetzgeber könne schon jetzt Maßnahmen für den Klimaschutz treffen, müsse diese aber im Verhältnis zu anderen Staatszielen wie etwa dem Sozialstaatsprinzip, das unter anderem sozialverträgliche Energiepreise als Ziel hat, abwägen. Degenhart forderte: "Komplexe energiepolitische Grundsatzentscheidungen sollten vom Gesetzgeber getroffen und nicht verfassungsrechtlich zementiert werden." Dies gelte auch für den Atomausstieg.

Professor Alexander Proelß von der Universität Hamburg sagte, das Unter-Zwei-Grad-Ziel des Pariser Klimavertrags sei ein globales Ziel und könne nicht national runtergebrochen werden. Es statuiere gerade keine einzelstaatlichen quantifizierten Emissionsreduktionspflichten, sondern lediglich eine allgemeine Temperaturzielvorgabe, hinsichtlich derer jede Vertragspartei die bestmöglichen Bemühungen unternehmen und geeignete Maßnahmen treffen muss, um dieses kollektive Ziel zu erreichen, sagte er.

Professor Johannes Saurer von der Universität Tübingen sah ebenfalls keinen verfassungspolitischen Handlungsbedarf. Die Instrumente für eine effektive Klimaschutzgesetzgebung stünden bereit, sagte Saurer. Von den vorgeschlagenen Erweiterungen des Artikel 20a rate er ab. Was die angedachte Untersagung der Stromerzeugung durch Kernenergie im Grundgesetz angeht, so sei dies zwar verfassungsrechtlich möglich, "verfassungspolitisch jedoch nicht empfehlenswert", sagte er.

Der Privatdozent Ulrich Vosgerau warnte davor, auch künftige internationale Klimaverträge mittels Grundgesetzänderung am Bundestag vorbei in deutsches Recht übernehmen zu wollen. Was das angedachte Atomkraftverbot angeht, so sei zum einen unklar, was die Autoren des Gesetzentwurfes unter Kernenergie verstünden. Zudem sei es "demokratietheoretisch bedenklich", wenn man die Debatte um die Nutzung der Kernkraft durch eine Grundgesetzänderung für alle Zeit beenden wolle, sagte Vosgerau.

Für die von den Grünen angeregte Änderung sprach sich Professor Wolfram Cremer von der Ruhr-Universität Bochum aus. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinen letzten Entscheidungen den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in Artikel 20a "nicht gerade hochgehängt". Der Klimaschutz führe auf Verfassungsebene ein stiefmütterliches Dasein, befand Cremer. Der Gesetzentwurf sei ein Versuch, "eine gewisse Parität herzustellen". Das bedeute, dass der Gesetzgeber verpflichtet werden könne, Maßnahmen zum Klimaschutz zu ergreifen. Es sei richtig, etwas mehr Verantwortung beim Bundestag zu platzieren, sagte Cremer.

Der Gesetzgeber mache von den vorhandenen Instrumenten für den gesetzlichen Klimaschutz nicht ausreichend Gebrauch, sagte die Anwältin Ursula Philipp-Gerlach. So gebe es zwar einen Klimaschutzplan, aber kein entsprechendes Gesetz auf das sich Betroffene vor Gericht berufen könnten. "Weil die Gestaltungsspielräume nicht genutzt worden sind, ist es doch erst zur Idee der grundgesetzlichen Verpflichtung gekommen", sagte sie. In einer "bedrohlichen Situation für künftige Generationen" müsse auch das Verfassungsrecht "neue Wege gehen", forderte Philipp-Gerlach.

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2. Agrarexperten bewerten Digitalisierung unterschiedlich

Ernährung und Landwirtschaft/Ausschuss

Berlin: (hib/EIS) Eine gemeinsame Vision von der Landwirtschaft der Zukunft teilen führende Agrarexperten derzeit nicht. Einig waren sich neun Sachverständige in einem Fachgespräch des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu den "Chancen und Risiken der Digitalisierung in der Landwirtschaft" am Montag nur darüber, dass die Auswirkungen beträchtlich sein werden. Ausschussvorsitzender Alois Gerig (CDU) äußerte die Hoffnung, dass die landwirtschaftlichen Betriebe vom digitalen Fortschritt profitieren, vorausgesetzt sie können sich diese Technologien auch leisten. Eine Chance sah der praktizierende Landwirt Gerig darin, dass durch die Digitalisierung für alle Arten der landwirtschaftlichen Produktion mehr Tierwohl, mehr Umweltschutz und noch mehr Lebensmittelsicherheit erreicht werden könne.

Marita Wiggerthale, Referentin bei Oxfam Deutschland e.V., kritisierte, dass in der Landwirtschaft derzeit die Vor- und Nachteile der Nutzung künstlicher Intelligenz kaum diskutiert würden. Es werde sich blind auf von Unternehmen bereitgestellte Technologien verlassen, die am Ende zu einem Verlust von Souveränität führen können. Wiggerthale argumentierte, dass den Nutzern von zur Verfügung gestellten Farmmanagementsystemen nur bestimmte Produkte vermittelt werden. Dadurch könnte die Bindung an wenige große Unternehmen noch enger werden. Ob die Digitalisierung die Landwirtschaft vor diesem Hintergrund nachhaltiger mache, sei nach derzeitiger Wissenslage nicht sicher. Eine Chance sah Sonoko Bellingrath-Kimura vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e.V. darin, dass durch die Digitalisierung neue Wertschöpfungsketten und neue Anbausysteme etabliert und miteinander verbunden werden könnten. Erzeugte landwirtschaftliche Produkte könnten nachvollziehbarer an Umweltmaßnahmen gekoppelt und entsprechend honoriert werden.

Für eine unvoreingenommene Herangehensweise an die neuen Technologien plädierte Reiner Brunsch vom Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie e.V. (ATB). Bereits in naher Zukunft könnten Algorithmen bessere Handlungsempfehlungen als erfahrene Landwirte erstellen. Eine Gefahr sieht Brunsch im dadurch drohenden Wissensverlust, denn digitalisiertes Wissen sei dadurch nicht mehr personengebunden und könne beliebig kopiert und monopolisiert werden. Eine entscheidende Frage stelle sich deshalb nach dem Eigentum des Wissens. Wenn dieses der Menschheit gehöre, dann sei es als Gemeingut zu betrachten und müsse als solches geschützt werden. Auch aus der Perspektive der Imker war für Walter Haefeker vom Deutschen Berufs- und Erwerbsimkerbund e.V. (DBIB) wichtig zu betonen, dass mit öffentlichen Mitteln geförderte Forschungsergebnisse auch der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden müssen.

Aus Sicht des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. (VDMA) führte Hermann Buitkamp aus, dass die digitale Vernetzung von mobilen und stationären Maschinen in landwirtschaftlichen Betrieben flächendeckend ausgebaute, durchgehend zugängliche und leistungsfähige Mobilfunknetze voraussetze. Nicht weniger von Bedeutung sei die kostenlose Bereitstellung von digitalen Planungsdaten durch Vermessungsämter, Einwohner- und Gewerbeämter, die Bundesnetzagentur und die Netzbetreiber. Außerdem müsse die Förderung von Aufbau und Betrieb flächendeckender 5G-Funknetze im gesamten ländlichen Raum und allen landwirtschaftlichen Gebieten gewährleistet werden. Neben kostenlosem Roaming zwischen nationalen, regionalen und lokalen Mobilfunknetzbetreibern müsse zudem der sichere Datenaustausch möglich sein.

Dass die Einführung digitaler Verfahren an der unzureichenden Infrastruktur leide, kritisierte auch Hubertus Paetow, Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft e. V. (DLG). Es würde an entsprechenden Plattformen fehlen, um die Daten konsistent speichern und auswerten zu können. Außerdem hinke die Ausbildung des Fachpersonals hinterher, denn selbst die Ausbildung junger Landwirte sei in dieser Hinsicht nicht auf dem aktuellsten Stand. Dass sämtliche Äcker und Wiesen in ganz Deutschland innerhalb von zwei bis drei Tagen durch Satelliten erfasst und anschließend ausgewertet werden können, erklärte Hansjörg Dittus, Mitglied des Vorstandes des Zentrums für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR). Solche Daten zur Verfügung zu stellen sei mittlerweile leichter als diese anschließend zu nutzen. Dittus bot an, den Aufbau einer "Agrarmasterplattform" durch das DLR zu unterstützen, denn die vielen zur Verfügung stehenden Daten müssten miteinander verknüpft und die Produktionssysteme vernetzt werden.

Mehr Vertrauen bei den Verbrauchern durch Transparenz zu schaffen, erhoffte sich Engel Friederike Hessel, Digitalisierungsbeauftragte des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Sie sah die Chance, dass Produktionsprozesse effizienter, ressourcenschonender und tiergerechter gestaltet werden können. In der Zukunft gelte es eine Fülle von Umweltdaten zu verarbeiten, um die Pflanzenproduktion und die Nutztierhaltung gezielt zu steuern. Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes e.V. (DBV), warb dafür, die derzeitige Praxis der Antrags- und Prüfverfahren durch digitale Systeme zu ersetzen. Darüber hinaus forderte er eine bessere Breitbandversorgung auf dem Land, um allen Landwirten die Möglichkeiten der neuen Technologien zu eröffnen. Ebenso wichtig sei es, dass Geo-, Wetter- und Satellitendaten allen zur Verfügung gestellt werden.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 152 - 11. Februar 2019 - 17.05 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Februar 2019

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