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BUNDESTAG/9137: Heute im Bundestag Nr. 1284 - 15.11.2019


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 1284
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Freitag, 15. November 2019, Redaktionsschluss: 09.59 Uhr

1. Zeugin berichtet über redseligen Amri
2. LKA-Beamter erhebt schwere Vorwürfe
3. Mitarbeiterbeteiligung bei Start-ups
4. Umsatzsteuerkontrolle ist Ländersache
5. Bundesrat mit Umsetzung unzufrieden
6. Bundesrat fordert Kostendarstellung


1. Zeugin berichtet über redseligen Amri

1. Untersuchungsausschuss/Ausschuss

Berlin:(hib/WID) Der spätere Breitscheidplatz-Attentäter Anis Amri hat durch die Offenherzigkeit, mit der im Kreis Gleichgesinnter über Terrorabsichten redete, auch die mit ihm befassten Ermittler überrascht. Dies berichtete eine Oberkommissarin aus dem nordrhein-westfälischen Landeskriminalamt am Donnerstag dem 1. Untersuchungsausschuss ("Breitscheidplatz"). Die heute 39-jährige Zeugin S. war seit Juli 2015 in dem für radikal-islamischen Terrorismus zuständigen Dezernat 21 tätig und dort als Sachbearbeiterin mit Ermittlungen gegen eine Gruppe von Islamisten um den Hildesheimer Prediger Abu Walaa befasst, in der auch Amri verkehrte.

Den ersten Hinweis auf die Person des späteren Attentäters habe sie am 15. November 2015 erhalten, als ein Informant, den das LKA in der Gruppe um Abu Walaa platziert hatte, über das Auftauchen eines gewissen "Anis" berichtet habe, sagte die Zeugin. In den folgenden Tagen seien die Mitteilungen des V-Mannes über Anis "konkreter" geworden, und das Interesse der Ermittler an ihm sei zusehends gewachsen.

Ende November berichtete der Informant, Amri habe im Kreis seiner Gesinnungsgenossen geprahlt, er könne jederzeit Kalaschnikow-Schnellfeuergewehre beschaffen, um in Deutschland einen Anschlag zu verüben. Diese Äußerung sei "schon sehr prägnant" gewesen, meinte die Zeugin: "Bei anderen in der Szene ist es nicht üblich, dass sie so offen über Anschlagspläne sprechen."

Warum damals nicht schon ein eigenes Ermittlungsverfahren gegen Amri eingeleitet wurde, könne sie freilich nicht beurteilen. Dies habe sie nicht zu entscheiden gehabt. Dass Amri, der bis zum Frühjahr 2016 regelmäßig im Reisebüro des zum Kreis um Abu Walaa zählenden Duisburger Islamisten Hassan Celenk verkehrte, "radikal salafistisch eingestellt" war, sei allerdings frühzeitig deutlich gewesen, sagte die Zeugin.

Sogar Celenk, der sich selbst als theologische Autorität betrachtete und einen Schülerkreis um sich geschart hatte, habe ihn schließlich "zu radikal" gefunden und ihm den weiteren Besuch seines Duisburger Reisebüros untersagt. Persönliche Animositäten seien dabei freilich auch im Spiel gewesen. Celenk habe sich daran gestört, dass Amri während seiner Koran-Lektionen mit Kopfhörern herumlümmelte. Es habe auch einen Streit um Benzinkosten gegeben, in dem Amri ausfällig geworden sei.

In Amris abgehörten Telefonaten sei von Anschlagsplänen keine Rede gewesen, berichtete die Zeugin weiter. In der Regel habe sich Amri mit seinen Gesprächspartnern über seine Reiseabsichten ausgetauscht und Verabredungen mit Freunden und Bekannten getroffen. Gelegentlich habe er zudem erwähnt, ihm fehle eine Frau.

Für das Düsseldorfer Landeskriminalamt wertete die Oberkommissarin S. auch die Daten aus, die sich auf einem von der Berliner Polizei beschlagnahmten Mobiltelefon Amri gefunden hatten. Amri hatte es Anfang Dezember 2015 in einer Emmericher Flüchtlingsunterkunft gestohlen. Bei einer Kontrolle auf dem Berliner Busbahnhof wurde es am 18. Februar 2016 sichergestellt.

Gemessen an der bekannt radikalen Gesinnung des Besitzers habe der Datensatz "keine großen Besonderheiten" aufgewiesen, sagte die Zeugin. Sie hatte freilich einige Fotos übersehen, auf denen Amri mit Waffen posierte. Diese wurden erst im Februar 2017 bei einer erneuten Auswertung durch das Bundeskriminalamt entdeckt. Die Zeugin erklärte dazu, das BKA habe eine Version der Auswertungssoftware benutzt, die ihr noch nicht zur Verfügung gestanden habe.

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2. LKA-Beamter erhebt schwere Vorwürfe

1. Untersuchungsausschuss/Ausschuss

Berlin: (hib/WID) Vor dem 1. Untersuchungsausschuss ("Breitscheidplatz") hat ein leitender Beamter des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamts dem Bundeskriminalamt vorgeworfen, die Ermittlungen seiner Behörde gegen den späteren Attentäter Anis Amri faktisch sabotiert zu haben. Dies sei "auf Anweisung von ganz oben" geschehen, sagte Kriminalhauptkommissar M. am Donnerstag. Nach seinen Worten war auch das Berliner Landeskriminalamt an der Verfolgung Amris nicht wirklich interessiert. Der heute 59-jährige Zeuge hatte am 9. Juli 2015 die Leitung der Ermittlungskommission (EK) "Ventum" übernommen, die sich gegen den sogenannten Deutschen Islamkreis (DIK) um den Hildesheimer Hassprediger Abu Walaa richtete.

Das Düsseldorfer LKA verfügte in dieser Gruppe über einen Informanten, den sie unter der Deckbezeichnung "VP01" führte, und dessen "Zuverlässigkeit" und "Vertrauenswürdigkeit" der Zeuge in den höchsten Tönen würdigte. VP01 sei damals bereits seit 15 Jahren für das Düsseldorfer LKA in der radikalislamischen Szene unterwegs gewesen und habe bei deren Aufklärung "herausragende Ergebnisse" geliefert. In der Gruppe um Abu Walaa habe der Informant Zutritt zum "inneren Zirkel" gefunden. VP01 habe auch frühzeitig gemeldet, dass Amri Mitte November 2015 im DIK auftauchte.

Im Sommer 2015 habe der V-Mann über Pläne berichtet, Anschläge auf Polizeibeamte, öffentliche Einrichtungen und Veranstaltungen zu verüben. Mitte November meldete er, dass in der Gruppe die Rede von einem "kleinen" und einem "großen Wumms" sei. Mit dem "kleinen Wumms" seien Attentate auf einzelne Polizeibeamte gemeint gewesen, mit dem "großen Wumms" ein "strategischer" Anschlag im Namen des Islamischen Staates (IS) in Deutschland. Ende November habe VP01 über die Absicht Amris berichtet, Schnellfeuergewehre für ein Attentat zu beschaffen.

Der Zeuge berichtete weiter, er habe am 17. November 2015 im Gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrum (GTAZ) der deutschen Sicherheitsbehörden die Erkenntnisse über den "großen" und "kleinen Wumms" vorgetragen und zugleich das BKA gebeten, die Ermittlungen zu übernehmen, um seine Behörde zu entlasten. Diese Bitte sei abgelehnt worden.

Am 19. Februar 2016 habe er im GTAZ ein weiteres Mal ersucht, das Bundeskriminalamt möge das Verfahren an sich ziehen, sich aber erneut eine Abfuhr geholt. Stattdessen sei damals bereits seit geraumer Zeit die Glaubwürdigkeit der VP01 aus dem BKA massiv in Zweifel gezogen worden.

Am 23. Februar sei es darüber in einer Besprechung beim Generalbundesanwalt zu einer "konfrontativen" und "hitzigen" Aussprache gekommen. Hier hätten die Vertreter des BKA daran festgehalten, der VP01 die Glaubwürdigkeit abzusprechen. Das "Totschlagargument" habe gelautet: "Das hat es in der Geschichte noch nie gegeben, dass eine VP zu drei Anschlagsszenarien belastbare Angaben gemacht hat." Nach der Besprechung sei einer der BKA-Kollegen auf ihn zugekommen und habe ihm unter vier Augen anvertraut, er handele "auf Anweisung von ganz oben".

Auf Nachfrage habe er auf den Leiter des Polizeilichen Staatsschutzes Kriminaldirektor Sven Kurenbach und das Innenministeriums verwiesen. Beschlossen sei, das "Problem" in NRW zu "beseitigen". Die VP01 müsse "aus dem Spiel genommen werden, die macht zu viel Arbeit, die soll kaputtgeschrieben werden". Er könne sich das nur so erklären, dass sich die Sicherheitsbehörden durch die Fülle der gelieferten Erkenntnisse überfordert gefühlt hätten, sagte der Zeuge.

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3. Mitarbeiterbeteiligung bei Start-ups

Finanzen/Antrag

Berlin: (hib/HLE) Die Rahmenbedingungen für Mitarbeiterbeteiligungsmodelle sollen unter anderem durch eine Anhebung des steuerlichen Freibetrags verbessert werden. So solle der steuerliche Freibetrag beim Erhalt von Mitarbeiterbeteiligungen in jungen, innovativen Unternehmen auf 5.000 Euro erhöht werden, fordert die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in einem Antrag (19/15118). Der steuerliche Freibetrag beim Erhalt von Mitarbeiterbeteiligungen in sonstigen Unternehmen soll ebenfalls spürbar erhöht werden. Zugleich soll mit der Gewährung der Steuerbefreiung eine Mindesthaltefrist von fünf Jahren verbunden werden.

Nach Ansicht der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen kann eine Mitarbeiterkapitalbeteiligung zur Gewinnung neuer Mitarbeiter beitragen, die Position der Beschäftigten in den Unternehmen stärken und Mitarbeiter bei einem Verkauf von Unternehmen am finanziellen Erfolg teilhaben lassen. Derzeit seien die Rahmenbedingungen für Mitarbeiterbeteiligungen in Deutschland im Vergleich mit den USA und innerhalb Europas besonders schlecht, stellen die Abgeordneten unter Berufung auf Untersuchungen fest. Während in deutschen Start-ups in der fortgeschrittenen Wachstumsphase Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lediglich zehn Prozent des Unternehmens gehören würden, seien es in den USA mit 20 Prozent doppelt so viele.

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4. Umsatzsteuerkontrolle ist Ländersache

Finanzen/Antwort

Berlin: (hib/HLE) Für die Erhebung und Kontrolle der Umsatzsteuer sind die Länder zuständig. Darauf weist die Bundesregierung in ihrer Antwort (19/13782) auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion (19/13300) hin, die sich nach Einnahmeausfällen durch die nicht erfolgte nachträgliche Korrektur des Vorsteuerabzugs erkundigt hatte. Der Bundesregierung liegen keine Informationen dazu vor, wie oft Kontrollmitteilungen nach einer Änderung der Bemessungsgrundlage an die jeweils zuständigen Finanzämter des Vorsteuerabzugsberechtigten versendet worden seien, heißt es in der Antwort weiter.

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5. Bundesrat mit Umsetzung unzufrieden

Finanzen/Unterrichtung

Berlin: (hib/HLE) Unzufrieden mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Beteiligung des Bundes an den Integrationskosten der Länder und Kommunen in den Jahren 2020 und 2021 (19/14246) zeigt sich der Bundesrat. In einer von der Bundesregierung als Unterrichtung (19/15084) vorgelegten Stellungnahme zu dem Gesetz wird kritisiert, dass die Bund-Länder-Vereinbarung bislang nicht vollumfänglich umgesetzt worden sei. Der Bundesrat geht davon aus, dass die noch ausstehende rechtliche Umsetzung im Laufe des weiteren parlamentarischen Verfahrens nachgeholt werde. Die Bundesregierung kündigt in ihrer Gegenäußerung Änderungen an dem Gesetzentwurf im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens an und nimmt dazu umfangreich Stellung.

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6. Bundesrat fordert Kostendarstellung

Finanzen/Unterrichtung

Berlin: (hib/HLE) Der Bundesrat hat in einer als Unterrichtung durch die Bundesregierung (19/15117) vorgelegten Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen (19/14685) Angaben zum Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft verlangt. Man teile die Einschätzung des Nationalen Normenkontrollrates (NKR), dass die in dem Gesetzentwurf festgelegten Mitteilungspflichten insbesondere auf Seiten der Wirtschaft voraussichtlich hohen Erfüllungsaufwand verursachen würden. Es sei nicht nachvollziehbar, dass der Gesetzentwurf keine umfassende und belastbare Darstellung und Quantifizierung des zu erwartenden Erfüllungsaufwands enthalte. Die Bundesregierung sichert in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates zu, die Berechnung des Erfüllungsaufwands der Wirtschaft und der Länder dem Bundesrat schnellstmöglich zur Verfügung zu stellen.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 1284 - 15. November 2019 - 09.59 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
Parlamentsnachrichten, PuK 2
Platz der Republik 1, 11011 Berlin
Telefon: +49 30 227-35642, Telefax: +49 30 227-36191
E-Mail: mail@bundestag.de
Internet: www.bundestag.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. November 2019

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