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BUNDESTAG/9815: Heute im Bundestag Nr. 508 - 15.05.2020


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 508
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Freitag, 15. Mai 2020, Redaktionsschluss: 10.25 Uhr

1. Zeuge schildert Amris Werdegang
2. Entschädigungssumme nicht beziffert
3. AfD fordert Stopp der Regressverfahren
4. Grüne für patientengerechte Digitalisierung
5. Grüne für Kulturwandel in der Geburtshilfe


1. Zeuge schildert Amris Werdegang

1. Untersuchungsausschuss/Ausschuss

Berlin: (hib/WID) Der Breitscheidplatz-Attentäter Anis Amri hat sich erst nach langem Zögern entschlossen, einen Anschlag in Deutschland zu verüben, nachdem sein Versuch gescheitert war, das Land zu verlassen. Diese These vertrat ein Beamter des Bundeskriminalamts (BKA) am Donnerstag vor dem 1. Untersuchungsausschuss. Der Erste Kriminalhauptkommissar A.M. war in den Wochen nach dem Anschlag im Bereich "Zentrale Auswertung" der in den Ermittlungen federführenden Besonderen Aufbauorganisation (BAO) "City" damit beschäftigt, alle verfügbaren Informationen über Amri zusammenzutragen. Am 6. März 2017 legte er einen ersten umfassenden Bericht über dessen Werdegang während seines Deutschland-Aufenthalts vor.

Nach seiner Darstellung gab Amri im Zeitraum zwischen Dezember 2015 und Februar 2016 "unspezifische Überlegungen" zu erkennen, einen Anschlag zu begehen, allerdings damals noch "begleitet von Ausreiseabsichten". Er habe einen Eindruck von Unsicherheit und Wankelmut vermittelt, zugleich freilich sei seine Gefährlichkeit durchaus erkennbar gewesen. Erst nachdem er Ende Juli 2016 an der Grenze zur Schweiz bei dem Versuch gestoppt worden war, Deutschland zu verlassen, habe der "Wille zum Anschlag" endgültig überwogen und sich im Herbst zunehmend konkretisiert und verfestigt.

Erst seit Anfang 2018 ist den deutschen Behörden bekannt, dass Amri das Attentat offenbar zunächst gemeinsam mit dem französischen Konvertiten Clément Baur verüben wollte. Diesen hatte er Anfang 2016 kennengelernt und war ihm im Frühherbst in Berlin wiederbegegnet. In der Wohnung des gemeinsamen Bekannten Magomet Ali Chamagow in Berlin-Buch horteten sie Sprengstoff und planten eine Explosion im Berliner Gesundbunnen-Center. Als am 26. Oktober 2016 die Polizei bei Chamagow vor der Tür stand, packte Baur die Panik. Am 30. Oktober setzte er sich nach Frankreich ab, nachdem er am Vortag ein letztes Mal mit Amri zusammengekommen war. Am 18. April 2017 nahm die französische Polizei Baur in Marseille fest. In seinem Besitz waren drei Kilo Sprengstoff und mehrere Schusswaffen.

Nach Baurs Abreise aus Berlin hätten sich "zwei Anschlagsstränge weiterentwickelt", sagte der Zeuge: "Der eine endete am Breitscheidplatz, der andere wurde unterbrochen von den französischen Ermittlern." Einen oder zwei Tage nach Baurs Abreise leistete Amri den Treueid auf den Islamischen Staat (IS). Spätestens seit dem 10. November stand er in Verbindung mit seinem IS-Mentor Mouadh Tounsi alias "Momo1". Seit dem 28. November klapperte er täglich das Berliner Krause-Ufer ab, um unter den dort abgestellten Lastwagen nach einem für die Tat geeigneten Fahrzeug zu suchen.

Der Zeuge vertrat die These, dass sich Amri erst am Abend des 19. Dezember 2016 spontan entschlossen habe, die Tat zu begehen, als er zufällig den passenden Lastwagen fand. Er betonte auch mehrfach, Amri habe als Einzeltäter gehandelt. Es gebe "keine Anhaltspunkte über die Einbindung weiterer in Deutschland ansässiger Personen". Dies gelte auch für Amris Bekannten Bilel ben Ammar.

Der Zeuge widersprach dem Eindruck, Ben Ammar sei bis zuletzt Amris engster Vertrauter gewesen. Bereits im Dezember 2015 und erneut mehrfach im April 2016 habe sich Amri höchst abfällig über Ben Ammar geäußert. Er habe ihn für einen nicht vertrauenswürdigen Schwätzer gehalten. Amri sei extrem misstrauisch, fast paranoid gewesen. Clément Baur sei für ihn zuletzt der einzige verbliebene vertrauensvolle Kontakt gewesen.

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2. Entschädigungssumme nicht beziffert

2. Untersuchungsausschuss/Ausschuss

Berlin: (hib/CHB) Die Pkw-Maut sei vom zuständigen Referat wie jedes andere Projekt behandelt worden, sagte die Zeugin K. H. am Donnerstag, 14. Mai 2020, vor dem 2. Untersuchungsausschuss ("Pkw-Maut"). Zwar habe die Infrastrukturabgabe politisch polarisiert; ihre Aufgabe als Beamtin sei es aber, jedes Projekt nach demselben Prozedere abzuarbeiten, erklärte H. in der vom Ausschussvorsitzenden Udo Schiefner (SPD) geleiteten Sitzung.

Die Zeugin leitete von 2015 bis 2018 das Maut-Referat, das sich nicht nur mit der Pkw-Maut, sondern auch mit der Lkw-Maut befasste. Im November 2018, also kurz vor Abschluss des Betreibervertrags für die Pkw-Maut, wechselte sie innerhalb des Verkehrsministeriums in ein anderes Referat - nach eigenen Angaben ausschließlich aus persönlichen Gründen. Weil kurz zuvor bereits ein anderer wichtiger Mitarbeiter das Referat verlassen hatte, war dieses in einer für das Mautprojekt entscheidenden Phase führungslos. Dies sei intern nicht diskutiert worden, sagte die Zeugin.

Als wesentlichen Einschnitt bezeichnete Henke den Wechsel im Projektmanagement der Pkw-Maut von Ernst & Young (EY) zu Partnerschaft Deutschland (PD). Dies sei erforderlich geworden, da EY "völlige Berufsanfänger" ins Ministerium geschickt habe, sodass die erhoffte Entlastung des Referats ausgeblieben sei. Interessenskonflikte, die ein früherer Zeuge als mutmaßlichen Grund für die Trennung von EY genannt hatte, hätten hingegen keine Rolle gespielt.

Kurz vor ihrem Ausscheiden aus dem Referat, am 17. August 2018, verfasste die Zeugin einen Vermerk für den damaligen Staatssekretär Gerhard Schulz, in dem sie auf vergaberechtliche Schwierigkeiten hinwies. Damals waren noch zwei Bieterkonsortien im Vergabeverfahren dabei. Falls ein weiterer Bieter aussteige, schrieb damals H., "würde der Wettbewerb vollständig zum Erliegen kommen". Genau das passierte, als sich später auch T-Systems zurückzog, sodass nur noch die Bietergemeinschaft Paspagon (Kapsch TrafficCom/CTS Eventim) im Rennen blieb.

Im selben Vermerk nannte die Referatsleiterin auch mögliche Handlungsoptionen, wobei sie eine denkbare Option - nämlich die Möglichkeit, mit nur einem Bieter weiterzuverhandeln - nicht aufführte. Auf wiederholte Nachfrage, warum sie diese Möglichkeit nicht genannt hatte, sagte sie: "Zum Zeitpunkt des Vermerks war das keine Handlungsoption." Auf eine weitere Nachfrage wiederholte sie: "Für mich persönlich war es keine Option." Letztlich entschied sich das Ministerium aber genau dafür, einzig mit dem letzten verbliebenen Bieterkonsortium zu verhandeln.

Sie könne sich an keinen anderen Fall erinnern, in dem nur mit einem verbliebenen Bieter verhandelt worden sei, sagte Henke weiter. Sie teile auch die Einschätzung, dass es eine wesentliche Änderung der Mindestanforderungen bedeutet habe, als nach Abgabe des finalen Angebots durch das Bieterkonsortium beschlossen worden sei, dass dieses die Terminals der bundeseigenen Toll Collect GmbH mitnutzen dürfe.

In Bezug auf das Risiko eines negativen Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) erklärte die Zeugin: "2018 hielten wir das Projekt für europarechtskonform." Spätestens nach dem Plädoyer des Generalanwalts im Februar 2019 "konnten wir uns völlig sicher sein, dass wir auf dem richtigen Weg waren". Als der EuGH dann im Juni 2019 der Klage Österreichs gegen die Pkw-Maut stattgab, sei sie "völlig überrascht" gewesen.

In Bezug auf die Entschädigungssumme im Fall einer Kündigung aus ordnungspolitischen Gründen (wozu ein negatives EuGH-Urteil zählt) erklärte die Zeugin, ihres Wissens sei nie im Detail beziffert worden, wie hoch der für diesen Fall vereinbarte sogenannte Bruttounternehmenswert sei.

Zu haushaltsrechtlichen Punkten befragt wurde auch Zeuge R. T., der bis Herbst 2017 das Haushaltsreferat des Bundesverkehrsministeriums leitete und dann in den Ruhestand ging. In Bezug auf die im Betreibervertrag festgelegte Entschädigung für den Fall einer Kündigung aus ordnungspolitischen Gründen sagte der Zeuge, ihm sei aus seiner Berufstätigkeit kein anderer Fall bekannt, in dem der Bund hundert Prozent des entsprechenden Risikos übernommen habe.

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3. AfD fordert Stopp der Regressverfahren

Gesundheit/Antrag

Berlin: (hib/PK) Die AfD-Fraktion fordert eine sofortige Aussetzung aller Regressverfahren gegen niedergelassene Ärzte. Jeder niedergelassene Arzt habe pro Quartal ein vorgegebenes Budget. Wer das Budget überschreite, werde unwirtschaftlich und somit regresspflichtig, heißt es in einem Antrag (19/19162) der Fraktion. Etliche Mediziner seien davon betroffen.

Die Abgeordneten fordern, schwebende, laufende und künftige Regressverfahren gegen Ärzte sofort auszusetzen. Auch die Sanktionierung für Praxen, die nicht an die Telematikinfrastruktur (TI) angeschlossen seien, müsse ausgesetzt werden. Zudem soll die Praxisarbeit durch eine Verringerung von Bürokratie erleichtert werden.

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4. Grüne für patientengerechte Digitalisierung

Gesundheit/Antrag

Berlin: (hib/PK) Die Grünen-Fraktion will die Patientenorientierung und -beteiligung bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens sicherstellen. Auf einen jahrelangen Stillstand folge derzeit ein Aktionismus, bei dem die Bundesregierung die Geschwindigkeit der Einführung von Prozessen allen anderen Anforderungen unterordne, heißt es in einem Antrag (19/19137) der Fraktion.

Die Abgeordneten fordern unter anderem, die Beteiligungsrechte der Patienten gesetzlich zu verankern und beim Ausbau der Telematikinfrastruktur (TI) die gesamte Behandlungskette zu berücksichtigen.

Bei der elektronischen Patientenakte (ePA) sollte ein Berechtigungsmanagement für alle Nutzer unabhängig von deren individuellen Abrufmöglichkeiten angeboten werden. Das elektronische Rezept (e-Rezept) müsse nutzerfreundlich gestaltet werden. Datenschutz und IT-Sicherheit müssten gestärkt werden.

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5. Grüne für Kulturwandel in der Geburtshilfe

Gesundheit/Antrag

Berlin: (hib/PK) Die Grünen-Fraktion plädiert für einen Kulturwandel in der Geburtshilfe. Die Unterstützung von Schwangeren, Gebärenden, Kindern und Eltern in dieser Lebensphase sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, heißt es in einem Antrag (19/19165) der Fraktion.

Die Abgeordneten fordern unter anderem, ein Personalbemessungsinstrument für die Hebammenversorgung in Kreißsälen einzuführen, das von einer 1:1-Betreuung der Schwangeren durch eine Hebamme in wesentlichen Phasen der Geburt ausgeht.

Zudem müsse eine sektorübergreifende Qualitätssicherung in der Geburtshilfe gewährleistet sein, einschließlich der einheitlichen Dokumentation klinischer und außerklinischer Geburten und Geburtsverläufe. In unterversorgten Regionen sollte den Hebammen ein Sicherstellungszuschlag gezahlt werden.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 508 - 15. Mai 2020 - 10.25 Uhr
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Mai 2020

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