Schattenblick →INFOPOOL →PARLAMENT → FAKTEN

PRESSEKONFERENZ/375: Regierungspressekonferenz vom 13. Februar 2012 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Mitschrift der Pressekonferenz - Montag, 13. Februar 2012
Regierungspressekonferenz vom 13. Februar

Themen: Situation in Syrien, Flugsteuer für Beamte, neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff, Schuldenkrise Griechenlands, Arbeitsmarktreform in Spanien, mögliche Prämienzahlungen durch die Krankenkassen
weitere Themen: Aussetzung der Unterzeichnung des Handelsübereinkommens ACTA, eventuelle Handydatenlöschungen im Rahmen der NSU-Ermittlungen, Visaverfahren mit Russland, internationaler Terrorismus/Gefährdungslage, Energieeffizienzrichtlinie, Solarförderung, Regelung zur Erleichterung des Energieanbieterwechsels

Sprecher: StS Seibert, Peschke (AA), Rudolph (BMVBS), Albrecht (BMG), Lesch (BMZ), Kothé (BMF), Wiegemann (BMWi), Flosdorff (BMAS), Mertzlufft (BMJ), Kutt (BMI), Schwarte (BMU)


Vorsitzender Leifert eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt StS Seibert sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

Peschke: Ich möchte kurz Stellung zur Situation in Syrien und den Beschlüssen der Arabischen Liga Stellung nehmen.

Bundesaußenminister Westerwelle begrüßt die Beschlüsse der Arabischen Liga zu Syrien. Die aktive und führende Rolle der Arabischen Liga ist wichtig, um die Syrien-Krise beizulegen. Aus Sicht des Außenministers ist die klare Verurteilung der Gewalt und sind die Schritte gegen das Assad-Regime, die die Arabische Liga ins Auge gefasst hat, ein starkes Zeichen an die Menschen in Syrien. Das betrifft sowohl die politischen als auch die wirtschaftlichen Maßnahmen, die die Arabische Liga ins Auge gefasst hat. Hier kann die von der Arabischen Liga geforderte Befassung der Uno-Generalversammlung ein weiteres Signal an die Menschen in Syrien senden.

Deutschland unterstützt die Forderung der Arabischen Liga nach vollständig freiem Zugang für humanitäre Hilfe nach Syrien. Wir begrüßen auch die tunesische Einladung zu einer Konferenz der Freunde Syriens am 24. Februar nach Tunis. Schließlich ist aus Sicht des Außenministers der Vorschlag einer gemeinsamen Mission aus Vereinten Nationen und Arabischer Liga ein Vorschlag, der jetzt so schnell wie möglich im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen geprüft werden sollte.

So viel zur Bewertung der Beschlüsse der Arabischen Liga. - Danke schön.

StS Seibert: Wenn ich ganz kurz etwas zu Ihrer Erinnerung hinzufügen dürfte: Die Bundeskanzlerin wird morgen den neuen Generalsekretär der Arabischen Liga, Nabil al-Arabi, zu einem Antrittsbesuch hier in Berlin empfangen. Die Unterstützung der Position der Arabischen Liga, die Herr Peschke gerade für die Bundesregierung vorgetragen hat, wird sicherlich einen breiten Raum in diesem Gespräch einnehmen.

Rudolph: Ich wollte mich auf einen heutigen Artikel in der "Bild"-Zeitung zum Stichwort "Beamte zahlen weniger Flugsteuer" beziehen. Ich möchte dazu sagen, dass das falsch ist und Ihnen die richtige Begründung gleich mitliefern.

Es handelt sich um Dienstreisen, die praktisch an den Standorten Köln/Bonn und Berlin von airberlin durchgeführt werden. Airberlin erhält dafür vom Bund einen durchschnittlichen Betrag von 73 Euro. In diesem Betrag ist auch die Luftverkehrsabgabe mit eingerechnet. Es gibt in diesem Vertrag eine sogenannte Anpassungsklausel, die gezogen werden kann, wenn sich zum Beispiel Kerosin- und Verbraucherpreise ändern. Airberlin hat davon Gebrauch gemacht. Das orientiert sich am Verbraucherpreis- und Verkehrspreisindex. Deswegen sind diese Preise für diese Flüge um 6 Euro in diesem Jahr gestiegen.

Ich sage es noch einmal: Auch in diesem erhöhten Flugpreis ist die Luftverkehrsabgabe enthalten. Der Zusammenhang, der hier geschaffen wird - 6 Euro Erhöhung, aber 7,50 Euro beträgt die Luftverkehrsabgabe - , ist in dem Fall ein Milchmädchenrechnung und falsch. - Vielen Dank!

Albrecht: Meine Damen und Herren, Sie wissen, dass wir dabei sind, das Pflegeneuausrichtungsgesetz zu beraten. In dieser Woche finden die Anhörungen zu diesem Gesetz statt.

Ein Teil dieses Gesetzes beinhaltet auch, den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff umzusetzen. Sie wissen, dass es dazu eine Diskussion gegeben hat, weil es schon einmal einen Beirat gab. Diesen Beirat setzen wir erneut wieder ein. Dieser Expertenbeirat wird das erste Mal am 1. März 2012 tagen, sich dann über die Umsetzung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs, der uns sehr wichtig ist, Gedanken machen und dann hoffentlich zügig zu einem Ergebnis kommen. - Vielen Dank!

Frage: Eine Frage im Zusammenhang mit der Haltung der Arabischen Liga zu Syrien: Die Frage ist, inwieweit eine Anerkennung der Oppositionskräfte in Syrien eine Rolle spielen dürfte. Dazu hat sich, soweit ich weiß, die Arabische Liga nicht durchringen können. Das dürfte auch auf der Sitzung der Konferenz am 24. Februar eine Rolle spielen. Wie ist die deutsche Haltung dazu? Die Frage richtet sich an den Regierungssprecher oder an Sie, Herr Peschke.

Peschke: Die deutsche Position in dieser Frage ist klar. Die Bundesregierung unterstützt die Kräfte der syrischen Opposition dabei, eine gemeinsame schlagkräftige Opposition gegen das Assad-Regime aufzubauen. Sie wissen, dass es bisher innerhalb der Opposition verschiedene Strömungen und organisatorische Defizite gegeben hat. Wir glauben, dass es höchste Zeit ist, diese Defizite und diese Fragen schnellstmöglich zu klären, um dem Assad-Regime in einer breiten geeinten Front begegnen zu können.

In diese Richtung gab es immer wieder wichtige Schritte, so Treffen der syrischen Opposition im Ausland an verschiedenen Stellen, zum Beispiel in Kairo und in Istanbul. Die Bundesregierung hat das immer wieder nach Kräften unterstützt und steht mit dem Syrischen Nationalrat - das ist die prägnanteste Vertretung der syrischen Opposition - in einem engen Kontakt. Außenminister Westerwelle ist selbst einmal mit dem Vorsitzenden des Syrischen Nationalrats zusammengetroffen und hat mehrere Male mit ihm telefoniert. Wir versuchen, diese Tätigkeit der syrischen Opposition zu stärken und zu unterstützen und wissen uns darin mit unseren Partnern in der Europäischen Union und auch mit den Vereinigten Staaten von Amerika einig.

Zusatzfrage: Nun hat auch schon Al Qaida angekündigt, dass man Teile der Opposition unterstützten werde. Wie will man denn verhindern, dass man da nicht auf die falsche Seite gerät?

Peschke: Außenminister Westerwelle hat natürlich in den Gesprächen mit den Vertretern des Syrischen Nationalrats - auch bei dem Vorsitzenden Prof. Ghaliun - nachgefragt, was die Vorstellungen des Syrischen Nationalrats für eine syrische Gesellschaft nach einem demokratischen Übergang sind. Ausweislich der Äußerungen von Prof. Ghaliun, die er im Gespräch, aber auch öffentlich gemacht hat, hat es ganz klar ein Bekenntnis zu einer demokratischen und pluralen Gesellschaft gegeben. Dieses Bekenntnis nehmen wir beim Wort. Wir gehen davon aus, dass das auch die Stoßrichtung des Nationalrats in seinem Drängen auf einen demokratischen Übergang in Syrien ist.

Frage: Herr Peschke, ist dieses Treffen der Freunde Syriens am 24. Februar noch einmal ein Zeichen für die Öffentlichkeit, wie viele Staaten sich inzwischen ganz klar gegen das Assad-Regime aussprechen? Sie sprachen gerade von einer Harmonisierung der Sanktionsmöglichkeiten. Gibt es noch wesentliche Sanktionsmöglichkeiten, die man wirklich noch verschärfen kann und die auch Druck auf das Regime ausüben? Oder ist das, wie gesagt, PR?

Peschke: Das sind zwei Fragen und eine Unterstellung. PR ist es nicht.

Zusatz: Das war eine Frage und keine Unterstellung.

Peschke: Wenn es eine Frage war, kann ich sie gleich negativ beantworten. Es ist keine PR.

Ansonsten waren es zwei Fragen, nämlich einmal die Zusammenfindung einer internationalen Gruppe der Freunde Syriens beziehungsweise einer Kontaktgruppe der Freunde Syriens und zum Zweiten die Frage einer Verschärfung der Sanktionen.

Zur ersten Frage: Das ist natürlich eine inhaltliche Maßnahme. Wir mussten vor anderthalb Wochen feststellen, dass eine klare Stellungnahme des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen nicht möglich war, dass der Sicherheitsrat in dieser doch sehr wichtigen Frage blockiert war. Wir haben deswegen darauf gedrängt, dass es Möglichkeiten gibt, um alternativ eine breite Koalition und Gruppe von Staaten zusammenzuschmieden, die ein klares Signal gegen das Assad-Regime sendet und die eine möglichst breite Basis eines internationalen Vorgehens gegen das Assad-Regime bildet.

Dazu ist die Gründung einer solchen Freundesgruppe aus unserer Sicht ein möglicher geeigneter Schritt. Wir glauben, dass es in Form einer solchen Freundesgruppe schon dazu kommen kann, eine möglichst breite internationale Koalition gegen die Grausamkeiten des Assad-Regimes zu schmieden. Das ist aus unserer Sicht überfällig. Deswegen hat Bundesaußenminister Westerwelle den Vorschlag selber ins Spiel gebracht und von Anfang an unterstützt, als ihn die Arabische Liga sich zu eigen gemacht hatte. Das zu der Frage der Kontaktgruppe.

Zweitens zur Frage Sanktionen. Natürlich sehen wir noch Möglichkeiten, eine stärkere Sanktionierung zu erreichen. Das wird ein wesentliches Thema der Beratungen der EU-Außenminister Ende des Monats sein. Wir haben uns von Anfang an dafür eingesetzt, dass es jetzt angesichts der dramatischen und nicht tolerablen Gewalt des Assad-Regimes zu einer deutlichen Verschärfung der Sanktionen kommen muss; Sanktionen, die auch den Finanzsektor umfassen, der ein wesentlicher Sektor der syrischen Wirtschaft ist, um dem Assad-Regime die Nachschubmöglichkeiten für seinen innenpolitischen Kurs der Repressionen abzuschneiden. Da sehen wir also Handlungsmöglichkeiten.

Die Europäische Union - da sind wir ganz optimistisch - wird in diese Richtung Handlungsmöglichkeiten umsetzen. Natürlich - da haben Sie recht - werden diese Sanktionen umso besser wirken, auf ein umso breiteres internationales Fundament sie gestellt werden. Das ist im Fall Syrien nicht anders als in anderen Fällen, wo es Sanktionen gibt. Ich nenne das Beispiel Iran. Da werden wir weiter international Überzeugungsarbeit leisten, um eine möglichst breite Front zu erreichen.

Zusatzfrage: Können Sie den Bereich "Sanktionen im Finanzsektor" bitte noch einmal ein bisschen spezifizieren?

Peschke: Das möchte ich an der jetzigen Stelle nicht spezifizieren, denn das sind im Moment vorbereitende Beratungen, die mit unseren europäischen Partnern geführt werden. Dem Ergebnis der Beratungen möchte ich an dieser Stelle nicht öffentlich vorgreifen.

Frage: Zu den geplanten Forderungen in Bezug auf freien Zugang für humanitäre Hilfslieferungen an die syrische Bevölkerung.

Erstens. Gibt es darüber auch schon Gespräche mit der Volksrepublik China und Russland? Wenn es welche gibt, haben Sie schon Signale, wie man sich vonseiten dieser beiden Regierungen in dieser Frage verhalten würde?

Zweitens. Gibt es bei der Bundesregierung schon konkrete Planungen, welche Art humanitärer Hilfsleistungen es geben könnte? Wäre das zum Beispiel auch die Entsendung von medizinischem Personal nach Syrien?

Peschke: Zur ersten Frage: Ja, Gespräche gibt es mit allen relevanten Akteuren, einschließlich natürlich auch russischen und chinesischen Vertretern. Ich denke, hinsichtlich der Notwendigkeit humanitärer Hilfe besteht eine große Einigkeit innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft, denn die Notlage von Menschen in Syrien ist nur allzu offensichtlich. Insofern gibt es eine große Einigkeit, dass humanitäre Hilfe notwendig ist.

Die Frage, wie genau diese humanitäre Hilfe geleistet werden kann, ist eine Frage, die wir uns täglich neu vorlegen müssen. Es ist leider so, dass es bisher eben keinen freien Zugang für humanitäre Hilfsleistungen gibt. Die Bundesregierung ist in einem ständigen Austausch, was mit der Arabischen Liga und auch mit den Nachbarländern Syriens getan werden kann, um zum Beispiel auch die Frage der syrischen Flüchtlinge, die sich ins nahe Ausland geflüchtet haben, anzugehen.

Zusatzfrage: Herr Peschke, Sie sagten, dass Einigkeit über die Notwendigkeit der Hilfe für die syrische Bevölkerung bestehe. Können Sie auch konkret sagen, ob Russland oder China nicht nur eine solche Notwendigkeit vielleicht sehen, sondern auch konkret unterstützen?

Peschke: Mehr als das, was ich Ihnen gesagt habe, kann ich Ihnen zur Haltung Russlands und Chinas nicht ausführen. Ich bin ja schließlich nicht der Sprecher der Auswärtigen Ämter in Moskau und Peking. Da müssten Sie noch einmal direkt nachfragen. Ich glaube, das, was ich soweit gesagt habe, ist auch so einschlägig.

Für die Bundesregierung ist entscheidend, dass hier ein eklatanter und für alle sichtbarer Bedarf an humanitärer Hilfe besteht und dass wir gemeinsam mit der internationalen Staatengemeinschaft dafür arbeiten müssen, wie diese humanitäre Hilfe erstens zugelassen und zweitens in bestmöglicher Art und Weise geleistet werden kann.

Frage: Herr Peschke, da die Bundesregierung zu der syrischen Opposition gute Beziehungen hat, können Sie uns vielleicht verraten, warum diese Opposition jeden Dialog mit dem Regime ablehnt, um eine Lösung des Konflikts zu finden.

Glauben Sie wirklich, dass die Arabische Liga, die eigentlich bedeutungslos ist, in der Lage ist, so einen Konflikt lösen zu können?

Peschke: Zur ersten Frage: Man muss doch ganz klar sehen, wo die Verantwortlichkeiten für den gegenwärtigen Konflikt in Syrien liegen. Diese liegen aus unserer Sicht ganz klar beim Assad-Regime. Die jetzige syrische Führung ist dafür verantwortlich, dass sie unzählige Möglichkeiten des Dialogs und von Reformen hat verstreichen lassen. Diese jetzige Eskalation der Situation, die Gewaltausbrüche gehen aus unserer Sicht ganz klar auf das Konto der jetzigen Führung in Damaskus. Die jetzige Führung in Damaskus muss sich dieser Verantwortung stellen und die notwendigen Konsequenzen ziehen, so wie sie zum Beispiel von der Arabischen Liga vorgeschlagen wurden.

Das bringt mich zur zweiten Frage in Bezug auf die Arabische Liga. Da teile ich Ihre Einschätzung ausdrücklich nicht. Wir glauben, dass die Arabische Liga in diesem Konflikt - wie übrigens auch in vorherigen inneren Krisen von Mitgliedsländern der Arabischen Liga - gerade im letzten Jahr eine erhebliche Entwicklung durchgemacht hat. Ich komme gleich zum Fall Syrien.

Ich möchte vorher noch den Fall Jemen erwähnen, wo die Arabische Liga basierend auf Plänen des Golf-Kooperationsrats, der sich als integraler Bestandteil der Arabischen Liga versteht, doch immerhin die Türen für einen innenpolitischen Übergang und einen Neuanfang im Jemen geöffnet hat, so schwierig das auch immer ist.

Im Fall Syrien muss man doch ganz klar festhalten, dass die Arabische Liga sich hier als ein ganz wichtiger politischer Akteur etabliert hat, der auch international zur Beilegung der Krise Führung übernommen hat, den Weg weist und insofern aus unserer Sicht eine ganz entscheidende Rolle spielen kann und spielen muss, damit wir zu einer Beilegung der Krise kommen können.

Frage: Auch indirekt zur Arabischen Liga: Es kam schon der Vorschlag der Blauhelme auf. Mich würde interessieren, wie die Bundesregierung dazu steht. Wen sehen Sie da in erster Linie gefordert? Wäre das auch ein Fall für die Arabische Liga?

Peschke: Zur Frage einer möglichen Mission habe ich mich ja bereits geäußert. Grundsätzlich ist die Bundesregierung der Ansicht, dass Vorschläge für eine gemeinsame Mission von Arabischer Liga und den Vereinten Nationen vom Sicherheitsrat geprüft werden sollte. Was die genaue Natur einer möglichen Mission betrifft, so gibt es sicherlich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch viele Fragen zu beantworten, wann, zu welchem Zeitpunkt, in welchem Stadium und mit welcher Ausstattung eine solche Mission möglich und erforderlich sein könnte.

Die Arabische Liga hat insofern ihren Vorschlag klar an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gerichtet. Dieser steht jetzt in der Verantwortung, sich mit dem Vorschlag zu beschäftigen und alle nötigen Vorfragen, die sich im Zusammenhang mit einer solchen Initiative stellen, auch beantworten zu lassen.

Zur zweiten Frage in Sachen Beteiligung: Das ist eine Frage, die sich eines Tages stellen kann, stellen wird, die aber aus heutiger Sicht noch nicht ansteht, da wir sozusagen noch nicht einmal die Vorarbeiten in Richtung einer möglichen Mission abgeschlossen, geschweige denn überhaupt begonnen hätten.

Frage: Das BMZ hat die Entwicklungszusammenarbeit mit Syrien im Mai 2011 eingestellt. Es gibt, soweit ich das im Kopf habe, aber noch Flüchtlingsprojekte für irakische und palästinensische Flüchtlinge. Sind sie durch die zunehmende Gewalt momentan in irgendeiner Weise beeinträchtigt?

Lesch: Es ist richtig, dass die bilaterale staatliche Entwicklungszusammenarbeit mit Syrien bereits seit April/Mai 2011 eingefroren ist. Es sind auch sämtliche internationale Experten bereits seitdem abgezogen, also schon seit einer ganzen Weile. Es laufen weiter Projekte im Bereich Wasser für palästinensische und irakische Flüchtlinge, weil dort die Abwägungsentscheidungen, die man bei Einstellungen immer zu treffen hat - wem nützt man, wem schadet man mit so einer Einstellung -, ergeben haben, dass man vor allem der Bevölkerung und den Flüchtlingen schaden würde, wenn man diese Projekte einstellen würde. Sie laufen weiter, soweit das eben möglich ist.

Mir ist aber wichtig, zu betonen, dass damit keine Zahlungen und auch keine Zusammenarbeit mit der syrischen Regierung in irgendeiner Weise verbunden sind. Was immer bei diesen Projekten geht, wird weitergeführt. Aber damit sind keine Zahlungen und keine Formen der Zusammenarbeit mit der syrischen Regierung verbunden.

Zusatz: Meine Frage war, ob es Beeinträchtigungen durch die zunehmende Gewalt in Syrien gibt.

Lesch: Ich habe keinen Sachstand von heute Morgen, auf dessen Basis ich sagen könnte, was konkret gerade passiert.

Zusatzfrage: Sehen Sie allgemein eine Beeinträchtigung? Sie erhalten ja wahrscheinlich Berichte von den Projekten vor Ort.

Lesch: Die allgemeine Lage habe ich ja gerade geschildert.

Frage (zur Neuausrichtung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs): Die Frage ist, ob in absehbarer Zeit tatsächlich den Demenzkranken in einem größeren Umfang mehr Hilfe zukommen soll und wie das dann finanziert wird. Minister Bahr hatte gesagt, erst 2015 würden neue Entscheidungen über Beitragserhöhungen fällig.

Zweitens. Bis wann gibt es eine neue Definition des Begriffs "Pflegebedürftigkeit"? Darüber wird auch im Moment gesprochen.

Albrecht: Dazu diente die Ankündigung. Dafür brauchen wir den Expertenbeirat, der, wie gesagt, seine erste Sitzung am 1. März abhalten wird. Dort wird sozusagen die Umsetzung oder Operationalisierung dieses neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs diskutiert und umgesetzt. Am Ende dieses Prozesses steht dann der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff. Sie wissen, dass das Pflegeneuausrichtungsgesetz unmittelbar mit der Beitragserhöhung von 0,1 Prozentpunkten dafür sorgen wird, dass Demenzkranke ab dem 1. Januar 2013 erste Verbesserungen erhalten werden. Das ist das, was wir in dieser Legislaturperiode geplant haben.

Jetzt schauen wir, was bei dem Expertenbeirat herauskommt. In der Tat ist es so, dass wir in der Pflegeversicherung bis zum Jahr 2015 ausfinanziert sind. Dann wird sicherlich - so hat es der Minister angekündigt - noch einmal neu über die Finanzierung gesprochen werden müssen.

Zusatzfrage: Zum Pflegebedürftigkeitsbegriff. Gibt es eine Zielmarke, bis wann das abgeschlossen sein soll?

Albrecht: Ich möchte dem Beirat beziehungsweise dem jetzigen Expertenbeirat in der Umsetzung nicht vorgreifen. Das wäre auch nicht vernünftig. Die Damen und Herren kommen jetzt zusammen und werden das diskutieren. Es hängen eine Menge Fragen daran, wie die Neueinstufung und Neubeurteilung von Pflegebedürftigen. Wir können und sollten zeitlich keine Vorgabe machen, um diesen Experten nicht vorzugreifen.

Frage: Ich habe ein, zwei Fragen an das Finanzministerium zu Griechenland. Ursprünglich war für heute angekündigt, dass die griechische Regierung bekanntgeben wollte, unter welchen Konditionen dieser Anleihetausch stattfinden soll. Nun gibt es auch gegenteilige Meldungen. Gehen Sie davon aus, dass heute noch etwas zu diesem Thema kommt?

Kothé: Ich weiß es nicht. Ich kenne diese Ankündigung. Erste Ergebnisse zu diesem Umtausch wurden schon vergangene Woche in der Eurogruppe präsentiert. Ich denke, dass, so sie stattfindet - was ja vorgesehen ist -, die Eurogruppe am Mittwoch der Zeitpunkt sein wird, zu dem die Minister informiert werden.

StS Seibert: Ich wollte für die Bundesregierung generell sagen, dass wir die Beschlüsse des griechischen Parlaments gestern Abend in Athen ausdrücklich begrüßen. Diese Beschlüsse zeigen den Willen und die Bereitschaft der Griechen, große eigene Anstrengungen zu unternehmen und auch harte Einschnitte vorzunehmen, um ihr Land auf einen guten Weg zu führen. Diese Maßnahmen - das muss man wirklich festhalten - sind nicht ein Sparen um des Sparens willen. Sie sind nicht ein Kürzen um des Kürzens willen, sondern es geht um Reformen in allen politischen Bereichen. Es sind Maßnahmen, die dem Land Schritt für Schritt den finanziellen Spielraum zurückgeben sollen, den es braucht, um neue Arbeit und neues Wachstum entstehen zu lassen. Diese Maßnahmen verändern die starren Strukturen der griechischen Wirtschaft, die starren Strukturen des griechischen Arbeitsmarktes so, dass produktive Kräfte frei werden können.

Die europäischen Partner der Griechen - die Bundesregierung jedenfalls - begrüßen das. Die europäischen Partner der Griechen unterstützen diesen zugegeben sehr schwierigen Weg. Sie unterstützen ihn nicht nur ideell, sondern auch materiell. In dieses Bild der Unterstützung passt natürlich auch hinein, dass der zielgerichtete Einsatz europäischer Strukturfonds dazu beitragen soll, dass kleine und mittlere Unternehmen in Griechenland zum Wohle von Wachstum und Beschäftigung Unterstützung finden. - Das wollte ich gerne sagen.

Wenn ich schon dabei bin, würde ich gerne Ihren Blick ganz kurz noch etwas weiter westlich auf Spanien lenken, wo das Kabinett Rajoy am Freitag eine Arbeitsmarktreform auf den Weg gebracht hat, die wir für mutig und auch beispielhaft halten. Dass die spanische Regierung nur eine Woche nach ihren Maßnahmen zum Finanzsektor nun das Kernthema der Arbeitslosigkeit angeht, zeigt, dass sie entschlossen ist, das hohe Reformtempo beizubehalten, dass sie beherzt die notwendigen Maßnahmen ergreift, um eben die Lehren aus der Krise zu ziehen und die Weichen auch in Spanien für mehr Wettbewerbsfähigkeit, für Wachstum und damit für mehr Arbeit zu stellen.

Wenn man jetzt einmal auf das blickt, was in Spanien am Freitag geschehen ist, was die Reformprozesse in Portugal und in Italien sind, dann sieht man nach der Überzeugung der Bundesregierung - und zu dieser Betrachtung möchte ich die Öffentlichkeit ausdrücklich auffordern -, dass Europa die Kraft aufbringt, die Lehren aus der Krise zu ziehen, die notwendigen Entscheidungen zu treffen und sich wirklich so aufzustellen, dass die Zukunft eine bessere sein kann. - Das wollte ich Ihnen bei der Gelegenheit kurz sagen.

Frage: Herr Seibert, schließt sich die Bundeskanzlerin dem Vorstoß von Herrn Seehofer an, das Volk über die Rettung von Griechenland und Hilfen für Griechenland ab einer bestimmten Größenordnung zu befragen?

StS Seibert: Wir haben in Deutschland eine repräsentative parlamentarische Demokratie. Diese sieht Volksabstimmungen auf Bundesebene laut Grundgesetz in einem Fall vor, nämlich bei der Neugliederung des Bundesgebiets - Art. 29 GG -, und nicht für den Sachverhalt, um den es jetzt hier geht.

Die Bundesregierung ist überzeugt, dass das eine Verfassungsordnung ist, mit der wir seit 60 Jahren ausgesprochen gut gefahren sind, die für engagierte, lebhafte, auch kontroverse Debatten in der Öffentlichkeit, im Parlament sorgt und die auch für demokratische Entscheidungen sorgt, die Bestand haben. Insofern steht das Thema Volksabstimmung aus diesem Grunde jetzt nicht auf der Tagesordnung der Bundesregierung. Wir sehen da keinen Anlass zu handeln.

Frage: Ich wollte noch einmal eine Frage zum Umtauschangebot stellen. Ich habe das so verstanden, dass erst einmal das Umtauschangebot vorliegen muss, in einem zweiten Schritt die griechische Regierung sehen muss, wie viele Gläubiger auch tatsächlich von diesem Umtauschangebot Gebrauch machen und dann erst klar ist, wie hoch die Beteiligung des privaten Sektors sein wird. Ist das so richtig? Können Sie aus Ihrer Sicht etwas zu den Details sagen? Sie sagten, Mittwoch könnten schon die Finanzminister entscheiden. Das können sie ja dann quasi nicht.

Kothé: Das ist ein Missverständnis. Es geht jetzt erst einmal darum, dass ein Angebot gemacht wird, und dann folgt ein vermutlich ungefähr zweiwöchiger Prozess, in dem auf dieses Angebot reagiert werden kann. Das soll - jedenfalls nach der derzeitigen Planung - ungefähr Ende Februar abgeschlossen sein. Erst dann weiß man auch, wie hoch die sogenannte Beteiligungsquote ist, die aussagt, in welcher Höhe der Privatsektor sich dann tatsächlich beteiligt hat. Wie wir schon oft erläutert haben, ist diese Quote ja auch eine wichtige Größe für das gesamte Griechenland-II-Paket.

Zusatzfrage: Wird das möglicherweise auch Rückwirkungen auf die Frage haben, wie groß das öffentliche Hilfspaket für Griechenland am Ende ausfallen wird?

Kothé: Wir gehen davon aus, dass die angestrebte hohe Beteiligungsquote erreicht wird, durch die die Rückführung auf einen Schuldenstand von 120 Prozent möglich wird.

Frage: Die gestrige Debatte im griechischen Parlament hat auch gezeigt, wie schwierig es momentan für die beiden großen Parteien ist, diese Maßnahmen durchzusetzen. Es gibt außerdem erste Anzeichen einer Auflösung der beiden großen politischen Blöcke, und eine solche Auflösung würde zu politischer Instabilität in Griechenland führen. Gibt Ihnen das Grund zu der Sorge, dass man in Athen bald keinen Gesprächspartner mehr hat?

Kothé: Die innenpolitische Situation in Griechenland kann ich hier jetzt sicherlich nicht bewerten, und das möchte ich auch nicht. Es gibt eine große überparteiliche Regierung, und diese Regierung ist der Ansprechpartner. Wir finden - Herr Seibert hat es eben gesagt -, dass die gestrige Entscheidung des griechischen Parlaments - bei allen Schwierigkeiten, die bestehen - ein wichtiger und richtiger Schritt in die richtige Richtung war, und hoffen, auf diesem Wege weiterzumachen, damit möglichst bald die Voraussetzungen für einen Abschluss des zweiten Paketes geschaffen sind.

Zusatzfrage: Diese Dimension ist ja insofern wichtig, als es die Forderung nach schriftlichen Zusagen gibt, dass alle geplanten Reformen auch nach den Wahlen realisiert werden. Erstens. Welchen Wert hat so eine Forderung der verpflichteten Parteien, wenn sie sich jetzt in einer Auflösungsphase befinden. Zweitens. Für welche Partei - es waren drei, jetzt sind es nur noch zwei - gilt das jetzt?

Kothé: Unser Minister hat am oder vor dem Wochenende in Interviews noch einmal betont - und ich glaube, darüber besteht auch auf europäischer Ebene Konsens -, dass sich die maßgeblichen politischen Führer verpflichten müssen, die Beschlüsse auch unabhängig von Wahlausgängen umzusetzen. Wie in diesem Zusammenhang die aktuellen innenpolitischen Entwicklungen in Griechenland einzuschätzen sind, kann ich Ihnen nicht sagen; das ist eine politische Bewertung, die die Minister in der Eurogruppe vornehmen müssen. Dieser Bewertung kann ich an dieser Stelle nicht vorweggreifen. Ich glaube, das wird dann wirklich im gesamten Kontext zu sehen sein.

Frage: Die LAOS-Partei hat diese Beschlüsse ja ausdrücklich nicht mitgetragen; ich habe es aber, was die Troika angeht, immer so verstanden, dass Voraussetzung ist, dass sich alle verpflichten. Wie kann es vor überhaupt noch zu einer Auszahlung kommen, wenn da jetzt eine Partei ausschert?

Kothé: Ich kann mich an dieser Stelle nur wiederholen: Es gilt das, was auch unser Minister immer gesagt hat, nämlich dass sich alle maßgeblichen Führungsmitglieder der politischen Parteien verpflichten müssen - und zwar in schriftlicher Form -, die Beschlüsse unabhängig vom Wahlausgang umzusetzen. Das ist aus unserer Sicht eine Voraussetzung für den Abschluss des zweiten Griechenland-Programms. Aber wie gesagt, wie das Ausscheiden (der LAOS-Partei aus diesem Konsens) einzuschätzen ist, ist eine politische Bewertung, die innerhalb der Eurogruppe und auch vor europäischem Kontext zu vorzunehmen ist.

Zusatzfrage: Es geht notfalls also auch ohne LAOS?

Kothé: Ich kann dieser Bewertung nicht vorweggreifen. Das wird zu besprechen sein.

Frage: Herr Seibert, ich möchte das Stichwort "Wachstumskräfte freisetzen" einmal aufgreifen: Wachstumskräfte setzt man ja nicht ohne Investitionen frei; wir brauchen also Investitionen in Griechenland. Es investiert aber keiner in Griechenland, weil die Lage dort so unsicher ist und auch weil die griechischen Unternehmen keine Kredite bekommen. Wie wollen Sie also sicherstellen, dass dort wirklich investiert wird? Denn Wachstumskräfte können Sie ja mit Strukturreformen allein nicht freisetzen.

Der zweite Teil meiner Frage ist: Diese Umwidmung von Mitteln aus den Strukturfonds klingt schön, aber was tut sich da? Wie läuft das aktuell, gibt es einen Investitionsplan? Der Grünen-Fraktionschef Trittin fordert ja eine Initiative für Wachstum. Vielleicht können wir das auch als Stichwort nehmen: Wird die Bundesregierung eine Initiative für Wachstum starten?

StS Seibert: Wenn Sie sich erinnern, dann hat sich der letzte Europäische Rat, also der informelle Europäische Rat Ende Januar, genau mit diesem Thema - Wachstum und Beschäftigung - beschäftigt und hat Maßnahmen beschlossen beziehungsweise auf den Weg gebracht, die genau das erzielen sollen. Zu diesen Maßnahmen gehört der gezielte, rasche Einsatz von noch verfügbaren, noch nicht ausgegebenen europäischen Fondsmitteln - unter anderem auch in Griechenland -, um kleine und mittlere Unternehmen zu stützen und um Arbeitsmarktmaßnahmen zu unterstützen. Das ist sehr konkret, und es sind keine kleinen Summen, um die es dabei geht. Die Arbeit an der Durchführung dieses Programms liegt jetzt bei der Europäischen Kommission.

Sie sprechen von Investitionen und davon, dass keiner in Griechenland investiere. Ich will nur einmal zu bedenken geben, dass das Problem mangelnder Investitionen in Griechenland auch mit der Geschlossenheit der Wirtschaft und mit den starren Strukturen zu tun hat, gegen die jetzt eben auch Schritt für Schritt vorgegangen wird. Wenn Privatisierungen in stärkerem Maße, als bisher erreicht, schon vorankämen, gäbe es auch da mehr Investitionen. Es ist wahrscheinlich schwierig, in Bereiche zu investieren, in denen durch einen zu hohen Mindestlohn die Beschäftigung überwiegend im illegalen Bereich stattfindet. Das alles - wie auch die Tatsache, dass immer noch viele Berufsbilder geschlossen sind - sind ja auch keine Bedingungen, die griechische oder internationale Investoren davon überzeugen, dass ihr Geld dort gut angelegt ist und gut arbeiten kann. Es geht darum - und ich glaube, dass das von den wesentlichen politischen Kräften in Griechenland verstanden worden ist und dass Griechenland sich politisch-legislativ auf diesen Weg gemacht hat -, Bedingungen zu schaffen, die Griechenland zurück zur Wettbewerbsfähigkeit führen.

Zusatzfrage: Eine zusätzliche Initiative für Wachstum wird es also nicht geben?

StS Seibert: Ich glaube, dass es auf der europäischen Ebene gerade jetzt, erst Ende Januar, bedeutende Beschlüsse in Richtung Wachstum gegeben hat. Von einer weiteren Initiative kann ich Ihnen hier jetzt nicht berichten.

Frage: Frau Kothé, ich wollte auch noch einmal zu den Bedingungen fragen, die Griechenland jetzt erfüllen muss. Der Beschluss des Parlaments ist eine wesentliche Bedingung, die Unterschriften müssen noch beikommen - gibt es weitere Bedingungen, die erfüllt sein müssen, über die die europäischen Finanzminister dann beraten?

Kothé: Es gibt ja die Liste der sogenannten "prior actions". Welche Maßnahmen es im Detail sind, deren Umsetzung hierbei gesetzgeberisch in die Wege zu leiten ist, wird gerade jetzt noch einmal beraten; insofern ist auch das ein Dokument, über das noch Einigung herbeigeführt werden muss.

Frage: Herr Seibert, man kann es ja an den Bildern sehen, wie schwierig die politische Situation in Griechenland ist. PASOK liegt in den Umfragen inzwischen bei 8 Prozent. Welchen Wert hat eine Vereinbarung mit einer Regierung, die es wahrscheinlich nach der nächsten Wahl nicht mehr gibt - erst recht, wenn einer der Koalitionsführer, nämlich Herr Samaras, seine Partei auffordert, der Vereinbarung mit der EU zuzustimmen, damit man das Geld bekommen, gleichzeitig aber ankündigt, nach der Wahl, falls er gewinnen sollte, das Paket neu zu verhandeln?

Zweite Frage: Selbst wenn das PSI jetzt durchgeht, ist eigentlich allen Beteiligten klar, dass man bis 2020 nicht auf 120 Prozent kommt. An welcher Ecke ist die europäische Politik denn bereit, noch einmal nachzugeben? Sind Sie bereit, bei den bilateralen Krediten irgendetwas nachzulassen - Zinsen oder Gesamtschuld -, oder stocken Sie das Paket auf?

StS Seibert: Solange das Paket noch nicht geschnürt ist und das PSI noch nicht ganz zu Ende verhandelt ist, möchte ich hier nicht Mutmaßungen darüber anstellen, was geschähe, wenn Griechenland nicht die Zielmarken erreicht, die man auf europäischer Ebene - übrigens zusammen mit den Griechen - im Herbst letzten Jahres gesetzt hat.

Zu Ihrer ersten Frage: Ich finde, es gehört zum Respekt vor einem frei gewählten Parlament wie dem griechischen, dass man einen Satz von Beschlüssen, wie es sie gestern gefasst hat, zunächst einmal genauso ernst nimmt, wie wenn sie in jedem anderen Parlament gefällt worden sind. Diese Beschlüsse stehen, und wir gehen auch davon aus, dass die griechische Demokratie zu diesen Beschlüssen besteht.

Zusatzfrage: Aber wenn Herr Samaras schon unmittelbar vor der Abstimmung ankündigt, nach einer Wahl - falls er die gewinnen sollte - das Paket neu zu verhandeln, dann hat man da ja einen nicht sehr zuverlässigen Partner an der Seite, oder?

StS Seibert: Aber ich werde mich hier jetzt nicht zu Äußerungen über die griechische Innenpolitik und Äußerungen einzelner Politiker bereitfinden.

Zusatzfrage: Nur diese griechische Innenpolitik hat ja bisher dazu geführt, dass alle Pakete, die wir verhandelt haben, nicht funktioniert haben.

StS Seibert: Genau deswegen ist es so wichtig, wie wir es jetzt immer wieder gesagt haben, dass sich alle wesentlichen Kräfte der griechischen Politik dazu bereiterklären, diesen auf europäischer Ebene gemeinsam verabredeten Weg zu gehen - auch nach den Wahlen. Es wird sonst nahezu logischerweise die Bereitstellung des großen europäischen Hilfspakets natürlich nicht geben können.

Frage: Herr Seibert, Sie haben der griechischen Regierung vorhin die Unterstützung der Bundesregierung zugesichert, aber am Wochenende haben wir massenweise Stellungnahmen von Ministern dieser Regierung gehört, die sich offen über einen Austritt Griechenlands aus dem Euro geäußert haben. Was gilt jetzt als Linie der Bundesregierung, die Unterstützung oder die Drohung eines Austritts?

StS Seibert: Es gilt die gleiche Linie, wie ich sie hier und wie die Bundeskanzlerin sie immer vertreten hat: Wir wollen Griechenland auf diesem Weg helfen, wir wollen Griechenland innerhalb der Eurozone helfen. Die Bundeskanzlerin hat neulich bei einer Veranstaltung hier in Berlin gesagt, sie werde sich an keinem Versuch beteiligen, Griechenland aus der Eurozone herauszuschubsen, und dies gilt.

Frage: Dazu kann ich gleich eine Frage an das Wirtschaftsministerium anschließen: Gilt das auch für den Vizekanzler? Der hat sich heute Morgen ja sehr skeptisch geäußert.

Wiegemann: Wie gesagt, der Minister hat sich dazu geäußert. Er hat gesagt, dass Griechenland das Vereinbarte umsetzen muss, und dass es erst, wenn das passiert ist, weitere Hilfen geben kann. Er hat auch auf die notwenigen Strukturreformen hingewiesen.

Zusatzfrage: Und die Unterstützung gilt? Das war ja die Frage; das Interview habe ich ja gehört.

Wiegemann: Ja, natürlich. Er sagt, dass Griechenland das Vereinbarte umsetzen muss, und wenn das Vereinbarte umgesetzt wird, kann es auch Hilfen geben.

Zusatzfrage: Noch eine Frage an das Finanzministerium zum Ablauf: Worüber entscheiden die Finanzminister denn am Mittwoch? Das PSI wird ja noch nicht endgültig sein, denn da wird man noch nicht wissen, wie hoch die Beteiligungsquote ist. Das Hilfsprogramm baut ja auf dem PSI, dem Private Sector Involvement, auf. Was muss noch auf die "prior action"-Liste beziehungsweise was steht da schon drauf - vielleicht können Sie das noch konkretisieren? Worüber genau wird entschieden?

Vom Wirtschaftsministerium wüsste ich gerne: Was ist denn das Kriterium dafür, wann die Hilfen umgesetzt sind? Denn das klingt so ein bisschen nach Sankt-Nimmerleins-Tag.

Kothé: Sankt-Nimmerleins-Tag steht, glaube ich, bei keinem zur Debatte.

Zusatzfrage: Nein, nein, ich meinte das auf die Aussagen des Wirtschaftsministers bezogen.

Kothé: Okay. - Die Finanzminister, genauer gesagt die Eurogruppe, beraten am kommenden Mittwoch - so ist der Plan bis zur Stunde - eigentlich über zwei Teile.

Das eine sind die ganzen Finanzbeschlüsse - das ist relativ vielschichtig und zum Teil recht technisch, deswegen fasse ich das jetzt einmal so zusammen -, die zur Vorbereitung des zweiten Griechenland-Paketes notwendig sind. Dazu gehören auch bestimmte Dinge im Zusammenhang mit dem PSI, und dazu gehört natürlich auch das Paket als solches.

Als zweite Voraussetzung gibt es dann eben noch die Liste mit den "prior actions". Welche Maßnahmen sich auf dieser Liste befinden, kann ich Ihnen momentan noch nicht sagen - es tut mir leid, aber wir haben heute Morgen noch nicht im Detail auswerten können, was genau gestern Abend in welcher Form beschlossen worden ist. Die Kollegen sind aber dabei, das auszuwerten; insofern werden wir Sie informieren, sobald wir das wissen. Natürlich wird das bis Mittwoch aufbereitet sein. Es sind teilweise Maßnahmen aus dem ersten Griechenland-Programm, die noch nicht umgesetzt waren, und eben auch Maßnahmen mit Blick auf das zweite Programm.

Das sind die wesentlichen Bausteine, über die am Mittwoch beschlossen werden soll - konditioniert natürlich. Dann kommt wiederum eine Phase, in der es um das PSI als solches geht, und der endgültige Beschluss über das Programm findet dann Anfang März statt.

Zusatzfrage: Ich habe das nicht verstanden. Können Sie es nicht vielleicht doch einfach ein bisschen technischer sagen? Sie haben jetzt gesagt, da gebe es Finanzbeschlüsse zu Griechenland und das Paket als solches.

Kothé: Es ist eine Reihe von Beschlüssen, es sind ganz viele Detailbeschlüsse.

Zusatzfrage: Aber was genau muss ich mir darunter vorstellen? "Finanzbeschlüsse" ist ein Begriff, unter dem ich mir, ehrlich gesagt, nichts vorstellen kann.

Kothé: Ich habe jetzt keine genaue Liste. Ich will Ihnen das aber gerne nachliefern, sobald uns die richtige Tagesordnung und die Beschlussvorlagen vorliegen, was heute Morgen einfach noch nicht der Fall war. Aber von der Grobstruktur her war es so vorgesehen, dass es zum einen um die Finanzbeschlüsse geht - es sind eine Reihe von Einzelbeschlüssen, die da vorgesehen sind - und dass es zum anderen um die Beschlüsse geht, die zum zweiten Griechenland-Paket führen.

Zusatzfrage: Kann das Wirtschaftsministerium das ergänzen?

Wiegemann: Ich habe jetzt auch keine exakte Liste parat, was alles umgesetzt sein muss. Ich denke, dazu kann eher das Bundesfinanzministerium Auskunft geben.

Kothé: All diese Dinge werden gerade vorbereitet. Dazu tagt heute - und ich glaube, am Mittwoch noch einmal - auch eine Eurogroup Working Group, also eine Arbeitsgruppe aus Staatssekretären. Das ist im Augenblick alles sehr eng gestrickt, insofern bitte ich um Nachsicht, dass wir das heute Morgen nicht bis in die letzten Details liefern können. Aber wir bemühen uns, das so detailliert und so schnell wie möglich nachzuliefern.

Frage: Mich würde, Herr Seibert, auch die Position der Kanzlerin zu einer Äußerung von Herrn Rösler interessieren, der gestern, wenn ich mich richtig erinnere, vor dem Hintergrund einer Pleite Griechenlands gesagt hat, der Schrecken durch den Tag X werde geringer. So hat er sich sinngemäß ausgedrückt. Teilt Frau Merkel diese Position, oder wie sieht da Ihre Einschätzung aus?

StS Seibert: Ich weiß nicht, was mit "Tag X" in diesem Zusammenhang gemeint ist. Ich will gerne sagen, was die Position der Bundeskanzlerin von Anfang an war: Die Bundesregierung kann nur solche Maßnahmen unterstützen und auf solche Maßnahmen hinarbeiten, die von uns als beherrschbar und mit einem überschaubaren Risiko behaftet angesehen werden. Vielerlei internationale Experten warnen vor unübersehbaren Risiken im Zusammenhang mit einer griechischen Pleite oder einem Austritt aus dem Euro usw.

Deswegen ist unsere Position eine verantwortungsvolle, den Griechen bei großen griechischen Eigenanstrengungen, wie wir es ja gestern im Parlament dort erlebt haben, mit europäischer Solidarität entgegenzukommen und zu versuchen, gemeinsam den besseren Weg zu finden - innerhalb des Euros.

Frage: Der Wissenschaftliche Dienst des griechischen Parlaments hat befunden, dass das Gesetz, das gestern in Athen beschlossen worden ist, zum Teil verfassungswidrig sei, insbesondere was die Abschaffung der Kollektivvertragsgesetzgebung betrifft. Ist Ihnen das irgendwie bekannt? Wird das in Ihre Überlegungen einbezogen, angesichts dessen, dass diese Gesetze bald angefochten werden und eventuell auch verworfen werden, sowohl von den griechischen Verfassungsorganen wie auch von europäischen und internationalen Verfassungsorganen?

Darüber hinaus wollte ich fragen: Wie ist die Position der Bundesregierung in dieser Frage? Es wird ein grundlegendes Recht der Arbeitnehmer, der griechischen Verfassung, der internationalen Verfassung überhaupt aus den Angeln gehoben. Wie stellen Sie sich dazu?

StS Seibert: Ich muss zugeben, dass mir die Stellungnahme des Wissenschaftlichen Dienstes des Athener Parlaments persönlich nicht bekannt ist. Ich schlage vor, dass sich die griechische Politik und die griechischen Verfassungsorgane mit dieser Stellungnahme befassen.

Zusatzfrage: Es ist eine Frage, von der ich glaube, dass sie auch die Bundesregierung anbelangt.

StS Seibert: Ich will nicht sagen, dass sie sie nicht anbelangt, aber ich kenne die Position des Wissenschaftlichen Dienstes des Athener Parlaments nicht, und deswegen möchte ich sie jetzt hier auch nicht kommentieren. Ich würde aber vermuten, genauso, wie wenn es eine Position des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages gibt, dass in erster Linie Deutschlands Parlament und andere Verfassungsorgane sich damit befassen müssen.

Das griechische Parlament hat gestern eine Reihe von Beschlüssen gefasst. Ich kann mich namens der Bundesregierung nur an das halten, was wir an Beschlüssen da vorliegen haben, und diese habe ich begrüßt.

Vorsitzender Leifert: Es gab noch eine zweite Frage nach den Arbeitnehmerrechten, die aus den Angeln gehoben worden seien, wenn ich das richtig verstanden habe. Möchte dazu jemand Stellung nehmen?

StS Seibert: Nein, weil ich den konkreten Passus dieser Maßnahme nicht kenne und weil ich glaube, dass die Mehrheit des griechischen Parlaments gestern das getan hat, was sie getan hat, und ich namens der Bundesregierung die Richtung dieser Beschlüsse für absolut richtig halte.

Frage: Gibt es Berechnungen im Bundeskanzleramt, wie viel eine griechische Staatspleite Deutschland eigentlich kosten würde? Weiß man das? Wie ist die Summe? Es gibt dazu verschiedene Berechnungen. Ich habe in verschiedenen Zeitungen verschiedene Zahlen gesehen. Wie ist Ihre Auffassung?

StS Seibert: Ich kenne keine solchen Berechnungen. Also: Ich lese welche in verschiedenen Zeitungen; ich kenne keine solchen Berechnungen, die die Bundesregierung angestellt hat.

Zusatzfrage: Warum nicht? Da besteht ja ein großes Risiko.

StS Seibert: Ich kann nur sagen: Ich kenne keine solchen Berechnungen, die die Bundesregierung angestellt hat. Die Bundesregierung befasst sich in einer Intensität mit der griechischen Problematik wie mit kaum einem anderen außenpolitischen Thema. Es wird jeder Stein mehrfach gedreht und gewendet, um zu betrachten, was das richtige Vorgehen ist. Ich kann Ihnen dennoch nicht sagen, dass es in der Bundesregierung eine Berechnung gibt, die auf die Milliarde genau sagt, was es die Bundesrepublik Deutschland kosten würde.

Wir versuchen, wie gesagt, alle unsere Kraft - das ist auch die Haltung der europäischen Partner - für eine positive Lösung einzusetzen, die ich hier schon mehrfach beschrieben habe.

Frage: Ich wollte noch einmal die Frage an Frau Wiegemann stellen, denn ich habe in der Tat auch nicht verstanden, welche Umsetzungsschritte von Griechenland als Voraussetzung für die deutsche Hilfe erwartet werden. Könnten Sie noch einmal erläutern, was überhaupt innerhalb eines Zeitraums von etwas mehr als zwei Wochen bis zu dem beabsichtigten Bundestagsbeschluss an Umsetzungsschritten erwartbar ist? Was muss denn eigentlich konkret passieren, um die Hilfe freizugeben?

Wiegemann: Wie schon gesagt, ich habe leider keine Liste parat, aus der ich Ihnen jetzt zitieren könnte. Daher kann ich Ihre Frage momentan leider nicht beantworten.

Zusatzfrage: Die Äußerungen von Herrn Rösler sind ja so zu verstehen, dass sozusagen noch einmal eine neue Art der Vorbedingungen aufgebaut wird. Ist das die richtige Interpretation? Oder ist das einfach nur eine Wiedergabe des bereits immer wieder wiederholten Standpunkts, dass für diese Hilfe gewisse Schritte gemacht werden müssen? Ist das sozusagen eine neue Voraussetzung, die hier formuliert wird, oder nicht?

Wiegemann: Der Minister hat gesagt, dass Griechenland das Vereinbarte umsetzen muss. Wenn das passiert, kann es Hilfe geben. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

StS Seibert: Vielleicht darf ich kurz an das erinnern, was die Eurogruppe am 9. Februar als notwendige Grundlage für eine Entscheidung über ein Gesamtpaket zu Griechenland formuliert hat. Dazu gehörte unter anderem: Griechenland muss noch konkrete strukturelle Ausgabenkürzungen in Höhe von 325 Millionen Euro benennen, um eine noch offene Lücke im Haushalt 2012 zu schließen. Dazu gehört unter anderem die hier schon erwähnte Zustimmung der wesentlichen politischen Kräfte zu den Zielen des Programms, die Verpflichtung, die anerkannt werden muss. Dazu gehört die Reihe von Einzelmaßnahmen, die rechtlich verbindlich beschlossen oder umgesetzt werden müssen; das sind die sogenannten "prior actions". Dazu gehört auch noch - das ist dann eine Sache der Troika - die Schuldentragfähigkeitsanalyse.

Das sind Dinge, die noch ausstehen, und das sind keine deutschen Forderungen, sondern es sind Forderungen, die die Eurogruppe aufgestellt hat.

Frage: Ich hänge noch ein bisschen am "Tag X". Wenn der Regierungssprecher nicht weiß, was der Wirtschaftsminister gemeint hat, dann fragen wir doch beim Wirtschaftsministerium, was denn Herr Rösler gestern mit dem "Tag X" gemeint hat.

Wiegemann: Der Minister meint damit, dass aus seiner Sicht Europa auf alle Eventualitäten vorbereitet ist.

Zusatzfrage: Das weiß ich schon, dass er das gesagt hat. Aber er hat gesagt, der Tag X verliere zunehmend seinen Schrecken. Und die Frage ist: Was ist aus Sicht von Herrn Rösler der Tag X?

Wiegemann: Beispielsweise eine Zahlungsunfähigkeit Griechenlands.

Zusatzfrage: Daraufhin könnte der Regierungssprecher, wenn es das dann gewesen ist, ja reagieren; ihm ist unklar gewesen, was der Tag X denn gewesen sei.

StS Seibert: Ich brauche darauf nicht wirklich zu reagieren, weil ich, glaube ich, jetzt relativ wortreich hier versucht habe darzulegen, dass die Bundesregierung zusammen mit den europäischen Partnern alles tut, um in einer Mischung aus Solidarität und griechischen Eigenanstrengungen genau diese Zahlungsunfähigkeit zu verhindern.

Zusatzfrage: Verliert für die Bundeskanzlerin der Tag X seinen Schrecken?

StS Seibert: Die Bundeskanzlerin denkt nicht in diesen Kategorien.

Frage: Herr Seibert, ich würde gerne an die Frage des Kollegen zum Umkreis der Tarifautonomie anschließen. Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, ist die Ansage für Griechenland sinngemäß: keine Lohnerhöhungen, bis die Arbeitslosigkeit auf 10 Prozent gesunken ist. Eine derartige Ansage der Regierung wäre in Deutschland schwierig. Wieso geht das in Griechenland?

StS Seibert: Da machen Sie mich jetzt zu einem Experten für die griechischen Belange, der ich nicht bin. Ich will aber mal sagen, dass in Griechenland die Situation auch eine vollkommen andere ist. Ich habe die entsprechenden Grafiken nicht dabei, aber jeder kann sich informieren und kann sehen, dass die Lohn- und Gehaltsentwicklung in Griechenland in den letzten Jahren einen ziemlich starken Zuwachs zu verzeichnen hatte, während die Lohn- und Gehaltsentwicklung in Deutschland ziemlich flach oder nur mit sehr leichtem Anstieg verlief. Dies sind unter anderem Gründe, warum Wettbewerbsfähigkeit verloren gegangen ist.

Zusatzfrage: Die Frage zielte ja darauf ab, ob das eine Verletzung der Tarifautonomie ist, die ein hohes Gut darstellt und eigentlich nicht zur Disposition von Regierungen steht.

StS Seibert: Trotzdem muss ich jetzt sagen: Ich finde, es ist eine Frage, die Sie eher der Mehrheit der griechischen Parlamentarier, die dies gestern beschlossen haben, stellen müssten.

Griechenland ist in einer extremen wirtschaftlichen und finanzpolitischen Notlage. Ich glaube, das würde jeder unterschreiben. Es denkt über Maßnahmen nach, wie es aus dieser Notlage herauskommen kann, und Europa ist bereit, ihm dafür ein großes Maß an Solidarität zu geben. Ich glaube, trotzdem noch einmal für die Bundesregierung sagen zu können, dass die gestern beschlossenen Maßnahmen ein Beitrag zur Verbesserung der Situation sein können.

Frage: Frau Kothé, Sie haben vorhin gesagt, Anfang März wird der endgültige Beschluss kommen. Was meinen Sie damit? Wessen Beschluss? Der Eurozone?

Kothé: Eurogruppe, ja. Erst dann wird die Freigabe, so alle Voraussetzungen vorliegen, für das Griechenland-Paket erfolgen können. Aber das ist in dem Sinne nichts Neues. Das ist der Plan, der sowieso - -

Zusatzfrage: Das heißt ja dann, dass der Deutsche Bundestag sich nach diesem Beschluss mit diesem Thema befassen kann, oder nicht?

Kothé: Nein. Der Bundestag muss sich natürlich vorher mit diesem Thema befassen. Das ist ja auch so vorgesehen.

Frage: Frau Kothé, Sie sprachen eben auch noch einmal die "prior actions" an. Was ist denn das jetzt genau? Was fehlt da?

Kothé: Es tut mir leid, wir haben das heute Morgen nicht - - Das sind Maßnahmen in vielen Bereichen. Das sind eben Maßnahmen am Arbeitsmarkt - Herr Seibert hat das auch gesagt -, im Bereich der Haushaltskonsolidierung usw., die Teile, die teilweise schon in dem ersten Programm vereinbart wurden, und Zusätzliches. Eine genaue Liste habe ich jetzt nicht vorliegen. Ich bitte um Nachsicht. Wir reichen das nach. Das hängt auch mit den Zeitabläufen zusammen, mit gestern Nacht. Ganz so schnell geht es eben manchmal dann nicht.

Frage: Herr Seibert, noch einmal zu dem Thema "Tag X": Sie sagen, die Kanzlerin denkt nicht in solchen Kategorien, ihr Wirtschaftsminister und ihr Finanzminister offensichtlich schon. Gibt es in der Bundesregierung unterschiedliche Ansichten über die Folgen eines Tages X? Wenn ja, warum gehen da die Ansichten so weit auseinander - auf der einen Seite die beiden Minister, die für Wirtschaft und Finanzen zuständig sind, auf der anderen Seite die Kanzlerin?

StS Seibert: Ich glaube, Sie deuten jetzt sehr viel hinein in einen Satz des Bundeswirtschaftsministers, in dem er das Wort "Schrecken" benutzt hat. In dieser Kategorie, habe ich gesagt, denkt die Kanzlerin nicht.

Sie denkt natürlich in den Kategorien von Risiken, die zu vermeiden oder möglichst gering zu halten sind. Das ist der Auftrag einer Regierungschefin zum Wohle des deutschen Volkes. Dies ist genau die Haltung, die die gesamte Bundesregierung teilt und die auch unsere Arbeit in der Griechenland-Politik prägt.

Frage: Das griechische Parlament hat tatsächlich gestern in voller Souveränität seine Beschlüsse gefasst. Die Vorlagen dazu in der Form eines Ultimatums kamen von der Troika. Dieses Ultimatum enthielt auch die Forderung nach Abschaffung der Kollektivverträge, der Tarifautonomie.

Meine Frage ist: Ist das etwas, was nur Griechenland betrifft? Hat die Troika mit der Bundesrepublik, mit der Europäischen Union nichts zu tun? Hat die Idee der Erhaltung der Tarifautonomie in einem Land der Europäischen Union nichts mit der Bundesrepublik zu tun?

StS Seibert: Die Frage, ob es Griechenland gelingt, aus der tiefsten wirtschafts- und finanzpolitischen Krise seiner Geschichte herauszukommen und auf einen Wachstums- und Nachhaltigkeitspfad zu kommen, ist eine Frage, die nicht nur für Griechenland wichtig ist, sondern auch für Europa und die anderen Mitglieder der Eurozone. Weil das so ist, gibt es ja seit anderthalb, zwei Jahren eine Reihe von solidarischen Maßnahmen.

Man darf nicht vergessen, dass wir jetzt über ein zweites Griechenland-Hilfspaket in Höhe von 130 Milliarden Euro sprechen. Man darf nicht vergessen, dass wir möglicherweise über einen 50-prozentigen Forderungsverzicht privater Gläubiger gegenüber Griechenland sprechen. Wenn Sie also sagen, das habe auch mit der Bundesrepublik zu tun, dann möchte ich das ausdrücklich unterstützen.

Trotzdem hat das griechische Parlament gestern seine Entscheidung in voller Souveränität getroffen, allerdings auf der Basis der im Oktober gemeinsam zwischen Griechen und europäischen Partnern gefassten Beschlüsse, welchen Weg man wählen will, um aus der Problematik herauszukommen. Da hat Griechenland Verantwortung und Verpflichtungen auf sich genommen, und das, was wir gestern gesehen haben, ist ein Teil genau dieser Verpflichtungen, die Griechenland im Oktober auf sich genommen hat.

Frage: Ich würde sagen, die Frage, die der Kollege stellt, lautet doch: Gilt die europäische Ordnung in allen ihren Mitgliedstaaten auch in Zeiten größter Not?

Denken Sie einmal an die Ungarn und ihre Mediengesetze; Herr Mertzlufft kennt sicher noch andere Beispiele, wo in einzelnen Mitgliedsländern gegen Grundsätze der europäischen Ordnung verstoßen wird und dann von anderen Mitgliedsländern dagegen protestiert wird oder es Verfahren gibt, die Mitgliedsländer, die dagegen verstoßen haben, dazu zu zwingen, sie doch wieder einzuhalten.

Gilt der Grundsatz, dass die europäische Ordnung für alle ihre Mitglieder gilt, auch in dieser Phase der Not, oder gibt es so etwas wie eine Notordnung - vielleicht kann Herr Mertzlufft darüber Auskunft geben -, dass also ein Mitgliedsland in einer bestimmten Situation von diesen Grundsätzen abweichen kann?

StS Seibert: Nach meiner Überzeugung gelten die europäischen Grundwerte in jeder Situation; das ist das gemeinsame Fundament der Europäischen Union.

Ich kann jetzt nicht über jede einzelne Maßnahme, die gestern im griechischen Parlament von den Abgeordneten souverän beschlossen wurde, hier urteilen. Die grundsätzliche Aussage ist aber: Die europäischen Grundwerte gelten in jedem Land der Europäischen Union.

Trotzdem noch einmal: Griechenland ist in einer singulär schwierigen Lage, und es ist der Empfänger von singulär großer europäischer Solidarität.

Frage: Vielleicht kann Herr Flosdorff versuchen einzuschätzen, ob es sich bei dem, was gerade in Griechenland auf Initiative der Troika, zu der auch die Bundesregierung irgendwie dazugehört, beschlossen worden ist, um eine Einschränkung der Tarifautonomie handelt.

Flosdorff: Ich kann nicht einordnen, wie hoch die Tarifautonomie in der griechischen Verfassung verankert ist, und ich bin auch kein Experte in Europarecht. Da muss ich Sie leider enttäuschen.

Vorsitzender Leifert: Herr Mertzlufft, können Sie das eventuell noch ergänzen?

Merzlufft: Das kann ich hier natürlich auch nicht bewerten. Da kann ich mich nur den Worten von Herrn Seibert anschließen.

Frage: Ich habe eine Frage an das Gesundheitsministerium. Herr Bahr hat am Wochenende gefordert, die Krankenkassen, die sozusagen zu viel Geld haben, sollten dies an die Versicherten zurückzahlen. Gibt es denn Vorstellungen, welche Dimensionen das haben könnte?

Auch der Gesundheitsfonds ist sehr gut ausgestattet. Können Sie sagen, wie hoch die Reserven des Gesundheitsfonds sind und ob auch da etwas auskehrbar wäre?

Albrecht: Zunächst lassen Sie mich eines klarstellen: Wir haben die Kassen nicht aufgefordert, etwas auszuzahlen, sondern wir haben sie gebeten zu prüfen, ob es möglich wäre, ihr gesetzliches Recht, eine Prämie auszuzahlen, zu nutzen.

Sie wissen, dass die Bundesregierung es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Wettbewerb zwischen den Kassen zu fördern, weil wir der Auffassung sind, dass Wettbewerb für die Versicherten und für die Patientinnen und Patienten die besten Ergebnisse bringt. Wenn die Kassen, die die Möglichkeit dazu hätten - wobei ich Ihnen nicht sagen kann, wer das ist und wo die Reserven liegen; da ist das BMG der falsche Ansprechpartner, da müssten Sie die Kassen bitte selbst fragen -, eine Prämie auszahlen würden, würde das diesen Wettbewerb befördern. Das wäre uns wichtig.

Um auf Ihre Frage zum Gesundheitsfonds zu antworten: Eine Beitragssenkung bietet eben diese Möglichkeit nicht, weil sie pauschal alle Kassen treffen würde, das heißt auch die Kassen, die keine Rücklagen haben. Das wollen wir nicht. Wir wollen, dass die Kassen, die wirklich dazu in der Lage sind, dieses gesetzliche Instrument, das ihnen zur Verfügung steht, auch nutzen. Diese Aufforderung hat der Minister in der "Rheinischen Post" vom Samstag ausgedrückt.

Zusatzfrage: Ist die Zahl von 8 Milliarden Reserven beim Gesundheitsfonds richtig?

Albrecht: Wir reden beim Gesundheitsfonds über knapp 8 Milliarden Euro Reserven. Davon sind aber über 5 Milliarden Euro gesetzlich gebunden. Der Rest - wir sagen, es sind etwa 2 Prozent einer Jahreseinnahme - ist an Überschüssen im Fonds.

Aber noch einmal: Würden wir eine pauschale Beitragssenkung in Augenschein nehmen, würde das bedeuten, dass alle Kassen, auch die, die es sich nicht leisten könnten, auf Einnahmen zu verzichten, betroffen wären. Das heißt, wir können es nicht wettbewerblich abstimmen. Die Kassen könnten das, indem sie nach Einschätzung ihrer eigenen finanziellen Lage sagen, ich zahle eine Prämie aus, oder ich zahle keine Prämie aus. Dieses Instrument hätten wir nicht, und deswegen halten wir das Instrument der Beitragssenkung in dieser Situation auch nicht für adäquat.

Frage: Ich möchte zur "Baustelle" des Antipiraterieabkommens zwei Fragen stellen, die erste an Herrn Seibert und an Herrn Mertzlufft. Ich habe nicht ganz verstanden, was die Aussetzung der Unterzeichnung von ACTA bedeuten soll. Soll da noch einmal neu verhandelt werden, oder wie will man die möglicherweise offenen Fragen dort klären?

Eine Frage an das Bundeswirtschaftsministerium: Frau Wiegemann, teilt der Bundeswirtschaftsminister die Einschätzungen aus der deutschen Industrie, wonach die Nichtunterzeichnung ein fatales Signal, eine Rolle rückwärts sei und dem Innovationsstandort schade?

StS Seibert: Wenn im Europaparlament oder anderswo jetzt neue Fragen rund um ACTA auftauchen, dann ist die Bundesregierung offen dafür, diese neuen Fragen klären zu lassen oder zur Klärung dieser neuen Fragen beizutragen.

Generell ist aber festzuhalten, dass das Kabinett auf Vorlage des Bundesjustizministeriums am 30. November der Zeichnung des Handelsübereinkommens ACTA durch die Bundesrepublik Deutschland zugestimmt hat.

Es ist auch festzuhalten, dass die wesentlichen Punkte der öffentlichen Kritik an ACTA nach der Überzeugung dieser Bundesregierung nicht nachvollziehbar sind. ACTA enthält, wenn man sich den Text genau anguckt, keine Regelungen über Internetsperren. Es enthält keine Verschärfung der Haftung für die Service-Provider. Es berührt auch überhaupt nicht die deutschen oder die europäischen Regeln zum Schutz personenbezogener Daten. Man kann kurz sagen, dass ACTA innerhalb Deutschlands und auch innerhalb der EU gar keinen Umsetzungsbedarf auslöst.

Es ist auch nicht, wie man in den letzten Tagen viel hören konnte, ein Geheimabkommen. Das BMJ hat richtigerweise den Text auf seiner Internetseite veröffentlicht. Es hat während der gesamten Beratungen von der Bundesregierung - da hat sich das BMJ verdient gemacht - immer wieder die Aufforderung gegeben, auch Zwischenstände, konsolidierte Vertragsentwürfe öffentlich zu machen. So ist auch erreicht worden, dass beispielsweise vorläufige Verhandlungstexte schon im Jahre 2010, im Oktober und im November veröffentlicht wurden und dass auch der endgültige Text des Abkommens am 3. Dezember auf der Webseite der EU-Kommission veröffentlicht worden ist.

Es bleibt aber dabei: Wir sehen in ACTA einen wichtigen Schritt, um einen umfassenden internationalen Rechtsrahmen für die Bekämpfung von Produkt- und Markenfälschungen zu schaffen. Wir bleiben als Bundesregierung dabei, dass der Schutz des geistigen Eigentums auch im digitalen Raum durchgesetzt werden muss.

Aber, wie gesagt, wenn es jetzt noch einmal neue Fragen rund um ACTA gibt, dann ist die Bundesregierung offen, diese Fragen zunächst einmal klären zu lassen.

Merzlufft: Es ist in der Tat so, dass die Justizministerin mit dem Chef des Bundeskanzleramts verabredet hat, dass die Zeichnung aufgeschoben wurde, um die Befassung des Europäischen Parlamentes abzuwarten, insbesondere im Blick auf die Möglichkeit, dass das Europäische Parlament ACTA dem Europäischen Gerichtshof vorlegt.

Sie wissen sicher alle, dass das Europäische Parlament ACTA ratifizieren muss. Wenn das Europäische Parlament ACTA entweder dem EuGH vorlegt oder vielleicht sogar nicht ratifizieren sollte, dann ist auch die Frage zweitrangig, ob in Deutschland eine Zeichnung oder eine Ratifizierung erfolgt. Es geht, rechtlich gesehen, letzten Endes immer darum, dass der Deutsche Bundestag zustimmt.

Die Fragen, die Herr Seibert angesprochen hat, werden im Europäischen Parlament - der Präsident des Europäischen Parlamentes, Herr Schulz, hat das angekündigt - ab dem 27. Februar beraten.

Wiegemann: Das BMJ ist in der Bundesregierung für Urheberrecht federführend zuständig. Dass das Bundeswirtschaftsministerium im handelspolitischen Ausschuss sitzt, in dem ACTA verhandelt wurde, liegt daran, dass das Bundeswirtschaftsministerium für die gemeinsame Handelspolitik zuständig ist. Aber auch dort handelt es auf Weisung des Bundesjustizministeriums.

Merzlufft: Ich darf das kurz ergänzen, damit kein falscher Eindruck entsteht: Es stimmt, das BMJ ist federführend, aber es handelt sich um ein europäisches Abkommen. Das ist ein sogenanntes gemischtes multilaterales Handelsabkommen. "Gemischt" heißt, es müssen alle 27 Mitgliedstaaten zustimmen. Es ist aber mitnichten so, dass es ein, wie ich auch gelesen habe, Abkommen ist, an dem die Bundesregierung in Verhandlungen beteiligt war. Die Bundesregierung war Beobachter in den Verhandlungen. Wenn man es flapsig formulieren wollte, könnte man sagen, dass die Bundesregierung am Katzentisch saß.

Frage: Herr Mertzlufft, erklärt die Tatsache, dass Sie am Katzentisch gesessen haben, dass Sie dem Bundeskabinett am 30. November ACTA zunächst vorgelegt haben, das Bundeskabinett auf Wunsch der Justizministerin zustimmte, und Sie jetzt sagen, das sei gar nicht so wichtig, denn wenn das Europäische Parlament es nicht ratifizieren werde, sei es letztlich egal, was man hier schon gemacht hat?

Das Verfahren verwirrt ein wenig. Ich gehe davon aus, dass Ihr Haus einen Grund hatte, es vorher dem Kabinett vorzulegen. Insofern meine zweite Frage: Was hat sich denn in den letzten sechs, acht Wochen getan, sodass Sie jetzt zu einer anderen Haltung gekommen sind?

Das Dritte: Gibt es schon ein Dankesschreiben an den Botschafter, der nicht rechtzeitig seine Ratifizierung bekommen hat, um am 26. Januar dem ACTA-Verfahren schon zuzustimmen? Eigentlich war das ja auch geplant.

Merzlufft: Zur ersten Frage: Es ist in der Tat so, dass das BMJ es federführend dem Bundeskabinett vorgelegt hat. Seitdem hat sich geändert, dass im Europäischen Parlament erwogen wird, dieses internationale Handelsabkommen dem EuGH vorzulegen. Wenn es dem EuGH vorgelegt werden würde, können Sie von einem erheblichen Zeitverzug ausgehen, geschätzt ein bis anderthalb Jahre.

Das Zweite ist: Im Europäischen Parlament - das lesen Sie allerorten; Sie transportieren es ja auch -, in der EVP-Fraktion, bei deutschen CDU-Abgeordneten der EVP, der ALDE, bei Sozialisten, Grünen, gibt es querbeet eine äußerst komplexe Meinungsbildung. Ich bin nicht der Sprecher des Europäischen Parlamentes, geschweige denn Experte für europäische Meinungsbildungsprozesse. Aber Sie haben vielleicht alle auch die Einlassung des Präsidenten des Europäischen Parlamentes gestern Abend verfolgt. Wenn das Europäische Parlament diesem Abkommen nicht zustimmt, dann stellt sich für die Bundesregierung nicht die Frage, ob die Bundesregierung zeichnet, oder für den Bundestag stellt sich dann nicht die Frage, ob der Deutsche Bundestag ratifiziert.

Zur dritten Frage, zum Botschafter: Gibt es nicht, nein.

Zusatzfrage: Jetzt hänge ich ein bisschen in der Luft. Es ist also völlig egal, was Deutschland für eine Haltung hat, solange das EU-Parlament eine andere Haltung hat. Das ist zumindest europarechtlich eine neue Definition. Natürlich kommt das Verfahren dann nicht zustande, aber trotzdem hat Deutschland ja eine Haltung, die das Kabinett zumindest am 30. November - ich vermute einheitlich, sonst wäre es kein Kabinettsbeschluss - beschlossen hat. Was gilt denn nun?

Merzlufft: Können Sie eine Frage formulieren?

Zusatz: Das kann ich gerne.

StS Seibert: Vielleicht kann ich ganz kurz dazu etwas beitragen. Die Haltung der Bundesregierung ist die, die auch in dem Kabinettsbeschluss vom 30. November 2011 zum Ausdruck kommt.

Jetzt gibt es die Haltung, dass, sofern neue Fragen aufgetaucht sind - Herr Mertzlufft hat ja gerade ausgeführt, woher die kommen -, es die Bereitschaft der Bundesregierung gibt, diese Fragen zunächst einmal klären zu lassen. An unserer grundsätzlichen Überzeugung, dass das ACTA notwendig und richtig ist und keine der Gefahren mit sich bringt, die derzeit beschworen werden, ändert das nichts.

Frage: Ich habe eine Anfrage an die Bundesregierung von Ende Dezember gelesen, die Sie beantwortet haben. Darin stand, dass die Mitgliedstaaten der EU die Möglichkeit gehabt haben und wohl auch genutzt haben - das müssten Sie beantworten -, über diesen Sonderausschuss ihre Interessen sozusagen geltend zu machen. Ist das nicht in ausreichender Form passiert, und deswegen unterzeichnen Sie dieses Abkommen jetzt nicht, oder wie ist das dann zu verstehen?

Frage: Herr Seibert, Sie haben mit Ihrer Twitter-Mitteilung von gestern im Netz einen regelrechten Shitstorm ausgelöst. Wie reagieren Sie denn auf diese Flut von Reaktionen im Internet, und wie haben Sie das selber erlebt?

Merzlufft: Zu dem Ausschuss: Als Beobachter achtet man natürlich auch darauf, dass, wenn Sie so wollen, diesem Abkommen die "Giftzähne" gezogen werden. Das ist erfolgt. Es gibt in diesem Abkommen keine Verpflichtung zu Netzsperren. Vieles, was im Netz an Behauptungen stattfindet, ist einfach nicht zutreffend, es war aber in früheren Entwürfen durchaus zum Teil zutreffend.

Entscheidend ist aber, dass andere Fragen im Europäischen Parlament, bei den Parlamentariern aufgeworfen werden. Es geht zum Beispiel - ich mache sie mir nicht zu eigen, aber das sind die Fragen, die von Europaparlamentariern aufgeworfen werden - um die Frage: Wird durch ACTA europäische Rechtsetzung ausgelöst, also in die Mitgliedstaaten hinein, zum Beispiel in Form einer Richtlinie? Wenn diese Fragen beantwortet werden, würde sich auch ein anderer Sachstand ergeben, aber diese Fragen muss die Kommission im Europäischen Parlament beantworten, weil ich an dieser Stelle natürlich nur für die nationale Seite sprechen kann.

Als Bundesjustizministerium haben wir zum Beispiel immer gesagt, dass wir keine neuen Gesetze als Folge von ACTA planen und vorhaben. Das heißt aber nicht, dass zum Beispiel, wenn die Behauptung stimmen würde, dass im Zuge von ACTA europäische Rechtsetzung durch die Europäische Kommission stattfinden würde, keine veränderte Situation eintreten könnte. Ich formuliere das bewusst im Konjunktiv, weil das Fragen sind, die jetzt im Europäischen Parlament gestellt werden. Deswegen ist es gut, dass sich jetzt die Justizministerin mit dem Chef des Bundeskanzleramtes auf die Aufschiebung der Zeichnung der Bundesrepublik Deutschland verständigt hat, um gerade auch die Möglichkeit zu eröffnen, dass diese Fragen im Europäischen Parlament beantwortet werden.

Zusatzfrage: Und zum "Scheißesturm", Herr Seibert?

StS Seibert: Schön, dass Sie es gesagt haben. - Es entspricht genau meinen Erfahrungen: Das ist das, was man erlebt, wenn man im Internet oder auf dem Twitter-Account des Regierungssprechers zu internetpolitischen Fragen Positionen bezieht, die einer Menge User dort nicht gefallen. Dann passiert genau das. Ich bin trotzdem davon überzeugt, dass auch auf Twitter und im Internet die Meinungsvielfalt gilt. Schön wäre es, wenn auch noch ein bisschen mehr Höflichkeit gälte. Dann kämen wir alle besser voran.

Frage: Ich habe eine Frage an das Innenressort, und zwar zu den Handydatenlöschungen, die es gegeben haben soll oder auch nicht gegeben haben soll. Dazu hat Staatssekretär Fritsche umfassende Aufklärung gefordert. Deshalb Frage eins: Wie weit ist man denn bei dieser Aufklärung gekommen?

Zweitens: Finden Sie die Erklärung von BKA-Chef Ziercke, man habe keine Beweismittel vernichtet, hinreichend? Dabei hat er ja offengelassen, was bei der Bundespolizei passiert ist.

Kutt: Ich darf zunächst noch einmal den Sachstand darstellen, weil ich nicht sicher bin, ob er jedem bekannt ist. Die Bundespolizei hat im Rahmen einer sogenannten technischen Amtshilfe BKA-Handydaten ausgelesen, das heißt Informationen, die nicht über die normale Benutzeroberfläche abrufbar sind. Diese ausgelesenen Daten wurden auf eine DVD gebrannt und dem BKA zusammen mit dem Original-Handygerät zur Verfügung gestellt, damit diese Daten dann vom BKA im Rahmen der Ermittlungen gegen den NSU ausgewertet werden können.

Nach Erhalt der Daten hat das BKA die Bundespolizei aufgefordert, die gespeicherten Daten, die ja dann in doppelter Form existierten, also sozusagen eine Datendublette, wieder zu löschen. Daraufhin hat Herr Ziercke gestern den Vorwurf zurückgewiesen, es würde sich um eine Beweismittelunterdrückung oder gar Vernichtung von Beweismaterial handeln. Derzeit besteht für das BMI kein Anlass, diese Aussagen infrage zu stellen. Wir gehen davon aus, dass eine Gefährdung der Ermittlungen zu keinem Zeitpunkt bestanden hat und auch derzeit nicht besteht.

Staatssekretär Fritsche hat in der vergangenen Woche Bundesinnenminister Friedrich über den Vorgang unterrichtet. Derzeit ist beim BKA ein Bericht in Arbeit, der diesen Sachstand noch einmal erläutern soll.

Zusatzfrage: Es gibt aber Sicherheitsexperten, die sagen, dass auch diese Löschung der Kopien durchaus den Tatbestand einer Beweismittelunterdrückung erfüllen könnte und dass das überhaupt nicht das übliche Vorgehen sei. Diese Sichtweise teilen Sie aber ausdrücklich nicht?

Kutt: Der Bericht des BKA wird erst einmal geprüft werden, und dann können wir Ihnen dazu Auskunft geben. Grundsätzlich gibt es keine schriftliche Verfahrensregelung, wenn es zu einer solchen Amtshilfe zwischen der Bundespolizei und dem BKA kommt. Eine derartige Arbeitsanweisung, wie es in der Fachsprache heißt, ist aus Sicht der Sicherheitsbehörden bislang nicht notwendig gewesen.

Frage: Herr Peschke, eine Frage, die vielleicht nicht viele interessiert: Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes plant das Auswärtige Amt, das Visaverfahren mit Russland zu ändern. Es plant eine Reform, eine Vertragsfirma, die wohl die Visaanträge entgegennehmen darf. Was konkret wird sich wann ändern?

Peschke: Wenn Sie zu den konkreten Fragen und Einzelheiten weiteres Interesse haben, können wir vielleicht noch einmal separat dazu sprechen.

Aber um hier auch vor dem Hintergrund allgemeiner Anwesenheit etwas dazu zu sagen: Es ist richtig, dass wir unsere Visaverfahren mit anderen Staaten, unter anderem auch mit Russland, ständig überprüfen, um sie effektiver, effizienter und bürgerfreundlicher zu gestalten, auch für die Antragsteller freundlicher zu gestalten.

Mit Russland gibt es da verschiedene Wege, die wir beschreiten möchten, um das Visaverfahren für die Antragsteller zu erleichtern. Wir glauben, dass wir im Rahmen der geltenden gesetzlichen Vorschriften - das ist ja ein national geregeltes und europäisch geregeltes Terrain - doch einige Fortschritte für die Antragsteller und für diejenigen, die sie hier in Deutschland einladen, erreichen können.

Frage: Ich habe eine Frage an das Innenministerium. Inzwischen steht fest, dass die letzten zwei Terrorakte in Aleppo auf Anweisung des Nachfolgers von Bin Laden, al Sawahiri, erfolgt sind, und der stellvertretende Innenminister von Irak hat erklärt, dass viele Dschihadisten von Irak nach Syrien infiltriert sind. Was sind die Informationen der Bundesregierung über diese Aktivität? Stellt diese Aktivität eigentlich keine Gefahr für die Sicherheit in Europa dar?

Kutt: Zu dieser Aktivität kann ich Ihnen keine Angaben machen. Grundsätzlich gehen die Sicherheitsbehörden des Bundes unverändert von einer intensivierten Gefährdungslage aus, auch aus dem Bereich des internationalen Terrorismus.

Frage: Ich habe eine Frage zu dem EU-Energieministertreffen morgen in Brüssel. Sie richtet sich an das Umwelt- und das Wirtschaftsministerium. Gibt es jetzt eine gemeinsame Position in Sachen Energieeffizienzrichtlinie? Wir warten ja seit Monaten darauf, dass unser Botschafter in Brüssel sagen kann, ob er die Hand heben darf oder nicht, oder ob der Minister die Hand heben kann oder ob er es nicht kann. Gibt es da demnächst oder möglicherweise heute noch eine Position? Soweit ich informiert bin, gibt es heute auch ein Treffen zwischen Herrn Rösler und Herrn Röttgen.

Wiegemann: Sie wissen, beide Minister führen Gespräche. Das sind gute Gespräche, die auch in dieser Woche fortgeführt werden. Beide Minister sind sich der Verantwortung für die erfolgreiche Energiewende bewusst.

Zum Energierat: Es ist ein Mittagessen, das stattfinden wird. Da wird eine Orientierungsdebatte geführt, und es werden auf diesem Treffen keine Entscheidungen gefällt.

Zusatzfrage: Also haben wir noch Zeit, auf Deutsch gesagt, und es bleibt bei dem Dissens, den es da gibt?

Wiegemann: Wie gesagt, die Gespräche werden geführt, und sie werden auch in dieser Woche fortgeführt. Beide Minister sind sich ihrer Verantwortung bewusst.

Schwarte: Und die Gespräche sind auf einem guten Weg.

Frage: Dann stelle ich die Frage mal ein bisschen anders: Herr Seibert, wird denn die Bundesregierung morgen in dieses Treffen auf EU-Ebene mit einer gemeinsamen Haltung gehen?

StS Seibert: Ich glaube, die beiden Damen haben für ihre Ressorts jetzt genau das Richtige gesagt: intensive Gespräche, guter Weg.

Zusatzfrage: Das beantwortet natürlich nicht die Frage, ob sie morgen mit einer gemeinsamen Haltung dort auftreten werden.

StS Seibert: Wenn es in Europa darauf ankommt - das Mittagessen morgen ist kein Entscheidungstermin -, dann wird die Bundesregierung natürlich eine gemeinsame Haltung haben.

Zusatzfrage: Aber morgen?

StS Seibert: Da verweise ich auf die beiden Ressorts.

Wiegemann: Sie wissen, dass es sich hier um komplexe Themen handelt. Wegen der Komplexität der Themen gehen wir nicht davon aus, dass eine endgültige Verständigung noch in dieser Woche gelingen wird. Sobald es Ergebnisse gibt, werden wir Sie informieren. Die Gespräche werden sehr konstruktiv geführt und sind auf einem guten Weg.

Frage: Bleiben wir doch gerade bei den beiden Ressorts: Stimmt es, dass es eine Einigung bei der Solarförderung gibt und dass das schon im Mittwoch im Kabinett Thema sein soll?

Schwarte: Letzteres können wir verneinen; das wird am Mittwoch noch nicht Thema im Kabinett sein. Über die Gespräche hat die Kollegin alles gesagt. Sie sind auf einem guten Weg, und sobald Ergebnisse vorliegen, werden Sie darüber informiert.

Zusatzfrage: Sie liegen also noch nicht vor? Es gibt noch keine Einigung?

Schwarte: Die Gespräche sind auf einem guten Weg.

Vorsitzender Leifert: Sie sagen, die Gespräche sind auf gutem Weg. Also nicht nur in Sachen EU-Effizienzrichtlinie, sondern auch in Sachen Solarförderung?

Schwarte: Es gibt verschiedene offene Energiefragen, die in den Gesprächen thematisiert werden, auf Beamtenebene, auf Staatssekretärsebene, auf Ministerebene, und zwar kollegial, kooperativ und ergebnisorientiert.

Frage: Noch eine Frage, weil eben das Stichwort "Kabinett" gefallen ist: Herr Rösler will angeblich am Mittwoch eine Regelung beziehungsweise ein Gesetz einbringen, das den Energieanbieterwechsel erleichtert. Stimmt das? An welchen Schrauben will er denn drehen? Was genau hat er vor?

Wiegemann: Ja, das ist richtig. Es soll ein schneller Anbieterwechsel ermöglicht werden. Dem Minister ist es wichtig, den Wettbewerb zu stärken. Konkret geht es darum, dass die Kündigungsfrist von Grundversorgungsverträgen auf zwei Wochen verkürzt werden soll. Derzeit beträgt sie vier Wochen zum Monatsende. Diesen Mittwoch steht der Vorschlag auf der Tagesordnung des Kabinetts.

Zusatzfrage: Meines Wissens ist die Frist von vier Wochen erst zum Jahreswechsel festgelegt worden, oder liege ich da falsch?

Wiegemann: Das kann ich Ihnen jetzt nicht genau sagen. Ich gehe davon aus, dass diese Änderung jetzt eingebracht wird und das Kabinett am Mittwoch darüber beschließen wird. Deshalb kann ich Ihnen derzeit auch leider keine Details dazu nennen.


*


Quelle:
Mitschrift der Pressekonferenz - Montag, 13. Februar 2012
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2012/02/2012-02-13-regpk.html?nn=391778
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Dorotheenstr. 84, 10117 Berlin
Telefon: 030 18 272-0, Fax: 030 18 10 272-0
E-Mail: internetpost@bpa.bund.de
Internet: www.bundesregierung.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Februar 2012