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PRESSEKONFERENZ/917: Kanzlerin Merkel und der ukrainische Ministerpräsident Jazenjuk, 08.01.2015 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz in Berlin - Donnerstag, 8. Januar 2015
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem ukrainischen Ministerpräsidenten Jazenjuk

Sprecher: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Ministerpräsident Arseni Petrowytsch Jazenjuk

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)



BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, da es die erste Pressekonferenz in diesem Jahr ist, wünsche ich allen erst einmal noch ein frohes neues Jahr!

Ich begrüße ganz herzlich Arseni Jazenjuk, den neu gewählten Premierminister der Ukraine, der heute zu seinem Antrittsbesuch hier bei uns in Berlin ist. Wir haben ein sehr intensives Gespräch gehabt. Ich sage gleich vorweg: Der Premierminister muss relativ bald zum Flugzeug. Wir versuchen aber, Ihre Fragen noch mit einzubeziehen.

Wir haben uns ausgetauscht über die Lage in der Ukraine - sowohl die ökonomische als auch die politische. Was die ökonomische Lage anbelangt, so laufen ja die Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds, und auch seitens der Europäischen Union und anderer Länder werden Unterstützungen zur Verfügung gestellt. Der Kern ist aber, dass der Premierminister sehr eindrucksvoll darüber berichtet hat, welche Reformvorhaben die Ukraine in Angriff genommen hat. Das ist ambitioniert, das ist sehr entschlossen. Ich glaube, es war ein riesiger Erfolg - wenn ich das so sagen darf -, noch vor Weihnachten einen Haushalt zu verabschieden, der alles andere als einfach ist und der eine Vielzahl von Neuerungen enthält. Das neu gewählte Parlament hat hiermit, glaube ich, gezeigt, dass man den Weg in Richtung eines transparenten und demokratischen Landes weitergehen möchte.

Deutschland möchte die Ukraine auf diesem Weg unterstützen. Dazu gehört natürlich auch, dass die territoriale Integrität der Ukraine wiederhergestellt werden kann. Der Schlüssel dazu ist das Minsker Abkommen, darüber waren wir uns einig. Das Problem ist nur, dass das Minsker Abkommen seit September abgeschlossen ist, aber leider die verschiedenen Punkte noch nicht umgesetzt sind. Wir haben Fortschritte bei der Einhaltung der Waffenruhe, aber auch die ist nach wie vor fragil. Deshalb müssen alle Punkte des Minsker Abkommens umgesetzt werden.

Die Außenminister unserer Länder arbeiten zusammen mit dem französischen und dem russischen Außenminister daran, ein mögliches Treffen in Astana vorzubereiten. Ob wir so weit sind, dass ein solches Treffen stattfinden kann, wird sich erst nach den Gesprächen der nächsten Tage zeigen. Deutschland wird weiter alles tun, um die Ukraine auf dem Weg, den sie gehen möchte, zu unterstützen. Ich weiß, dass den Menschen in der Ukraine vieles abverlangt werden wird und auch jetzt schon abverlangt wird. Die wirtschaftliche Situation ist nicht einfach. Deshalb muss alles getan werden, um vor allen Dingen auch die ökonomische Situation wieder zu verbessern. Durch die Handelsmöglichkeiten der Ukraine in Richtung Europa sind hier Verbesserungen eingetreten, aber natürlich gibt es vieles zu tun.

Deshalb sage ich danke, dass wir eine so ausführliche und auch wichtige Diskussion haben konnten.

MP Jazenjuk: Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, ich danke Ihnen für die Möglichkeit, sich hier heute zu sehen.

Wir haben heute die Fragen der Zukunft der Ukraine und der ukrainischen Sicherheit besprochen. Was die Sicherheit in der Ukraine betrifft, so hat diese auch Einfluss auf die Europäische Union - je mehr Frieden wir in der Ukraine haben, desto mehr Frieden gibt es auch hier in Europa.

Ich möchte in erster Linie mein Mitgefühl mit dem französischen Volk aussprechen. Der Angriff, den es dort gestern gab, war ein ganz schrecklicher terroristischer Angriff. Wir haben Terrorismus in der Ukraine jeden Tag. Es erfordert unsere gemeinsamen Kräfte - also die Kräfte der Europäischen Union mit Deutschland als Schlüsselland wie auch der Ukraine - , alles dafür zu tun, dass sich Terrorismus hier nicht weiter verbreitet.

Die Frau Bundeskanzlerin hat es richtig gesagt: Wir haben sehr schwierige Reformen besprochen. Diese Reformen sind aber notwendig. 2014 haben wir die Situation aufrechterhalten können - ungeachtet dessen, dass sich die Ukraine in einem nichterklärten Kriegszustand befindet, der von Russland ausgesprochen wurde. Wir haben demokratische Präsidentenwahlen gehabt und haben jetzt eine Koalition mit einer Mehrheit an neuen Abgeordneten. Die Regierung der Ukraine setzt jetzt die schwierigen Reformen um und wird das auch weiterhin tun. Diese Reformen beziehen sich in erster Linie darauf, Defizite zu verringern, einige Sozialprogramme werden zeitweise gestrichen, die Tarife zur Marktebene werden erhöht, es gibt auch Änderungen in der Besteuerung, und der Kampf gegen die Korruption geht weiter. Man kämpft ebenso mit den einflussreichen Businessgruppen, die die Politik beeinflussen.

Ich möchte auch sagen, dass wir zusammen mit Deutschland - und mit der persönlichen Unterstützung der Bundeskanzlerin - ein trilaterales Abkommen über Gaslieferungen unterzeichnet haben. Gas, das wir früher von der Russischen Föderation bekommen haben, bekommen wir jetzt aus Europa und auch aus Deutschland. Ich muss in diesem Zusammenhang auch unterstreichen: Wir sind erfolgreich beim Besiegen der Korruption im Energiebereich. Wir haben keine Vermittler, wir haben keine Milliarden, die in die Taschen der Oligarchen fließen. Wir arbeiten heute transparent und kaufen Gas mithilfe offener Verträge von deutschen und europäischen Unternehmen.

Wir müssen selbstverständlich auch weiter fortschreiten, damit die Ukraine erfolgreich ist. Wir brauchen noch zusätzliche finanzielle Pakete, die uns bei der Stabilisierung helfen. Wir haben dafür eine ganze Reihe von Reformen verabschiedet. Letztes Jahr haben wir ebenso entsprechende finanzielle Unterstützung erhalten.

Ich möchte mich bei den deutschen Steuerzahlern bedanken und sagen: Die Unterstützung ist kein Geschenk, wir geben das Geld zurück. Wir schätzen es sehr, dass wir das bekommen. Von den 9 Milliarden Dollar, die wir vom Internationalen Währungsfonds bekommen haben, haben wir schon 14 Milliarden Dollar an Krediten zurückgezahlt. Wir arbeiten nach dem Transparenzprinzip, wir sind verantwortungsvoll und wir berichten über alles, was wir gemacht haben. Wenn wir solche Unterstützung bekommen, sind wir nicht nur bereit, die erforderlichen Rechenschaftsberichte abzulegen, sondern auch alle möglichen Informationen zu geben, wofür dieses Geld verwendet wird und was noch aussteht, was noch gemacht werden muss, damit sich die Ukraine an die Europäische Union annähert und den Standards entspricht.

Wie die Bundeskanzlerin gesagt hat, ist hinsichtlich der Stabilisierung der Situation im Osten die Einhaltung der Minsker Abkommen die Schlüsselfrage. Die Ukraine hat ihren Teil wirklich eingehalten und hat auch die Gesetze, die unpopulär und hart sind - zum Beispiel das Amnestiegesetz -, umgesetzt. Der Präsident der Ukraine hat eine Feuerpause verordnet. Wir hatten örtliche Wahlen durchgeführt. Leider hat die Russische Föderation keinen einzigen Punkt der Abkommen von Minsk erfüllt. Es gibt aber noch Zeit und es gibt noch Möglichkeiten, dass Russland die Verpflichtungen, die es auf sich genommen hat und die der russische Präsident autorisiert hat, tatsächlich erfüllt.

Frieden in der Ukraine, Frieden in Europa und Erfolg in Deutschland und der Ukraine sind die Schlüsselaufgaben, die wir heute besprochen haben. Frau Bundeskanzlerin, ich danke Ihnen noch einmal ganz herzlich für die Möglichkeit zu diesem Gespräch!

Frage: Frau Bundeskanzlerin, wirklich unabhängig kann die Ukraine nur dann sein, wenn die prorussischen Separatisten nicht mit russischen Waffen kämpfen, wenn keine russischen Soldaten auf ukrainischem Territorium sind und wenn Wladimir Putin kein Mitspracherecht in der Ukraine hat. Sind diese Ziele auf dem Treffen in Astana - wenn es stattfindet - zu erreichen, oder sollen wir uns möglicherweise auf einen über Jahre eingefrorenen Konflikt bereit machen?

Herr Jazenjuk, Sie werden in der Ukraine sehr oft für Ihre Rhetorik kritisiert. Man sagt, Putin solle die Möglichkeit bekommen, aus der Situation herauszugehen und dabei sein Gesicht zu wahren. Können Sie sich denn auch anders aussprechen?

BK'in Merkel: Ich möchte zu der mir gestellten Frage Folgendes sagen: Das Minsker Abkommen, wenn es in all seinen Punkten erfüllt wird, kann die Grundlage dafür sein, die territoriale Integrität der Ukraine wiederherzustellen. Das ist immer noch ein schwieriger Weg, aber es kann sein. Deshalb brauchen wir jetzt sichtbare Fortschritte, aber nicht nur in einem Punkt, sondern das Minsker Abkommen muss in all seinen Punkten erfüllt werden. Ein Treffen in Astana wird nicht dazu führen können, dass alle Punkte am nächsten Tag erfüllt sind. Was man machen kann, ist vielmehr, zu versuchen, sichtbare Fortschritte zu erzielen und gleichzeitig für andere Punkte eine verlässliche Roadmap zu haben. Der Punkt, der schwierig ist, ist, dass wir ja schon oft Roadmaps hatten, die doch nicht eingehalten wurden. Das heißt, wir müssen jetzt Vertrauen aufbauen. Das heißt, man muss auf der einen Seite sehen, dass auch etwas passiert, und auf der anderen Seite muss man einen Plan in Bezug darauf haben, wie es weitergeht. Aber man darf keinen der Punkte aus Minsk vergessen und sagen "Der ist nicht wi chtig", sondern es werden alle gebraucht.

MP Jazenjuk: Russland hat gesetzwidrig die Krim annektiert und ukrainische Gebiete einfach erobert. Russland hat seine eigene Armee nach Donezk und Lugansk geschickt. Russland liefert Waffen an die russischen Terroristen. Russland stört und verletzt alle mehrseitigen Abkommen und hat einfach die Schlüsselprinzipien verletzt. Die Einheitlichkeit eines unabhängigen Staates ist verletzt worden, und das alles wurde und wird unter der Leitung des russischen Präsidenten gemacht. Was soll ich denn für eine Rhetorik haben, nicht nur als Premierminister, sondern als Bürger der Ukraine? Was soll ich denn noch sagen? Es geht nicht um die Rhetorik, sondern um die Handlungen. Gefällt mir das Minsker Abkommen oder nicht? Das ist das einzige Dokument, das es uns erlaubt, auf seiner Grundlage diesen Konflikt zu regeln. Ich bin der Meinung: Dieses Abkommen muss von der Russischen Föderation einfach erfüllt werden. Es geht nicht um die Worte, sondern um Handlungen. Russland muss handeln. Es muss seine eigenen Banditen aus der Ukraine holen, die Kontrolle der Grenze erneuern und nicht mehr Waffen liefern. Dann können wir den Konflikt wirklich deeskalieren.

Sie sagen es absolut richtig: Man muss immer allen die Möglichkeit geben, das Gesicht zu wahren. Aber das ist sehr schwierig für diejenigen, die eine Maske auf dem Gesicht tragen, vor allem für diejenigen, die eine zynische Maske tragen.

Frage: Ich habe eine Frage an beide. Ich hätte ganz gerne gewusst, ab wann Sie eine Lockerung der Sanktionen gegen Russland ins Auge fassen. Kann es mit der schrittweisen Umsetzung des Minsker Abkommens oder erst nach der vollständigen Umsetzung des Minsker Abkommens dazu kommen?

Frau Bundeskanzlerin, können Sie angesichts des schweren Anschlags in Paris sagen, ob Sie glauben, dass sich das Verhältnis zwischen Nicht-Muslimen und Muslimen durch diesen Anschlag verändern wird?

BK'in Merkel: Ich will vielleicht mit den Sanktionen beginnen: Die Implementierung oder die Ausrufung von Sanktionen hatte gewisse Ursachen, und diese Sanktionen können auch nur dann aufgehoben werden, wenn diese Ursachen wieder beseitigt sind. Bezüglich der Annexion der Krim ist ja klar, dass diese Sanktionen auch nur dann aufgehoben werden könnten, wenn wir einen Fortschritt bezüglich der Krim sehen würden. Da habe ich im Augenblick wenig Hoffnung.

Zu den anderen Sanktionen: Sie wurden im Zusammenhang mit den Eingriffen in die östliche Ukraine implementiert. Dazu habe ich eben schon gesagt: Das gesamte Minsker Abkommen ist sozusagen das Instrument, mit dem wir die Dinge rückgängig machen können. Deshalb glaube ich, dass wir auch das gesamte Minsker Abkommen umgesetzt sehen müssen, damit man sagen kann, dass man diese Sanktionen wieder aufheben kann. Ich glaube nicht, dass man sagen kann "Für die Kontaktlinie hebt man 10 Prozent davon auf, und für die Grenzsicherung hebt man 20 Prozent davon auf", sondern das gehört ja beides zusammen. Insofern sehe ich die Umsetzung des Minsker Abkommens also als eine wichtige Voraussetzung an.

Was das Verhältnis zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen in Deutschland anbelangt, so haben wir zu der übergroßen Mehrheit der Muslime in Deutschland ein sehr gutes Verhältnis. Alle haben sich auch klar zu terroristischen Angriffen geäußert. Es gibt Kräfte - leider vereinzelt auch in Deutschland -, die sich den Dschihadisten angeschlossen haben. In dieser Hinsicht müssen wir unsere Sicherheitsmaßnahmen natürlich weiter aufrechterhalten; der Bundesinnenminister hat dazu gestern Stellung genommen. Wir tun alles, um Menschen jeden Glaubens - egal ob jüdischen, christlichen, muslimischen oder gar keines Glaubens - in gleicher Weise als Bürgerinnen und Bürger Deutschlands und als hier lebende Menschen zu schützen. Das werden wir genau so auch weiterhin tun.

MP Jazenjuk: Bevor ich jetzt über die Sanktionen spreche, muss man ja mit der Schlüsselfrage anfangen: Werden wir Frieden in der Ukraine haben oder nicht? Werden wir die russische Aggression stoppen oder nicht? Wird die Krim wieder ukrainisch sein oder nicht? Wann? - Da teile ich die Position der Bundeskanzlerin. In erster Linie muss es konkrete Handlungen geben. Das Abkommen von Minsk muss erfüllt werden. Die Konfliktsituation muss sich ja endlich entspannen. Russische Truppen müssen aus der Ukraine abziehen. Erst dann kann man darüber sprechen, dass die Sanktionen wieder abgeschafft werden.

Frage: Herr Premierminister, welche Mission hat Andriy Kobolev im Rahmen der Delegation? Haben Sie irgendwelche neuen Energieabkommen abgeschlossen?

MP Jazenjuk: Die Ukraine hat schon eine ganze Reihe von wichtigen Entscheidungen getroffen, was den Energiebereich betrifft. Aus dem Head Office der Bundeskanzlerin möchte ich noch einmal sagen, dass es ganz wichtig ist, dass die europäischen Unternehmen nach ukrainischen Gesetzen die Möglichkeit haben, in der Ukraine zu investieren und bis zu 49 Prozent unserer Gasleitungen zu kaufen. Ich möchte sie dazu aufrufen, zu investieren. Wir werden glücklich sein, wenn die deutschen Investoren zu uns kommen.

South Stream ist gestorben. Man muss den Transit von Gas in die europäischen Länder irgendwie gewährleisten. Die Ukraine hat in diesem Jahr bewiesen, dass die Ukraine tatsächlich im Stande ist, Erdgas nach Europa zu liefern. Unter zusätzlichen Garantien bezüglich der Lieferung und der Bildung des neuen Marktes möchten wir natürlich, dass unsere westlichen Partner und vor allem Deutschland in die Modernisierung und den gemeinsamen Betrieb unseres Gassystems investieren.

BK'in Merkel: Danke schön!

Donnerstag, 8. Januar 2015

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Quelle:
Regierungspressekonferenz vom 8. Januar 2015
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2015/01/2015-01-08-pk-merkel-jazenjuk.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Januar 2015


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