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PRESSEKONFERENZ/1131: Regierungspressekonferenz vom 4. Januar 2016 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz - Montag, 4. Januar 2016
Regierungspressekonferenz vom 4. Januar 2016

Themen: Hinrichtungen in Saudi-Arabien/Konflikt zwischen Saudi-Arabien und Iran, Grenzkontrollen Dänemarks/Flüchtlinge, CSU-Klausurtagung in Wildbad Kreuth, Flüchtlingssituation, Reise des Bundeswirtschaftsministers nach Kuba, Zwischenfälle in Atomanlagen in Belgien, Interviewäußerungen des polnischen Außenministers zur Kritik der EU an Gesetzen, Treffen der Bundeskanzlerin mit dem britischen Premierminister in Wildbad Kreuth, Äußerung des türkischen Präsidenten zur Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei, Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin, OSZE-Vorsitz Deutschlands, Kritik des Bundestagspräsidenten am Umgang der Bundesregierung mit dem Parlament in Bezug auf die Verlegung von AWACS-Flugzeugen in die Türkei

Sprecher: StS Seibert, Schäfer (AA), Toschev (BMWi), Weißgerber (BMF), Dimroth (BMI), Fichtner (BMUB), Flosdorff (BMVg)


Vorsitzende Welty eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt StS Seibert sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

StS Seibert: Ich will die Gelegenheit unseres ersten Zusammentreffens im neuen Jahr nutzen, um von meiner und unserer Seite Ihnen allen hier im Saal und allen, die von außerhalb zuhören, ein frohes und gesundes neues Jahr zu wünschen. Auf viele interessante Pressekonferenzen und auf ein gutes Miteinander 2016 in unseren ganz unterschiedlichen Rollen!

Frage: Ich würde gern zum Thema Nahost, sprich Saudi-Arabien/Iran fragen und gern von Ihrer Seite, Herr Seibert, oder vom Außenministerium eine Einschätzung dessen bekommen, was in Saudi-Arabien in den letzten Tagen passiert ist, und auch der Konsequenzen, nämlich der Verstimmungen im Verhältnis zwischen dem Iran und Saudi-Arabien nach den Hinrichtungen.

Zum Zweiten würde ich gern wissen, ob das konkrete Auswirkungen auf die Genehmigungspraxis bei deutschen Rüstungsexporten haben wird, ob man diese nun möglicherweise doch auf Eis legen oder Genehmigungen dafür nicht bearbeiten wird.

StS Seibert: Die Bundesregierung hat die Hinrichtung von 47 Gefangenen in Saudi-Arabien mit Bestürzung zur Kenntnis genommen, zum einen weil wir ohnehin - das wissen Sie - Gegner der Todesstrafe sind, wo immer sie praktiziert wird, und ihre bedingungslose Abschaffung überall fordern, zum anderen natürlich auch, weil die Hinrichtung von Scheich Al-Nimr das Potenzial hat, religiöse und politische Spannungen in der Region zu verschärfen. Leider haben wir das in den vergangenen Tagen schon erlebt.

Die Bundesregierung hat ebenfalls mit größtem Bedauern zur Kenntnis genommen, dass Saudi-Arabien die diplomatischen Beziehungen zu Iran abgebrochen hat. Wir rufen beide Staaten zum Dialog auf. Wir appellieren an beide Staaten, an Saudi-Arabien und an Iran, alle Möglichkeiten zu nutzen, um ihre bilateralen Beziehungen zu verbessern. Die Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Iran, so konfliktreich sie sind, sind von grundlegender Bedeutung für die Lösung der Krisen in Syrien, im Jemen und für die Stabilität der gesamten Region. Deswegen muss nach unserer festen Überzeugung die Tür für Diplomatie geöffnet bleiben.

Ein Nachsatz zum Thema Diplomatie: Diplomatische Vertretungen müssen auch geschützt sein.

Zusatzfrage: Das Thema Rüstungsexporte, Konsequenzen in der Rüstungsexportpolitik im Zusammenhang mit Saudi-Arabien interessiert mich noch.

StS Seibert: Dazu kann der Sprecher des Wirtschaftsministeriums vielleicht noch etwas sagen. Die Bundesregierung wird weiterhin an den strengen Regeln der Exportkontrolle festhalten. Das sind der Gemeinsame Standpunkt der EU aus dem Jahre 2008, die Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern aus dem Jahre 2000 sowie der Vertrag über den Waffenhandel, Arms Trade Treaty. Das sind die strengen Regeln, die jeweils im Einzelfall greifen. Das heißt, dass im Einzelfall natürlich immer überprüft wird, ob aufgrund der konkreten Lage in einem potenziellen Empfängerland ein Export genehmigungsfähig ist, wobei wir Exportgenehmigungen dabei grundsätzlich restriktiv handhaben.

Schäfer: Eine Ergänzung im Namen von Außenminister Steinmeier zu dem, was Herr Seibert gesagt hat: Aus unserer Sicht ist der Mittlere Osten der Welt etwas schuldig. Seit Jahren bemühen sich die internationale Gemeinschaft und auch Deutschland darum, bei den vielen Krisen und Konfliktherden in der Region - Herr Seibert hat einige von ihnen aufgezählt -, im Jemen, in Syrien, im Irak, im Nahost-Friedensprozess und anderswo, dazu beizutragen, dass die Konflikte eingedämmt und die Krisen irgendwie überwunden werden können. Das hohe politische, finanzielle und sonstige Engagement der internationalen Gemeinschaft ist unübersehbar. Aus unserer Sicht, aus Sicht von Außenminister Steinmeier sind Saudi-Arabien und der Iran in der Pflicht, etwas zur Krisenbewältigung beizutragen.

Toschev: Ich möchte das bekräftigen und kann gegebenenfalls an der einen oder anderen Stelle das noch ergänzen, was Herr Seibert gesagt hat. Die jüngsten Entwicklungen in Saudi-Arabien sind natürlich besorgniserregend. Herr Seibert hat ausgeführt, dass die Bundesregierung die Todesstrafe ganz entschieden ablehnt. Wir verfolgen diese Entwicklung auch aus Sicht der Rüstungsexportkontrolle. Das wird in den restriktiven Kurs einfließen, den Minister Gabriel seit Amtsantritt in Bezug auf Rüstungsexporte auf die arabische Halbinsel vertritt. Dazu zählt - ich skizziere das nur -, dass keine Kampfwaffen wie Kampfpanzer genehmigt wurden, dass aber auch Waffen zu repressiven Zwecken wie G 36 nicht genehmigt wurden. Diese Bundesregierung hat zum Beispiel keine G-36-Waffen nach Saudi-Arabien genehmigt. Darüber hinaus haben wir keine Komponenten für die autonome Produktion genehmigt. Die Klage des Unternehmens wegen der Nichtgenehmigung - das ist hier thematisiert worden - ist auch Ausfluss dieser Rüstungsexportpolitik, die im Übrigen auch dadurch gekennzeichnet ist, dass verschärfte Vorschriften erlassen wurden, zum Beispiel in Bezug auf autonome Fertigung von Kleinwaffen.

Kurzum: Der Minister hat mehrfach klar gemacht, dass Rüstungsexporte ein Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik und kein Instrument der Wirtschaftspolitik sind. Das bedeutet auch, dass Menschenrechte und die Situation vor Ort im Land und in der Region ganz genau und in jedem einzelnen Fall geprüft werden und sich die Genehmigungspraxis an der Lage vor Ort orientiert, wie bisher auch schon.

Zu den rechtlichen Grundlagen - Herr Seibert hat sie erwähnt - zählen das Kriegswaffenkontrollgesetz, das Außenwirtschaftsgesetz, der Standpunkt der EU, aber auch die Politischen Grundsätze der Bundesregierung. Sie geben uns die Handhabe, aber auch die Maßgabe, jeden einzelnen Fall genau zu prüfen. Diese Einzelfallprüfung umfasst auch außen- und sicherheitspolitische Erwägungen, die von besonderer Bedeutung sind. Wir werden die jüngsten Entwicklungen in die Prüfung einbeziehen, wenn konkrete Anträge und Vorhaben anstehen.

StS Seibert: Vielleicht darf ich noch etwas hinzufügen. Wir haben eine erhebliche Parallelität der Ereignisse. Einerseits haben wir die bestürzende Nachricht von der Hinrichtung von 47 Menschen. Wir haben die negative Entwicklung des Abbruchs der Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Iran. Wir haben gleichzeitig - das ist die Parallelität - heute in Saudi-Arabien ein Treffen syrischer Oppositionsvertreter in Vorbereitung auf den innersyrischen Dialog, die innersyrischen Verhandlungen, die Ende dieses Monats in Genf stattfinden sollen. Das ist, denke ich, nicht nur für uns, sondern auch für die Region, für die Welt wichtig. Das zeigt, dass wir nur dann bei der Lösung des syrischen Bürgerkrieges vorankommen können, wenn sich alle regionalen Kräfte - also auch Saudi-Arabien, also auch Iran - konstruktiv einbringen.

Frage: Herr Schäfer, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Ganz kurz drei Fragen.

Erstens. Warum hat Ihr Ministerium bis heute geschwiegen? Wieso war das nicht einmal eine Pressemitteilung wert, was die Hinrichtungsfälle in Saudi-Arabien angeht? Sie haben ja schon in weniger dramatischen Fällen, ob es nun in Japan oder in einem anderen Land war, Pressemitteilungen gehabt, wenn eine Person hingerichtet wurde, ganz zu schweigen davon, wenn es 47 Personen waren.

Zweitens. Anscheinend gibt es Vermittlungsbemühungen auch vonseiten der Russen und der Vereinigten Staaten. Gibt es irgendwelche Bestrebungen von deutscher Seite? Gab es heute irgendwelche Kontakte zwischen dem deutschen Außenminister und seinem iranischen oder auch saudischen Kollegen?

Drittens. Sind die Gespräche zum Thema Syrien und Jemen mit dieser Krise endgültig tot?

Schäfer: Zu Ihrer ersten Frage. Ich kann das, was Sie gerade zum Zeitpunkt einer Stellungnahme der Bundesregierung unterstellt haben, nicht bestätigen. Im Gegenteil, ich bestreite es. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung ist, meine ich, wenige Stunden nach Bekanntwerden der Information aus Riad an die Öffentlichkeit gegangen. Über das Wochenende hat es natürlich eine Reaktion der Bundesregierung darauf gegeben - auch nachlesbar in deutschen Zeitungen und Nachrichtenagenturen -, und zwar exakt auf der Linie, die von Herrn Seibert gerade für Sie dargestellt wurde.

Zu Ihrer zweiten Frage. Nein, mir ist nicht bekannt, dass es über das Wochenende direkte Kontakte der Außenminister miteinander gegeben hätte. Aber es ist völlig selbstverständlich, dass die Haltung der Bundesregierung, wie sie von Herrn Seibert vorgetragen wurde, in geeigneter Weise auf diplomatischen Kanälen der saudischen Regierung übermittelt worden ist, im Übrigen genauso wie unsere große Besorgnis angesichts des Umstandes, dass es zum wiederholten Male in Teheran ganz offensichtlich nicht gelungen ist, Menschen davon abzuhalten, in völkerrechtswidriger Weise die Vertretung eines anderen Staates, in diesem Falle Saudi-Arabiens, zu stürmen, und die Vertretung in angemessener Weise zu schützen.

Zu Ihrer dritten Frage, Syrien und Jemen. Wir können nur hoffen, dass das nicht der Fall ist. Letztlich gibt es keinen Zweifel daran, dass eine Lösung der beiden und auch weiterer Krisen und Konflikte, die Sie angesprochen haben, letztlich nur gelingen kann, wenn die sunnitische Führungsmacht Saudi-Arabien und die schiitische Regionalmacht Iran bereit sind, bei diesen Konflikten aufeinander zuzugehen. Wenn Konsequenz dieser sich seit Samstag aufschaukelnden Spannungen und bilateralen Krisen sein sollte, dass beide Seiten, Riad und Teheran, Konflikte nutzen, um Stellvertreterkriege aufzubauen oder auszuweiten, dann wäre das ein extrem schlechtes Signal.

Allerdings haben wir vor einigen Monaten bereits einen sehr ernsten und auch nachvollziehbar ernsten bilateralen Konflikt zwischen Saudi-Arabien und Iran erlebt, nämlich im September aus Anlass der Hadsch, als zahlreiche schiitische Pilger unter bis heute nicht völlig geklärten Umständen ums Leben gekommen sind, ich meine in Medina. Auch damals gab es heftige Auseinandersetzungen zwischen Riad und Teheran. Der Außenminister hat das selber erlebt, weil er zu diesem Zeitpunkt sowohl Teheran als auch Riad besucht hat und deshalb mit diesem Konflikt frontal konfrontiert worden ist. Auch damals ist es trotz allem gelungen, im Syrienkonflikt voranzukommen. Die erste Einigung auf dem Wiener Prozess datiert, wie Sie wissen, von Ende Oktober. Das war noch im Zuge auch dieser bilateralen Konflikte zwischen Saudi-Arabien und Iran.

Deshalb denke ich, dass es viel zu früh wäre, jetzt bereits einen Abgesang auf unseren Wiener Prozess anzustimmen. An uns wird es jedenfalls nicht scheitern. Die Bundesregierung und auch der Außenminister werden alles tun, um den jetzt angelaufenen Prozess, dessen Fortentwicklung mit dem Oppositionstreffen in Riad und mit dem für Ende Januar geplanten ersten Treffen der syrischen Opposition mit der syrischen Regierung in Genf Ihnen Herr Seibert gerade dargestellt hat, nicht abbrechen zu lassen, sondern im Gegenteil vielleicht sogar noch zu beschleunigen.

Frage: Herr Seibert, eine kurze Frage an Sie. Ist die Regierung in Saudi-Arabien immer noch ein wichtiger strategischer Partner für die Bundesrepublik?

Eine Frage an das Wirtschaftsministerium: Herr Toschev, könnten Sie uns sagen, welche Rüstungslieferungen jetzt noch in der Pipeline sind? Im ersten Halbjahr 2015 wurden, meine ich, Rüstungsprojekte im Umfang von 180 Millionen Euro genehmigt. Kann man sagen, wie viel schon abgeflossen ist? Gibt es in dem Zusammenhang Überlegungen, davon vielleicht noch etwas auf Eis zu legen? Sie sagten, man werde das in Zukunft prüfen. Hat man auch die Möglichkeit, sozusagen im Nachhinein den Saudis zu sagen: "Das bekommt ihr jetzt doch nicht"?

StS Seibert: Die Bundesregierung ist davon überzeugt, dass es im deutschen Interesse wie im Interesse der Stabilität der Region ist, dass wir konstruktive Beziehungen und einen Dialog mit Saudi-Arabien haben. Nur in einem solchen Dialog ist es möglich, unterschiedliche Sichtweisen beispielsweise zu Menschenrechtsthemen zu benennen und auch kritische Aspekte anzusprechen. Also bemühen wir uns um genau diese konstruktiven Beziehungen zur Regierung in Riad.

Zusatzfrage: Aber das Wort vom strategischen Partner würden Sie nicht mehr so nennen?

StS Seibert: Ich habe meine Antwort gegeben. Wir haben hier oft genug ausgeführt - auch gerade wieder -, dass die Regionalmacht Saudi-Arabien eine ganz entscheidende Rolle dabei spielen wird, die Konflikte der Region beizulegen. Wir wollen dazu beitragen, dass sie dies auch tut.

Toschev: Die Zahl, die Sie erwähnt haben, ist richtig. Bei den Genehmigungen im ersten Halbjahr handelte es sich, wenn ich mich recht entsinne, vorwiegend um Zulieferungen für Fahrgestelle für französische Lieferungen nach Saudi-Arabien. Wenn die Genehmigungen erteilt wurden, dann würde die tatsächliche Ausfuhr in dem Falle ja über ein anderes Land erfolgen. Das erfassen wir nicht, sondern das Statistische Bundesamt beziehungsweise der Zoll für die tatsächlichen Vorgänge. Ich kann Ihnen jetzt nicht sagen, wie viel davon im Einzelnen abgeflossen ist.

Zusatzfrage: Rein zufällig haben wir gerade einen Hintergrund dazu. Da heißt es, dass demnach exportiert werden: Geländewagen, Teile für gepanzerte Fahrzeuge, Teile für Kampfflugzeuge, Luftbetanksausrüstung, Zieldarstellungsdrohnen und vier Schießsimulatoren. Ich denke nicht, dass das alles über Drittländer exportiert wird.

Toschev: Ich denke, Sie zitieren die Angaben aus dem Rüstungsexportbericht. Aber die von Ihnen zitierten Angaben liegen mir jetzt nicht vor.

Zusatzfrage: Aber die politische Aussage dazu, ob man das auch zurückholen kann, wäre ja auch schon etwas.

Toschev: Ich habe jetzt geschildert, wie die Rüstungsexportgenehmigung ist. Mehr kann ich dazu im Moment nicht sagen.

Zusatzfrage: Und was ist noch in der Pipeline?

Toschev: Das kann ich Ihnen auch nicht mitteilen. Darüber liegt mir kein Überblick vor. Wir geben darüber hinaus auch nicht Auskunft über Anträge, die gestellt wurden oder möglicherweise gestellt werden, auch nicht in Bezug auf die Unternehmen.

Frage: Herr Schäfer, warum ist Saudi-Arabien immer noch ein Verbündeter Deutschlands, der Bundesregierung? Warum kommen für die Bundesregierung keine Sanktionen infrage?

Schäfer: Herr Seibert hat zu dem Thema der bilateralen Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien alles Notwendige gesagt. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.

Zusatzfrage: Die zweite Frage war ja nach Sanktionen. Das wäre doch einmal eine Maßnahme, gerade UN-mäßig etwas zu tun. Kommen Sanktionen für die Bundesregierung infrage?

Schäfer: Für mich ist das vielleicht noch einmal ein Anlass, das zu bekräftigen, was Herr Seibert zum Thema Todesstrafe gesagt hat. Der Kollege beklagte die angeblich zu geringe Reaktionsgeschwindigkeit. Dazu habe ich meine Antwort gegeben. Für uns ist es völlig gleichgültig, ob es sich um Freunde, Verbündete, Wertepartner, Gegner oder wen auch immer handeln mag: Wenn ein Staat die Todesstrafe verhängt und vollstreckt, dann ist unsere Haltung dazu klar und eindeutig. Da ist es völlig gleichgültig, ob das in den Vereinigten Staaten von Amerika, ob das in Japan, ob das wie im vergangenen Jahr vielhundertfach im Iran passiert oder wie jetzt in Saudi-Arabien.

Unsere Antwort darauf ist klar und eindeutig. Unsere Politik, multilateral wie bilateral, gegenüber den Staaten, die so etwas tun, ist auch klar. Wir sprechen darüber. Wir führen den Dialog darüber mit dem klaren Ziel, diese Staaten davon zu überzeugen, dass unsere Haltung, die Todesstrafe ist eine unmenschliche Behandlung, auch dort Platz greift.

Wir fühlen uns im Übrigen durch manche Entwicklungen durchaus ermutigt. Jahr um Jahr steigt die Zahl der Bundesstaaten der Vereinigten Staaten von Amerika, in denen die Todesstrafe abgeschafft wird. Wir denken, dass dies der richtige Weg ist, und lassen uns dadurch ermutigen, dass unsere Argumentation und unsere Haltung durchaus mehr Freunde gewinnen können, die das tatsächlich in die Tat umsetzen.

Zum Thema Sanktionen gilt: Mir sind keine Pläne der Bundesregierung bekannt, aus dem von Ihnen angesprochenen Anlass derzeit Sanktionen zu verhängen.

Frage: Herr Seibert, aus SPD und Union, also aus den Regierungsfraktionen, waren am Wochenende deutliche Forderungen zu hören, man müsse die Beziehungen zu Saudi-Arabien nach dem, was in den letzten Tagen passiert ist, grundlegend überdenken. Teilen Sie diese Ansicht?

StS Seibert: Ich habe versucht, Ihnen die Basis unserer Beziehungen mit Saudi-Arabien darzulegen, also das Bemühen, mit diesem wichtigen Land, mit dem wir auch gemeinsame Interessen haben, zum Beispiel das Interesse, den syrischen Bürgerkrieg endlich zu einem friedlichen Ende zu bringen, in einem konstruktiven, partnerschaftlichen Dialog zu stehen. Gerade das heißt, dass man auch über Trennendes, über Meinungsunterschiede, über sehr grundlegende Unterschiede, beispielsweise in der Einschätzung von Menschenrechten oder der Todesstrafe, miteinander spricht.

Zusatzfrage: Dann frage ich anders nach. Hat sich Saudi-Arabien in den letzten Tagen anders verhalten als in den letzten Monaten und Jahren? Stoßen Sie sich, wenn man die Reaktionen einmal außer Acht lässt, die die Exekutionen ausgelöst haben, an der Zahl 47? Stoßen Sie sich daran, dass ein sehr prominenter Geistlicher darunter war? Denn das, was als Auslöser der ganzen Angelegenheit passiert ist, ist doch eigentlich "business as usual" in Saudi-Arabien.

StS Seibert: Ich versuche es noch einmal. Wir haben ein grundsätzliches Problem, eine grundsätzliche Einstellung gegen die Todesstrafe. Deswegen ist natürlich die Verhängung oder die Exekution von 47 Menschen an einem Tag in einer derart krisenhaft aufgeheizten Situation, wie sie diese Region gerade erlebt, eine Tatsache, an der wir nicht vorbeischauen können, sondern die wir mit Bestürzung zur Kenntnis nehmen und auch entsprechend kommentieren.

Dass es die Todesstrafe im Jahr 2015 sogar in einigen Ländern häufiger als zuvor gegeben hat, dass auch der Iran beispielsweise bei der Verhängung der Todesstrafe weit vorn auf diesen traurigen Weltranglisten liegt, wissen wir. Auch das haben wir in der Vergangenheit kommentiert.

Die Hinrichtung des schiitischen Geistlichen ist noch ein besonderer Aspekt, weil sie in der Lage ist, wie ich es zu sagen versucht habe, religiöse, politische Spaltung und Spannung in der Region zu verschärfen. Das erleben wir in den vergangenen Tagen. Dazu wird die Bundesregierung natürlich nicht schweigen.

Ich kann nur wiederholen: Wir sind überzeugt davon, dass es wichtig ist, dass diese beiden regionalen Mächte, Saudi-Arabien und Iran, auskömmliche Beziehungen miteinander haben und dass sie alles tun, um ihre Beziehungen wieder auf einen besseren Stand zu bringen, dass sie sich wieder gesprächsbereit zeigen. Das ist der Appell der Bundesregierung heute.

Schäfer: Wenn ich darf, ergänze ich zwei Sätze. Sie haben gefragt: "Business as usual"? - "Business as usual" kann es bei der Todesstrafe und solchen Hinrichtungen nicht geben. Aber es lohnt sich doch, näher hinzuschauen. Ich denke, es ist mindestens 30 Jahre oder wahrscheinlich zwei Generationen her, dass in Saudi-Arabien an einem Tag diese Zahl von Menschen hingerichtet worden ist. Das ist ein Faktum, vielleicht auch ein politisches Faktum, das wir natürlich bei unserer Analyse der Ereignisse einfließen lassen.

Dann lohnt es sich, denke ich, auch, genauer hinzuschauen bei der Betrachtung der Personen, um die es geht. Völlig unabhängig von der Frage, dass wir die Todesstrafe in jedem einzelnen Fall für völlig inakzeptabel und unmenschlich halten - ich meine, das haben wir hier klar genug dargestellt -, gibt es doch immerhin unter den 47 Personen 43 Personen, die auch nach unserem Rechtsverständnis als Terroristen qualifiziert werden könnten. Dabei mache ich mir überhaupt kein Urteil zu eigen - über die Strafe als solche haben wir alles gesagt -, aber auch nicht darüber, wie das Verfahren gelaufen ist. Was ich sage, ist: Die Straftaten, die diesen Menschen zur Last gelegt wurden, sind schwere terroristische Straftaten, sind Mord und Totschlag in Saudi-Arabien im Verlaufe des abgelaufenen Jahrzehnts bis 2010. Bei den Straftaten, die diesen Menschen zur Last gelegt worden sind, sind übrigens auch einige westliche Staatsangehörige ums Leben gekommen.

Deshalb meine ich: Aus unserer Sicht jedenfalls wäre "business as usual" die völlig falsche Qualifikation des Ganzen. Wir schauen sehr genau hin. Insbesondere bei dem Fall al-Nimr, den Herr Seibert gerade schon für die Bundesregierung beschrieben hat, aber auch bei den anderen drei Menschen schiitischen Glaubens, geht es um Straftaten, die aus unserer Sicht in dieser Weise keine Strafe nach sich ziehen dürfen. Wir haben da völlig unterschiedliche Rechtsvorstellungen, auch Moralvorstellungen. Gerade in diesen Fällen gilt, dass wir gerade da den Dialog mit Riad suchen, um immer wieder unsere Sichtweise der Dinge deutlich zu machen.

Frage: Herr Toschev, ich würde mich doch gern an die Frage des Kollegen anschließen, was denn die konkreten Ausfuhren angeht. Mich würde Folgendes interessieren:

Genehmigte Ausfuhren sind das eine. Das andere sind erfolgte Ausfuhren. Danach hatte der Kollege gefragt, wenn ich es richtig in Erinnerung habe. Es gibt ja eine Diskrepanz. Sie sagen: teilweise Ausfuhren über Drittländer, die dadurch nicht erfasst würden. Mich würde dennoch interessieren: Gibt es in der Vergangenheit genehmigte Ausfuhren nach Saudi-Arabien, bei denen derzeit für die Bundesregierung noch die Möglichkeit bestünde, aus außenpolitischen oder sicherheitspolitischen Erwägungen Einspruch gegen eine tatsächliche Ausfuhr einzulegen, was dann eventuell auch für Schadenersatzansprüche sorgen könnte; das kann ja sein. Es gab in der Vergangenheit schon solche Fälle. Ich nenne das Beispiel Russland. Da gab es das Gefechtsübungszentrum, das teilweise nicht mehr ausgeführt wurde.

Mich würde also interessieren, ob es vergleichbare Fälle gibt und, wenn ja, in welchem Umfang. Welche Produkte sind das tatsächlich? Da Sie ja bereits genehmigt sind, würden Sie auch normalerweise darüber berichten. Wenn Sie es jetzt nicht beantworten können, nehme ich es auch gern als Nachlieferung.

Toschev: Mir liegt ein solcher Überblick nicht vor. Wir erstellen einen solchen Überblick für sämtliche Rüstungsexporte üblicherweise nicht, weil die Abwicklung nicht dem Bundeswirtschaftsministerium obliegt. Im Einzelfall kann so etwas angeschaut werden. Sie hatten das Beispiel Russland erwähnt. Da gab es Sanktionen der EU und der internationalen Gemeinschaft im Rüstungsbereich, vor deren Hintergrund damals der Widerruf der Genehmigung des Exports eines Gefechtsübungszentrums erfolgte. Ich kann Ihnen über das bereits Gesagte hinaus leider momentan keine weiteren Angaben machen und derzeit auch keine weiteren nachreichen.

Zusatzfrage: Wer könnte das?

Toschev: Ich möchte Sie bitten, sich für die Ausnutzung der Genehmigungen bei den zuständigen Behörden zu erkunden. Das ist zum einen der Zoll und zum anderen für die statistische Erfassung das Statistische Bundesamt.

Zusatzfrage: Für den Zoll wäre ja Herr Weißgerber zuständig.

Weißgerber: Mir ist nicht bekannt, dass der Zoll Statistiken zu den Rüstungsexporten führt. Der Zoll überwacht die Ausfuhr, führt aber selber keine entsprechenden Statistiken. Insofern kann ich Ihnen da nicht weiterhelfen.

Dimroth: Ich hatte jetzt eigentlich mit der vorhersehbaren Frage an mich gerechnet, weil wir für das Statistische Bundesamt zuständig sind. Auch wenn Sie sie nicht stellen, will ich es gern dazusagen: Ich werde einmal nachhorchen, ob es dort eine entsprechende Statistik gibt. Ich weiß es schlicht nicht. Aber ich frage gern nach.

StS Seibert: 2016 antizipieren wir Ihre Fragen. Sie merken das.

Frage: Ich möchte gern noch einmal zu der strategischen Partnerschaft nachfragen. Ich mag mich täuschen, aber in meiner Erinnerung klebten strategische Partnerschaft und Saudi-Arabien immer als fester Begriff zusammen. Das hat irgendwann aufgehört. Mich würde interessieren: Gibt es dazu eine ausgesprochene oder stillschweigende Absprache? Zu welchem Zeitpunkt hat das aufgehört? Es ist ja spürbar, dass es inzwischen eine Begriffsvermeidung gibt.

StS Seibert: Wir haben hier nach meiner Erinnerung zuletzt Anfang Dezember sehr ausführlich über Saudi-Arabien miteinander gesprochen. Ich habe Ihnen damals gesagt, dass die Bundesregierung Saudi-Arabien als einen wichtigen Partner in einer von Krisen geschüttelten Weltregion betrachtet. Ich habe versucht, vorhin noch einmal etwas ausführlicher darzulegen, warum und wieso und worin die gemeinsamen Interessen bestehen, und welche Erwartungen an die Regionalmacht Saudi-Arabien bestehen. Das kann ich Ihnen dazu sagen. Am Ende hängt es, denke ich, nicht an Begriffen, sondern es hängt daran, dass wir ein konstruktives Verhältnis miteinander haben, dass wir in der Lage sind, miteinander zu sprechen und dass Saudi-Arabien seine erheblichen Einflussmöglichkeiten einsetzt, um in der Region Krisen zu entschärfen - natürlich nicht nur Saudi-Arabien, das versteht sich von selbst.

Frage: Ich wollte nur noch einmal zur Klarheit nachfragen: Die Opposition fordert jetzt, als Reaktion auf das, was in Saudi-Arabien passiert ist, etwas zu ändern. Die Bundesregierung will im Verhältnis zu Saudi-Arabien aber nichts ändern, richtig?

StS Seibert: So plakativ, wie Sie das sagen, würde ich dem nicht zustimmen. Unser Verhältnis zu jedem Land - also auch zu Saudi-Arabien - beruht doch auf der Einschätzung der Realität, das heißt, der Einschätzung aktueller Entwicklungen. Das kann Ihnen der Vertreter des Auswärtigen Amtes - denn das ist deren tägliches Brot - noch viel besser erklären. Wie wir mit einem Land umgehen, ist doch geprägt von den Ereignissen in diesem Land und seiner Region. Natürlich werden die jüngsten Ereignisse auch künftige Gespräche zwischen Vertretern der Bundesregierung und Vertretern Saudi-Arabiens prägen, und damit werden sie ein Stück anders laufen, als sie vielleicht vor Jahresende 2015 gelaufen wären.

Schäfer: Die Haltung der Bundesregierung ist - genau so, wie Herr Seibert es sagt - eine Funktion der Entwicklungen in der Welt. Wenn sie statisch wäre, während die Welt sehr dynamisch ist - und vielleicht immer dynamischer wird -, wäre es sicherlich nicht die richtige Haltung. Deshalb werden wir unsere Haltung auch regelmäßig und immer den aktuellen Entwicklungen anpassen. Das gilt auch für die Entwicklungen am Samstag. Ich habe gerade eben, auf die Frage Ihrer Kollegin hin, versucht, einfach nur ein paar Fragen aufzuwerfen, etwa die Frage: Gibt es jetzt "Business as usual"? Nein, es gibt nicht "Business as usual"; vernünftiges außenpolitisches Vorgehen wäre jetzt vielmehr, sich der Frage zuzuwenden: Warum ist am Samstag das passiert, was da passiert ist, warum sind da - anders als in den letzten Jahren oder Jahrzehnten - auf einen Schlag so viele Menschen hingerichtet worden, und warum gerade diese? Warum sind vier schiitische Personen hingerichtet worden, warum ist ein schiitischer Geistlicher hingerichtet worden, was bedeutet das, welche innenpolitischen, welche außenpolitischen, welche sonstigen Motive mögen dahinterstehen?

Die Analyse führt dann vielleicht zu bestimmten Erkenntnissen, Thesen oder Theorien, die dann wiederum auch unsere Beziehungen zu Saudi-Arabien beeinflussen und mitbestimmen, aber vielleicht auch unseren Umgang zu Saudi-Arabien im Rahmen der vielen Fälle von Krisenmanagement - allen voran Syrien -, denen wir uns zuwenden müssen. Das scheint mir vernünftiges, richtiges außenpolitisches Handeln zu sein.

Zusatzfrage: Sie schildern alle Analysen, die jetzt anstehen, ohne Frage. Ich wollte nur wissen: Gibt es in den Handlungen, also im Rahmen dessen, was die Bundesregierung bislang im Verhältnis zu Saudi-Arabien macht, irgendeine Veränderung, oder eben nicht? Mein Eindruck ist: Es gibt keine Veränderung; Sie analysieren alles, es wird alles vielleicht künftig irgendwo einfließen, aber im Augenblick gibt es weder in der Frage von Rüstungsexporten noch in diplomatischen Fragen Veränderungen, richtig?

Schäfer: Jetzt wollen wir das einmal genau festlegen: Sie meinen den Zeitraum von, sagen wir einmal, Samstagmittag um 11.30 Uhr bis jetzt, Montagmittag, um 12.05 Uhr - diese 48 Stunden meinen Sie jetzt?

Zusatzfrage: Ich meine die politische Überzeugung, ob man etwas ändern muss oder nicht. Die Analyse, die Sie schildern, teilen hier ja wahrscheinlich alle; die Frage ist aber, ob man im Verhältnis zu Saudi-Arabien etwas verändert, ob man irgendeinen Schritt tut, der die Situation noch einmal kommentiert.

Schäfer: Ich glaube, dazu ist von Herrn Seibert, Herrn Toschev und mir alles gesagt worden.

Frage: Ich möchte an der Stelle auch noch einmal ganz kurz nachfragen: Herr Seibert, Sie haben gerade eben gesagt, es würde die Gespräche zwischen Vertretern der Bundesregierung und Vertretern Saudi-Arabiens prägen. Bedeutet das auch, dass die Bundesregierung plant, ihr Missfallen direkt in Gesprächen über die jüngsten Ereignisse zum Ausdruck zu bringen? Vielleicht haben Sie das auch schon gesagt und ich habe es überhört; das würde mich einfach noch einmal ganz konkret interessieren.

StS Seibert: Ich habe ja für die Bundesregierung unsere Bestürzung und unsere Sorge über die Hinrichtungen und die Ereignisse der letzten 48 Stunden zum Ausdruck gebracht. Ich kann Ihnen im Moment keine deutsch-saudischen Gespräche ankündigen - ich weiß nicht, ob irgendwelche Minister in der nächsten Zeit Termine haben. Was ich gesagt habe, nämlich dass unser Verhältnis zu einem Land immer von der aktuellen Situation und den aktuellen Ereignissen geprägt ist, halte ich für eine Selbstverständlichkeit. Diese werden dann selbstverständlich auch zur Sprache gebracht und den Meinungsaustausch prägen. Das ist das, was ich sagen wollte; ansonsten habe ich für die Bundesregierung hier ja, wenn Sie so wollen, offiziell gesprochen.

Schäfer: Im Übrigen hat es über das christlich-abendländische Wochenende - das ja in Saudi-Arabien kein Wochenende ist - natürlich Kontakte zwischen der Bundesregierung und der Regierung in Riad gegeben, in denen das, was von uns hier als Haltung der Bundesregierung dargestellt worden ist, auch Riad im direkten Kontakt vermittelt worden ist. Das ist völlig selbstverständlich.

Frage: Ich möchte noch nach einem Seitenaspekt fragen: Es gibt ja auch Kritik der Bundesregierung am Iran, dass er es nicht schaffe, diplomatische Vertretungen in seinem Lande zu sichern und Ähnliches. Mir stellt sich die Frage: Geht von diesem neuen, eskalierenden Konflikt momentan das Risiko aus, dass als direkte oder indirekte Auswirkung dieses im Moment eskalierenden Konflikts auch der Annäherungs- und Einigungsprozess zum Atomprogramm, der auch mit der Aufhebung von Sanktionen gekoppelt ist, in Gefahr kommen könnte?

Schäfer: Ich glaube, das ist eine wichtige Frage, die wir uns im Auswärtigen Amt auch stellen. Es gibt keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass es in Teheran Überlegungen gäbe, von der Wiener Vereinbarung vom 14. Juli 2015 auch nur ein Jota abzuweichen. Im Gegenteil, wir sind bei der Umsetzung der Wiener Vereinbarung im Grunde schneller vorangekommen, als das vor uns noch im letzten Jahr - auch im Herbst letzten Jahres - erwartet worden war.

Der Tag, an dem der Iran all die Verpflichtungen, die sich für ihn aus der Wiener Vereinbarung ergeben, erfüllt haben wird - mit der Folge, dass dann die internationalen Sanktionen suspendiert oder aufgehoben werden -, rückt näher und könnte vielleicht sogar schon in diesem Monat erreicht sein. Es ist über viele Jahre ein großes Ziel der Regierung in Teheran gewesen - und so nah wie heute war der Iran diesem Ziel noch nie -, dass die internationalen Sanktionen aufgehoben und suspendiert und damit nicht mehr anwendbar zu sehen. Ich gehe sehr davon aus, dass es bei den entscheidenden Akteuren im Iran - bei der iranischen Regierung, beim iranischen Präsidenten und auch anderswo - überhaupt kein Interesse daran gibt, von den Vereinbarungen von Wien vom Sommer letzten Jahres abzurücken.

Frage: Herr Seibert, mit Blick auf Realitäten: Saudi-Arabien ist ja nicht nur ein Feind von Menschenrechten, sondern auch nicht wirklich ein Feind von ISIS - vielleicht eher das Gegenteil. Hat die Bundesregierung mit Saudi-Arabien eigentlich einen wichtigen Partner, der Teil der Lösung oder Teil des Problems im Nahen Osten ist?

Herr Schäfer, gerade im Hinblick auf die BND-Berichte der letzten Wochen hat das Auswärtige Amt ja eine andere Haltung. Geht die Bundesregierung davon aus, dass die saudische Königsfamilie am Ende des Jahres noch an der Macht in Riad sein wird?

StS Seibert: Ich teile die Einschätzung, die Sie da vornehmen, nicht. Saudi-Arabien - daran soll einmal erinnert werden - ist im vergangenen Jahr mehrfach Opfer von sehr schlimmen IS-Anschlägen gegen Moscheen, Freitagsgebete usw. geworden. Saudi-Arabien beteiligt sich am Kampf gegen den sogenannten IS; es unterstützt in Syrien solche bewaffneten Oppositionsgruppen, die gegen den sogenannten IS kämpfen.

Ich wiederhole noch einmal, was ich vorhin gesagt habe: Wir brauchen Einigkeit derjenigen, die sich im Kampf gegen den IS engagieren, und wir brauchen eine konstruktive Rolle Saudi-Arabiens bei dem Versuch, die Probleme des Bürgerkriegs in Syrien zu lösen.

Schäfer: Zu Ihrer Frage an mich - vielen Dank dafür -: Ich denke einfach - und ich wiederhole das, was ich aus dem damaligen Anlass gesagt habe -, dass die Aufgabe des Bundesnachrichtendienstes nicht darin besteht, Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen über kluge Analysen über andere Länder zu unterrichten, sondern die Bundesregierung zu unterrichten. Das war meine klare Aussage hier, und die wiederhole ich gerne noch einmal.

Ich habe mich hier ganz bewusst und ganz ausdrücklich zu den inhaltlichen Thesen des Bundesnachrichtendienstes in dieser ominösen Pressemitteilung nicht eingelassen, und das tue ich auch jetzt nicht, weil das nicht hierher gehört. Außenpolitische Analysen, so wie ich sie vorhin auf die Frage des Kollegen hin anzudeuten versucht habe, gehören nicht in den öffentlichen Raum, sondern sind Teil ordnungsgemäßen, vernünftigen, rationalen politischen und Verwaltungshandelns, und das tun wir eben nicht in der Öffentlichkeit.

Zu Ihrer Frage über die Zukunft des Hauses Saud: Ich habe keine Kristallkugel; ich glaube, die hat hier niemand. Die Zukunft können wir nicht vorhersehen.

Zusatzfrage: Herr Seibert, sind in Riad jetzt - das haben Sie angesprochen - alle syrischen Oppositionsgruppen vor Ort, die die Bundesregierung auch eingeladen hätte?

Herr Schäfer, Deutschland ist Ehrengast des 30. Janadriyah-Festivals Anfang Februar in der Nähe von Riad. Dass Deutschland da das Zentrum des Festivals bildet und der saudischen Bevölkerung deutsche Gepflogenheiten und Traditionen vorzeigen wird, hat auch das Auswärtige Amt mit eingefädelt. Was für Messages plant Ihr Auswärtiges Amt den Menschen dort denn beizubringen? So etwas wie: Todesstrafe ist doof?

StS Seibert: Saudi-Arabien ist Teil der "International Syria Support Group", die sich im Wiener Prozess um einen politischen Prozess zur Lösung des Syrien-Krieges bemüht, und im Rahmen dieser "Support Group" hat Saudi-Arabien die Aufgabe übernommen, die sehr fragmentierte syrische Opposition zusammenzubringen und sie dabei zu unterstützen, ein Verhandlungsteam für die innersyrischen Gespräche zu bilden, die eben erstmals Ende Januar stattfinden sollen. Saudi-Arabien hat diese Aufgabe, nicht die Bundesregierung, und ich habe, ehrlich gesagt, auch nicht den vollkommenen Überblick, welche Gruppen Saudi-Arabien heute in Riad zusammenführt; deswegen kann ich Ihnen diese Frage nicht beantworten.

Zusatzfrage: Können Sie das nachreichen?

StS Seibert: Nein, das kann ich nicht. - Also gut, Herr Schäfer kann es, dann machen Sie es.

Schäfer: Nein, es ist völlig richtig, was Herr Seibert sagt, und ich glaube, es macht auch keinen Sinn, jetzt im Einzelnen Kleinstgruppierungen und Kleinstmilizgruppen auf ihre Teilnahme zu analysieren. Aber was ich hier guten Gewissens sagen kann - weil es einhellige Meinung der internationalen Gemeinschaft und, ich glaube, auch ein objektives Faktum ist -: Riad hat es vermocht, bereits im September und hoffentlich dann auch heute wieder ein Spektrum an syrischen Oppositionellen zusammenzubringen - ein weltanschauliches, ideologisches, ethnisches, auch militärisches, politisches Spektrum -, wie es in den inzwischen fast fünf Jahren Bürgerkrieg in Syrien noch niemand vermocht hat. Das ist eine Leistung, die wir - bei aller Kritik, die wir an Saudi-Arabien richten - anerkennen wollen und auch anerkennen müssen. Das ist ein ganz wichtiger Beitrag zum Wiener Prozess und letztlich eine Conditio sine qua non dafür, dass überhaupt ab dem 23. oder 25. Januar die Gespräche der syrischen Opposition - legitimierten, gewählten Vertretern der syrischen Opposition - und der syrischen Regierung - nämlich dem Regime in Damaskus - in Genf stattfinden können. Wir hoffen sehr, dass Saudi-Arabien in diesen Bemühungen nicht nachlässt - die ausdrücklich die Einladung an Gruppierungen, die mit Riad weltanschaulich, ideologisch ziemlich über Kreuz liegen, einschließen.

Zu Ihrer zweiten Frage zu Janadriyah: Es stimmt - Sie sind gut informiert - , dass Deutschland bei dem diesjährigen geplanten Janadriyah-Festival in Saudi-Arabien ein Partnerland ist - ich glaube nicht, dass Deutschland dort im Mittelpunkt steht. Wir freuen uns darüber. Das ist im Grunde eine Veranstaltung, die jetzt nicht politisch im engeren Sinne gemeint ist, aber die natürlich politischen Gehalt hat und für uns und für Saudi-Arabien, denke ich, eine gute Gelegenheit darstellt, einander näherzukommen und einander mit kulturellen und dann sicherlich auch politischen und sonstigen Überzeugungen zu begegnen und den Austausch zu fördern. Ich glaube, es ist jetzt noch ein bisschen zu früh, um zu sagen, wie genau sich Deutschland - etwa durch Besuche oder Ähnliches - an diesem Festival beteiligt. Sie haben aber Recht: Dieses Festival ist tatsächlich unter deutscher Beteiligung geplant - ich glaube, für die erste Februarwoche, also in einem Monat.

Frage: Herr Schäfer, Saudi-Arabien und Deutschland sind beide Mitglieder des Uno-Menschenrechtsrats. Findet Deutschland, dass es Sinn macht, zusammen mit Saudi-Arabien über die Menschenrechtslage in der Welt zu wachen?

Schäfer: Saudi-Arabien ist nicht nur Teil des Menschenrechtsrates, sondern Saudi-Arabien ist auch Teil der G20 und vieler anderer Gremien. Aber wo Sie eine konkrete Frage zu Menschenrechten stellen, lautet die Antwort: Die internationale Gemeinschaft wählt nach dafür vorgesehenen Verfahren die Mitgliedstaaten, die sie - die internationale Gemeinschaft - im Menschenrechtsrat vertreten. Wenn Saudi-Arabien von einer Staatengruppe dafür ausgewählt worden ist, dann nehmen wir das zur Kenntnis - ob wir das gut finden oder richtig finden oder nicht. Denn es ist nicht Deutschland - und das, was uns gefällt oder nicht gefällt -, dass dies bestimmt, sondern es sind Wahlen und objektive Regeln, so wie die internationale Gemeinschaft sie sich gegeben hat. Wenn das so ist, wie es ist, dann bedeutet das auch, dass wir uns in diesem Gremium, im Menschenrechtsrat - für den wir uns sehr eingesetzt haben und weiter einsetzen -, in dem Deutschland im letzten Jahr den Vorsitz geführt hat, auch für die Menschenrechte nach unserer Überzeugung und nach unserer Vorstellung einsetzen. Das tun wir selbstverständlich auch - soweit das geht - in Anwesenheit und gemeinsam mit Saudi-Arabien, das ist völlig selbstverständlich.

Zusatzfrage: Setzt sich Deutschland denn für eine Veränderung der Regeln zur Wahl ein?

Schäfer: Den Menschenrechtsrat gibt es noch gar nicht so lange, sondern erst ein paar Jahre - er hat ja die Menschenrechtskommission ersetzt, und eines der Probleme der Menschenrechtskommission war genau die Zusammensetzung, waren die regelmäßigen Wahlen. Ich denke, es ist ein Ding der Selbstverständlichkeit, dass zu gegebener Zeit die internationale Gemeinschaft zusammenkommt und gemeinsam versucht, sich ein Urteil darüber zu bilden, welche Erfahrungen man mit diesem Menschenrechtsrat gemacht hat.

Ich kann für Deutschland sagen - ohne allzu sehr in die Details eingehen zu wollen -, dass wir mit dem relativ neuen VN-Gremium des Menschenrechtsrates in Genf gute Erfahrungen gesammelt haben und dass wir, so glauben wir, unter deutschem Vorsitz im vergangenen Jahr die Sache der Menschenrechte in den Vereinten Nationen auch gut vorangebracht haben.

Aber bei allem Multilateralen, allem, was in den Vereinten Nationen passiert - und das gilt ganz besonders im Zusammenhang mit den Menschenrechten -, müssen verdammt dicke Bretter gebohrt werden, und es gibt auch überhaupt keinen Zweifel daran, dass die Baustellen an der Menschenrechtsfront unzählig sind. Ich kann Ihnen nur versichern, dass die Bundesregierung weiter entschlossen ist, im Menschenrechtsrat und überall sonst für die Menschenrechte zu kämpfen und zu werben.

Frage: Herr Schäfer, in der Vergangenheit - bei mehreren Reden vor einigen Wochen, auch hier in Berlin - hat der Bundesaußenminister den Iran als Rivalen Saudi-Arabiens einer destruktiven Politik in der Region bezichtigt. Wie bewerten Sie grundsätzlich die Politik Saudi-Arabiens in der Region?

Schäfer: Ich weise ausdrücklich den ersten Satz vor Ihrer Frage über Äußerungen des Bundesaußenministers zum Iran zurück. Die öffentlichen Äußerungen des Außenministers, des Auswärtigen Amtes in Reden vor dem Deutschen Bundestag oder woanders, sind nicht so grobschlächtig, wie Sie das hier andeuten, und ich bitte, das ausdrücklich zu vermerken.

Ansonsten haben wir hier über das Thema Saudi-Arabien jetzt wirklich ganz ausführlich gesprochen; Herr Seibert hat dazu ganz viel gesagt, auch Herr Toschev, und ich auch ein wenig. Auch auf Ihre Frage hin habe ich dem jetzt gar nichts mehr hinzuzufügen.

Frage: Herr Seibert, Herr Schäfer, es kommt jetzt gerade die Eilmeldung, dass auch Bahrain die diplomatischen Beziehungen zum Iran abgebrochen hat. Ich würde gerne um Ihre Einschätzung bitten: Müssen wir da jetzt mit einer Kettenreaktion in der ganzen Region rechnen?

Die eigentliche Frage, die ich hatte, passt vielleicht auch ganz gut dazu: Herr Schäfer, Sie haben ziemlich am Anfang gesagt, der Mittlere Osten sei der Welt etwas schuldig für die jahrzehntelangen Bemühungen um Frieden. Was heißt denn das konkret für ein Land wie Saudi-Arabien? Heißt das, dass es solche Provokationen wie am Samstag eigentlich nicht geben darf? Würde das für ein Land wie Bahrain auch heißen, dass es solche Reaktionen wie die, die sich gerade offensichtlich abzeichnen, eigentlich sein lassen sollte, um alles zu tun, damit es in der Region jetzt möglichst ruhig bleibt?

Schäfer: Wenn es nach uns ginge, würden die Zweitrunden-, Drittrunden- und Viertrundenwirkungen nicht in eine sich weiter aufschaukelnde Eskalationsspirale im Mittleren Osten ausweiten - das hoffen wir. Ich kann die Information, die Sie uns gerade gegeben haben, nicht bestätigen. Wenn das so sein sollte, dann wäre das kein gutes Zeichen und würde im Zweifel nur ein weiterer Beitrag dazu sein, die religiöse Kluft zwischen Sunniten und Schiiten zu vertiefen und würde es damit vielleicht auch ein wenig schwieriger machen, die Konflikte zu entschärfen.

Das, was ich Ihnen gerade gesagt habe - der Mittlere Osten ist der Welt etwas schuldig -, ist nicht mein Satz, sondern der des Außenministers. Was er damit meint - ich versuche einmal, es zu erklären -, ist, dass unglaublich viel politische Energie der internationalen Weltgemeinschaft - in den letzten Jahren sowieso, mehr vielleicht als jemals zuvor - in die Krisenbewältigung im Nahen und Mittleren Osten eingeflossen ist. Das gilt für die deutsche Außenpolitik, das gilt für die europäische Außenpolitik, für die amerikanische Außenpolitik, aber im Grunde auch für die Weltinnenpolitik im Sicherheitsrat und anderswo in der Welt.

Dass wir damit ganz klar die politische Erwartung verbinden, dass die wesentlichen Akteure - zu denen ganz bestimmt Saudi-Arabien gehört, zu denen der Iran gehört, zu denen die Türkei gehört, zu denen aber auch kleinere Akteure gehören - bereit sind, das anzuerkennen und als Gegenleistung ihren Beitrag dazu zu leisten und gemeinsam daran mitzuwirken, die großen, schweren Konflikte - die die ganze Region im Grunde in ihren Grundfesten erschüttern, die aber auch ernste Auswirkungen auf uns in Europa haben -, einzuhegen und einzudämmen. Da sind wir in den letzten Monaten im Wiener Prozess zu Syrien vielleicht so weit vorangekommen wie seit fast fünf Jahren nicht mehr. Im Grunde ist das der Appell an alle - einschließlich Saudi-Arabiens -, auf diesem Weg nicht nachzulassen.

Frage: An das Innenministerium oder das Auswärtige Amt: Die dänische Regierung hat verkündet, dass sie mit sofortiger Wirkung offenbar strenge Grenzkontrollen auch an der deutsch-dänischen Grenze durchführen will.

Erstens: Wie sieht die Bundesregierung das?

Zweitens - vermutlich an Herrn Dimroth vom Innenministerium -: Erwarten Sie, dass sich mit dem zunehmend restriktiveren Verhalten der skandinavischen Länder auch merkbare Auswirkungen auf die Flüchtlingsströme innerhalb Deutschlands bemerkbar machen werden?

Dimroth: Dann beginne ich jedenfalls einmal - vielen Dank für Ihre Frage. Ja, wir haben das zur Kenntnis genommen. Es gibt ja eine Reihe von Initiativen - auch solche, die in den skandinavischen Ländern in der Vergangenheit ergriffen wurden -, die in diese Richtung zielen. Zunächst einmal gilt ganz grundsätzlich, wie in anderen Fällen auch, dass wir selbstverständlich eine souveräne Entscheidung eines anderen souveränen Staates auch in diesem Kontext hier nicht kommentieren oder bewerten; vielmehr ist das eine Entscheidung der jeweiligen Regierung, die wir eben zur Kenntnis nehmen. Sie können sich gewiss sein, dass es darüber bilateral natürlich Austausche gibt, sodass wir davon jetzt auch nicht überrascht sind.

Was den zweiten Teil Ihrer Frage anbetrifft: Es wird sehr genau zu beobachten sein, ob und inwieweit das Auswirkungen auf das Migrationsgeschehen - sagen wir einmal, von Deutschland aus in Richtung Norden - hat. Insbesondere die Kollegen der Bundespolizei sind ja vor Ort und werden das jetzt sehr genau beobachten und dann auch entsprechend berichten, ob und gegebenenfalls in welchem Umfange diese Maßnahmen jetzt Auswirkungen auf das Weiter- oder Durchreisen von Flüchtlingen aus Deutschland heraus nach Skandinavien haben werden.

Schäfer: Ich kann all das unterstützen, was Herr Dimroth gerade gesagt hat, und möchte vielleicht nur einen Satz ergänzen: Die Freizügigkeit in Europa, in der Europäischen Union ist ein ganz hohes Gut, vielleicht eine der größten Errungenschaften Europas der letzten 60 Jahre. Das Schengen-Regime ist ganz wichtig, aber es ist angesichts der Flüchtlingsströme, mit denen wir in Europa in den letzten Monaten durchaus Schwierigkeiten hatten, in Gefahr. Was immer in Europa geschieht: Es ist immer besser, wenn das gemeinsam passiert. Völlig unabhängig von der Frage der Rechtmäßigkeit des Verhaltens souveräner Staaten ist es wichtig, dass wir gemeinsame Lösungen finden. Das ist die Haltung der Bundesregierung und sicher auch des Außenministers. Es geht also darum, bei dem Versuch, bei dem Bemühen, Schengen zu erhalten, gemeinsam vorzugehen und bezüglich des Schutzes der gemeinsamen Außengrenzen mit einer Fülle von Maßnahmen, die ja bereits aufs Gleis gesetzt sind, gemeinsam daran mitzuwirken, dass Schengen funktioniert und dass wir die Freizügigkeit in vollem Umfang erhalten können.

StS Seibert: Auch ich möchte, wenn ich darf, etwas dazu sagen. - Ebenso wie die Kollegen möchte ich hier jetzt nicht einzelne Maßnahmen von EU-Mitgliedstaaten kommentieren, aber doch sagen, dass das doch eigentlich ein Schlaglicht darauf wirft, dass wir vor allem eines brauchen, und das ist eine gesamteuropäische Lösung. Ich erinnere an den letzten Europäischen Rat im Dezember. Da war auf Vorschlag der Kommission ja genau darüber gesprochen worden: Wie kann man in Bezug auf eine europäische Grenz- und Küstenschutzstruktur vorankommen, wie kann man Europas Außengrenzen wirkungsvoll kontrollieren? Dazu soll es noch in den nächsten sechs Monaten, also noch unter niederländischer Ratspräsidentschaft, zu einer Einigung im Rat kommen. Es ist aus unserer Sicht unabhängig von einzelnen nationalen Maßnahmen auch vordringlich, diesen Schutz der EU-Außengrenzen zu verbessern, um Schengen zu bewahren.

Zusatzfrage: Herr Schäfer oder auch Herr Seibert, Sie sagten, es sei wichtig beziehungsweise es sei besser, wenn man in Europa alles gemeinsam macht. Nun hat die Bundesregierung im September ja auch Grenzkontrollen an den deutsch-österreichischen Grenzen eingeführt. Bezieht sich diese Mahnung oder dieser Hinweis - "besser alles gemeinsam machen" - jetzt darauf, dass die Skandinavier besser nicht alle paar Wochen eine Einzelmaßnahme machen, oder wie ist das zu verstehen?

StS Seibert: Nein. Ich dachte, ich hätte es klar gesagt: Jeder EU-Mitgliedstaat kann über die Art und Weise der Maßnahmen, die er ergreift, in eigener Verantwortung und natürlich im Rahmen des europäischen Rechts entscheiden. Wir haben - was uns damals unter Schengen ja ausdrücklich zustand - temporäre Grenzkontrollen wieder eingeführt; dazu kann das BMI noch genauer Auskunft geben. Das hat sich auch bewährt. Und doch ist uns allen in Europa klar - und das hat der letzte Europäische Rat auch gezeigt -: Wir brauchen eine gesamteuropäische Lösung. Die Lösung wird nicht an nationalen Grenzen zwischen Land A und Land B zu finden sein; sie wird in einem gesamteuropäischen Vorgehen zu einem wirkungsvollen Schutz und einer wirkungsvollen Kontrolle unserer EU-Außengrenzen liegen.

Frage: Ich weiß gar nicht, wer genau meine Frage beantworten kann: Es ist ja so, dass Dänemark Schengen bislang eigentlich nicht ausgesetzt hatte, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, Schweden und Deutschland hingegen sehr wohl - zumindest, was den Teil der Passfreiheit angeht. Jetzt würde mich doch interessieren, wie das sein kann. Ist das überhaupt möglich, oder liegen Ihnen da jetzt andere Informationen vor?

Dimroth: Falls die Frage sich an mich richten sollte oder jedenfalls für den Teil in der Zuständigkeit des Innenministeriums müsste ich Sie, glaube ich, ein Stück weit korrigieren: Schengen ausgesetzt hat niemand, insbesondere die Bundesregierung nicht. Vielmehr sehen der Schengener Grenzkodex und die entsprechenden europarechtlichen Grundlagen gerade die Maßnahmen, die die Bundesregierung getroffen hat, ja vor; insofern ist das sozusagen gelebtes Schengen und nicht die Aussetzung von Schengen - auch wenn derzeit zugegebenermaßen eine Ausnahme von der grundsätzlich vorgesehenen Freizügigkeit praktiziert wird, aber eben gerade auf Grundlage des europäischen Rechts - diese Klarstellung sehen Sie mir nach.

Was jetzt die konkrete rechtliche Grundlage dessen ist, was Dänemark jetzt tun will und zu tun angekündigt hat, kann ich Ihnen nicht sagen, das müsste mit der Kommission konsultiert werden; so sieht es eben auch die europarechtliche Regelung vor. Das wird uns dann aber sicherlich sozusagen im zweiten Schritt erreichen, sodass wir darüber dann gegebenenfalls Auskunft geben könnten. Aber Hüterin der Verträge ist insoweit die Kommission und nicht die Bundesregierung.

Frage: Herr Dimroth hat es ja gerade ausgeführt, aber für die Öffentlichkeit bedeutet Schengen ja eigentlich, wie Herr Schäfer gesagt hat, die europäische Freizügigkeit - jeder kann dahin, wohin er will. Herr Schäfer, ist Schengen schon tot oder hilft die Bundesregierung dieses Jahr mit, es zu beerdigen?

StS Seibert: Zweimal nein.

Zusatzfrage : Herr Schäfer?

Schäfer: Zweimal nein.

Dimroth: Ich vielleicht auch noch?

Zusatzfrage: Herr Dimroth?

Dimroth: Überraschenderweise auch zweimal nein - plus noch einen Zusatz zu dem, was Herr Seibert und auch Herr Schäfer schon gesagt haben. Wesentlich - und auch das ist ja nicht neu - sind doch die Bemühungen um einen wirksameren EU-Außengrenzschutz. Das ist sozusagen das Ziel, das wir in den Blick genommen haben. Dazu möchte ich noch ergänzen, dass die Bundespolizei Frontex auch für den Januar weitere 179 Kräfte und zwei Schiffe angeboten hat, um eben genau dieses Ziel zu erreichen, nämlich die Kräfte, die mit dem EU-Außengrenzschutz betraut sind, so zu stärken, so aufzubauen und so zu konsolidieren, dass diese Maßnahme eben auch greift. Das ist das Ziel: den EU-Außengrenzschutz so zu stärken, dass die Freizügigkeit innerhalb Europas dann auch wieder uneingeschränkt vollzogen werden kann.

Zusatzfrage: Wann wird die Freizügigkeit denn wieder so sein, wie die Öffentlichkeit es gewohnt ist, wann gehen wir also wieder zu dem alten Zustand zurück?

Dimroth: Wenn sozusagen tatsächlich und rechtlich der Zeitpunkt dafür gekommen ist, entsprechende Maßnahmen wieder zurückzunehmen.

Frage: Herr Seibert, ist eigentlich die Bundeskanzlerin vorab vom dänischen Ministerpräsidenten über diesen Schritt unterrichtet worden?

Zweite Frage: Die Kanzlerin selbst hat ja mehrfach davor gewarnt, dass der Schengen-Raum durch die aktuellen Ereignisse und Entwicklungen bedroht sei. Denkt sie, dass mit der dänischen Entscheidung und der schwedische Entscheidung, die ja ebenfalls heute in Kraft getreten ist, diese Gefahr gewachsen ist? Wie bewertet man eigentlich derzeit den Zustand des Schengen-Raumes und auch die Aussicht, dass man da eine gemeinsame Lösung findet, wenn sich immer mehr Länder daraus auskoppeln?

StS Seibert: Zur ersten Frage: Ja, die Bundeskanzlerin ist von Ministerpräsident Rasmussen informiert worden; die beiden haben miteinander gesprochen.

Zur zweiten Frage: Ich dachte, das hätten wir eigentlich weitgehend beantwortet. Ich will auf einzelne Maßnahmen, die einzelnen Mitgliedstaaten im Rahmen des europäischen Rechts selbstverständlich zustehen, nicht eingehen. Aus unserer Sicht wird aber immer klarer - und das ist auch Europa insgesamt klar; das hat der letzte Europäische Rat hoffentlich gezeigt -: Wir brauchen eine gemeinsame Strategie, wir brauchen gegenseitige Solidarität, gemeinsames Vorgehen und einen umfassenden Ansatz. Das ist ganz besonders wichtig bei der gemeinsamen Aufgabe des Schutzes und der Kontrolle der Außengrenzen.

Frage: Weil das irgendjemand im Zusammenhang Flüchtlinge ja einmal fragen muss: Würde sich die Bundesregierung der Forderung des bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Chefs Horst Seehofer nach einer Flüchtlingsobergrenze von 200 000 in diesem Jahr anschließen? Wie hilfreich ist denn dieser Vorschlag in der laufenden Debatte?

StS Seibert: Die Positionen zu diesem Thema sind ja allgemein und auch Ihnen bekannt, weil hier im vergangenen Jahre 2015 ja häufig dargelegt. Jetzt kann ich nur sagen: Die Bundeskanzlerin freut sich auf die Begegnung und die Diskussion mit der CSU-Landesgruppe in Wildbad Kreuth, und das ist eine gute Gelegenheit, miteinander noch einmal über die Ziele unserer Flüchtlingspolitik zu sprechen. Ich kann Sie gerne für Sie wiederholen: die Integration der vielen Neuankömmlinge in unserem Land in die Grundlagen unseres Zusammenlebens, die wirkungsvolle Kontrolle - wir sprachen gerade darüber - der EU-Außengrenzen, die Bekämpfung der Fluchtursachen, sodass Menschen in ihren Heimatländern oder zumindest geografisch in der Nähe ihrer Heimatländer eine Zukunft haben können. All das soll dazu führen, dass wir aus illegaler Migration legale Migration machen und dass wir die Zahl derjenigen, die bei uns ankommen, dauerhaft und spürbar verringern.

Zusatzfrage: Hält die Bundeskanzlerin es für möglich, Herrn Seehofer von ihrer Haltung zu überzeugen?

StS Seibert: Die Positionen sind bekannt, und das Gespräch in Kreuth wird wie immer ein offenes sein.

Zusatzfrage: Noch eine Nachfrage an das Innenministerium: Die "Sächsische Zeitung" berichtet gerade unter Berufung auf aktuelle Zahlen, dass es im Jahr 2015 genau 1 091 894 Flüchtlinge gegeben habe, die in Deutschland registriert wurden. Liegen Ihnen diese Zahlen vor?

Dimroth: Das kann ich im Moment nicht bestätigen. Wie Sie wissen, geben wir Anfang des Folgemonats immer die Zahlen des vorvergangenen Monats im Rahmen einer Pressemitteilung bekannt, und zwar sowohl, was die Asylantragsstellung anbetrifft, als auch, was die sogenannten EASY-Zugänge anbetrifft - das Letztere jedenfalls seit geraumer Zeit, weil eben die Dynamik dort entsprechend hoch ist. So werden wir auch dieses Mal verfahren, sodass Sie jedenfalls noch im Laufe der Woche mit einer entsprechenden Veröffentlichung rechnen können, aus der sich dann auch die konsolidierten Zahlen für das vergangene Jahr insgesamt ergeben werden.

Frage: Herr Dimroth, daran anschließend: Sie haben sich, bevor Sie in die BPK gegangen sind, sicherlich noch einmal die jüngsten Zuwanderungszahlen der letzten Tage besorgt. Wie ist denn der Trend angesichts der veränderten Wetterbedingungen?

Eine zweite Frage: Wie wirkt sich denn die nun wiederaufgenommene Einzelfallprüfung bei syrischen Asylbewerbern auf die durchschnittliche Bearbeitungsdauer dieser Anträge aus? Normalerweise würde man ja erwarten müssen, dass es jetzt wieder länger dauert, bis die Anträge bearbeitet sind, einfach weil sie eingehender geprüft werden müssen.

Letzte Frage: Herr Seibert, stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, es würde der Bundesregierung sicherlich leichter fallen, international im europäischen Rahmen für Gemeinsamkeiten in der Flüchtlingspolitik zu werben, wenn die Bundesregierung selbst eine gemeinsame Flüchtlingspolitik hätte und nicht ein Koalitionspartner immer divergierende Auffassungen verträte?

Dimroth: Wenn ich darf, würde ich mit Ihren ersten beiden Fragen beginnen. Das Ankunftsgeschehen - relevant ist da ja im Wesentlichen die deutsch-österreichische, die bayerisch-österreichische Grenze - der vergangenen Tage gestaltet sich weiterhin dynamisch, allerdings auf einem doch insgesamt deutlich niedrigeren Niveau als es noch im letzten Quartal des vergangenen Jahres der Fall war. Allerdings sind die Tageszahlen doch sehr stark divergierend, sodass ich da von einem festen Trend nicht sprechen würde. In den vergangenen Tagen waren die Zahlen der dort durch die Bundespolizei festgestellten Einreisen zwischen 1500 und 3000.

Zu Ihrer zweiten Frage: Es ist richtig, das Bundesinnenministerium hat in der Vergangenheit eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um das Asylverfahren gerade auch im Lichte der sehr dynamischen Entwicklungen des vergangenen Jahres insgesamt wieder stärker zu ordnen und zu sortieren - gerade auch, um wieder den Grundsatz zu etablieren, der dem Asylverfahren innewohnt, dass wirklich Schutzsuchenden hier selbstverständlich Schutz gewährt werden muss und wird, gleichzeitig aber bei Menschen, die keinerlei Schutzgrund mitbringen, entsprechend ein negativer Bescheid ergehen muss. Wie Sie wissen, hat sich auch die Innenministerkonferenz im vergangenen Dezember mit der Frage der Rückkehr zu sogenannten Einzelfallprüfungen - ich sage "sogenannt", weil wesentlicher Bestandteil der Praxis weniger die Frage einer Einzelfallprüfung als vielmehr die Frage einer Anhörung ist - auch bei syrischen Antragsstellern befasst und den Vorstoß und Vorschlag des Bundesinnenministers, hier wieder zum geregelten Verfahren zurückzukehren, goutiert.

Wenn Sie jetzt nach Auswirkungen auf die Verfahrensdauer fragen, dann ist das möglicherweise insoweit etwas vorschnell, als diese Praxis mit dem heutigen Tage umgestellt wurde, sodass sich, glaube ich, Fragen nach Auswirkungen auf die Verfahrensdauer zur jetzigen Stunde vielleicht noch nicht stellen beziehungsweise sich jedenfalls nicht sinnvollerweise beantworten ließen. Wichtig ist aber, dass das Bundesamt selbstverständlich den Beschluss der Innenministerkonferenz auch insoweit umzusetzen versucht, als eben keine nennenswerten Verfahrensverzögerungen mit dieser umgestellten Praxis einhergehen. Dies versucht man mit entsprechenden weiteren Ressourcen, die man in diesem Bereich zur Verfügung stellt, und mit weiteren verfahrenseffektivierenden Initiativen zu erreichen. Insofern ist unsere gute Hoffnung, dass man dem Beschluss der Innenministerkonferenz Folge leisten wird.

StS Seibert: Die Bundeskanzlerin wirbt in Europa dafür, dass Europa, dass die EU-Mitgliedsstaaten die Flüchtlingssituation als eine gemeinsame Herausforderung begreifen. Sie kann das mit erheblicher Autorität tun. Warum? - Weil dahinter die große Leistung des deutschen Staates und der deutschen Bürger bei der Flüchtlingsaufnahme 2015 steht.

Frage: Eine Frage an Herrn Seibert. Als was reist die Bundeskanzlerin nach Kreuth? Als Bundeskanzlerin oder als CDU-Vorsitzende?

An Herrn Dimroth - vielleicht auch an das Wirtschaftsministerium - die Frage: Was bedeuten die Grenzkontrollen an der dänischen Grenze praktisch? Das eine wären die Folgen für Handel, Warenverkehr und so weiter und für Privatpersonen. Aber jetzt an Sie die Frage: Was bedeutet das für die Flüchtlinge? Wie groß waren in der letzten Zeit die Wanderungsbewegungen von Deutschland nach Dänemark/Skandinavien? Dazu müsste es ja Erhebungen geben.

StS Seibert: Meines Erachtens reist die Bundeskanzlerin als Bundeskanzlerin nach Kreuth.

Dimroth: Ich kann es relativ kurz machen. Auch dazu gibt es natürlich Erkenntnisse. Auch das schwankt relativ stark. Beim Ausreisegeschehen insbesondere aus Schleswig-Holstein in Richtung Skandinavien, aber auch aus Mecklenburg-Vorpommern in Richtung Skandinavien reden wir immer über Zahlen zwischen - grob gesagt - 100 und 300 Personen pro Tag.

Zusatzfrage: Aus beiden Bundesländern zusammen?

Dimroth: Ja, insgesamt nach Skandinavien.

Toschev: Wenn ich es richtig überblicke, liegt der Schwerpunkt auf Personen- und nicht auf Güterkontrollen. Wir gehen nicht davon aus, dass es zu Beeinträchtigungen kommt. Gegebenenfalls vereinzelt, aber nicht in größerem Umfang. Es wäre auch zu früh für eine Bewertung, aber ich rechne jetzt eigentlich nicht mit Beeinträchtigungen im Güterverkehr.

Frage: Ich habe eine klärende Nachfrage zu der Forderung Herrn Seehofers nach der Obergrenze von 200 000 pro Jahr. Ich verstehe Sie richtig, Herr Seibert, dass die Bundesregierung diese Forderung nicht kommentieren will?

StS Seibert: Sie waren ja bei sehr vielen Regierungspressekonferenzen im vergangenen Jahr hier anwesend. Wir haben das doch eigentlich rauf und runter buchstabiert. Deswegen kann man, denke ich, wirklich sagen, dass die Positionen bekannt sind. Dies ist nicht die Position der Bundeskanzlerin. Eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen lässt sich nach unserer Überzeugung nicht im nationalen Alleingang erreichen. Die Flüchtlingskrise ist ein europäisches Problem. Sie kann und muss europäisch gelöst werden, durch europaweite Bekämpfung von Fluchtursachen, durch Solidarität, durch Vereinbarung von Kontingenten, durch Hotspots, durch eine effiziente Kontrolle unserer EU-Außengrenzen.

Das alles ist eine bekannte Position. Wie gesagt, die Bundeskanzlerin freut sich auf die Gespräche in Kreuth und wird mit den CSU-Landesgruppenmitgliedern die aktuelle Lage sicherlich sehr breit erörtern.

Frage: Ist es für die Bundeskanzlerin völlig okay, wenn es in der Bundesregierung oder bei den Parteien, die die Bundesregierung bilden, weiterhin unterschiedliche Auffassungen zu dieser Haltung gibt? Oder muss man irgendwann sagen: "Ober schlägt Unter" oder mit zwei zu eins sagen: "Wir wollen das nicht", und dann müssen sich alle daran halten?

StS Seibert: Die Bundeskanzlerin wird immer zum weiteren Gespräch mit den anderen Koalitionsparteien, mit den Chefs der Koalitionsparteien, mit den Fraktionsmitgliedern bereit sein. Das ist auch gut so und auch nichts Neues.

Frage: Eine Nachfrage an Herrn Dimroth zu den Auswirkungen des skandinavischen Verhaltens auf die Flüchtlingsbewegungen. Sie haben gesagt, das müsse man jetzt nach der dänischen Entscheidung beobachten. Aber die Skandinavier sind, was das angeht, schon seit einer Weile eher auf der Bremse. Die Bundespolizei erhebt ihre Zahlen zumindest intern im Tagesrhythmus.

Können Sie sagen, ob und was sich bisher an der Tendenz zumindest eines Teils der Flüchtlinge, durch Deutschland hindurch nach Skandinavien zu gehen, geändert hat, auch schon vor der dänischen Entscheidung? Können Sie uns Erkenntnisse dazu mitteilen?

Dimroth: Jedenfalls kann ich Ihnen jetzt keinen kausalen Zusammenhang zwischen Migrationsgeschehen aus Deutschland heraus in Richtung Skandinavien und gesetzlichen oder auch exekutiven Maßnahmen, die in skandinavischen Ländern getroffen wurden, darlegen. Insgesamt sind die Zahlen, die ich eben genannt habe - grob zwischen 100 und 300 Menschen, die pro Tag Deutschland in Richtung Skandinavien wieder verlassen - die Kenngrößen der vergangenen Tage und Wochen, sodass ich Ihnen noch nicht einmal anhand der Zahlen eine nennenswerte Entwicklung darlegen könnte, die im Zusammenhang mit entsprechenden Maßnahmen der skandinavischen Regierungen stünde.

Frage: Herr Dimroth, eine kurze Wasserstandsfrage: 4. Januar 2016 - wie viele Entscheider gibt es momentan beim BAMF?

Als Zusatzfrage dazu: Ist denn geplant, das Interregnum Herrn Weises auch im Jahre 2016 komplett weiter durchzuführen? Oder plant man, die Stelle des Präsidenten vielleicht doch noch einmal zu besetzen?

Dimroth: Vielen Dank für Ihre Frage, die mir die Gelegenheit gibt, eine Nachlieferung anzukündigen. Wie Sie wissen und wie auch ich weiß, ist es im vergangenen Jahr gelungen, den Personalbestand im BAMF maßgeblich und bemerkenswert schnell aufzubauen und aufzustocken. Das betrifft unter anderem auch den Bereich der Entscheider. Wir hatten hier mehrfach ausgeführt, dass der Entscheider eine zentrale Funktion innerhalb des Asylverfahrens ist, aber selbstverständlich ist das nicht die einzige, die auch für die Frage der Verfahrensdauer relevant ist. Ich hatte das, meine ich, mit Ihnen, Frau Kollegin, besprochen.

Das wäre so ähnlich, wie wenn man annähme, dass es für die Erstellung eines schönen Beitrages allein auf die redaktionelle Arbeit ankäme, aber außer Acht ließe, dass man Kollegen des Tons und gegebenenfalls auch Kamerakollegen braucht, um einen solchen Beitrag zu erstellen. So ähnlich ist es auch im BAMF. Natürlich hat der Entscheider eine zentrale Funktion. Aber nicht er allein ist für die Frage der Verfahrensdauer maßgeblich.

Um es kurz zu sagen: Ich kenne den Stand heute nicht. Aber ich kann ihn sicherlich nachreichen und werde das gern tun.

Zu Herrn Weise: Da ist, jedenfalls mit Stand heute, keine Veränderung geplant.

Frage: Eine Frage an das Wirtschaftsministerium. Wirtschaftsminister Gabriel reist diese Woche nach Kuba. Welche Erwartungen knüpft er an seinen Besuch? Welche Abkommen sind möglicherweise geplant, die unterzeichnet werden könnten? Wer sitzt mit in seiner Delegation aus den Kreisen der Wirtschaft?

Toschev: Vielen Dank für die Frage. Es ist richtig, Minister Gabriel wird von Mittwoch bis Ende der Woche nach Kuba reisen. Er wird begleitet von einer größeren Wirtschaftsdelegation. Auf der Agenda stehen Gespräche bilateraler Natur mit Amtskollegen vor Ort. Meines Wissens wird es auch ein Unternehmerforum geben. Ich kann Ihnen momentan aber keine Angaben dazu machen, ob und welche Verträge von den Unternehmen gezeichnet werden.

Zusatzfrage: Können Sie denn Angaben dazu machen, welche Erwartungen er an den Besuch knüpft und wer in der Wirtschaftsdelegation vertreten ist?

Toschev: Was die Teilnehmer der Wirtschaftsdelegation angeht, informieren wir üblicherweise dann, wenn die Reise konkret beginnt. Das können wir dann gerne entsprechend machen.

Was die Frage bezüglich der Erwartungen angeht, so ist Kuba ein Land mit Veränderungen, was die jüngsten Entwicklungen im letzten Jahr belegen. Es geht um die Vertiefung der wirtschaftspolitischen Beziehungen zu Kuba. Konkretere Angaben kann ich momentan nicht machen. Das wird sich sicherlich im Rahmen der Reise seitens des Ministers manifestieren.

Frage: Sind es alleine wirtschaftliche Argumente, die den Minister jetzt nach Kuba treiben? Weder steht Kuba im Moment im Zentrum der Weltwirtschaft noch sind die Volumina des Handels mit Kuba so großartig noch ist Kuba in weltpolitischer Sicht im Moment in der ersten Reihe.

Toschev: Die Reisen des Ministers - gerade Wirtschaftsreisen, begleitet von Delegationen - richten sich nicht nur ausschließlich nach der tagesaktuellen Ausgestaltung, sondern setzen Schwerpunkte. Wir haben eine größere Wirtschaftsdelegation. Das zeigt das Interesse der deutschen Wirtschaft an der Insel, an der Öffnung Kubas. Es gab auf Kuba in den vergangenen Jahren verschiedene Gesetze zur Stärkung von ausländischen Investitionen etc. Es geht darum, hier einen grundsätzlichen Schwerpunkt in Lateinamerika zu setzen.

Frage: Frage an das Umweltministerium. Es gab in den letzten Tagen mehrfach beunruhigende Nachrichten aus Belgien, wo die alten Atomkraftwerke munter hoch- und auch wieder heruntergefahren wurden, und zwar so schnell, dass man fast den Überblick verliert. Ihre Ministerin hat sich auch kritisch dazu geäußert. Nun ist von Umweltverbänden an sie die Forderung herangetragen worden, sich nicht nur kritisch zu äußern, sondern aktiv zu werden und die Belieferung dieser Atomkraftwerke mit Brennstäben aus der deutschen Brennelementefabrik in Lingen zu unterbinden.

Erstens. Ist das rechtlich möglich? Wenn ja, wie?

Zweitens. Wie stehen Sie denn zu dieser Forderung?

Fichtner: Was die Frage bezüglich der Brennelemente angeht, so ist die Rechtslage klar. Wenn ein Unternehmen die strengen gesetzlichen Anforderungen erfüllt, dann hat es auch Anspruch darauf, Brennelemente zu produzieren und zu transportieren. Das Bundesamt für Strahlenschutz hat bei der Genehmigung keinen Ermessensspielraum.

Wir verfolgen einen anderen, wie wir finden effektiveren Weg, um die Sicherheit in belgischen Atomkraftwerken verbessern zu helfen. Das ist der fachliche Austausch. Wir werden alle Sicherheitsfragen mit den Belgiern nach der Pannenserie intensiv und kritisch diskutieren, konkret zum Beispiel nächste Woche, wenn ein internationales Arbeitstreffen mit Sicherheitsexperten in Belgien auf Einladung der belgischen Atomaufsicht stattfindet, an dem nicht nur deutsche Experten, sondern auch Experten aus anderen Nachbarländern teilnehmen. Wir werden die Ergebnisse dieses Treffens sorgfältig auswerten und zeitnah darauf aufbauend Gespräche auf politischer Ebene mit Belgien anstreben.

Zusatzfrage: Ist es nur in diesem konkreten Fall nicht möglich oder gibt es grundsätzlich keine Möglichkeit? Gäbe es die Möglichkeit, was ja auch schon einmal gefordert worden ist, dieser ganzen Fabrik langfristig die Betriebsgenehmigung zu entziehen, weil ja auch schon einmal die Frage gestellt worden ist, was für einen Sinn ein deutscher Atomausstieg macht, wenn man gleichzeitig halb Westeuropa mit Brennstäben beliefert?

Fichtner: Auf Grundlage der aktuellen Rechtslage ist das nicht möglich. Die aktuelle Rechtslage beruht auf einem Beschluss, der partei- und fraktionsübergreifend 2011 zusammen mit dem Atomausstieg beschlossen wurde. Dieser hat sich damals ganz bewusst auf die Atomkraftwerke und nicht auf andere Anlagen konzentriert.

Vorsitzende Welty: Bevor wir uns der nächsten Frage zuwenden, kann Herr Dimroth Zahlen nachliefern.

Dimroth: Ja, das kann er. Der Kollege ist leider schon gegangen, aber ich gehe einfach davon aus, dass er Gelegenheit haben wird, das Protokoll nachzulesen und ich dementsprechend davon ausgehen darf, dass meine zugesagte Nachlieferung damit erledigt ist.

Den letzten Stand, den ich habe, was die Zahlen in Sachen BAMF angeht, ist der 15. Dezember des letzten Jahres. Nur um die Entwicklung aufzuzeigen: Am 1. Oktober des vergangenen Jahres waren insgesamt 424 Entscheider im BAMF. Wir differenzieren insoweit zwischen den Entscheidern in den BAMF-Ausstellen und in den sogenannten Entscheidungszentren. Das kann ich gerne binnendifferenzieren: Das waren in den Außenstellen 367 und in den Zentren 57. Zum 1. November waren es schon 868 Entscheider insgesamt, differenziert nach BAMF-Außenstellen 490 und in den Zentren 358 und zum 15. Dezember 1.175 insgesamt, 565 in den Außenstellen und 610 in den Zentren. Es gab also binnen zweieinhalb Monate mehr als eine Verdoppelung der Zahlen.

Frage: Noch einmal zur Außenpolitik. Herr Schäfer, der polnische Außenminister hat mehr Solidarität und Verständnis von Deutschland in der aktuellen EU-Debatte gefordert. Er hat gesagt: Braucht ihr, also die Deutschen, Polen als Pufferzone zu Russland oder als Lieferant billiger Arbeitskräfte? Ist Deutschland nicht ausreichend solidarisch mit Polen oder wie beurteilt man diese Äußerung?

Schäfer: Ich persönlich, bestimmt auch Kollegen im Auswärtigen Amt, haben das Interview von und mit Herrn Waszczykowski heute in der "Bild"-Zeitung sehr aufmerksam gelesen. Ich habe das auch gelesen, was Sie da vorgetragen haben.

Ich möchte einfach nur auf eine Äußerung des Außenministers noch aus der Zeit vor Weihnachten verweisen. Er hat gesagt: "Wir sprechen direkt mit unseren polnischen Partnern und Freunden und nicht über sie." Er hat auch darauf hingewiesen, dass wir die engen Verbindungen und die Freundschaft, die sich zwischen beiden Staaten und beiden Ländern und beiden Gesellschaften in den letzten 25 Jahren fortentwickeln haben, gar nicht hoch genug schätzen können. Dem habe ich eigentlich gar nicht so viel hinzuzufügen.

Vielleicht nur ein Wort: Ich glaube, die Bundesregierung braucht sich im Hinblick auf die Rückversicherungsmaßnahmen der Nato im östlichen Bundesgebiet mit dem, was wir - das kann der Kollege Flosdorff ganz sicher noch im Detail ausbuchstabieren; sonst mache ich es - an der östlichen Flanke an Rückversicherung nach dem Nato-Gipfel in Wales getan haben, nicht zu verstecken.

Frage: Herr Schäfer, beunruhigt die Bundesregierung die Verfassungsänderungen nicht nur in Polen, sondern auch in Frankreich? In Frankreich ist der Ausnahmezustand als Gesetz verankert worden. In Polen gibt es einige Verfassungsänderungsmaßnahmen.

Schäfer: Ich glaube, es macht keinen Sinn, sozusagen französische Äpfel mit polnischen Birnen zu vergleichen, sondern da ist jede Lage eine ganz besondere nationale Lage. Was ich Ihnen sagen kann, ist, dass wir selbstverständlich nicht nur die politischen Entwicklungen in unseren beiden großen Nachbarländern Frankreich und Polen außerordentlich aufmerksam beobachten, dass wir allergrößten Wert darauf legen, mit Paris und Warschau die allerbesten, einvernehmlichsten, guten Beziehungen zu pflegen und in diesem Rahmen all das zur Sprache kommt, was es im bilateralen Verhältnis europapolitisch und, weil es sich um große Partnerschaften handelt, auch weltpolitisch zu diskutieren gibt. Das tun wir, und das tun wir mit dem Geiste der Freundschaft, der Partnerschaft und dem klaren Willen, gemeinsame Positionen zu erarbeiten, die wir auch gemeinsam in Europa und der Welt vertreten. Wir fühlen uns in diesem Vorgehen auch durch die Äußerungen und die Haltung unserer Partner in Warschau und Paris bestärkt.

StS Seibert: Ich möchte Herrn Schäfer ausdrücklich beipflichten. Deutsche und Polen sind nach sehr schmerzhaften Kapiteln unserer gemeinsamen Geschichte heute Nachbarn. Sie sind Freunde, sie sind Partner in EU und Nato. Unser Interesse ist es, dieses nicht nur beizubehalten, sondern, wo immer möglich, auch im Dialog mit der neuen Regierung auszubauen. Deswegen ist es auch richtig, dass wir hier nicht einzelne gesetzgeberische Maßnahmen einer demokratischen Regierung kommentieren. Da, wo immer in Europa die Frage aufkommt - und danach fragen Sie ja -, ob nationales Recht eines Mitgliedstaates mit europäischem Recht vereinbar sei, kann und muss das überprüft werden. Die Hüterin der Verträge ist die Europäische Kommission. Ihre klare Zuständigkeit ist es dann, eine solche Überprüfung vorzunehmen. Diese Europäische Kommission möchte ja nun gerade mit der polnischen Regierung in einen Dialog über bestimmte Maßnahmen eintreten. Das ist der richtige, der europäische Weg.

Zusatzfrage: Nicht bezogenen auf einzelne Maßnahmen, Herr Seibert: Sieht die Bundesregierung antidemokratische Tendenzen, was die Arbeit der polnischen Regierung angeht?

StS Seibert: Ich habe Ihnen das gesagt, was ich dazu zu sagen habe. Wenn es solche gäbe, wenn es Fragen gibt, ob nationales Recht mit europäischem Recht in Vereinbarkeit zu bringen ist, dann ist es Sache und Zuständigkeit der Europäischen Kommission, diese Frage zu beantworten und eine Überprüfung vorzunehmen. Dazu ist es sicherlich richtig, dass die Europäische Kommission ein Dialogangebot an die polnische Regierung gemacht hat. Wir möchten uns zunächst einmal hier in Berlin auf den noch ausstehenden Antrittsbesuch der polnischen Ministerpräsidentin Beata Szydlo konzentrieren. Wie Sie wissen, wird gegenwärtig ein Termin für diesen Besuch abgestimmt.

Frage: Herr Seibert, die Bundeskanzlerin wird in Wildbad Kreuth nicht nur den bayerischen Ministerpräsidenten, sondern auch den britischen Premierminister treffen. Können Sie kurz erläutern, ob es bei diesem Treffen darum gehen wird, dass die Bundeskanzlerin, die deutsche Seite noch einmal die britischen Forderungen und Vorstellungen für eine EU-Reform aufnimmt oder geht es eher darum, vielleicht den britischen Premierminister von der deutschen Position in dieser Sache zu überzeugen? Oder ist man schon so weit, dass man möglicherweise auf eine Kompromisslösung hinarbeitet? Wo stehen wir gerade in dieser Debatte?

Zweitens. Sind ähnliche Treffen zwischen der Bundeskanzlerin und dem britischen Premierminister in nächster Zeit geplant? Die Zeit drängt ja ein bisschen. Möglicherweise muss schon bis Ende Februar eine Vereinbarung vorliegen.

StS Seibert: Zunächst ist der britische Premierminister in Kreuth auf Einladung der CSU-Landesgruppe zu Gast. Er ist Gast der CSU-Landesgruppe und als solcher kommt er dorthin. Da die Bundeskanzlerin auch dort ist, freut sie sich natürlich auch auf eine Begegnung mit ihm. Ich kann Ihnen jetzt noch gar nicht sagen, welche Form die genau annehmen wird. Es wird sich sicherlich eher um ein kürzeres informelles Gespräch handeln.

Die Haltung Deutschlands zu den britischen EU-Reformbestrebungen ist bekannt und auch vielfach ausgedrückt worden. Wir haben immer gesagt, wir wollen hilfreich sein, soweit das möglich ist, Großbritannien als einen aktiven und engagierten Partner in der Europäischen Union zu halten, aber natürlich ohne die Grundfesten der europäischen Überzeugungen und europäischen Einigung infrage zu stellen. Nun wird man, denke ich, auch darüber reden. Aber es gibt auch gemeinsame andere Interessen aus dem Bereich der Weltpolitik, die eine Rolle spielen können.

Frage: Herr Seibert, der türkische Staatspräsident Erdogan hat in Bezug auf ein mögliches Präsidialsystem in der Türkei unter anderem Hitler-Deutschland als Vergleich angeführt. Wie bewerten Sie diese Äußerungen?

StS Seibert: Nach meinen Informationen ist aus dem Amt des türkischen Staatspräsidenten dazu nach dieser Äußerung schon Einordnendes gesagt worden. Insofern möchte ich das nicht weiter kommentieren.

Frage: Eine Nachfrage zum Thema Polen. Herr Schäfer, Sie sagten, direkte Beziehungen oder direkte Gespräche seien besser. Was findet denn derzeit an direkten Gesprächen statt, die über den vielleicht üblichen diplomatischen Rahmen hinausgehen?

Gibt es schon einen Termin für das Treffen der beiden Außenminister? Wir haben von der Ministerpräsidentin gehört, aber nicht vom Außenminister.

Schäfer: Der neue polnische Außenminister Waszczykowski ist wenige Tage nach seinem Amtsantritt in Berlin gewesen und ist von Herrn Steinmeier zu einem langen Abendessen eingeladen worden, das in kleinem Kreis stattgefunden hat. Ich kann Ihnen das Datum nicht genau sagen. Das war Anfang der Woche, wenige Tage, nachdem er zum Außenminister ernannt worden war.

Seitdem hat es am Rande von EU- und anderen Treffen zahlreiche Begegnungen der beiden Außenminister gegeben, die sich inzwischen ein wenig kennengelernt haben. Herr Waszczykowski ist ja gelernter Karrierediplomat. Insofern war ein Einstieg in die Diskussion über außenpolitische Themen auch ganz einfach und ganz konstruktiv. Das Entscheidende ist, dass die beiden gleich bei ihrem ersten Treffen hier in Berlin beim Abendessen einander zugesagt haben, als Personen mit besonderer Verantwortung für die Qualität der deutsch-polnischen Beziehungen einen engen Draht zu pflegen, eine Art Krisenmechanismus jederzeit in Gang setzen zu wollen und zu können, wenn einer von beiden das Gefühl hat, in den deutsch-polnischen Beziehungen könnte irgendetwas geschehen, was den hervorragenden Stand der bilateralen Beziehungen, der sich in den letzten 25 Jahren ergeben hat, gefährden könnte.

Die Vereinbarung und auch die Zusage des deutschen Außenministers stehen, das genau so zu machen. Ich kann Ihnen jetzt nicht von konkreten Absichten berichten, sich zu treffen. Aber ich glaube, der nächste Außenrat der Europäischen Union findet am 18. Januar statt, also heute in zwei Wochen. Das wäre dann der späteste Termin, an dem die beiden sich dann einmal wiedersehen würden.

Frage: Wie sehen die Vorbereitungen für ein Treffen der polnischen Premierministerin und der Bundeskanzlerin aus?

Wie sehen die Vorbereitungen für die Feierlichkeiten anlässlich des 25. Jahrestages des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags aus?

StS Seibert: Die Bundeskanzlerin hatte Frau Szydlo nach Berlin eingeladen. Sie hat diese Einladung anlässlich des letzten Europäischen Rates im Dezember noch einmal erneuert. Frau Szydlo hat die Einladung angenommen. Jetzt sind wir in der Phase, wo zwischen beiden Regierungen ein Termin ausgemacht wird.

Was das Jubiläum betrifft: Wir haben in diesem Jahr - für diejenigen, die das nicht wissen - das 25. Jubiläum des deutsch-polnischen Freundschaftsvertrags. Die Einzelheiten der Planungen werden zurzeit beraten.

Frage: Herr Seibert, mich würde zur bemerkenswerten Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin interessieren, wer die Rede geschrieben hat. Waren Sie das?

StS Seibert: Schön, dass Sie sie bemerkenswert fanden. Die Neujahrsansprache ist selbstverständlich von der Bundeskanzlerin gehalten und entscheidend bestimmt worden.

Zusatzfrage: Aber wer hat das geschrieben?

StS Seibert: Entschuldigung, aber das sind doch Vorgänge, über die wir grundsätzlich keine Auskunft geben. Die Bundeskanzlerin hält genau die Neujahrsansprache, die sie halten möchte.

Zusatzfrage: Haben Sie damit etwas zu tun gehabt?

StS Seibert: Ich glaube, Sie kennen meine Zuständigkeiten als Regierungssprecher. Dazu ist jetzt auch nicht mehr zu sagen. Aber ich freue mich, wenn Sie die Ansprache bemerkenswert fanden.

Frage: Herr Seibert, seit dem 1. Januar hat Deutschland den OSZE-Vorsitz inne. Können Sie kurz skizzieren, um welche Schwerpunkte es in diesem Jahr gehen wird, was Deutschland erreichen möchte?

StS Seibert: Ich schlage vor, dass das Auswärtige Amt das am besten tut. Dazu hat sich Außenminister Steinmeier gerade um die Jahreswende auch schon inhaltlich geäußert.

Schäfer: Herr Steinmeier hat das mehrfach getan. Darüber freue ich mich, weil es zeigt, dass es auch in der Öffentlichkeit das Interesse an der Arbeit der OSZE und Verständnis für die Bedeutung der OSZE gibt. Er hat ausgeführt, dass es ihm in der Zeit des deutschen Vorsitzes insbesondere darum geht, die OSZE stärker zu machen als ein Ort des innereuropäischen Dialogs und Austausches über sicherheitspolitische Fragen. Die Sicherheit Europas ist seit den Ereignissen auf der Krim und in der Ukraine wieder zu einem wirklichen Thema geworden.

Die Frage von Krieg und Frieden in Europa, die über viele Jahre lang als eine abseitige wahrgenommen wurde, ist das auch aus Sicht der Öffentlichkeit nicht mehr. Für Herrn Steinmeier und für die Bundesregierung geht es im Laufe des Jahres darum, dafür zu arbeiten, darum zu ringen, dass die 52 Mitgliedstaaten der OSZE enger zusammenrücken und dass sie bereit sind, all ihre sicherheitspolitischen Gravamina, ihre Bedenken, ihre Probleme und Sorgen auf den Tisch zu bringen und sich mit einem konstruktiven Ansatz darum bemühen, gemeinsame Antworten zu finden, die die Sicherheit Europas als Ganzes stärken.

Der zweite Punkt ist natürlich, dass die OSZE durch die Krise in der Ukraine als ein Instrument des Krisenmanagements bekannt geworden ist und sich bewährt hat. Ohne die Unterstützung der OSZE, ohne die Diskussionen in Wien, ohne die Beobachtermission der OSZE im Osten der Ukraine wären wir längst nicht so weit, wie wir sind. Wir wären gerne weiter.

Wir sind der OSZE sehr dankbar dafür - Herr Steinmeier ist der OSZE außerordentlich dankbar dafür -, dass sie keine Risiken und auch keine Mühen gescheut hat, diese ihre Rolle wahrzunehmen. Darin liegt aus unserer Sicht noch sehr viel mehr Potential. Es geht darum, die OSZE als ein Gremium des akuten Krisenmanagements zu stärken und auszubauen.

Darüber hinaus hat die OSZE ein ganz vielfältiges Spektrum an Aktivitäten in den Bereichen Umweltschutz, Transparenzmaßnahmen, um nur wenige zu nennen. Auch hier geht es darum, immer wieder darum zu kämpfen und dafür zu werben, dass alle Mitgliedstaaten der OSZE, einschließlich der Öffentlichkeit in diesen Staaten, die Bedeutung und den Nutzen der OSZE erkennen und gemeinsam daran arbeiten, sie zu stärken.

Zusatzfrage: Nachfrage zum Thema Ukraine. Dabei setzen viele große Hoffnungen auf Deutschland. Wie ist es denn, wenn man jetzt den OSZE-Vorsitz inne hat? Kann man dann vielleicht noch besser die Hoffnung erfüllen, dass Deutschland eine Vermittlerrolle oder was auch immer hat oder muss man sich vielleicht im Gegenteil als OSZE-Vorsitzender auf eine gewisse neutrale Position zurückziehen und die anderen machen lassen?

Schäfer: Die Rolle Deutschlands im Normandie-Format und damit auch die Führungsrolle Deutschlands gemeinsam mit Frankreich bei der Bewältigung der Ukraine-Krise und der Vermittlung einer politischen Lösung zwischen Moskau und Kiew ist völlig unbeschadet der Rolle des OSZE-Vorsitzes. Auch dazu hat Herr Steinmeier ja schon öffentlich gesagt, dass das für ihn und für die Bundesregierung noch nicht zu Ende gegangen ist, dass das Normandie-Format weiter seinen Nutzen hat und dass wir weiterhin ganz hart daran arbeiten werden, dass Kiew und Moskau all das umsetzen, was sie letztes Jahr im Februar unter anderem unter Vermittlung der Bundeskanzlerin und des Außenministers am 11. und 12. Februar in Minsk vereinbart haben.

Im Grunde stärkt die Rolle OSZE-Vorsitz den deutschen Ansatz nur, weil man auf diese Art und Weise ein Instrument mehr zur Hand hat, um all das zu tun, was wir für erforderlich halten, um die Ukraine-Krise erstens einzuhegen, einzudämmen - das ist uns - ich hoffe, das bleibt so - einigermaßen gelungen -, und sie dann zweitens auch zu überwinden. Dazu braucht es die OSZE. Dazu wollen wir unseren Vorsitz ganz aktiv in den Grenzen nutzen, die Sie angedeutet haben. Die OSZE ist ein Gremium, in dem grundsätzlich das Einstimmigkeitsprinzip gilt. Das macht es erforderlich, in bestimmter Weise diplomatisch vorzugehen, und zwar anders, als das in anderen Gremien vielleicht der Fall wäre.

Frage: Bundestagspräsident Lammert kritisierte gestern in einem Fernsehinterview, dass die Ausschüsse im Bundestag ausgerechnet am letzten Sitzungstag vor Weihnachten über den AWACS-Einsatz unterrichtet worden seien. Was ist die Reaktion der Bundesregierung oder vielleicht der entsprechenden Ministerien auf diese Kritik von Herrn Lammert?

Schäfer: Das haben wir hier an dieser Stelle ausführlich diskutiert, und ich persönlich habe dazu auch für das Auswärtige Amt Stellung nehmen können. Die Schreiben der Bundesregierung - der zuständigen Staatssekretäre im Auswärtigen Amt und im Bundesministerium der Verteidigung - zur Unterrichtung des Bundestages sind am 18. Dezember zu dem Zeitpunkt, der aus Sicht der Bundesregierung der richtige war, weil er der entscheidungsreife Zeitpunkt gewesen ist, herausgegangen. Der Bundestag ist auf diese Art und Weise informiert worden. Angesichts der Überzeugung der Bundesregierung, dass es keines Mandats im Sinne des Parlamentsbeteiligungsgesetzes und damit einer Zustimmung des Plenums des Deutschen Bundestages bedarf, war das aus Sicht der Bundesregierung der angemessene Weg, dann zu unterrichten, wenn die Entscheidung gefallen war. Das war eben der Fall, als das Schreiben am 18. Dezember die beiden Häuser verlassen hat.

Flosdorff: Zum technischen Verständnis möchte ich ergänzen: Das war im Nato-Verschweigeverfahren, das am 18. Dezember um 15 Uhr ablief. Unmittelbar darauf sind die Abgeordneten informiert worden. Es gab noch nicht einmal eine Verzögerung von einigen Stunden, bis die Entscheidung stand, bis die Abgeordneten informiert waren. Diese Details werden selbstverständlich dem Parlament nachgeliefert, damit es die Prozesse im dem Lichte neu bewerten kann. Es hat einige Äußerungen dazu gegeben. Das lässt sich aber alles gut erklären.

Montag, 4. Januar 2016

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Quelle:
Regierungspressekonferenz vom 4. Januar 2016
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2016/01/2016-01-04-regpk.html;jsessionid=A36050568A6FAEEC01CEBB9A01545FA0.s1t1
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Januar 2016

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