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PRESSEKONFERENZ/1137: Regierungspressekonferenz vom 13. Januar 2016 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz - Mittwoch, 13. Januar 2016
Regierungspressekonferenz vom 11. Januar 2016

Themen: Reise des Chefs des Bundeskanzleramtes in die Türkei, Anschlag in Istanbul, Kabinettssitzung (Pflegeberufsreformgesetz, Gesetzentwurf zur Stärkung des Wettbewerbs im Eisenbahnbereich, Bericht zu den Erfahrungen der EEG-Pilotausschreibungen, frühkindliche Bildung und Sprachförderung von Flüchtlingen), Verschärfung des Asylrechts, Abschiebepraxis in Bezug auf Algerien und Marokko, Treffen des Bundesfinanzministers mit seinem griechischen Amtskollegen, Benennung des neuen Präsidenten des BSI, Förderung der Elektromobilität, Einsatz der Bundeswehr gegen die Terrororganisation ISIS, Einleitung eines Prüfverfahrens der Europäischen Kommission gegen Polen

Sprecher: StS Seibert, Chebli (AA), Dimroth (BMI), Flosdorff (BMVg), von Tiesenhausen-Cave (BMF), Toschev (BMWi)


Vors. Szent-Ivanyi eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt StS Seibert sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

StS Seibert: Meine Damen und Herren, guten Tag! Ich habe Ihnen eine Reiseankündigung zu machen, und zwar für den Chef des Bundeskanzleramts, Minister Altmaier. Er wird morgen in die Türkei reisen, um in Ankara verschiedene Gespräche zur Vorbereitung der bevorstehenden ersten deutsch-türkischen Regierungskonsultationen zu führen. Sie wissen: Die sind für den 22. Januar hier in Berlin geplant. Minister Altmaier wird Gespräche mit verschiedenen Ministern führen. Es ist auch eine Begegnung mit Ministerpräsident Davutoglu vorgesehen. So viel dazu.

Frage: An das Auswärtige Amt: Sollten deutsche Touristen den Urlaub in der Türkei meiden, solange Deutschland am Kampf gegen den Terror beteiligt ist?

Chebli: Lassen Sie mich vielleicht einige grundsätzliche Worte zu diesem fürchterlichen Terroranschlag sagen, weil es die traurige Nachricht gibt, dass es inzwischen zehn Deutsche unter den Opfern gibt. Der fürchterliche Terroranschlag von gestern in Istanbul beschäftigt natürlich den Krisenstab der Bundesregierung im Auswärtigen Amt auch heute.

Der Ablauf des Anschlags ist mittlerweile bekannt. Ich möchte dazu einiges ergänzen: Von dem Anschlag war eine 33-köpfige deutsche Reisegruppe direkt betroffen. Es gibt keine Hinweise darauf, dass es sich um einen gezielten Angriff auf eine deutsche Gruppe gehandelt hat. Der At Meydani ist eine wichtige touristische Attraktion in Istanbul, der zahlreiche Reisegruppen aus aller Welt anzieht. Die Zahl der deutschen Todesopfer - das hatte ich gesagt - hat sich inzwischen leider auf zehn erhöht. Die Angehörigen wurden im Laufe der vergangenen Nacht persönlich durch Polizeibeamte und Seelsorger benachrichtigt, soweit das möglich war. Sieben deutsche Verletzte werden noch in Krankenhäusern in Istanbul behandelt, darunter fünf auf der Intensivstation. Drei weitere leicht verletzte Deutsche werden heute aus den Krankenhäusern entlassen. In Istanbul steht eine ausgezeichnete medizinische Infrastruktur zur Verfügung.

Gestern ist unmittelbar nach dem Anschlag der Krisenstab der Bundesregierung im Auswärtigen Amt zusammengekommen; das hat der Minister in beiden Statements, die er dazu gemacht hat, gesagt. Dieser arbeitete natürlich gemeinsam mit dem Generalkonsulat und der Botschaft in Ankara die ganze Nacht hindurch daran, belastbare Informationen zu sammeln und insbesondere die Angehörigen der betroffenen deutschen Staatsangehörigen zu ermitteln, sie zu unterrichten und ihnen in dieser schweren Zeit zur Seite zu stehen. Wir stehen natürlich in dieser Frage auch in engstem Kontakt mit den türkischen Behörden. Das Generalkonsulat Istanbul wurde sofort durch Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Ankara verstärkt. Das Auswärtige Amt hat außerdem ein Kriseninterventionsteam zur psychologischen Betreuung der überlebenden Reisenden nach Istanbul entsandt.

Zu Ihrer Frage: Wir haben ja Reise- und Sicherheitshinweise, die wir ständig und immer auf einem aktuellen Stand halten. Über diese Reise- und Sicherheitshinweise kann man sich erkundigen, wie die Lage in der Türkei ist. In diesem Fall hat es auch eine Ergänzung gegeben, und diese Information hat jeder, der den Newsletter des Auswärtigen Amtes abonniert hat, dann auch bekommen.

Zusatzfrage: Verstehe ich Sie richtig, dass deutsche Touristen die Türkei nicht meiden sollten, obwohl es dort eine Terrorgefahr gibt?

Chebli: Ich glaube, wenn man sich die vergangenen Wochen und Monate so anschaut, dann dürfen wir nicht vergessen, dass die Türkei bereits zweimal Opfer von verheerenden IS-Anschlägen geworden ist; ich erinnere an Suruç und an Ankara. Dabei hatte sie mehr als 140 Tote zu beklagen. Ich glaube, man darf nicht vergessen, dass die Türkei immer wieder Ziel von Anschlägen geworden ist und dass die Türkei deshalb ein ureigenes Interesse daran hat, ISIS zu bekämpfen. Wir arbeiten mit der Türkei in der Anti-ISIS-Koalition zusammen, weil wir es für richtig und wichtig halten, dass wir alle gemeinsam an einem Strang ziehen, wenn es darum geht, die Terrororganisation zu bekämpfen und ihr dann auch den Nährboden zu entziehen.

Ich kann das, was Sie gesagt haben, dass wir Touristen raten, nicht in die Türkei zu fahren, so nicht sagen. Das würden wir so natürlich nicht sagen. Es gibt Hinweise über Gefährdungslagen, die wir machen. Die kann man ablesen. Die kann man abonnieren. Es ist auch im Interesse aller, das zu tun, um immer auf dem letzten Stand zu sein. Aber in der Pauschalität, in der Sie diese Feststellung gerade getroffen haben, dass wir jetzt allen Menschen raten, nicht in die Türkei zu fahren, würde ich das nicht sagen. Der gestrige Anschlag hat gezeigt, dass es im Prinzip uns alle überall und immer wieder - egal wo wir sind - treffen kann. Es gibt keine Garantie dafür, dass wir vor Terrorismus sicher sind, auch in Deutschland nicht. Das haben wir an dieser Stelle und das hat der Minister mehrfach gesagt. Das ist tragisch. Umso mehr gilt es - das hat der Minister gestern auch unterstrichen -, alles daranzusetzen, den Kampf, den wir führen, auch entschlossen weiterzuführen, weil das der richtige Weg ist, weil das der richtige Ansatz ist.

Frage: Der Bundesinnenminister, der zur Stunde in Istanbul ist, hat gerade sozusagen das Gegenteil gesagt. Er hat sinngemäß dazu aufgerufen, eben weiterhin in die Türkei zu reisen und jetzt nicht grundsätzlich von Reisen dorthin abzusehen. Würden Sie sich diesem Appell anschließen?

Meine andere Frage wäre die nach dem technischen Vorgehen: Was passiert mit den Opfern? Wer überführt die? Wo kommen die an? Gibt es eine Trauerfeier? Gibt es irgendwelche Überlegungen in dieser Richtung? Woran arbeiten Sie da?

Chebli: Die nächsten Schritte wären so, dass wir neben der Betreuung der Angehörigen und Überlebenden vor Ort derzeit natürlich die Frage der Rückführung der Terroropfer mit der türkischen Seite besprechen. Diese wird sobald wie möglich erfolgen. Wir haben aber derzeit noch kein Datum, das ich Ihnen mitteilen könnte. Aber sobald wir etwas Konkretes haben werden, werden wir Sie natürlich über die laufenden Entwicklungen unterrichten.

Zu der ersten Frage: Eigentlich, denke ich, ist in dem, was ich gesagt habe, klar geworden, dass wir definitiv nicht dazu raten würden, Reisen in die Türkei jetzt pauschal zu unterlassen, natürlich nicht. Aber Aufgabe des Auswärtigen Amtes ist es, durch die Reise- und Sicherheitshinweise darüber zu informieren, wo es Gefährdungslagen gibt. Tatsache ist, wie ich unterstrichen habe, dass das ja an jedem Platz dieser Welt passieren kann. Wir können ja nicht aufhören zu reisen, weil es diesen schrecklichen Anschlag gegeben hat. Wir dürfen uns diese Freiheit von diesen Terroristen auch nicht nehmen lassen, weil sie genau das wollen, weil sie genau erreichen wollen, dass wir darüber nachdenken, wohin wir fahren, und Angst haben, unser Leben so weiterzuleben, wie wir es gerne leben möchten. Dieser perfiden Logik dürfen wir nicht nachkommen, sondern wir sollten, soweit es geht, unser Leben so weiterführen, unsere Werte so weiterverfolgen und uns unsere offenen Gesellschaften nicht nehmen lassen.

Dimroth: Ich wollte nur ganz kurz ergänzen respektive konkretisieren, dass das Zitat, das Sie meinem Minister - der sich gerade tatsächlich in Istanbul auffällt, um mit seinem Amtskollegen zu beraten, sich informieren zu lassen, sich ein eigenes Bild von dem Tatort zu machen und heute im Laufe des Tages auch noch die Verletzten im Krankenhaus zu besuchen - auf die Frage hin in den Mund gelegt haben, ob man auch weiterhin in die Türkei reisen solle oder nicht, tatsächlich gewesen ist, dass er ganz grundsätzlich keinen Grund dafür sieht, per se nicht mehr dorthin zu reisen. Er hat aber im Weiteren genauso wie Frau Chebli auf die Reisehinweise des Auswärtigen Amtes hingewiesen, die eben, abgestimmt zwischen unseren beiden Häusern, immer eine Art Handlungsleitlinie für Menschen sind, die sich aus Deutschland heraus gerade mit dem Gedanken befassen, in die Türkei zu reisen. Das ist sozusagen die maßgebliche Handlungsempfehlung, die die Bundesregierung dazu abgibt.

Frage: Ich wüsste gerne - das kann wahrscheinlich am ehesten das Innenministerium beantworten -, wie lange sich der Attentäter inmitten dieser Reisegruppe aufgehalten hat, bevor die Bombe detonierte. Istanbul ist ja eine Stadt mit sehr vielen Kameras im öffentlichen Raum. Da kann man das womöglich feststellen.

Zweite Frage: Wie konnte es sein, dass die Identität des Täters und die Zuschreibung in Richtung ISIS so schnell klar waren? Wenn man das beispielsweise mit den Vorfällen in Paris vergleicht, dann hat es dort ja sehr lange gedauert. Was war denn da der Ansatzpunkt?

Dimroth: Vielen Dank für die Frage. Ich befürchte aber, dass ich sie weitgehend nicht beantworten kann, denn diese Fragen müssten Sie an die türkischen Sicherheitsbehörden richten. Weder von Frau Chebli noch von mir haben Sie heute oder in den letzten Stunden eine Bestätigung einer bestimmten Täterschaft, einer bestimmten Tätergruppe oder Ähnliches gehört, und zwar aus guten Gründen. Die Ermittlungen laufen. Ich habe das, was Sie gerade zitierten, auch zur Kenntnis genommen, aber als Erkenntnisse der türkischen Sicherheitsbehörden.

Der Minister hat seinen Amtskollegen im Rahmen des Gesprächs heute Morgen auch darum gebeten, an den Ermittlungsergebnissen, soweit sie konsolidiert sind, auch weitestgehend partizipieren zu dürfen. Diese Zusage ist erfolgt. Das heißt, ich bin guter Hoffnung, dass wir in naher Zukunft sozusagen auch ein eigenes und möglichst vollständiges Bild von dem Ablauf und auch von der möglichen Täterschaft in Bezug auf diesen barbarischen Anschlag von gestern haben werden. Nach heutigem Stand kann ich Ihnen aber weder bestätigen, dass das so ist, noch kann ich Ihnen erläutern, warum die türkischen Behörden möglicherweise sehr schnell zu ersten Fahndungserfolgen gekommen sind.

Zusatzfrage: Dann müsste man ja eigentlich sagen "Wir haben keine Hinweise darauf, dass sich das gezielt gegen Deutsche gerichtet hat". Müsste es dann nicht richtigerweise heißen "Wir wissen es bisher einfach noch nicht"? Wenn sich derjenige zum Beispiel diese Reisegruppe ausgesucht hat, länger dort gestanden und gehört hat, welche Sprache gesprochen wurde, dann gäbe es den Hinweis nämlich womöglich schon.

Dimroth: Darin sehe ich jetzt, ehrlich gesagt, nicht so recht einen Widerspruch. Die Bewertung "Es gibt bisher keine Hinweise" heißt nämlich nicht "Es war nicht so". Einer solchen Bewertung würde ich mich heute auch verschließen, denn dafür ist es sicherlich zu früh. Wir wissen nicht, ob es nicht so war. Wir wissen: Es gibt nach jetzigem Stand der Ermittlungen keinen Hinweis darauf. Das ist etwas anderes. Das soll ja gerade zum Ausdruck bringen, dass das eben noch nicht abschließend aufgeklärt ist. Sollten sich im weiteren Verlauf entsprechende Hinweise ergeben, werden wir auch nicht zögern, Sie und die interessierte Öffentlichkeit darüber zu informieren.

Frage: Ich habe nur zwei ganz profane Fragen, zum einen zu den Zahlen: Dass jetzt zehn der Getöteten Deutsche sind, heißt das, dass bis auf den Täter letztendlich nur Deutsche getötet wurden, oder hat sich die Gesamtzahl der getöteten Menschen auch verändert?

Zum Zweiten würde ich gerne wissen, ob unter den fünfen - Sie hatten, glaube ich, von fünfen gesprochen -, die auf der Intensivstation liegen, bei irgendeinem Lebensgefahr besteht.

Zum Dritten würde mich interessieren - das weiß wahrscheinlich das Innenministerium -, ob die türkische Seite heute gegenüber Herrn de Maizière irgendetwas von einem wie auch immer glaubhaften Bekenntnisschreiben gesagt hat und ob irgendetwas in dieser Richtung eingegangen ist.

Chebli: Wie gefährdet diejenigen auf der Intensivstation sind, kann ich Ihnen jetzt nicht sagen. Ich weiß, dass sie auf der Intensivstation und schwer verletzt sind. Wie ihr Zustand genau aussieht, kann ich nicht sagen.

Zusatzfrage: Sind es außer dem Selbstmordattentäter nur getötete Deutsche, oder sind noch andere aus anderen Nationen darunter?

Chebli: Was ich weiß, ist - wir hatten gestern die Information von den türkischen Behörden erhalten -, dass es acht waren. Heute hat sich die Zahl auf zehn erhöht. Wir gehen ja aber davon aus, dass wir gestern von neun Verletzten gesprochen haben. Das heißt, von den neun Verletzten sind zwei gestorben.

Dimroth: Die Frage, ob die Minister auch die Gelegenheit hatten, über die Frage eines möglichen Bekennerschreibens zu sprechen oder nicht, kann ich Ihnen, leider schlichtweg nicht beantworten. Jedenfalls ist das in den Pressestatements der beiden Minister nicht erwähnt worden. Ich kann gerne nachfragen. Wenn im Laufe des Tages Erkenntnisse dazu auflaufen würden, würde ich die nachreichen.

Frage: Nachdem die Zahlenfrage jetzt, glaube ich, klarer geworden ist habe ich zum Glück eine andere. Frau Chebli, Sie sagten, Sie wollten nicht in aller Pauschalität vor Reisen in die Türkei warnen. Jetzt habe ich mir die Reisewarnung aber doch noch einmal durchgelesen, und ich frage mich, was von der Türkei noch übrig bleibt, wenn man sich von Demonstrationen und Menschenansammlungen insbesondere in größeren Städten fernhalten soll, die Anwesenheit an belebten Plätzen im innerstädtischen Bereich meiden soll und Verkehrsmittel auch meiden soll. Man soll den öffentlichen Personennah- und -fernverkehr meiden, und man soll auch bei Reisen über Land besondere Vorsicht walten lassen. Jetzt frage ich mich: Was ist denn dann Ihre Empfehlung? Was soll man denn tun?

Chebli: Wir sehen es als unsere Verantwortung an, darauf hinzuweisen, wo wir eine Gefährdungslage sehen. Wir können Ihnen nicht vorgeben, was Sie am Ende mit diesen Informationen machen. Wir würden deswegen auch nicht pauschal sagen - - - Wir können Sie ja nicht zwingen, irgendetwas nicht zu machen. Wir würden Sie nur ganz freundlich darauf hinweisen, dass es für Ihre eigene Sicherheit gut wäre, wenn Sie sich die Reise- und Sicherheitshinweise anschauen.

Sie haben recht mit dem, was Sie aufgezählt haben. Aber es hat sich ja auch geändert. Wir haben gestern noch einmal eine zusätzliche Ergänzung hinzugefügt, und wir sehen es auch als unsere Verantwortung an, das zu tun. Wenn wir das nicht täten und der nächste Anschlag käme, dann wäre das auch ein bisschen unglaubwürdig. Das heißt, unsere Reise- und Sicherheitshinweise sind immer so, dass sie aktuell sind und dass sie der Lage entsprechend formuliert werden. Wie Sie das am Ende nach dem, was Sie da zusammengezählt haben, definieren - - - Sie haben recht: Es mag so sein, dass das so klingt, dass man dann am Ende ganz viele Orte meidet. Aber wir sagen ja manchmal "erhöhte Gefahr". Wir sagen bei dem anderen Fall "meidet". Wir wählen unsere Worte also schon ganz genau aus, und Experten arbeiten ganz genau an den Formulierungen. Sie können sich also sicher sein, dass wir das mit sehr großer Verantwortung tun.

Frage: Herr Flosdorff, befürchten Sie eine sinkende Unterstützung der deutschen Bevölkerung für Auslandseinsätze, gerade für den in Syrien?

Herr Dimroth, gibt es nach jetzigem Stand überhaupt eine Zusammenarbeit zwischen den türkischen und deutschen Behörden, oder ist es dafür noch zu früh?

Flosdorff: Zu Ihrer ersten Frage: Es ist ja nicht das erste Mal, dass auch die deutsche Bevölkerung durch Anschläge gefährdet ist. Es gab die Anschläge, die jetzt in der Türkei stattgefunden haben, und einen Anschlag, der in Paris stattgefunden hat. Ich glaube, die deutsche Bevölkerung ist sich sehr wohl bewusst, dass von islamistischen Attentätern schon seit geraumer Zeit eine hohe Gefahr für sie ausgeht, und ich erwarte nicht, dass sich dadurch jetzt signifikante Änderungen für den Rückhalt in Bezug darauf ergeben, was die Bundeswehr im Namen des Parlaments in den Auslandseinsätzen leistet.

Chebli: Darf ich das vielleicht ergänzen? Ich glaube schon, dass die deutsche Bevölkerung ein Bewusstsein dafür hat, dass dieses Sich-Abschotten, dieses Rollläden-Herunterziehen und so zu tun, als ob uns der Rest der Welt nicht interessierte, nicht funktioniert. Ich habe schon das Gefühl, dass die Deutschen sehr wohl verstehen, dass alles sehr eng miteinander zusammenhängt, dass Außenpolitik heute auch Innenpolitik ist und dass wir uns nicht in unser Kämmerlein zurückziehen und sagen können "Das, was da draußen in der Welt passiert, interessiert uns nicht". Das hat spätestens die Flüchtlingskrise gezeigt. Wenn man sich die Zahlen der Vergangenheit in Bezug auf die Unterstützung der deutschen Bevölkerung für die deutsche Außenpolitik so anschaut, dann kann man jetzt schon sehen, dass es durchaus eine Unterstützung dafür gibt, auch für militärisches Engagement. Wir sagen deshalb ja auch immer, und es ist doch wichtig, dass wir immer darauf hinweisen: Das ist ein Mittel, das ist ein Instrument, aber das ist natürlich nicht das alleinige Instrument, um mit dem Übel, das es in der Welt gibt, umzugehen. Ich würde da also keinen Zusammenhang sehen. Wir hoffen natürlich weiterhin, dass wir die Unterstützung der deutschen Bevölkerung für all das haben, was wir in der Außen- und Sicherheitspolitik tun.

Dimroth: Vielen Dank für die Frage nach der Zusammenarbeit. Ich weiß nicht, ob Sie das jetzt sozusagen konkret seit gestern in Bezug auf den Anschlag meinten. - Ja. Dann ist es so, dass das Bundeskriminalamt heute ein Ermittlerteam nach Istanbul geschickt hat, um dort die Ermittlungen in Zusammenarbeit und Kooperation mit den türkischen Behörden zu unterstützen. Überdies haben wir der türkischen Seite durch das BKA eine Unterstützung durch die sogenannte Identifizierungskommission angeboten. Dazu steht eine Rückmeldung noch aus. Das BKA ist also nach heutigem Stand vor Ort, um die Ermittlungen zu unterstützen und in Zusammenarbeit mit der türkischen Seite möglichst zur Sachverhaltsaufklärung beizutragen.

Zusatzfrage: Wie viele Menschen sind in diesem Team?

Dimroth: Da muss ich passen; ich kann gerne nachfragen. Ich weiß nur, dass das ein Team ist, sodass ich einmal davon ausgehen würde, dass es jedenfalls mehr als zwei sind.

Frage: Frau Chebli, ich habe eine kleine technische Frage zu diesen Reisehinweisen: Was passiert denn, wenn Deutsche jetzt die Reisehinweise ignorieren, trotzdem Menschenansammlungen vor Sehenswürdigkeiten aufsuchen und dann Opfer werden? Sind die dann versicherungstechnisch nicht mehr abgedeckt?

Herr Flosdorff, es hat Meldungen gegeben, die Bundeswehr würde möglicherweise die Toten und Verletzten zurückfliegen. Ist das richtig? Was können Sie dazu sagen?

Flosdorff: Der Krisenstab tagt ja im Auswärtigen Amt. Da ist auch das Verteidigungsministerium vertreten. Im Rahmen dieser Beratungen ist natürlich auch die Frage aufgekommen: Wie kann die Rückführung der Verletzten und Toten nach Deutschland organisiert werden? Da kann ich sagen, dass die Bundeswehr seit heute Morgen dazu bereit ist und sie mit den Kapazitäten, die wir haben, schon auf Standby steht.

Das ist Lufttransport. Da ist zum Beispiel der MedEvac Airbus - eine fliegende Intensivstation -, der in Köln-Wahn stationiert ist, der in der Lage ist, auch Schwerverletzte zu transportieren. Es gibt aber auch andere Transportkapazitäten der Bundeswehr, die Angehörige in die Türkei und wieder zurück transportieren könnten inklusive einer medizinischen und psychologischen Betreuung. Dieses gesamte Paket ist abrufbar. Aber diese Entscheidungen werden im federführenden Krisenstab im Auswärtigen Amt getroffen. Das wäre dann eine Frage, die in den nächsten Tagen sicherlich akut wird.

Chebli: Zu den Versicherungen: Ich habe ja vorhin gesagt, wir können natürlich niemandem Reisen verbieten. Wir weisen mit den Reise- und Sicherheitshinweisen darauf hin, was wir für richtig halten. Aber es gibt keine Verbindung zu Versicherungen oder Ähnlichem. Da gibt es keine unmittelbaren Automatismen. Also das heißt nicht, wenn wir darauf hinweisen und sie es trotzdem tun, dass sich automatisch eine Konsequenz daraus ergäbe, was zum Beispiel eine Versicherung angeht. Da gibt es keinen Automatismus.

Frage: Frau Chebli, zur Täterschaft: Wie plausibel hält denn das Auswärtige Amt, dass das ISIS sein könnte? Für wie plausibel halten Sie es, dass es vielleicht kurdische Attentäter waren? Die Nahost-Experten sagen ja: Es macht wenig Sinn, dass es ISIS gewesen ist, weil ISIS ja mit der Türkei in einem Boot steckt beziehungsweise ISIS und die Türkei zusammenarbeiten. - Da würde mich einmal die Meinung des Auswärtigen Amtes interessieren.

Herr Dimroth, gerade weil sich der Innenminister ja jetzt mit dem türkischen Innenminister trifft: Ist die Verbindung zwischen ISIS und der Türkei und den türkischen Behörden das große Thema? Wenn ja, welche Forderungen hat Herr de Maizière?

Chebli: Zu Ihrer ersten Frage: Den zweiten Teil möchte ich mir natürlich nicht zu eigen machen.

Zu dem ersten Teil Ihrer Frage: Dazu hat Herr Dimroth eigentlich gesagt, was wir zu sagen haben. Wir können aus deutschen Erkenntnissen noch nichts zu der Täterschaft sagen. Wir stehen mit den türkischen Behörden aber in engem Kontakt, um die Hintergründe dieses schrecklichen Anschlags herauszufinden.

Dimroth: Ehrlich gesagt, habe ich dem nicht viel hinzuzufügen. Ich glaube, es ist jetzt auch nicht an der Zeit, sich in irgendwelche wilden Spekulationen zu begeben, sondern wir sollten abwarten, welche Ergebnisse die Ermittlungsbemühungen der türkischen Behörden haben, wie gesagt unterstützt durch ein Team des BKA. Es sind vier Kollegen des BKA, die in Istanbul sind. Das kann ich nachliefern. Das bleibt abzuwarten. Vorher sollten wir uns nicht in Spekulationen begeben, ob und wie plausibel die eine oder die andere Vermutung ist.

Zusatzfrage: Frau Chebli, welche eigenen Erkenntnisse und welche nicht eigenen Erkenntnisse hat die Bundesregierung denn zu den Verbindungen zwischen der Türkei und ISIS? Weiterhin keine?

Chebli: Wir haben überhaupt keine Erkenntnisse darüber, dass es eine Verbindung zwischen der Türkei und ISIS gibt. Zu dem Thema haben wir schon mehrfach vorgetragen. Da gibt es jetzt, ehrlich gesagt, von meiner Seite nichts hinzuzufügen.

Frage: Noch eine Nachfrage zu der Angehörigen-Betreuung: Wenn ich es richtig verstanden habe, ist also bisher noch kein Angehöriger mit Hilfe des Auswärtigen Amtes oder der Bundeswehr nach Istanbul geflogen? Gibt es entsprechende Vorbereitungen? Ist das geplant, Angehörige von Verletzten oder von Toten gemeinsam durch das Auswärtige Amt oder die Luftwaffe nach Istanbul zu bringen? Oder ist man noch nicht so weit?

Flosdorff: Ich kann von meiner Seite aus sagen: Bisher hat das noch nicht stattgefunden. Wie ich gesagt habe, ist das von den Entscheidungen abhängig, die im Krisenstab getroffen werden und sicherlich auch davon, was die Angehörigen selber wünschen.

Chebli: Genau. Deswegen kann ich dazu jetzt auch noch keine näheren Angaben machen. Wir sind da noch im Gespräch mit den Angehörigen, um genau über solche Themen zu sprechen. Es ist erst gestern passiert. Das ist natürlich eine sensible Geschichte für die Angehörigen. Sie brauchen noch Zeit.

Zusatzfrage: Da würde ich gern noch einmal nachfragen zum deutschen Bild vom Verhältnis zwischen der Türkei und ISIS oder dem IS. Es geistern ja immer eine Menge Nachrichten zu diesem Thema durch die Gegend, also zum Beispiel: Wer kauft das Benzin oder die Erdölprodukte vom IS? Wer lässt die Kämpfer durch? Wo sind Rekrutierungsbüros des IS?

Heute Morgen im "Deutschlandfunk" war wieder die Rede davon, es gebe ein Rekrutierungsbüro des IS in Istanbul. Was ist das Bild, das die Bundesregierung von diesem Verhältnis hat, und wie beurteilt sie das gegebenenfalls?

Chebli: Ich habe ja vorhin schon in meinen Eingangsausführungen dargestellt, dass die Türkei selber ja schon mehrfach Opfer von Anschlägen von ISIS wurde, dass wir mit der Türkei in der Anti-ISIS-Koalition arbeiten, dass wir das seriös tun und wir an einem Strang ziehen.

Zu all dem, was in den Medien an Gerüchten und Berichten herumkursiert, kann ich Ihnen nichts sagen Wir haben dazu keine Erkenntnis.

Es gibt so viele Verschwörungstheorien zu dem ganzen ISIS-Komplex. Die Bundesregierung selbst hat da keine Erkenntnisse.

Frage : Herr Seibert, soll die Bundeskanzlerin nach Istanbul fliegen?

StS Seibert: Dafür gibt es keine Pläne. Aber wir haben, wie ich es vorhin schon gesagt habe, Ende der kommenden Woche die ersten deutsch-türkischen Regierungskonsultationen. Insgesamt über die letzten Wochen betrachtet sind die deutsch-türkischen Regierungskontakte auch auf der Ebene der Bundeskanzlerin und ihrer Minister so eng wie seit langem nicht mehr. Gestern hat die Bundeskanzlerin aus Anlass des Terroranschlags sowohl mit dem Ministerpräsidenten als auch dem Präsidenten der Türkei telefoniert.

Frage: Frau Chebli, wie bewertet denn das Auswärtige Amt die Erkenntnisse, Hinweise und teilweise die Beweise von anderen, auch befreundeten Staaten über das Verhältnis zwischen der Türkei und ISIS? Es gab ja vor ein paar Wochen sogar eine große Pressekonferenz der Russen, die ihre Belege vorgelegt haben. Also was haben Sie bisher daraus gezogen? Denn Sie sagen ja, Sie haben gar keine Erkenntnisse.

Chebli: Ich glaube, diese Frage über Erkenntnisse der Russen zum Zusammenhang Türkei und den Kauf von Öl haben Sie mir schon einmal gestellt. Ich habe Ihnen gesagt, dass wir keine eigenen Erkenntnisse haben. Es kursieren viele Berichte. Ich weiß nicht, auf welche Staaten Sie sich sonst beziehen.

Zusatz : Amerikaner.

Chebli: Das kann sein. Das habe ich nicht gehört. Jedenfalls haben wir keine Erkenntnisse. Ich kann zu dem Thema nichts sagen.

Vors. Szent-Ivanyi: Wir kommen jetzt zu den übrigen Themen aus dem Kabinett.

StS Seibert: Das Kabinett hat sich zunächst mit dem sogenannten Pflegeberufsreformgesetz befasst, ein Gesetz, dessen Ziel es ist, die Ausbildung für Pflegeberufe deutlich attraktiver zu machen.

Wie soll das gehen? Ab 2018 wird eine einheitliche Ausbildung angeboten werden zur Pflegefachfrau oder zum Pflegefachmann mit übergreifenden pflegerischen Qualifikationen. Das heißt, die Ausbildungen in Krankenpflege - Kinder, Krankenpflege, Altenpflege - werden zusammengefasst. Das Ziel ist es, dass Menschen aller Altersgruppen in allen Versorgungsbereichen von denen, die diese Ausbildung absolviert haben, gut gepflegt werden können, und zwar in Krankenhäusern, Alten- und Pflegeeinrichtungen und in der ambulanten Pflege.

Es ist sinnvoll so vorzugehen, weil sich der Pflegebedarf erheblich geändert hat. Heute wird zum Beispiel in den Pflegeheimen immer mehr medizinische Pflege erbracht. Da sind häufig chronisch oder mehrfach erkrankte Menschen zu versorgen. In Krankenhäusern dagegen müssen zunehmend auch die Belange und die Bedürfnisse älterer Menschen in der Pflege berücksichtigt werden, zum Beispiel bei Demenzkranken. Diese neue Pflegeausbildung ist wie bisher eine dreijährige Fachkraft-Ausbildung mit Unterricht an Pflegeschulen und mit praktischer Ausbildung. Dabei können in der praktischen Ausbildung die Auszubildenden einen Schwerpunkt wählen, wie zum Beispiel Altenpflege. Dieser wird dann auf dem Abschlusszeugnis auch als sogenannter Vertiefungseinsatz ausgewiesen. Die Ausbildung ist dreijährig, habe ich gesagt. Sie ist aber auch in Teilzeit möglich. Dann dauert sie fünf Jahre.

Die Finanzierung der Ausbildung wird bundeseinheitlich geregelt. Sie ist für alle Auszubildenden in Zukunft kostenfrei. Das ist ein großer Fortschritt. Denn derzeit fallen für Auszubildende an etlichen Pflegeschulen Gebühren an. Außerdem erhalten alle Auszubildenden künftig eine Ausbildungsvergütung, wie es in vielen anderen Ausbildungsberufen schon üblich ist. Zudem schafft der Gesetzentwurf die Voraussetzungen für ein berufsqualifizierendes Pflegestudium, das unmittelbar eine Berufstätigkeit in der Pflege ermöglicht. Die Einführung eines solchen Studiums unterstreicht, wie übrigens das gesamte Gesetz, die zunehmende Bedeutung der Pflegeberufe, die wir mit diesem Reformgesetz attraktiver machen wollen.

Anschließend hat sich das Kabinett mit dem Gesetzentwurf zur Stärkung des Wettbewerbs im Eisenbahnbereich befasst. Es ist sicher vielen gar nicht bewusst: Rund 400 Eisenbahn-Verkehrsunternehmen sind in Deutschland tätig. Mit diesem Gesetzentwurf wird eine europäische Richtlinie umgesetzt, die zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums beitragen soll.

Es geht im Wesentlichen um folgende Schwerpunkte: den diskriminierungsfreien Zugang zur Eisenbahninfrastruktur für alle Eisenbahnverkehrsunternehmen zu verbessern, die Entgeltregulierung für die Nutzung der Schienenwege neu auszugestalten und die Befugnisse der Bundesnetzagentur zu stärken.

Das zentrale Instrument dabei ist die Entgeltregulierung. Sie sieht vor, dass der Betreiber von Schienenwegen Anreize bekommt, um die Infrastrukturkosten und auch die Trassenentgelte zu senken. Damit sollen die Attraktivität und die Wettbewerbsfähigkeit des Schienenverkehrs gesteigert werden.

Das Bundeskabinett hat sich dann mit einem Thema aus dem Bereich der Energiewende befasst. Wie Sie wissen: In der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, die wir 2014 vereinbart haben, heißt es, dass wir spätestens ab dem Jahr 2017 die Förderhöhe für Strom aus erneuerbaren Energien über Ausschreibungen, also wettbewerblich, ermitteln wollen. Nun hat sich das Bundeskabinett heute mit einem Bericht zu den Erfahrungen bei sogenannten Pilotausschreibungen befasst. In der Photovoltaik sind 2015 drei Ausschreibungsrunden durchgeführt worden. Der Bericht legt die Erfahrungen, die man damit gemacht hat, dar. Er macht auch deutlich, dass Ausschreibungen im Bereich erneuerbarer Energien funktionieren. Eine wichtige Erfahrung bei den drei Pilotausschreibungen war, dass die Regeln für eine Ausschreibung genau auf die jeweilig teilnehmende Branche und genau auf das Marktsegment angepasst sein müssen. Das Ziel des Ganzen bleibt es natürlich, durch diese Form der Förderung den Ausbau des Stroms aus erneuerbaren Quellen planbarer und kostengünstiger zu gestalten.

Wie immer hat sich das Kabinett auch in seiner heutigen Sitzung mit einem besonderen Aspekt der Flüchtlingssituation befasst. Heute ging es um die frühkindliche Bildung und Sprachförderung. Dazu hat Bundesministerin Schwesig den Kollegen im Kabinett vorgetragen. Es besteht Einigkeit in der Bundesregierung, dass frühkindliche Bildung und Sprachförderung im Kindesalter für einen späteren Bildungserfolg elementar sind. Das gilt für Kinder, die einen deutschen Hintergrund haben, wie natürlich auch für Kinder, die als Kinder von Flüchtlingsfamilien hierherkommen. Die Potenziale der Kinder und Jugendlichen, die jetzt neu in unser Land kommen, sollen erkannt und gezielt gefördert werden, um ihnen eine erfolgreiche Integration in unser Bildungssystem und später auch in unseren Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Es ist klar, dass Flüchtlingskinder enorm vom Besuch von Kinderbetreuungseinrichtungen profitieren. Unter Gleichaltrigen lernen sie schnell die deutsche Sprache. Sie knüpfen Kontakte. Sie finden Zugang zu ihrer neuen Umgebung. Der Bund unterstützt die Kommunen bei ihrer wichtigen Arbeit.

Zum Schluss - das Thema hatten wir schon - hat Bundesaußenminister Steinmeier dem Kabinett über den neuesten Stand der Erkenntnisse (zum gestrigen Selbstmordattentat in Istanbul), wie auch Frau Chebli sie Ihnen gerade vorgetragen hat, und über die Aktivitäten des Krisenstabs berichtet.

Frage : Herr Seibert, die Minister Maas und de Maizière haben sich ja auf eine Verschärfung des Asylrechts geeinigt. Mich würde erst einmal interessieren. Wie unterscheidet sich denn der jetzige Plan oder der jetzige Beschluss vom Kabinettsbeschluss aus dem Dezember 2014, als das Bleiberecht bereits verschärft wurde?

StS Seibert: Ich glaube, die Minister Maas und de Maizière, die gestern ja gemeinsam vor die Presse getreten sind, haben sehr gut erklärt, warum man sich jetzt auf diese Maßnahmen geeinigt hat. Das ist natürlich auch eine Folge unseres Erschreckens - unseres gemeinsamen Erschreckens, denke ich - über die Ereignisse und die kriminellen Taten von Köln in der Silvesternacht. Es ist notwendig, das Sicherheitsbedürfnis, das die Bürger zu Recht haben, auch in unsere Überlegungen einzubeziehen. Es ist notwendig festzustellen: Warum kommt es bisher nicht, wie wir finden, in dem notwendigen Maße zu Ausweisungen und Abschiebungen? Da ist eine Analyse gemacht worden. Ihr zufolge wird die Bundesregierung jetzt diese Maßnahmen vorschlagen. Sie wissen, dass wir erst noch damit ins Kabinett und dann auch ins Parlament gehen müssen.

Zusatzfrage : Vielleicht an Herrn Dimroth und an Herrn Malachowski: Ein Grund für die Verschärfung - das hat ja Herr Seibert gerade gesagt - war die Kölner Silvesternacht. Wer muss denn nach den Asylbewerbern jetzt als nächstes mit Konsequenzen und Verschärfungen rechnen? Denn da waren ja nicht nur Asylbewerber dabei.

StS Seibert: Ich möchte ganz kurz nur noch einmal sagen - und dann sind Sie sofort an der Reihe: Es geht nicht darum, mit Konsequenzen gegen Asylbewerber zu rechnen.

Zuruf : Das tun Sie ja gerade.

StS Seibert: Nein. Das legen Sie mir in den Mund. Es geht darum, dass Straftäter mit Konsequenzen rechnen müssen und keineswegs Flüchtlinge im Allgemeinen. Wir haben oft darauf hingewiesen, dass wir allen Grund zur Annahme haben - und das eigentlich auch täglich so erleben -, dass die große Mehrzahl der Menschen, die als Flüchtlinge in unser Land kommen, an solchen Taten nicht teilnehmen und solche Taten auch nicht vorhaben.

Zusatzfrage: Aber welche Konsequenzen gibt es denn für deutsche Straftäter, Herr Seibert? Es geht jetzt hier um Konsequenzen für Asylbewerber, die Straftäter sind. Das habe ich verstanden. Aber welche Konsequenzen gibt es für deutsche Straftäter?

Dimroth: Also wenn ich kurz darf, dann würde ich mich gern noch einmal bemühen, vielleicht etwas Aufhellung zu betreiben. Denn offensichtlich gehen Sie von einem völlig falschen Grundstandpunkt bei Ihrer Frage aus.

Das, was gestern vereinbart wurde, betrifft insbesondere das Aufenthaltsgesetz. Das Aufenthaltsgesetz betrifft nicht als spezifische Gruppe eine Gruppe von Flüchtlingen, sondern alle sich in Deutschland aufhaltenden Ausländer. Insofern gibt es keine, wie Sie in Ihrer Frage andeuten, Schlechterbehandlung von Flüchtlingen, sondern es ist eine allgemeine Regelung im Aufenthaltsgesetz für alle hier lebenden Ausländer, die zukünftig unter leichteren Bedingungen, wenn sie hier strafbar werden - jedenfalls in bestimmten Deliktsbereichen -, mit ihrer Ausweisung rechnen müssen.

Das ist das Eine. - Ich glaube, diese Differenzierung ist schon nicht unwichtig. Denn das, was Sie uns gerade in den Mund legen, jedenfalls den beiden Ministern, ist schlichtweg falsch.

Das Zweite ist: Wenn Sie in diesem Kontext nach Konsequenzen für Deutsche fragen, dann scheint mir da möglicherweise auch ein falsches Grundverständnis zu existieren. Das Aufenthaltsrecht gilt grundsätzlich nur für Ausländer.

Ja, Sie machen jetzt so. Aber ehrlich gesagt: Wenn Sie die Frage so stellen, wie Sie sie stellen, dann scheint mir noch nicht hinreichend Klarheit darüber zu sein, dass man im Aufenthaltsrecht zu Deutschen keine Regelung trifft. Das schließt sich per se aus. Insofern stellt sich diese Frage auch nicht. Es gibt keine Ungleichbehandlung in diesem Kontext, sondern das Aufenthaltsrecht gilt per definitionem nur für Ausländer. Insofern können jedwede Änderungen, die dort vorgenommen werden, sich auch nur auf Ausländer beziehen.

Frage : Die Frage ist vielleicht ein bisschen politisch. Aber vielleicht können Sie schauen, ob Sie etwas dazu sagen können. Mich würde interessieren, wie es dazu gekommen ist, dass so schnell nach den Übergriffen von Köln, da bisher noch keine einzige Person verurteilt worden ist, diese schärferen Gesetze zur Ausweisung beschlossen wurden. War das vor allem dem öffentlichen Druck geschuldet? Oder wären diese Gesetze auch beschlossen worden, wenn es nicht zu den Geschehnissen in Köln gekommen wäre?

Dimroth: Zumindest der zweite Teil Ihrer Frage weist weitestgehend hypothetische Züge auf, sodass es mir etwas schwer fällt, zu sagen, was gewesen wäre, wenn nicht A, sondern stattdessen B eingetreten wäre.

Aber richtig ist - das haben die beiden Minister gestern in ihren Statements ganz klar zum Ausdruck gebracht -: Selbstverständlich gibt es - das hat auch Herr Seibert eben zum Ausdruck gebracht - ein nachvollziehbares und erkennbares Interesse der Öffentlichkeit, dass hier straffällig werdende Ausländer mit entsprechenden Konsequenzen, auch was ihren Aufenthaltsstatus anbetrifft, zu rechnen haben.

Eine strafrechtliche Verurteilung kann selbstverständlich erst dann stattfinden, wenn jeder einzelne Sachverhalt von den Ermittlungsbehörden in Nordrhein-Westfalen aufgearbeitet und dann einem gerichtlichen Verfahren zugeführt ist. In diesen Fällen verbietet sich eine Vorverurteilung. Das ist völlig klar. Nach all dem, was man aus den polizeilichen Berichten und auch den Berichten von Journalisten, den Kolleginnen und Kollegen von Ihnen, weiß, ist aber doch völlig gesichert, dass es jedenfalls zu einem sehr großen Teil Migranten waren, die in dieser Kölner Silvesternacht Straftaten begangen haben. Insofern halte ich es auch nicht für vorschnell, daraus bestimmte Schlüsse zu ziehen.

Zusatzfrage : Vielleicht kann ich zu dem ersten Teil kurz nachfragen. Ich will es einmal anders formulieren. Gab es denn schon vor den Ereignissen von Köln Pläne beim BMI, solche Verschärfungen einzuführen? Oder sind sie erst nach dem 1. Januar diskutiert worden?

Dimroth: Die Gespräche, die jetzt zwischen den beiden Ministern stattgefunden haben, haben im Anschluss an und auch in Konsequenz von Köln stattgefunden.

Frage: Wie würden Sie die Abschiebungspraxis, die Abschiebungswirklichkeit in Bezug auf Algerien und Marokko charakterisieren? Der algerische Premierminister war gestern hier. Das war wohl auch ein Thema in seinem Gespräch mit der Kanzlerin. Wie sieht die Wirklichkeit aus? Denn viele sagen: Wenn Sie solche Dinge beschließen, wird das in der Praxis gar nicht so viele Auswirkungen haben, da sich die Abschiebung schwierig gestaltet und die Auslandsvertretungen der beiden Länder nicht immer sehr kooperativ sind.

Noch die Zusatzfrage: Müsste dieser Aspekt nicht vielleicht eine stärkere Rolle in Konsultationen mit den betroffenen Staaten zu anderen Gebieten der Zusammenarbeit spielen?

Dimroth: Vielen Dank für die Frage. - Zunächst einmal ist jedenfalls in Teilen richtig, dass die Frage der Ausweisung selbstverständlich nur ein Teil des Verwaltungsvollzuges ist, an dessen Ende gegebenenfalls auch die zwangsweise Durchsetzung der durch die Ausweisung erzeugten Ausreisepflicht stehen kann, nämlich die Abschiebung. Ich bitte um Nachsicht, dass das jetzt sehr juristisch ist. Es ist auch völlig richtig - das wurde immer wieder an dieser, aber auch an anderer Stelle betont -, dass es eine Reihe von Abschiebehindernissen gibt, die es den Ländern auch bei Willen, dies durchzuführen, teilweise schwer machen, in bestimmten Einzelfällen eine Abschiebung zu vollziehen. Das ist völlig richtig.

Genauso richtig ist, dass dies jedenfalls als Teilmenge dieses Problems an der aus unserer Sicht defizitären Bereitschaft zur Kooperation bestimmter Herkunftsstaaten liegt. Das alles ist ein sehr differenziertes Bild. Aber jedenfalls als Teilmenge dieses Problems ist auch die mangelnde Kooperationsbereitschaft bestimmter Herkunftsstaaten durchaus ein Erklärungsansatz.

An diesem Ansatz arbeitet die Bundesregierung. Zum einen geht es darum, die Länder und vor allem die Kommunen bei ihrer Aufgabe zu unterstützen, einen Verwaltungsprozess am Ende auch mit Abschiebung zu beenden, soweit der betroffene Ausländer hier in Deutschland keinerlei Bleiberecht und Bleibeperspektive hat, indem wir bei der Beschaffung von Passersatzdokumenten durch eine entsprechende Clearingstelle bei der Bundespolizei unterstützen.

Zum anderen aber - diese Frage haben Sie vor allem in den Blick genommen - nutzen wir daneben selbstverständlich bei jeder Gelegenheit und auf allen Ebenen, sowohl über die Kanäle des Innenministeriums, als auch des Auswärtigen Amtes, unsere Gespräche, um dieses Problem zu adressieren und um mehr Bereitschaft und Kooperationswillen bei den betroffenen Regierung zu werben. Wir sind dabei auf einem ganz guten Weg. Ich weiß nicht, ob Herr Seibert zu gestern ergänzen möchte. Das ist selbstverständlich auch gestern adressiert worden.

Das Problem besteht. Es ist aber identifiziert. Wir sind auf allen Kanälen dabei, das Problem zu lösen.

StS Seibert: Sie sprachen das gestrige Gespräch der Kanzlerin mit dem algerischen Ministerpräsidenten an. Tatsächlich hat das Thema der Rückführung algerischer Staatsbürger, die hier kein Aufenthaltsrecht haben oder es nicht mehr haben, in ihre algerische Heimat eine Rolle gespielt. Es ist bekannt und wurde in der Pressekonferenz auch so erwähnt, dass wir ein Rückführungsabkommen haben. Ich zitiere die Bundeskanzlerin: "Aber es geht ja auch immer darum, das in geeigneter Weise operativ zu machen." Da deutet sich schon an, dass wir mit der derzeitigen Umsetzung dieses Rückführungsabkommens mit Algerien noch nicht zufrieden sind und darüber mit den Algeriern in einen verstärkten Dialog treten.

Frage: Meine Frage richtet sich an Herrn Dimroth. Gestern hat der Chef des BKA gesagt, dass die Übergriffe von Köln geplant waren. Kleine Gruppierungen, die geschlossen waren, hätten sich organisiert und sich verabredet, in Köln oder anderen Städten zu sein.

Gibt es zurzeit schon eine Analyse, um zu verstehen, welche Motivationen diese Menschen gehabt haben? Sind diese Übergriffe eher mit etwas zu erklären, das mit Terror zu tun hat, mit den großen Konflikten mit der islamischen Welt oder mit Armut und Ressentiments oder einfach mit den Integrationsproblemen, also damit, dass Menschen anders feiern und eine andere Mentalität haben und so weiter? Zu welchem Ergebnis kommt die Bundesregierung heute bei ihrer Analyse dessen, was passiert ist?

Dimroth: Ich denke, für eine abschließende Analyse dessen, was in Köln passiert ist - noch nicht wissend, ob und in welcher Form möglicherweise Zusammenhänge zu Vorkommnissen in anderen großen deutschen Städten in der Silvesternacht dort bestehen -, ist es heute verfrüht.

Richtig ist, dass der BKA-Chef gestern gesagt hat, es gibt keine Erkenntnisse, dass es sich dabei um organisierte Kriminalität handelt. Das ist aber auch etwas anderes als die Frage, ob das ein organisiertes Vorgehen war. Organisierte Kriminalität ist ein Terminus technicus aus dem Straf- und Strafprozessrecht, der sehr enge Grenzen hat. Darauf bezog sich die Aussage von Herrn Münch.

Wir als Bundeskriminalamt haben, wie Sie wissen, in den einzelnen Bundesländern keine Zuständigkeit, uns per se um Kriminalitätsphänomene zu kümmern. Da wir als Zentralstelle der Bundespolizei aber sehr wohl eine Zuständigkeit haben, landesüberschreitende Phänomene in den Blick zu nehmen, hat das BKA jetzt eine Abfrage bei den Bundesländern gestartet, um ein möglichst umfassendes und abschließendes Lagebild zu erheben, das genau die Fragen adressiert, die Sie gerade an mich gerichtet haben. Darüber hinaus haben wir als Zentralstelle, die auch die Auslandsverbindungen der deutschen Polizei verwaltet, eine entsprechende Abfrage bei den europäischen Partnern gemacht, ob es dort vergleichbare Phänomene und Beobachtungen gibt, um dann gemeinsam zwischen Bund und Ländern in den dafür tagenden Gremien gegebenenfalls Schlüsse ziehen zu können und Bekämpfungsansätze und Bekämpfungsstrategien zu entwickeln.

Dieser Prozess ist jetzt BKA-seitig ausgerollt. Für eine abschließende Bewertung ist es jedenfalls heute noch deutlich zu früh.

Eines möchte ich aber noch sagen, weil am Schluss Ihrer Frage anklang, ob eine mögliche Interpretation sei, dass es hier um eine bestimmte Art von ausgelassenem Feiern gegangen sein kann. Das würde ich jetzt schon sehr klar und deutlich zurückweisen wollen, weil es nach allem, was man weiß, hierbei um eine Reihe von teilweise erheblichen Straftaten ging. Völlig unabhängig davon, ob der eine oder andere das möglicherweise mit einer ausgelassene Stimmung zu erklären versuchen wird, kann das in keinem einzigen Fall eine Rechtfertigung für solche Straftaten sein.

Frage: Herr Dimroth, Sie hatten eben auf die Frage zum Vorlauf der gestern bekannt gegebenen Verschärfungen geantwortet, dass die Minister im Nachgang zum 1. Januar miteinander gesprochen hätten. Ich will nachfragen: Gab es vorher schon einen ähnlichen oder von mir aus auch gleichlautenden Entwurf für derartige Verschärfungsmaßnahmen in Ihrem Hause?

Dimroth: Dass wir hier über Entwürfe, Planungen, Gedankenspiele jedweder Art grundsätzlich nicht berichten, dürfte eigentlich hinreichend bekannt sein. Wenn es darum geht, bis in alle Vergangenheit hinein jeden Gesetzgebungsprozess und Entwurfsvorschlag des BMI im Kopf zu haben, zu kommentieren oder einzuordnen, dann bitte ich um Nachsicht: Selbst wenn ich es wollte, könnte ich es nicht. Ich kann Ihnen nur sagen, wie es in diesem Fall war. Das habe ich gerade getan.

Frage: Herr Seibert, der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Papier, spricht von einem eklatanten Politikversagen und von einer Kluft zwischen Recht und Wirklichkeit, die noch nie so tief war. Haben Sie eine Reaktion dazu?

Eine weitere Frage zu den Gesprächen mit Algerien zur Umsetzung der Abschiebungen. Spielt das Geld dabei eine Rolle? Kann man also das Land finanziell unterstützen, damit es mehr Flüchtlinge zurücknimmt? Wie sollen die Gespräche laufen?

StS Seibert: Zu Ihrer ersten Frage. Das Interview mit Herrn Papier, auf das Sie anspielen, hat die Bundesregierung zur Kenntnis genommen.

Zum Zweiten. Gestern gab es eine Pressekonferenz des algerischen Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin, auf der, denke ich, sehr klar wurde, dass wir vielerlei Möglichkeiten sehen, unsere bilateralen Beziehungen zu vertiefen. Wir sehen Möglichkeiten für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Wir sehen die Notwendigkeit, im Bereich der Rückführung algerischer Staatsbürger, die hier keinen Aufenthalt haben, voranzukommen. Aber das Feld der Zusammenarbeit ist ganz breit. Ein solcher Besuch wie gestern kann eben auch dazu dienen, Beziehungen neuen Schwung zu geben, die an sich gut sind, aber vielleicht von beiden Seiten nicht mit der größten Intensität gepflegt werden. Die Bundeskanzlerin sagte gestern in der Pressekonferenz, sie stellt sich vor, dass die Kontakte doch wieder deutlich regelmäßiger werden. Unsere Beziehungen sind ein breites Feld.

Wir haben auch gemeinsame intensive außenpolitische Interessen mit Algerien. Vergessen Sie nicht, in welcher Nachbarschaft Algerien liegt, nämlich in Nachbarschaft zu dem sehr schwierigen Staat Libyen, wenn man Libyen zurzeit überhaupt einen Staat nennen kann. Algerien selber hat mit erheblichen Migrationsbewegungen zu kämpfen und selber Flüchtlinge aufgenommen. Kurz: Wir haben eine Vielzahl von gemeinsamen Interessen.

Frage: Herr Seibert, wenn die Bundesregierung den schrecklichen Vorfall an Silvester in Köln zum Anlass für Verschärfungen und gesetzlichen Konsequenzen nimmt, wie kommt es dann, dass sie nach über 500 Angriffen auf Flüchtlingsheime zumeist durch Rechtsradikale bisher noch keine einzige gesetzliche Verschärfung vorgenommen hat? Ist das Interesse der Öffentlichkeit da nicht so groß wie in diesem Fall?

StS Seibert: Der Versuch, den Sie hier machen, die eine Untat gegen die andere auszuspielen, möchte ich zurückweisen. Wir haben unser Entsetzen über die Taten von Köln hier sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, und wir haben hier bei vielen Gelegenheiten zum Ausdruck gebracht, wie widerwärtig wir Gewalt gegen Flüchtlingseinrichtungen, Gewalt gegen Flüchtlinge, Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte etc. finden. Ich möchte nicht, dass Sie das eine gegen das andere ausspielen oder glauben, beim einen seien wir aktiver als beim anderen. Das ist nicht der Fall.

Die Frage, die sich nach Köln stellte und stellt, ist, ob es Bedarf gibt, gesetzlich nachzusteuern, oder ob die optimale gesetzliche Situation nicht vielleicht schon erreicht ist. Die beiden Minister haben ihren Vorschlag gemacht. Wir werden ihn nun ausarbeiten.

Zusatzfrage : Ich versuche nur, es zu verstehen. Egal, ob Asylbewerber Opfer oder Täter sind, sind Sie jedes Mal entsetzt. Nur wenn Asylbewerber Täter sind, dann wird die Bundesregierung tätig und verschärft Dinge. Warum tun Sie das in dem anderen Fall nicht? Warum wird für rechte Straftäter nichts verschärft?

Es ist eine Ungleichbehandlung. Wenn Sie bei dem einen entsetzt sind und bei dem anderen entsetzt sind, aber bei dem einen etwas tun und bei dem anderen nicht, dann ist das eine Ungleichbehandlung.

StS Seibert: Unser Interesse, dass die Täter von Köln ihre gerechte Strafe bekommen und dass diejenigen ihre gerechte Strafe bekommen, die Gewalt gegen Asylbewerbereinrichtungen oder gar gegen Menschen ausüben, ist genau gleich groß.

Dimroth: Ich würde nur noch gern kurz einen Satz ergänzen. Die Behauptung, das sei eine Ungleichbehandlung, ist schon deswegen Unsinn - das darf ich so deutlich sagen -, weil die Bundesregierung, wenn sie einen gesetzlichen Handlungsbedarf in dem anderen von Ihnen genannten Themenspektrum erkennen würde, natürlich nicht zögern würde, entsprechende Vorschläge zu machen. Aber nicht auf jede Untat, nicht auf jeden Übergriff und nicht auf jeden Angriff ist immer eine gesetzliche Änderung die passgenaue Antwort. Insofern ist schon Ihre These, dass das eine Ungleichbehandlung sei, tatsächlich schlicht falsch.

Zusatzfrage : Welche Paragrafen im Strafgesetzbuch haben Sie denn bezüglich der Angriffe auf Flüchtlingsheime bisher geändert, Herr Dimroth?

Dimroth: Ich habe doch gerade ausgeführt, dass, wenn ein Änderungsbedarf gesehen würde, auch in diesem - -

Zuruf (akustisch unverständlich)

Dimroth: Das habe ich ja auch nicht gesagt. Insofern stellt sich Ihre Frage überhaupt nicht. Ich habe nur gesagt: Es gibt auf jedes Phänomen nicht immer nur eine gesetzliche Antwort. Das ist meine Antwort darauf. Deswegen halte ich es für schlicht falsch, hier von einer Ungleichbehandlung zu sprechen.

Frage : Ich wollte nur sicher gehen, dass ich Herrn Dimroth richtig verstanden habe. Die Bundesregierung allgemein sieht keine Notwendigkeit einer gesetzlichen Änderung, um der steigenden Anzahl von rechtsextremen Angriffen gegen Flüchtlinge Herr zu werden. Habe ich das so richtig verstanden?

Dimroth: Dabei gibt es eine Reihe von Ebenen, die zu unterscheiden sind. Es geht einmal um die Frage der Gefahrenabwehr. Selbstverständlich sind die Bundesländer dazu aufgerufen und gehalten, für die Sicherheit von Flüchtlingsunterkünften zu sorgen. Auch das haben wir hier schon vielfach ausgeführt. Das ist auch eine Frage der Verwaltungspraxis; das ist eine Frage des Informationsaustauschs. Dabei ist die Bundesregierung, soweit möglich, auch sehr stark durch die Bundessicherheitsbehörden eingebunden und beteiligt sich vor allem im Bereich des Informationsaustauschs. Dann gibt es den Bereich des Strafrechts. Da erkennen wir zum jetzigen Zeitpunkt keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Auch wenn das BMI dafür nicht zuständig ist, würden wir dazu sicher Vorschläge machen.

Insoweit bleibt es dabei, dass jeder dieser Angriffe einer zu viel ist und man sehr genau beobachten muss, ob sich daraus gesetzgeberischer Handlungsbedarf ergibt. Würde sich dieser ergeben, würden wir nicht zögern, einen entsprechenden Vorschlag zu machen.

Ich wollte nur sehr deutlich machen, dass der Schluss, dass man in einem Fall gesetzgeberisch etwas tut, in dem anderen nicht und dass das eine Ungleichbehandlung zweier vergleichbarer Phänomene ist, in vielerlei Hinsicht falsch ist.

Frage : Herr Dimroth, die Bundesregierung hat auf eine parlamentarische Anfrage gesagt, dass es aktuell 450 Haftbefehle gegen 372 rechtsradikale Straftäter gibt, die bisher nicht vollstreckt werden konnten, weil diese Menschen untergetaucht sind. Beunruhigt das die Bundesregierung? Gelten diese rechtsradikalen verurteilten Straftäter jetzt eigentlich als Gefährder oder sind diese Menschen eine Gefahr für die Allgemeinheit?

Dimroth: Sie waren beim letzten Mal leider nicht da. Deswegen haben Sie vielleicht nicht mitbekommen, dass wir in der vergangenen Veranstaltung schon darüber gesprochen haben. Das Bild ist nämlich etwas differenzierter, als Sie es gerade sozusagen wiederholt haben. Es ist insoweit differenzierter, als zwar die von Ihnen genannte Zahl richtig ist - das ist Gegenstand einer parlamentarischen Anfrage an die Bundesregierung -, die jeweils zu den Haftbefehlen führenden Delikte sind aber nur in einer sehr kleinen Teilzahl solche, die wir dem Bereich der politisch motivierten Kriminalität zuweisen, sondern - das ergibt sich auch aus der parlamentarischen Anfrage - bunt gestreut aus dem Bereich der allgemeinen Kriminalität: von Eigentumsdelikten über Vermögensdelikte bis hin zu nicht nachgekommenen Unterhaltsverpflichtungen. Die Haftbefehle - das war in der öffentlichen Rezeption teilweise etwas schräg - sind nicht offen wegen Delikten im Rahmen politisch motivierter Kriminalität, sondern aus einer ganz unterschiedlich zusammengesetzten Gruppe.

Nichtsdestotrotz ist es richtig, dass eine nicht unerhebliche Zahl von Betroffenen gleichzeitig aus dem Phänomenbereich "politisch motivierte Kriminalität rechts" bekannt ist. Das gibt Anlass zur Besorgnis; keine Frage. Deswegen sind alle an dem Verfahren beteiligten Behörden der Justiz und der Polizeien der Länder aufgefordert, möglichst alles zu unternehmen, um solche Haftbefehle auch zu vollstrecken. Welche Gründe allerdings im Einzelfall dazu führen, dass das nicht geschieht, kann ich hier nicht ausführen, weil hier, wie so oft an dieser Stelle, der Bund nicht zuständig ist, sondern wir eben Zahlen nur zusammenführen und deswegen gegenüber dem Parlament in der Pflicht sind, der wir gerne nachkommen, solche Fragen zu beantworten.

Frage: Eine Frage an das Bundesfinanzministerium. Hat IWF-Direktor Poul Thomson am Treffen zwischen Herrn Schäuble und seinem griechischen Amtskollegen Tsakalotos teilgenommen?

von Tiesenhausen-Cave: Nein.

Zusatzfrage: Bleibt die Teilnahme des IWF am dritten Hilfsprogramm für Griechenland eine Bedingung für die Bundesregierung?

von Tiesenhausen-Cave: An der deutschen Position zur Beteiligung des IWF am griechischen Reformprogramm hat sich nichts geändert. Im Übrigen ist das auch so in dem Statement der Eurogruppe im August - ich habe das genaue Datum jetzt nicht parat - vereinbart worden. In Gremiensitzungen des ESM haben griechische Vertreter diese Position in der letzten Zeit wieder bekräftigt.

Frage: Frau Tiesenhauen, hatte Herr Thomson heute im Bundesfinanzministerium einen Termin mit Herrn Schäuble? Beim Termin von Herrn Schäuble mit Herrn Tsakalotos befand sich auch Herr Thomson im Bundesfinanzministerium.

von Tiesenhausen-Cave: Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Ich habe bereits geantwortet.

Zusatzfrage: Hatte Herr Thomson einen Termin mit Herrn Schäuble?

von Tiesenhausen-Cave: Ich habe dazu jetzt keine Informationen.

Frage : Ich hatte ursprünglich erwartet, dass heute im Kabinett die Personalie BSI-Präsident behandelt würde. Offensichtlich ist das nicht Fall gewesen. Herr Dimroth, ich würde doch gerne wissen, ob der Personalvorschlag Arne Schönbohm als BSI-Präsident weiterhin besteht und wann er in das Kabinett eingebracht werden soll. Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, muss das durch das Kabinett, oder?

Dimroth: Das haben Sie richtig in Erinnerung. Selbstverständlich sind wir nach wie vor der Auffassung, dass es eine gute Wahl ist, Herrn Arne Schönbohm als Nachfolger des im vergangenen Jahr ausgeschiedenen Präsidenten Hange zu benennen. Herr Schönbohm bringt einen bunten Strauß von Erfahrungen aus dem relevanten Themengebiet, insbesondere der IT, durch eine Reihe von Tätigkeiten aus der Vergangenheit mit, die er auch im Bereich der privaten Wirtschaft und in einem vom ihm mit initiierten und geführten Verein sammeln konnte. Insofern sind wir sehr froh, dass es gelungen ist, Herrn Schönbohm für diese wichtige Position innerhalb des Geschäftsbereichs des BMI zu gewinnen.

Ich bin sehr guter Dinge, dass es jedenfalls in einer der nächsten Kabinettssitzungen gelingen wird, einen entsprechenden Kabinettsbeschluss herbeizuführen. Das ist die Planung. Ich kann Ihnen jetzt nicht sagen, ob das nächste oder übernächste Woche der Fall sein wird. Das Kabinett wird aber sicher sehr zeitnah einen entsprechenden Beschluss fassen.

Frage : Ich würde gerne das Wirtschafts- und Bundesfinanzministerium im Zusammenhang mit dem Thema Förderung der Elektromobilität fragen. Es gab einen Zeitungsbericht, nach dem der Wirtschaftsminister sich offenbar für eine Kaufprämie entschieden hat. Die Rede ist von einem Volumen von zwei Milliarden Euro, das der Bund aus dem, was an Überschüssen im vergangenen Jahr im Haushalt entstanden ist, schultern könnte.

Ist es richtig, dass der Minister jetzt bei den Kaufanreizen, für die er ja schon länger ist, für eine Kaufprämie votiert, und zwar in der Größenordnung von zwei Milliarden Euro? Ist zu erwarten, dass es dazu in nächster Zeit so etwas wie eine konkrete Kabinettsbefassung geben wird?

Da ich im Kopf habe, dass das Bundesfinanzministerium diesen Vorschlag bisher nicht sonderlich toll fand, würde mich interessieren, wie das Bundesfinanzministerium heute dazu steht.

Toschev: Vielen Dank, für die Frage. Es ist bekannt - ich wiederhole es noch einmal eingangs -, dass die Bundesregierung sich zum Ziel gesetzt hat, die Elektromobilität zu fördern und bis zum Jahr 2020 eine Million Elektrofahrzeuge auf die Straße zu bringen. Minister Gabriel hat seit langem darauf hingewiesen, dass wir zusätzliche Anstrengungen unternehmen müssen und auch zusätzliche Anreize brauchen, um dieses Ziel zu erreichen. Es ist bereits sehr viel passiert, und zwar natürlich einmal im Bereich Forschung und Entwicklung, der unterstützt wird, aber auch was die ganzen praktischen Fragen - die verschiedene Ressorts wie die Ladeeinrichtungen, Batterien, Abrechnungssysteme, Stecker etc. - berührt.

Wir sind der Meinung, dass es weitere Anstrengungen braucht. Der Minister hält ein Maßnahmenbündel für notwendig, um der Elektromobilität einen weiteren Anschub zu verleihen. Denkbar sind in dem Zusammenhang auch Kaufprämien. Es ist aber so, dass die Gespräche innerhalb der Bundesregierung hierzu noch laufen und ich Ihnen zu den konkreten Vorschlägen noch keine weiteren Angaben machen kann. Wir führen die Gespräche zügig, konzentriert, und sie sind sehr konstruktiv. Wenn es weitere Maßnahmen zu verkünden gibt, werden wir das natürlich auch tun.

von Tiesenhausen-Cave: Nur zur Ergänzung; der Kollege hat es ja schon gesagt: Es werden derzeit in der Bundesregierung Gespräche geführt. Diese kann ich an dieser Stelle nicht kommentieren. Sie haben ja schon die Position wiedergegeben. Ich will nur noch einmal etwas zu Ihrer Anspielung auf die Rücklage sagen, die heute bekanntgegeben wurde, damit sich das nicht festsetzt: Es ist ja völlig klar - und durch das Parlament auch so festgelegt -, dass diese Rücklage dafür da ist, um die zusätzlichen Ausgaben, die sich mit dem Zustrom von Flüchtlingen nach Deutschland ergeben, zu finanzieren. Das ist ein parlamentarischer Beschluss - das ist völlig klar -, und insofern stellt sich die Frage, was jetzt noch damit passieren könnte, nicht.

Zusatzfrage : Stimmt denn, Herr Toschev, diese Größenordnung für die Kaufanreize für das Bündel von zwei Milliarden Euro? Gibt es denn einen Zeitplan? Diese Legislaturperiode dauert ja nun auch nicht ewig.

An das Bundesfinanzministerium: Hat sich, abgesehen vom Überschuss im vergangenen Haushalt, an der Position des Ministeriums zu einer solchen Kaufprämie für Elektroautos irgendetwas geändert?

Toschev: Ich kann momentan keine Bestätigung geben, was Zahlen angeht. Ich habe die Berichte gesehen. Wie gesagt, die Gespräche hierzu laufen. Wir haben die Notwendigkeit und auch die Dringlichkeit weiterer Anstrengungen betont.

von Tiesenhausen-Cave: Ich kann auch nur noch einmal sagen: Es laufen derzeit Gespräche. Sie kennen auch die Aussagen, dass es, wenn man an öffentliche Gelder denkt, besonders um den möglichst effizienten Einsatz von Mitteln gehen muss. In diesem Zusammenhang vielleicht noch einmal der Verweis auf den Koalitionsvertrag, der ja auch nutzungsorientierten Anreizen den Vorzug gibt. Aber die Gespräche sind, wie gesagt, vertraulich und laufen.

Toschev: Vielleicht noch eine Ergänzung meinerseits; nicht, dass hier der Eindruck entsteht, es gäbe Unterschiede: Es ist erklärtes Ziel der Bundesregierung, diese eine Million Fahrzeuge zu erreichen.

Frage : Herr Flosdorff, zum Kampf gegen ISIS. Die Bundeswehr ist offiziell seit über einer Woche am Kampf gegen ISIS beteiligt und klärt auf. Bei wie vielen Bombardierungen hat die Bundeswehr durch Aufklärung mitgeholfen?

Flosdorff: Sie haben vollkommen Recht: Die Bundeswehrtornados fliegen Aufklärungseinsätze; da sind Sie richtig informiert. Die Daten werden an die Koalition weitergeleitet, die auch Luftschläge gegen den IS führt. Diese Ergebnisse, die wir liefern, dienen der Lagebildverdichtung, wo sich am Boden Stellungen des IS befinden, wo sich aber auch Zivilisten, Oppositionsgruppen aufhalten. Das dient auch dazu, dass man dort genau auseinanderhalten kann, wen man dort schützen muss und wen man bekämpfen will.

Darüber, in welchen einzelnen Fällen diese Daten von den alliierten Nationen, die dort Luftangriffe, koordiniert durch das US-geführte Hauptquartier in Katar, fliegen, genutzt worden sind, kann ich Ihnen hier keine Auskunft geben. Selbst wenn ich es genau wüsste, könnte ich es nicht, weil das alles eingestufte Informationen sind.

Zusatzfrage : Sie können uns nicht sagen, wie viele Luftangriffe, basierend auf deutschen Informationen, geflogen worden sind? Können Sie uns denn sagen, wie viele Menschen durch die Luftangriffe ums Leben gekommen sind, seitdem die Bundeswehr mithilft? Wie viele Zivilisten sind ums Leben gekommen, wie viele sind vielleicht geschützt worden?

Flosdorff: Nein.

Frage: Die EU-Kommission hat heute Morgen das Verfahren gegen Polen eingeleitet. Herr Seibert, begrüßen Sie diese Entscheidung?

StS Seibert: Wir haben hier wirklich sehr ausführlich am Montag und in der vergangenen Woche über Polen geredet. Die Haltung der Bundesregierung hat sich überhaupt nicht verändert. Es ist die Europäische Kommission, deren Zuständigkeit es ist, als Hüterin der Verträge zu überprüfen, wenn tatsächlich Fragen aufkommen, ob die Gesetzgebung in einem Mitgliedstaat mit europäischem Recht übereinstimmt. Dieser Rolle kommt sie ja vielfach nach. Insofern ist das der korrekte europäische Weg. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen. Das Ergebnis des Verfahrens ist ja auch noch offen.

Mittwoch, 13. Januar 2016

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Quelle:
Regierungspressekonferenz vom 13. Januar 2016
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2016/01/2016-01-13-regpk.html
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Dorotheenstr. 84, 10117 Berlin
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Internet: www.bundesregierung.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Januar 2016

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