Schattenblick → INFOPOOL → PARLAMENT → FAKTEN


PRESSEKONFERENZ/1162: Regierungspressekonferenz vom 15. Februar 2016 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz - Montag, 15. Februar 2016
Regierungspressekonferenz vom 15. Februar

Themen: Bürgerkrieg in Syrien, Flüchtlings- und Asylpolitik, Diskussion um Verbleib Großbritanniens in der EU, Terrorismusfinanzierung, Regierungskrise in der Ukraine, Ausweitung der Lkw-Maut auf Bundesstraßen, EU-Richtlinie zur Verringerung des Verbrauchs von leichten Kunststofftragetaschen

Sprecher: StS Seibert, Schäfer (AA), Flosdorff (BMVg), Plate (BMI), Daldrup (BMAS), Strater (BMVI), Haufe (BMUB)


Vorsitzender Leifert eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt StS Seibert sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

Frage: Herr Seibert und Herr Schäfer, nach der Münchner Sicherheitskonferenz gab es unterschiedliche Einschätzungen, was die Chancen für eine Feuerpause angeht. Mich würde interessieren, wie Sie die Rolle Russlands in den letzten Stunden in Syrien und die Chancen, dort eine Feuerpause zu erreichen, bewerten.

Schäfer: Welche Feuerpause meinen Sie, die in Syrien oder die in der Ostukraine oder beide?

Zusatz: Ich meine die in Syrien.

Schäfer: Es gab neunstündige Verhandlungen, von Donnerstagabend bis tief in die Nacht hinein, bis Freitagmorgen. Die 20 Parteien des Wiener Formats haben sich in München nach langem Ringen und zwischenzeitlich auch immer wieder groß aufscheinenden Interessenkonflikten, die es fraglich erscheinen ließen, ob überhaupt eine Einigung möglich ist, auf die Münchner Verpflichtungen geeinigt. Das sind im Grunde vier Verpflichtungen:

Erstens. Sofortiger humanitärer Zugang zu den Hundertausenden, die von unterschiedlichen Gruppierungen - überwiegend allerdings von der syrischen Armee - belagert werden und auszuhungern drohen, für die jedenfalls eine ganz dramatische humanitäre Lage zu verzeichnen ist.

Zweitens. Innerhalb einer Woche die Einstellung der Kampfhandlungen und Feindseligkeiten.

Drittens. Eine Wiederaufnahme der Genfer Verhandlungen.

Viertens. Eine Fortsetzung - das ist immer wieder ganz wichtig - unseres gemeinsamen Kampfes gegen IS.

Im Laufe des Wochenendes haben wir nicht nur, aber ganz besonders auf der Münchner Sicherheitskonferenz sehr viele kluge Meinungsäußerungen von Politikern und auch von Kommentatoren dazu vernommen, warum und aus welchen Gründen das alles gar nicht klappen könnte. Das ist sicherlich nicht die Haltung der Bundesregierung. Ich spreche für den Außenminister, wenn ich sage: Uns geht es darum, das, was in München vereinbart worden ist - die Münchner Verpflichtungen- in die Tat umzusetzen. Das wollen wir erreichen. Wir sind weit davon entfernt, das alles heute bereits abzuschreiben, wie manche es leichtfertig tun.

Dafür sind in München am Freitagmorgen auch Instrumente vereinbart worden, nämlich zwei Taskforces: eine Taskforce für die Fragen des humanitären Zugangs und eine andere für alle Fragen im Zusammenhang mit der Einstellung der Kampfhandlungen und einem Waffenstillstand. Die Taskforce für den humanitären Zugang hat bereits am Freitagnachmittag um vier Uhr in Genf getagt. Daran hat ein Vertreter der Bundesregierung teilgenommen. Das alles findet unter dem Vorsitz der Vereinten Nationen statt. Bereits am Samstagabend ist es zu einem ersten humanitären Konvoi in die Stadt Duma gekommen. Das ist immerhin ein erster Schritt. Es ist bei Weitem nicht genug.

Wir werden alles daransetzen, in den nächsten Tagen diesen Teil der Münchner Verpflichtungen in die Tat umsetzen zu lassen. Dazu ist die Taskforce in Genf, die ja auch weiter tagt, das wichtigste Instrument. Dabei wird es darum gehen, dass all diejenigen, die Einfluss auf Assad und das Assad-Regime haben - denn es ist im Wesentlichen die syrische Regierung, die diesen humanitären Zugang bislang verweigert hat und weiterhin verweigert -, auf Damaskus einwirken, damit genau das endet.

Beim zweiten Punkt, wenn ich das gerade noch sagen darf, beim Thema Einstellung der Kampfhandlungen befinden sich hochrangige Vertreter Russlands und der Vereinigten Staaten ebenfalls, denke ich, in Genf. Dabei ist es auch das Ziel, diese Taskforce zu konstituieren und gemeinsam alles Notwendige zu tun, um die Schritte einzuleiten, die für die Einhaltung der Deadline von München erforderlich sind, die bis Ende der Woche angelegt ist, bis Freitag, Samstag. Das bedeutet natürlich auch eine Zurückhaltung der internationalen Gemeinschaft bei eigenen militärischen Aktivitäten in und über Syrien. Das bedeutet aber auch, dass die Regierung und die syrische Opposition nach München die klare Verpflichtung haben, die Kampfhandlungen und das Niveau der Gewalt zurückzufahren und die Einstellung der Kämpfe nach einer Woche vorzunehmen.

Zusatzfrage: Herr Seibert, ich möchte Sie doch um eine Bewertung bitten. Der russische Regierungschef spricht von "kaltem Krieg". Teilen Sie diese Einschätzung? Wenn es ein kalter Krieg ist, kann man davon ausgehen, dass Russland in dieser Situation eine konstruktive Rolle spielen kann?

StS Seibert: Nein, diese Einschätzung teilt die Bundesregierung nicht. Geschichte wiederholt sich nicht. Wir sind heute in einer ganz neuen, zweifellos schwierigen Situation, in einer sehr komplizierten und vielschichtigen Situation, weitaus vielschichtiger als in der bipolaren Welt des Kalten Krieges mit seinen überschaubaren Machtblöcken. Es ist vollkommen klar, dass man mit Russland reden muss, wenn man Lösungen für einige der gefährlichsten Krisen auf diesem Globus finden will. Die Bundesregierung praktiziert das auch. Genau danach handeln wir auch in den unzähligen Kontakten, die der Außenminister und die die Bundeskanzlerin mit der russischen Führung haben.

Schäfer: Ich stimme dem eins zu eins zu, was Herr Seibert gerade gesagt hat. Ich möchte gern noch einen oder zwei Sätze ergänzen, weil ich selber in München gewesen bin. Man hatte dort fast den Eindruck, als wenn manche Anwesende von den Medien, aus der diplomatischen Ministerialbürokratie und auch Politiker geradezu den kalten Krieg herbeireden und herbeirufen wollten.

Herr Steinmeier ist der festen Überzeugung, dass das nicht so ist. Beleg dafür sind die intensiven Gespräche, die er persönlich, und zwar im Wesentlichen unter vier Augen und sehr lang, mit dem russischen Ministerpräsidenten Medwedew am Freitagabend und im Laufe des Samstages gleich mehrfach mit dem russischen Außenminister Lawrow geführt hat. Beleg deshalb, weil es bei allen Schwierigkeiten, die es gibt, und auch bei allen Interessenkonflikten, die wir mit Russland in der Ukraine-Krise, in Syrien und ganz sicher auch anderswo haben, auch Belege dafür gibt, dass es anders geht, zum Beispiel bei den Iran-Verhandlungen. In Zeiten des Kalten Krieges wäre es gänzlich undenkbar gewesen, eine solche Einigung wie die Wiener Vereinbarung vom Juli 2014 über das iranische Atomprogramm hinzubekommen. Diese Art von Kontakten, die die Bundesregierung und auch andere mit Russland pflegt, wäre unter den politischen Gesetzmäßigkeiten des Kalten Krieges schlicht und ergreifend undenkbar gewesen.

Es gibt Dialog mit Russland. Die Bundesregierung steht dabei ganz vorn und will das auch fortsetzen. Wir wollen diesen Dialog fortsetzen. Es gibt überhaupt keine Alternative zu einem Dialog mit Russland, gerade weil es ziemlich intensive und schwierige Interessenkonflikte mit Moskau gibt.

Frage: Zwei Fragen an Herrn Seibert oder auch Herrn Schäfer. Wenn Sie schon nicht von einer Situation wie im Kalten Krieg sprechen wollen, ist es denn nicht doch so, dass das Verhältnis zwischen dem Westen und Russland, auch zwischen Deutschland und Russland, gemessen an den vergangenen Jahren, im Moment einen neuen Tiefpunkt erreicht hat? Würden Sie zumindest dem zustimmen?

Eine zweite Frage, zu Syrien. Es gibt die Auseinandersetzung - es ist alles auch etwas unklar - in Hinblick auf einen Einsatz von Bodentruppen, und zwar als Teil der Aktionen der Front gegen ISIS. Die Türkei und Saudi-Arabien werden genannt. Wäre eine Teilnahme von Bündnispartnern in dieser Allianz über Bodentruppen für die Bundesregierung und die Bundesrepublik ein Grund, zu sagen: "Wir müssen uns überlegen, ob wir diesem Bündnis weiterhin angehören wollen"? Denn ich habe es immer so verstanden, dass Sie gesagt haben, dass sich das militärisch eigentlich nicht gewinnen lässt, und von daher Vorbehalte gegen einen Einsatz von Bodentruppen hatten.

StS Seibert: Ich beginne kurz. - Ich habe es gerade gesagt. Wir sind in einer vielschichtigen sicherheitspolitischen Situation. Wer wie der russische Ministerpräsident Medwedew von einem kalten Krieg oder der Gefahr eines kalten Krieges spricht - ich sage ausdrücklich: das ist nicht die Einschätzung der Bundesregierung -, dem muss man sagen, dass sein Land es auch in der Hand hat, dieses Szenario abzuwenden.

Für die Bundesregierung, für Europa und auch für die Nato gilt: Wir bleiben dialogbereit. Wir bleiben kooperationsbereit. Ich denke, Herr Schäfer könnte Ihnen lange Geschichten erzählen, wie es beispielsweise bei den Iran-Verhandlungen möglich war, gemeinsam für ein gutes und von allen Seiten als vernünftig angesehenes Ziel zu kooperieren.

Schäfer: Ich will vielleicht ergänzen. Mir fallen noch ein paar andere Beispiele ein, in denen die Kooperation mit Russland gar nicht so schwierig ist, zum Beispiel beim Thema Nordkorea. Die Einlassungen und auch die politische Haltung der russischen Führung gegenüber den wiederholten Verstößen gegen das Sanktionsregime gegenüber Nordkorea aus Anlass des jüngsten Atomtests vor sechs Wochen und aus Anlass des Testes einer Interkontinentalrakete belegen das, meine ich, ganz anschaulich.

Über das Thema Syrien und Einsatz von Bodentruppen haben wir an dieser Stelle in den letzten Jahren ganz häufig miteinander gesprochen und diskutiert. Die Haltung der Bundesregierung dazu ist unverändert. Ja, es gibt keine militärische Lösung für Syrien, und zwar auch jetzt nicht, auch nicht angesichts vermeintlicher oder tatsächlicher Terraingewinne der syrischen Armee mit Unterstützung der russischen Luftwaffe. Es ist aus unserer Sicht schlicht und ergreifend militärisch unmöglich, weil Druck Gegendruck auslöst und weil das einfach nur die Intensität der militärischen Auseinandersetzung und damit dann auch der politischen und vor allen Dingen die Verschlechterung der katastrophalen humanitären Lage nur noch weiter forcieren würde.

Ja, wir haben es vernommen, dass hier und da immer wieder auch von Bodentruppen geredet wird. Allerdings verstehe ich das auch so, dass dafür so viele Vorbedingungen, Kautelen und Voraussetzungen mit in den Raum gestellt werden, dass ich nicht erkennen kann, dass sich diese Frage hier und jetzt konkret stellt und deshalb eine Antwort auf Ihre konkrete Frage erforderlich macht.

Frage: Zum Verständnis, Herr Schäfer. Wenn Saudis und Türken Bodentruppen nach Syrien schicken, dann wäre das eine Invasion. Die Bundesregierung ist also grundlegend gegen eine solche Invasion, richtig?

Schäfer: Zu beurteilen, ob das eine Invasion wäre oder nicht, muss ich Ihnen überlassen. Was ich zu Bodentruppen gesagt habe, wiederhole ich gern: Mir sind keine Debatten oder Diskussionen in der Anti-ISIS-Koalition oder auch anderswo bekannt, aus denen sich konkrete Pläne ergäben, die den Einsatz von Bodentruppen des Westens oder anderer Staaten der Anti-ISIS-Koalition vorsehen, sondern es geht darum, gemeinsam mit Partnern vor Ort - das ist die irakische Armee, das sind die Peschmerga, also die Sicherheitskräfte der kurdischen Regionalregierung im Norden des Landes, das sind auch andere Gruppierungen wie die gemäßigte syrische Opposition - zusammenzuarbeiten, um die regionale und globale Bedrohung durch ISIS vor Ort im Irak und in Syrien zu bekämpfen. Mit dieser Strategie sind wir in den vergangenen zwölf Monaten schon vorangekommen und haben belegbar Fortschritte erzielt: Ramadi, Tikrit, Sindschar sind Beispiele von Städten, die aus den Fängen von ISIS befreit werden konnten. Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir in den nächsten Wochen und Monaten weitere Fortschritte erzielen können.

Zusatzfrage: Sie wollen unbedingt, dass der Bürgerkrieg in Syrien beendet wird. Wäre denn eine militärische Lösung mit einem Sieger Assad - dank russischer Hilfe - schlimmer für die Bundesregierung als kein Ende des Krieges?

Schäfer: Das ist eine sehr hypothetische Frage. Ich kann nur noch einmal wiederholen, dass wir nicht daran glauben, auch nicht angesichts der Entwicklungen der vergangenen beiden Wochen und der ausländischen Interventionen in Syrien, dass es eine solche militärische Lösung, solch einen totalen militärischen Sieg geben kann. Den wird es nicht geben. Das ist völlig unmöglich. Deshalb brauchen wir uns darüber gar keine Gedanken zu machen.

Frage: Eine Frage an Herrn Seibert und Herrn Schäfer. Sie haben richtig gesagt, Herr Seibert, Geschichte wiederholt sich nicht. Das Zitat geht weiter: Es sei denn als Tragödie oder als Farce. - Nun hat aber Medwedew selber den Begriff eingeführt. Wenn die Übersetzungen, die uns zugänglich sind, stimmen, hat er es nicht als Warnung gesagt, sondern als Zustandsbeschreibung.

Erste Frage: Herr Schäfer, ist in den Vier-Augen-Gesprächen über diesen Terminus gesprochen worden? Hat er erläutern können, was er damit meint? Konnte der deutsche Außenminister deutlich machen, warum es nach Auffassung der Bundesregierung nicht so ist?

Zweite Frage, zu den Möglichkeiten, vielleicht jenseits des traditionellen Begriffs "Kalter Krieg" Kooperationen herzustellen: In den vergangenen Tagen war zu lesen, dass man über eine Rekonstituierung oder Wiedereinrichtung des Nato-Russland-Rates nachdenke. Ist so etwas in der Planung, in der Diskussion, oder war das ein reines Wolkenkuckucksheim?

Schäfer: Zum Thema Nato-Russland-Rat. Das ist ganz einfach. Es war ein Vorschlag des deutschen Außenministers beim vergangenen Treffen der Nato-Außenminister im Dezember, den Nato-Russland-Rat wiederzubeleben und möglichst schnell eine Sitzung dieses Nato-Russland-Rates auf Botschafterebene zu erreichen. Herr Stoltenberg, der Generalsekretär der Nato, hat den Auftrag erhalten, darüber mit der russischen Seite Verhandlungen zu führen. Das hat er unter anderem in der vergangenen Woche getan. Sie haben vielleicht die Medienberichte dazu vernommen, nach denen es zurzeit noch schwierig ist, sich auf eine Tagesordnung für eine solche Sitzung zu einigen.

Das ändert überhaupt nichts an unserer Überzeugung und der Überzeugung des Außenministers, dass solche Gesprächskanäle, auch solche förmlichen Gesprächskanäle notwendig und richtig sind. Deshalb werden wir weiter dafür werben, dass es bald zu einer Einigung mit Russland kommt, damit ein solcher Nato-Russland-Rat möglichst zügig eingerichtet werden kann.

Zum Thema "Kalter Krieg". Da Sie jetzt nochmals explizit nachfragen, lassen Sie es mich vielleicht noch etwas prägnanter formulieren. Ich muss erst einmal sagen, Herr Medwedew hat Freitagabend, am Abend des ersten Tages der Münchner Sicherheitskonferenz, lange mit Herrn Steinmeier im Bayerischen Hof zusammengesessen. Das war vor der Rede Herrn Medwedews. Die beiden haben dabei natürlich auch darüber gesprochen, in welcher Weise man mit den unterschiedlichen Vorstellungen, auch mit den Interessenkonflikten, die es zwischen dem Westen und Russland, zwischen Deutschland und Russland sowie zwischen Europa und Russland geben mag, am besten umgeht, hinter den Kulissen und vor den Kulissen.

Zum Thema "Kalter Krieg" vielleicht nur so viel: Mir scheint das alles politisch wie intellektuell etwas kurz gedacht. Was heißt denn Kalter Krieg? Kalter Krieg heißt eine Blockkonfrontation zwischen Staatenbünden links und rechts, westlich und östlich des Eisernen Vorhangs, der damals vor 25 Jahren mitten durch Deutschland und mitten durch diese Stadt, in der wir jetzt miteinander reden, ging. Davon sind wir doch weit entfernt. Es ist doch geradezu das genaue Gegenteil: Wir haben es heute mit einer Situation zu tun, in der die Gefahren und Bedrohungen für uns im Westen, aber auch für Russland völlig andere sind. Es ist doch nicht so, dass Staatenverbände miteinander Krieg führen wollen. Davon sind wir doch ganz weit entfernt. Das ist doch - ich würde fast sagen - Unsinn.

Sondern wir haben es damit zu tun, dass es asymmetrische Gefahren, dass es Aufruhr in unserer Nachbarschaft gibt. Manche sprechen von einem Feuerring um Europa, in dem die Gesellschaften in Bewegung geraten sind, in denen es ethnische, religiöse und gesellschaftliche Konflikte gibt, die sich in Form von Bürgerkriegen manifestieren. Das sehen wir in Syrien. Das haben wir in Libyen erlebt. Wir haben es mit "failed states" zu tun. All diese Dinge haben doch mit dem Kalten Krieg gar nichts zu tun.

Noch einmal: Im Kalten Krieg gab es Stellvertreterkriege in Afrika, in Lateinamerika und anderswo. Hier haben wir es in unserer Nachbarschaft, im Mittleren Osten und auch anderswo - ich hatte die Beispiele Nordkorea und Iran erwähnt - mit einer Situation zu tun, in der auch Kooperation mit Russland möglich ist. Ich würde mir wünschen, dass das in der Öffentlichkeit hier und da ein ganz klein wenig differenzierter betrachtet wird.

Zusatzfrage: Nichtsdestoweniger hat Herr Medwedew - man kann es ja nur immer wieder sagen - diesen Begriff verwendet. Er muss also eine Wahrnehmung haben. Vielleicht hat er, so wie es inzwischen eine asymmetrische Kriegsführung gibt, einen "Kalten Krieg 2.0" im Sinn. Sagen sie auch zu solch einer Position: "Nein, Kalter Krieg ist historisch definiert und die bipolare Sache. Die haben wir nicht. Deswegen ist das Unsinn"? Machen Sie es sich damit nicht im Grunde genommen zu einfach?

Schäfer: Wenn Sie wissen wollen, warum Herr Medwedew den Satz verwandt hat, den er eben verwandt hat, dann müssen Sie nicht mich, sondern schon Herrn Medwedew und den Sprecher Herrn Medwedews fragen.

Die Interpretation der Äußerung aus dem Kreml, auch des politischen Verhaltens Moskaus lief zu Sowjetzeiten unter dem Schlagwort "Kremlologie". Man muss sozusagen verstehen, was im Kreml passiert, um daraus Schlussfolgerungen in der politischen Analyse und in der Reaktion darauf zu ziehen. Das gilt letztlich doch auch heute. Es ist sozusagen eine der schönen Aufgaben der Diplomatie, genau das zu tun. Das tun wir selbstverständlich und versuchen, daraus eine Strategie und eine Politik abzuleiten, wie wir mit den Interessenkonflikten und den Schwierigkeiten, die wir in der Ukraine, in Syrien und anderswo mit Russland haben, umgehen. Aber das tun wir, wenn es nach dem deutschen Außenminister geht, in einer klaren und deutlichen Weise, so wie der Nato-Gipfel von Wales es in Sachen Reassurance und vielen anderen Fragen ja getan hat, aber gleichzeitig auch immer mit der klaren Maßgabe, die Gesprächsfäden bloß nicht abreißen zu lassen. Meine Beispiele der Gespräche, die Herr Steinmeier am Wochenende geführt hat, belegen im Grunde, dass er das genau so in die Tat umsetzt.

Frage: Herr Schäfer, hat die Bundesregierung eigene oder durch Partner gewonnene Erkenntnisse über die bisherigen Opferzahlen durch die Luftangriffe der Anti-ISIS-Koalition sowie der russischen Luftangriffe?

Schäfer: Solche Zahlen liegen mir nicht vor.

Zusatzfrage: Können Sie sagen, ob russische Luftangriffe moderate Rebellen getroffen haben? Der Westen, Amerikaner und Sie, sagt ja oft, dass die Russen nicht nur ISIS und Al-Nusra bombardieren. Wen bombardieren sie denn da?

Schäfer: Wer sich wirklich für die militärische Lage in Syrien interessiert und besonders die zurzeit auch politisch wichtige militärische Lage im Nordwesten des Landes, in der Gegend von Aleppo an der türkischen Grenze, anschaut - dazu gibt es in der Öffentlichkeit publizierte Karten -, der wird feststellen, wie klein die Territorien zum Teil sind, die von unterschiedlichen oppositionellen Gruppierungen in Syrien gehalten werden. Es ist tatsächlich so, dass in kleinen Dörfern an der einen Stelle eine Oppositionsgruppe de facto das Übergewicht hat und an einer anderen Stelle eine andere Oppositionsgruppe. Das ist im Übrigen auch bei den Syrien-Gesprächen am Donnerstagabend sehr intensiv diskutiert worden.

Deshalb ist es - das ist im Übrigen auch bei den Syrien-Gesprächen am Donnerstagabend sehr intensiv diskutiert worden - halt wahnsinnig schwierig, in diesem Feld von ganz unterschiedlichen Gruppierungen - vielleicht Hunderten unterschiedlichen Gruppierungen, die sich auch politisch unterschiedlich einsortieren und deshalb auch von uns unterschiedlich qualifiziert werden müssen - den Überblick zu behalten. Wir müssen davon ausgehen, dass in dieser Gemengelage auch vonseiten der russischen Luftwaffe Dinge passieren, die jedenfalls nicht nur Luftangriffe auf ISIS oder Al-Nusra bedeuten.

Zusatzfrage: Sie haben Aleppo angesprochen. Die Türken haben am Wochenende mehrmals kurdische Stellungen in Aleppo und Rojava bombardiert. Wie beurteilt das die Bundesregierung? Verurteilt das die Bundesregierung?

Schäfer: Wir haben uns in der Nacht von Donnerstag auf Freitag auf die Münchner Verpflichtungen geeinigt. Alle am Tisch anwesenden Staaten, darunter die Türkei, haben diese Vereinbarungen mitgetragen und mit unterzeichnet. Der türkische Außenminister hat sich auch sehr lobend über die in München erfolgten Fortschritte auf dem Weg zu einem humanitären Zugang, zu einer Beruhigung beziehungsweise zu einer Reduzierung der Gewalt in Syrien geäußert.

Unser Appell geht an alle - auch an alle Staaten des Wiener Formats -, so zurückhaltend wie nur irgend möglich zu sein, um die Chance, die besteht, auch in Richtung einer Einstellung der Kampfhandlungen im Laufe dieser Woche voranzukommen, nicht zunichte zu machen.

Zusatzfrage: Der französische Außenminister hat die Türkei aufgerufen, die Bombardierungen sein zu lassen, also zu stoppen. Schließt sich die Bundesregierung dem an?

Schäfer: Ich habe das gesagt, was es zu sagen gab.

Frage: Herr Schäfer, hat sich Russland nach Ihrer Einschätzung nach diesen drei Tagen beziehungsweise seit Donnerstagabend, wie ich sagen würde, stärker positioniert, was dieses Abkommen angeht, das am Ende erreicht worden ist? Russland hat die Bedingungen irgendwie auch diktiert. Was ist Ihre Interpretation?

Schäfer: Ich war den ganzen Abend bei den Verhandlungen in München dabei. Ich kann weder aus dem Verlauf noch dem Ergebnis der Verhandlungen in München erkennen, dass Russland die Bedingungen diktiert hätte, sondern das war angesichts existierender Interessenkonflikte im Gegenteil ein heftiges Ringen zwischen den Staaten, die dort am Tisch saßen.

Wir haben immerhin - ich weiß nicht, ob Ihnen das aufgefallen ist - nach einigen Monaten intensiver Diskussion über die Frage, welche Organisationen denn als terroristische zu qualifizieren sind, ein russisches Einlenken erlebt. Russland hat sich damit dazu bereit erklärt, dass zunächst einmal ISIS und Al-Nusra als terroristische Organisationen qualifiziert werden und als solche dann auch in Syrien von der internationalen Koalition bekämpft werden sollen. Das ist schon einmal ein großer Schritt vorwärts.

Ansonsten ist es in München mit Unterstützung des russischen Vorsitzes zu den Vereinbarungen gekommen - den Münchner Verpflichtungen -, die ich vorhin ausgeführt habe. Deshalb kann ich nicht erkennen, dass sich in dem perzipierten oder tatsächlichen Verhältnis zwischen Russland und dem Rest der Welt sozusagen groß etwas verändert hätte. Aber Sie haben recht: Seitdem Russland - seit September, also inzwischen seit mehr als vier Monaten - mit seiner Luftwaffe in Syrien im Einsatz ist, haben sich die politischen Verhältnisse in Syrien doch tatsächlich erheblich verändert. Das ist eine Situation, mit der wir alle umgehen müssen.

Frage: Herr Seibert, der französische Premier hat am Wochenende gesagt, Frankreich würde 30 Flüchtlinge aufnehmen. Gleichzeitig scheint es Signale von Präsident Hollande zugeben, dass diese 30 nicht ganz ernst gemeint seien, sondern dass Frankreich dann wohl doch darüber hinausgehen würde. Wie ist die Situation aus Sicht der Bundesregierung? Wie zuversichtlich sind Sie noch, eine Koalition der Willigen auf dem EU-Gipfel in dieser Woche zu schmieden?

StS Seibert: Zunächst einmal: Der französische Ministerpräsident hat ja noch einmal betont, dass Frankreich hinter den bisher auf europäischer Ebene getroffenen Vereinbarungen steht. Das heißt, Frankreich steht zu dieser Verpflichtung, seinen Anteil an den 160 zu verteilenden Flüchtlingen zu übernehmen. Das ist für uns jetzt erst einmal wichtig. Ebenso bekennt sich Frankreich zu dem Ziel, die EU-Außengrenzen wirksam zu schützen und die Schlepperbanden in der Ägäis zu bekämpfen, also zu wesentlichen Zielen; denn so können wir illegale Migration weiter eindämmen. In den Fragen, die jetzt wesentlich sind, herrscht also große Übereinstimmung zwischen Frankreich und Deutschland. Die Kanzlerin hat sich erst vor Kurzem in Straßburg auch genau über diese Themen mit Präsident Hollande ausgetauscht.

Zu der Frage dieser legalen Kontingente kann ich noch etwas hinzufügen. Die Bundesregierung hat immer gesagt: Legale Kontingente können erst dann greifen, wenn die derzeit noch festzustellende illegale Migration über die Ägäis noch viel stärker als jetzt eingedämmt sein wird. Sie hat schon nachgelassen - die Zahlen sind geringer als in den vergangenen Monaten -, aber sie muss noch weiter reduziert werden. Insofern gilt, wie die Kanzlerin neulich gesagt hat: So weit sind wir noch nicht.

Zusatz: 30 über das ganze Jahr hinweg wären doch für eine europäische Verteilung im Sinne der Kanzlerin viel zu wenig.

StS Seibert: Wir wollen die Dinge jetzt erst einmal Schritt für Schritt umsetzen. Wir wollen jetzt erst einmal all das tun, was wir tun können. Durch Bekämpfung von Fluchtursachen, durch besseren und wirksameren Schutz unserer Außengrenze, auch durch Zusammenarbeit zwischen Frontex und der türkischen Küstenwache, verstärkt durch die Überwachungskapazitäten in Form von Nato-Schiffen, wollen wir alles tun, um die illegale Migration weiter einzudämmen. Wenn das gelingen wird, wird es uns die Möglichkeit geben, mit der Türkei über eine weitere Lastenteilung zu sprechen, also über die Möglichkeit, legale Kontingente zu übernehmen. Wir haben die Beschlüsse hinsichtlich der 160 in Europa bereits gefasst - mit denen würde man dann anfangen -, und dann wird man weitersehen. Aber wie gesagt: So weit sind wir noch nicht. Wir müssen das, was wir in den letzten Tagen und Wochen dazu auf den Weg gebracht haben, auch Schritt für Schritt umsetzen.

Frage: Herr Seibert, hat die Bundeskanzlerin denn den Mut, für ihre Flüchtlingspolitik die Vertrauensfrage im Parlament zu stellen? Wenn ja, wann?

Welche Länder außer Deutschland gehören derzeit zur Koalition der Willigen in Sachen Flüchtlingspolitik?

StS Seibert: Ich sage es noch einmal: Für unseren Fokus auf den Außengrenzschutz, die Zusammenarbeit mit der Türkei, die Fluchtursachenbekämpfung und die Reduzierung der illegalen Migration - das sind die wesentlichen europäischen Ziele - haben wir eine sehr breite Unterstützung in Europa.

Zu der ersten Frage kann ich Ihnen nichts sagen. Das steht für die Bundeskanzlerin gar nicht zur Debatte.

Vorsitzender Leifert: Was ist mit der Frage nach den Ländern, also welche Länder es sind, die unterstützen?

StS Seibert: Warten Sie den Europäischen Rat ab! Aber das, was ich Ihnen hier gerade vortrage - beispielsweise Außengrenzschutz, Verstärkung von Frontex, EU-Türkei-Aktionsplan -, sind alles einstimmige Beschlüsse des Europäischen Rates. Dahinter stehen 28 Mitgliedsländer.

Zusatzfrage: Wieso lehnt es die Bundeskanzlerin ab, die Vertrauensfrage zu stellen, wo doch 80 Prozent der Bürger in Sachen Flüchtlingspolitik kein Vertrauen zu ihr haben?

StS Seibert: Ich glaube, dass Sie da eine Umfrage sehr weitgehend interpretieren. In der gleichen Umfrage haben mehr als 90 Prozent der Bürger gesagt, dass sie es richtig finden, dass wir Menschen aus Bürgerkriegs- und Kriegsgebieten hier Schutz geben.

Die Frage stellt sich für die Bundeskanzlerin nicht. Sie arbeitet gemäß ihrem Auftrag als Bundeskanzlerin an der Spitze dieser Bundesregierung daran, dieses Thema so zu bearbeiten und so zu lösen, wie es für Deutschland und Europa am besten ist.

Frage: Herr Seibert, nachdem jetzt zumindest aus Frankreich seitens des Premierministers zu hören ist, dass man sehr skeptisch sei, was die Umverteilung von Flüchtlingen angeht, also den dauerhaften Schlüssel, gibt es denn andere große Länder in Europa, die Deutschland in Bezug auf die Flüchtlinge einen Teil der Last abnehmen könnten? Es können nämlich eigentlich nur große Länder wie Italien, Spanien, Frankreich oder Großbritannien sein, die einen nennenswerten Beitrag leisten können. Sieht die Bundeskanzlerin derzeit, dass diese engen Partner ihr bei der Lastenteilung aus der Patsche helfen werden?

StS Seibert: Ich will es noch einmal sagen: Es gibt den europäischen Beschluss, 160 Flüchtlinge nach einem bestimmten europäischen Schlüssel umzuverteilen. Zu diesem Beschluss stehen alle Staaten in Europa, die ihn auf einem Europäischen Rat im vergangenen Jahr gefasst haben. Wir sind im Moment noch nicht so weit, dass die illegale Migration schon ausreichend eingedämmt wäre und dass wir über weitere legale Kontingente mit der Türkei konkret sprechen könnten. Deswegen gehen wir es jetzt Schritt für Schritt an. Der Europäische Rat, der bevorsteht, wird ja genau die Gelegenheit dazu geben, eine Zwischenbilanz zu ziehen - vor allem eine Zwischenbilanz im Vergleich mit dem Dezember-Rat. Aus dieser Zwischenbilanz wird erkennbar sein, in welche Richtung weitergearbeitet werden muss, welcher Fortschritt zu sehen ist und wo noch mehr getan werden muss.

Ich nenne einmal einige Fortschritte, die es seit Dezember gegeben hat: Die Syrien-Geberkonferenz von London mit Zusagen in Höhe von etwa 10 Milliarden Euro für die Flüchtlingshilfe in der Herkunftsregion war sicherlich ein solcher Fortschritt. Da haben Europa und viele Staaten weltweit gezeigt, dass sie es mit dem Thema der Fluchtursachenbekämpfung ernst meinen. Der EU-Türkei-Aktionsplan füllt sich Schritt für Schritt mit Leben. Das schreitet auch weiter voran, und da wollen wir weiter mit der Türkei zusammenarbeiten. Es gibt die Tatsache, dass eben nicht nur Frontex und die türkische Küstenwache künftig besser gegen das Schlepperunwesen zusammenarbeiten wollen, sondern dass auch die Nato ihre Überwachungskapazitäten dafür zur Verfügung und in den Dienst des Kampfes gegen diese kriminellen Schlepperbanden stellt.

Wir wollen also eine europäische Lösung. Dazu muss man jetzt einmal eine Zwischenbilanz ziehen: Wo stehen wir mit dem, was wir beispielsweise im Dezember auf den Weg gebracht haben? Wir streben - weiterhin, Schritt für Schritt - noch ein klares Bekenntnis zur Umsetzung dieser EU-Türkei-Agenda an, zur Stärkung von Frontex und zur besseren Zusammenarbeit, um diesen nicht hinnehmbaren Zustand in der Ägäis, wo es lebensgefährliche und illegale Migration gibt, zu beenden. Das ist die Chance, die der Europäische Rat jetzt am Donnerstag und Freitag bieten wird.

Frage: Herr Flosdorff, zum Nato-Einsatz und den Überwachungsmaßnahmen, die man gegen die Schlepper durchführen will: Haben Sie Erkenntnisse darüber, dass sich auf den Gummibooten auch Schlepper befinden? Haben Sie Erkenntnisse über Schleppernetzwerke auf dem Meer?

Flosdorff: Noch einmal zum Status: Die Nato-Gremien sind im Augenblick dabei, diesen Einsatz auszuplanen. Die Verbände bewegen sich sozusagen auf das potenzielle Einsatzgebiet zu. Der potenzielle Auftrag der Nato, der dabei vorbehaltlich der militärischen Planungsprozesse, die noch abgeschlossen werden müssen, herauskommen soll, umfasst nach der bisherigen Skizze das Überwachen, das Sammeln von Informationen und die Weiterleitung dieser Information - in ganz enger Zusammenarbeit mit den beiden Küstenwachen, aber auch mit Frontex, die dann tätig werden sollen.

Ob jetzt auf einzelnen Gummibooten Schlepper sind oder nicht, kann ich Ihnen hier nicht sagen, auch deshalb, weil es zu wenige Erkenntnisse darüber gibt. Das ist auch gerade der Hintergrund dessen, dass die Nato da mit hinein geht und ihre Aufklärungstechnik sowie ihre weitgehenden Aufklärungsmöglichkeiten zur Verfügung stellt. Das heißt, es geht hierbei nicht nur darum, wer in welchem Boot sitzt, sondern es geht darum: Welche Strukturen gibt es, ähnlich denen, die man auch vor der libyschen Küste beobachten kann? Wann gibt es Bewegungen? Wann sind die zu erwarten? Wie sind die Strukturen? Wann geht dort jemand aufs Wasser? Woher kommen die? Wer steckt dahinter? - Darüber kann die Nato in enger Zusammenarbeit mit den Küstenbehörden, die dann irgendwie tätig werden werden, Informationen liefern.

Aber ich denke, es ist unbestritten, wenn man sich die Zahlen anschaut und sieht, dass sich an einigen Küstenbereichen jeden Tag mehrere Hundert bis mehrere Tausend Menschen in Gummiboote setzen, dass das nicht alles irgendwie in Eigeninitiative passiert; das liegt auf der Hand. Da gibt es hoch kriminelle, hoch professionelle Schmugglerstrukturen. Die Nato kann mit ihren Informationen und ihren Fähigkeiten dazu beitragen, dass die nationalen Behörden, aber auch Frontex dort wirksamer dagegen vorgehen können; das ist das Ziel.

StS Seibert: Primär, wenn ich das sagen darf, ist die Zusammenarbeit im Kampf gegen die Schlepperbanden ja eine polizeiliche. Es gibt natürlich schon längst eine polizeiliche Zusammenarbeit, beispielsweise zwischen Deutschland und der Türkei. Die hat auch schon sehr konkrete Ergebnisse in Form von Verhaftungen von des Schleppens Verdächtigen erbracht. Diese polizeiliche Zusammenarbeit - dazu könnte das BMI mehr sagen - vertiefen und verbreitern wir in diesen Tagen ja noch, aber sie hat bereits Ergebnisse gezeigt und auch Erkenntnisse über das Schlepperwesen erbracht.

Plate: Vielleicht nur in aller Kürze: Ich möchte das, was Herr Seibert gesagt hat, noch konkretisieren. Es geht um das Ermittlungsverfahren "Wave". Dazu hatte ja der Präsident des Bundespolizeipräsidiums mit seinem türkischen Amtskollegen eine gemeinsame Pressekonferenz abgehalten. Noch in dieser Woche werden die Verhandlungen zwischen der türkischen und der deutschen Seite darüber, wie man unter anderem auch im Austausch von polizeilichen Erkenntnissen über Schleppernetzwerke einen weiteren Qualitätssprung machen kann, weiter laufen.

Zusatzfrage: Herr Flosdorff, die Informationen, die durch die Überwachung der Nato gewonnen werden, werden an die griechischen und türkischen Küstenwachen weitergeleitet. Was soll denn daraus gemacht werden? Werden die angerufen, und es wird gesagt "Da ist ein Gummiboot; haltet das einmal von der griechischen Küste fern"? Was soll denn da mit diesen Informationen passieren?

Flosdorff: Die Verbindungen zu den nationalen Küstenwachen werden jetzt gerade aufgebaut. Das ist auch Teil der Vereinbarungen, die innerhalb der Nato getroffen werden. Die Informationen fließen zurück an die Nato und von dort aus an die Mitgliedstaaten. Es werden aber auch Verbindungen in Richtung von Frontex und den nationalen Küstenwachen aufgebaut. Jetzt muss ich Sie einfach um Geduld bitten, bis die genauen Ausplanungen der Nato vorliegen. Dann werden wir sicherlich auch in der Praxis sehr schnell sehr genau sehen, was passieren wird.

Frage: Die Bootsüberfahrten werden ja nicht von einem auf den nächsten Tag aufhören. In der Zwischenzeit arbeiten andere Länder an anderen Lösungen, Flüchtlinge aus ihren Ländern herauszuhalten. Heute Nachmittag wird sich die sogenannte Visegrád-Gruppe mit Bulgarien und Mazedonien in Prag treffen, um darüber zu sprechen, ob man an der mazedonisch-bulgarischen Grenze mit Griechenland einen neuen Grenzzaun hochziehen wird, der Griechenland effektiv vom Rest der EU abschneiden würde. Könnten Sie uns sagen, ob es darüber Gespräche mit der Visegrád-Gruppe gegeben hat und wie die Bundesregierung dazu steht?

StS Seibert: Aus Sicht der Bundesregierung ist und bleibt es absolut vordringlich, den Schutz der EU-Außengrenzen zu verbessern. Das ist die zentrale Voraussetzung, um den Zulauf der Flüchtlinge zu ordnen, zu steuern und letztlich auch zu reduzieren. Ohne einen effektiven Schutz unserer Außengrenzen wird die Freizügigkeit im Schengen-Raum gefährdet sein.

Die EU-Kommission hat ja einen wichtigen Vorschlag zum gemeinsamen europäischen Grenz- und Küstenschutz vorgelegt. Unser Plädoyer ist: Lasst uns das so schnell wie möglich mit Leben erfüllen und umsetzen, und zwar noch vor Abschluss der niederländischen Ratspräsidentschaft, also innerhalb der ersten sechs Monate dieses Jahres.

Ich wiederhole es noch einmal: Wenn wir von einer europäischen Lösung sprechen, dann meinen wir eine gesamteuropäische Lösung, die kein europäisches Land außen vor lässt oder zulasten eines einzelnen europäischen Mitgliedstaates geht.

Zusatzfrage: Ist es richtig, dass Deutschland eine Demarche an die betreffenden Länder geschickt hat, um zu versuchen, sie von diesem Zaunbau abzuhalten?

StS Seibert: Ich habe ja sogar die Behauptung gehört, Deutschland habe das Treffen verhindern wollen, die natürlich vollkommen unzutreffend ist. Worum es uns ging, war, an die gemeinsame europäische Verantwortung zu appellieren, und das ist ein ziemlich normaler Vorgang. Dazu kann Ihnen aber Herr Schäfer für das AA mehr sagen.

Schäfer: Wie so häufig vor wichtigen europäischen Treffen wie in diesem Fall dem Treffen des Europäischen Rats ist es gute Praxis, dass wir unsere Positionen in anderen Hauptstädten deutlich machen und auf diese Art und Weise überzeugen wollen. Genau das ist hier passiert. In der Tat hat es Demarchen, wie Sie sagen, und das ist auch nicht falsch, gegeben. Das heißt, Vertreter der Bundesregierung - ich nehme an, die deutschen Botschafter in den vier Hauptstädten der Visegrád-Staaten - haben Gespräche mit ihrer Gastregierung geführt, um genau das zu übermitteln, was Ihnen Herr Seibert gerade auf Ihre Frage geantwortet hat.

Frage: Ich wollte doch noch einmal zum Thema Griechenland nachfragen, nachdem der Vizekanzler seine Position sehr deutlich gemacht hat: Ist das, was Herr Gabriel im Hinblick auf Griechenland an Befürchtungen und vielleicht auch Warnungen geäußert hat, die Position der gesamten Bundesregierung? Ist also für die Bundesregierung die Idee, Griechenland im Schengen-Raum im Zweifelsfall außen vor zu lassen, eine Option für den negativen und schlimmsten aller Fälle, oder scheidet das als Option generell aus?

Noch eine Nachhilfefrage: Was sind eigentlich die Bedingungen dafür, jemanden aus dem Schengen-Raum ausschließen zu können? Gibt es da irgendwelche formalen Verfahren, Einstimmigkeit, Zweidrittelmehrheiten oder Ähnliches?

StS Seibert: Ich will nur kurz dazu sagen, bevor sich wahrscheinlich sein Ministerium dazu äußern wird: Ich habe den Text von Herrn Gabriel als ein sehr kraftvolles Plädoyer für europäische Lösungen verstanden und gelesen, für europäische statt nationalstaatliche Lösungen. Damit liegt er natürlich auf der Linie der Grundüberzeugung dieser Bundesregierung.

Plate: Das betrifft wohl am ehesten das BMI. Da sich diese Frage so konkret für uns bislang nicht gestellt hat, habe ich das nicht parat. Ich kann aber gerne versuchen, das nachzutragen.

Schäfer: Ich würde gerne noch eine Satz sagen: Es ist zu hören - ich hoffe, dass es auch tatsächlich so ist -, dass bei den Beratungen der Visegrád-Staaten der griechische Außenminister anwesend sein soll. Das wäre aus unserer Sicht genau der richtige Ansatz, nämlich mit denjenigen, für die es auch um viel geht, zu reden, nicht über sie oder an ihnen vorbei.

Frage: Zum Verständnis, Herr Seibert: Das Ziel der Bundesregierung in der Ägäis ist, dass Gummiboote mit Flüchtlingen nicht die griechischen Inseln und damit EU-Gebiet erreichen, richtig?

StS Seibert: Das Ziel der Bundesregierung - ich würde sagen: das Ziel der Mitgliedstaaten der Europäischen Union - ist es, den Außengrenzschutz in der Ägäis und anderswo sicherzustellen, weil dieser Außengrenzschutz die Bedingung für die relative Grenzfreiheit, die Freizügigkeit der Bewegung im Schengenraum ist.

Zusatzfrage: Glaubt die Bundesregierung, wenn man die Schlepper oder das Schlepperproblem besiegt hat, dass man die Flüchtlingskrise gelöst hat?

StS Seibert: Ganz so eindimensional - ich würde sagen: einfältig - denken wir nicht. Es wird natürlich - das haben wir von vornherein und seit Monaten hier vertreten - einen vielfältigen Ansatz geben müssen. Es ist absolut unabdingbar, Fluchtursachen in den Ländern, aus denen Menschen fliehen müssen, zu bekämpfen, weil ihnen Bürgerkriege, Kriege oder großes Elend in Lagern zusetzen. Sie wissen, dass wir das seit Monaten intensiv bearbeiten. Es gibt eine Vielzahl von Maßnahmen, die ergriffen werden müssen, um eine richtige Antwort auf diese große geschichtliche Herausforderung, der Europa sich gerade gegenübersieht, zu finden.

Frage: Herr Schäfer oder andere, ist die Möglichkeit der Einrichtung eines sogenannten Botschaftsasyls aus Sicht der Bundesregierung eine praktikable und anzustrebende Möglichkeit, Druck von den Außengrenzen zu nehmen?

Schäfer: Dann müssten Sie mir erklären, was Sie damit meinen.

Zusatz: Der Begriff "Botschaftsasyl" ist doch schon länger in der Diskussion. Ich denke, Sie kennen ihn auch. Er beschreibt die Möglichkeit, dass Asylanträge nicht erst bei Erreichen des deutschen Territoriums gestellt werden können, soweit es Deutschland betrifft, sondern etwa bei Botschaften im Ausland.

Schäfer: Das sieht das geltende Recht nicht vor. So viel von mir.

Zusatzfrage: Das ist schon klar. Deswegen frage ich ja, ob man der Idee, die seit längerer Zeit im Raum ist - und Verhältnisse ändern sich, wie wir heute gehört haben -, näher tritt. Man kann ja auch Recht ändern, wenn man das für sinnvoll hält.

Schäfer: Das stimmt, und das tut die Bundesregierung ja auch. Das Asylpaket II befindet sich jetzt auf der Zielgeraden. Es gibt zahlreiche andere Initiativen der Bundesregierung in den letzten Monaten, um auf die Flüchtlingskrise zu reagieren. Das ist das, was die Bundesregierung sich jetzt vorgenommen hat. Von anderen Plänen kann ich nicht berichten.

Frage: Herr Seibert, als CDU-Vorsitzende ist Frau Merkel der Ansicht, dass Mindestlohnausnahmen die schnellere Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt verbessern. Ist Angela Merkel auch als Bundeskanzlerin der Meinung, für die sie im CDU-Vorstand votiert hat?

StS Seibert: Dankenswerterweise sagen Sie es ja schon: Dieses Integrationskonzept, auf das Sie anspielen, ist ein Positionspapier des CDU-Vorstands. Das ist also eine Diskussion im politischen Raum. Ich spreche hier über die Dinge, wenn sie die Bundesregierung erreicht haben, und deswegen werde ich das nicht weiter kommentieren. Das ist ein Vorschlag der Partei.

Zusatz: Entschuldigung, die Frage war, ob dieselbe Person auch als Bundeskanzlerin der Meinung ist, dass sie für etwas ist, wofür sie als CDU-Vorsitzende ist.

StS Seibert: Ich habe Ihre Frage schon verstanden. Wir haben jetzt mit diesem Papier einen Diskussionsbeitrag im politischen Raum. Ich bin hier Sprecher der Bundesregierung und spreche über Maßnahmen der Bundesregierung. Wenn es so weit wäre, würde ich darüber auch sprechen.

Frage: Direkt dazu zwei Fragen an das Arbeitsministerium. Die Arbeitsministerin hatte diese Idee, die schon einmal aufgetaucht war, abgelehnt. Deswegen die Frage: Bleibt es dabei oder hat sich aus ihrer Sicht irgendetwas verändert?

Zweitens. Es ist im Mindestlohngesetz vereinbart worden, diese Regelung, auf die sich bezogen wird, nämlich die Ausnahme für Langzeitarbeitslose, zum 1. Juni 2016 zu überprüfen, ob sie sinnvoll ist und ob sie weiterhin gelten soll. Gibt es vielleicht schon erste Erkenntnisse, wie sich der Wiedereinstieg von Langzeitarbeitslosen durch diese Ausnahmeregelung der Ministerin entwickelt hat?

Daldrup: Vielen Dank für Ihre Frage. - Die Rechtslage ist klar: Der Mindestlohn gilt für alle, unabhängig vom Pass. Das hat die Ministerin mehrfach deutlich gemacht und auch ausgesprochen. Daran will sie auch nichts ändern. Ihre Festlegungen sind immer wieder kommuniziert worden.

Vielmehr halten wir es für essentiell, dass hier nicht die einen gegen die anderen ausgespielt werden, sprich, es darf hier keine Dumpinglohnkonkurrenz geben und die Flüchtlinge dürfen sozusagen nicht zu Billiglöhnen auf den Markt gebracht werden, für die dann der Mindestlohn nicht gilt.

Sie sprechen an, dass es eine Regelung im SGB II gibt, dass Langzeitarbeitslosen der Wiedereinstieg erleichtert werden kann und die Arbeitgeber in den ersten sechs Monaten vom Mindestlohn abweichen können, wenn die Beschäftigten zuvor ein Jahr arbeitslos waren. Diese Regelung gilt natürlich auch für Flüchtlinge, wenn sie sich im Rechtskreis des SGB II befinden. Sprich, wenn sich Flüchtlinge in diesem Rechtskreis befinden, gelten die gleichen Rechte und Pflichten wie für Einheimische auch. Zum 1. Juni 2016 wird die Bundesregierung darüber berichten, inwieweit die Regelung zur Wiedereingliederung der Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt gegriffen hat, inwieweit sie die Bestrebungen, die dahinter stehen, gefördert hat. Wir werden dann eine Einschätzung darüber abgeben, ob sie fortbestehen soll und ob sie erfolgreich war. Dem kann ich jetzt hier nicht vorgreifen.

Frage: Herr Seibert, ich wollte nur noch einmal nachfragen, damit ich es nicht falsch verstehe: Es gibt also tatsächlich momentan keine Planungen in der Bundesregierung, Flüchtlinge vom Mindestlohn auszunehmen?

StS Seibert: Ich habe Ihnen das gesagt, was ich sagen kann. Es gibt diesen Vorschlag der Partei. Damit gibt es eine politische Diskussion, aber außerhalb der Bundesregierung. Ich bin hier als Regierungssprecher für Vorschläge der Bundesregierung und Projekte, Programme, Gesetzentwürfe der Bundesregierung zuständig.

Frage: Es ist also so zu verstehen: Die CDU-Vorsitzende Merkel ist für eine Ausnahme beim Mindestlohn für Flüchtlinge. Ob das die Kanzlerin ist, wissen Sie noch nicht.

StS Seibert: Ich kenne meine Rolle hier als Regierungssprecher, die habe ich jetzt hoffentlich klar erklärt. Darüber hinaus wäre dazu nichts zu sagen.

Zusatzfrage: Hält es denn die Kanzlerin für integrationsförderlich, Menschen aufgrund ihres Schicksals mit weniger als dem Mindestlohn arbeiten gehen zu lassen?

StS Seibert: Ich werde zu diesem Thema nichts weiter sagen.

Frage: Frau Daldrup, die Flüchtlinge gehen in der Regel lange Zeit keiner Erwerbstätigkeit nach, bis sie eben anerkannt werden. Können Sie einfach noch einmal die Rechtslage erklären? Am Anfang werden sie nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erfasst. Diese Zeit zählt, wenn ich Sie richtig verstanden habe, noch nicht zu einer Arbeitslosigkeit.

Daldrup: Mit der Bitte um Verständnis: Ich glaube, ich müsste ein bisschen weiter ausholen, um "einfach einmal die Rechtslage zu erklären". Es ist in der Tat so: So lange sich die Flüchtlinge im Rechtskreis des Asylbewerberleistungsgesetzes befinden - das heißt vor Anerkennung -, befinden sie sich nicht im Rechtskreis des SGB II. Erst wenn sie sich im Rechtskreis des SGB II befinden, gilt diese Regelung, dass einjährige Arbeitslosigkeit als Langzeitarbeitslosigkeit gilt und dann der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt entsprechend durch Erleichterungen beim Mindestlohn ermöglicht werden soll.

Die Beschäftigung im Rechtskreis Asylbewerberleistungsgesetz ist sehr differenziert. Da haben wir bereits in den letzten Monaten sehr viele Erleichterungen geschaffen. Wenn Sie eine Aufstellung wünschen, kann ich Ihnen diese gern zukommen lassen. Diese kann ich aber mit der Bitte um Verständnis hier nicht einfach auswendig aus dem Kopf aufsagen. Es ist so, dass sie nach drei Monaten eine Arbeit aufnehmen können, und dafür haben wir Erleichterungen geschaffen. Die Vorrangprüfung haben wir erleichtert, und auch Leiharbeit ist nach 15 Monaten möglich etc. pp.

Frage: Herr Seibert, ist es derzeit die Ansicht der Bundeskanzlerin, dass der Mindestlohn für alle unabhängig vom Pass gilt? Entspricht das der geltenden Regierungspraxis und damit der Auffassung der Bundeskanzlerin?

StS Seibert: Als Bundeskanzlerin arbeitet die Bundeskanzlerin selbstverständlich auf der Basis des jetzt geltenden Rechts. Es gibt einen Vorschlag der Partei, den ich hier als Regierungssprecher, wie Sie, glaube ich, verstehen können, wie üblich nicht kommentiere.

Zusatzfrage: Danke noch einmal für die Klarstellung. Meine Frage zielt auf Folgendes ab: Was hat sich die Bundeskanzlerin als Regierungschefin dabei gedacht - wenn sie sich dabei etwas gedacht hat -, ein Gesetz mit auf den Weg zu bringen, das keine Ausnahmen beim Mindestlohn für Flüchtlinge vorsieht?

StS Seibert: Ich habe dem, was wir in den letzten zehn Minuten zu diesem Thema von hier gesagt haben, nichts mehr hinzuzufügen.

Zusatzfrage: Sie hat sich also nichts bei dem Auf-dem-Weg-Bringen eines Gesetzes gedacht?

StS Seibert: Sie werden nicht erwarten, dass ich das kommentiere.

Zuruf: Doch!

StS Seibert: Dann tue ich es nicht.

Frage: Eine Frage zur "Brexit"-Debatte und den Europäischen Rat Ende der Woche. Frankreich lehnt einen Vorschlag von Donald Tusk ab, nach dem letztendlich eine Sonderregulierung für Nicht-Euroländer für den Finanzmarkt vorgesehen ist. Wie steht die Bundesregierung dazu? Gibt es eine gemeinsame Linie von Frankreich und Deutschland?

StS Seibert: Ich werde hier jetzt keine Details der Gespräche zwischen den EU-Partnern und Großbritannien enthüllen. Ich werde nur noch einmal betonen, dass es keine deutsch-britischen oder französisch-britischen Gespräche sind, sondern dass es europäisch-britische Gespräche sind; denn das ist eine Angelegenheit, die nicht bilateral ist, sondern alle betrifft.

Ich denke, wo die Bundesregierung zu diesem Thema steht, kann man am allerbesten der Rede entnehmen, die die Bundeskanzlerin am Freitagabend in Hamburg in Anwesenheit von Premierminister Cameron bei der sogenannten Matthiae-Mahlzeit gehalten hat und die man bei uns auch im Internet findet.

Zusatzfrage: Soweit ich die Rede verstanden habe, hat die Bundeskanzlerin dort nur angemerkt, dass Großbritannien letztendlich Sonderregelungen wünscht; sie hat sich aber nicht klar dazu geäußert, ob man Sonderregelungen unterstützt?

StS Seibert: Sie hat in dieser Rede keine Einzelthemen angesprochen, sondern sie hat noch einmal die deutsche Überzeugung beziehungsweise die Überzeugung dieser Bundesregierung sehr klar gemacht, wie wichtig es ist, dass Großbritannien weiter ein starkes Mitglied in einer starken Europäischen Union ist. Sie hat die Gründe dafür genannt und sie hat gesagt: Wir werden versuchen - und wir hoffen, dass es uns gelingt -, die Anliegen Großbritanniens "in eine europäische Form zu gießen, dann, denke ich, kann das Europa als Ganzem zugutekommen."

Frage: Herr Seibert, britisches Anliegen in europäischer Form: Das heißt, wenn es da neue Regelungen gibt, dann gelten die auch für alle anderen EU-Staaten, richtig?

StS Seibert: Die Rede der Bundeskanzlerin ist nachlesbar, und ich habe gerade einen wichtigen Satz daraus zitiert.

Zusatzfrage: Das war eine Verständnisfrage: Wenn es neue Regelungen basierend auf britischen Wünschen gibt, dann gibt es diese Regelungen für alle, nicht nur für Großbritannien?

StS Seibert: Ich habe es gerade so zitiert, wie die Bundeskanzlerin es gesagt hat. Nun warten Sie doch noch ein paar Tage ab, denn am Donnerstag wird die Sache da erörtert werden, wo sie hingehört, nämlich im Europäischen Rat.

Frage: An das Bundesinnenministerium und möglicherweise auch an das Bundesfinanzministerium: Der Bayerische Rundfunk berichtete heute, es gebe ein Terrorfinanzierungsmodell von Islamisten, bei dem man wohl über Geldwäsche und Mittel der organisierten Kriminalität den Staat um Steuern betrüge. Genauer ausgeführt wurde das nicht; Herr Söder hat sich dazu eingelassen und von einer Taskforce berichtet. Können Sie bitte einmal darstellen, welches Modell das ist, worauf das basiert, ob das Parallelen in sonstiger organisierter Kriminalität findet und, vor allem, wie dramatisch das Problem tatsächlich ist?

Plate: Danke für die Frage. - Die Berichte darüber habe ich auch wahrgenommen, auch schon über das Wochenende verteilt. Richtig ist aber, dass das kein Sachverhalt ist, mit dem die Sicherheitsbehörden des Bundes, soweit sie dem BMI unterstehen, befasst sind. Wir haben dazu keine Erkenntnisse.

von Tiesenhausen-Cave: Für das BMF kann ich sagen: Zu diesem laufenden Verfahren liegen uns auch keine Informationen vor, ich kann daher auch keine Auskunft geben. Ganz grundsätzlich sind ja Erhebung und Kontrolle der Umsatzsteuer Ländersache, und wenn es in diesem Fall um ein Strafverfahren geht, dann ist das auch Sache der Staatsanwaltschaft. Karussellgeschäfte sind ja kein neues Phänomen. Ich kann Ihnen aber jetzt im Speziellen auch nicht erläutern, worum es in diesem Fall gegangen sein mag.

Zusatzfrage: Einen Kontakt zu Bayern, das jetzt offenbar mit diesem Thema befasst ist, haben Sie also nicht?

von Tiesenhausen-Cave: Ich habe gesagt: Es liegen keine Informationen dazu vor.

Frage: Wie viele Fälle von Terrorismusfinanzierung gab es letztes Jahr in Deutschland?

Vorsitzender Leifert: Kann man das beantworten? Gibt es darüber Statistiken?

Plate: Das BMI kann das jedenfalls nicht beantworten, denn wenn überhaupt, dann liegen bei uns immer nur polizeistatistische Daten vor. Das ist ja gerade vor einer entsprechenden Verurteilung, deswegen können wir das nicht sagen. Soweit Sie die polizeilichen Daten zu den entsprechenden einschlägigen Straftatbeständen interessieren, muss ich auf die Polizeiliche Kriminalstatistik verweisen.

Frage: Herr Schäfer, ich möchte Sie auch noch einmal bemühen, und zwar zur Ukraine - aber ausdrücklich nicht zum Osten des Landes, sondern zu dem Chaos in Kiew, zu der Regierungskrise. Betrachten Sie diese Krise als eine Gefährdung der Annäherung der Ukraine an die EU? Unternimmt das Auswärtige Amt irgendetwas, um diese Krise zu überwinden - oder um zu helfen, sie zu überwinden?

Schäfer: Zunächst einmal, glaube ich, muss man sagen, dass die bilaterale Unterstützung für die Ukraine auf ihrem Weg nach Europa und auf ihrem Weg nach Westen wirklich beispiellos ist. Wie da aus allen Ressorts Hilfe geleistet wird bei dem Aufbau einer effizienten Ministerialbürokratie, bei dem Aufbau eines vernünftigen Steuerwesens, bei dem Aufbau von nachhaltigen Energiestrukturen - und das sind nur wenige Beispiele für das, was die Bundesregierung bilateral, über all die internationalen Anstrengungen von IWF etc. hinaus, anpackt -, das hat es, glaube ich, in dieser Form - jedenfalls soweit mir erinnerlich ist - in den letzten Jahren überhaupt nicht gegeben. Diese Unterstützung ist Ausweis unseres großen Interesses, der Ukraine dabei zu helfen, den gesamten Ballast der Vergangenheit abzuwerfen und so, wie sich das Land und die neue politische Führung des Landes das vorgenommen haben, das Land an Haupt und Gliedern zu reformieren und auf diese Art und Weise - wenn das denn der Wunsch der Menschen in der Ukraine und der gewählten demokratischen politischen Führung ist - auch näher an europäische Strukturen heranzuführen.

Das, was wir da jetzt in den letzten Wochen erleben - mit dem Rücktritt von einigen Ministern, zuletzt insbesondere des Wirtschaftsministers -, wird, glaube ich, in der ukrainischen Öffentlichkeit zurecht als eine Art Weckruf wahrgenommen, nicht den Kurs und den Weg in Richtung Kurs aus den Augen zu verlieren. Das ist alles angesichts der Krise im Osten der Ukraine und auch angesichts der finanziellen Probleme, die der ukrainische Staat hat, furchtbar schwierig. Es gibt aber, glaube ich, aus unserer Sicht keine Alternative dazu, den Reformkurs fortzusetzen.

Insofern ist das jetzt eine wichtige Woche für die Ukraine - auch für die Regierung und für den Staatspräsidenten. Unser Wunsch geht eindeutig dahin, dass es in dieser Woche und darüber hinaus ein ganz klares Bekenntnis der ukrainischen Führung, des ukrainischen Parlamentes, der ukrainischen Regierung und des Präsidenten gibt, den einmal eingeschlagenen Reformweg konsequent fortzusetzen und sich dabei auch von Schwierigkeiten, Hindernissen und Hürden nicht abhalten zu lassen.

Zusatzfrage: Was halten Sie angesichts der Berichte über die in der Ukraine grassierende Korruption von dem Vorschlag, für die Ukraine ein Hilfsprogramm mit ganz strengen Auflagen - also die griechische Variante - aufzulegen?

Schäfer: Es gibt ja bereits diverse Hilfsprogramme für die Ukraine - das bilaterale Hilfspaket der Bundesregierung habe ich gerade zu beschreiben versucht. Die Vereinbarungen mit dem IWF stehen, und diese Vereinbarungen sehen ja gerade vor, dass es bei den Reformanstrengungen der Ukraine ganz konkrete Bedingungen und Voraussetzungen gibt - die im Übrigen auch das Thema Kampf gegen die Korruption angehen. Ich habe mir ganz bewusst den in der ukrainischen Öffentlichkeit benutzten Begriff des Weckrufs zu eigen gemacht, weil ja der Anlass zumindest für den Rücktritt des Wirtschaftsministers der gewesen ist, dass er gesagt hat, er empfinde, dass es viel zu viel Widerstand gegen seine Bemühungen im Kampf gegen Korruption gebe, und er wünsche sich, dass es da sehr viel Engagement der politischen Führung des Landes gebe. Da sind wir jetzt, wenn Sie so wollen, in einer Woche der Wahrheit, in der es für die Regierung, für das Parlament und für die politische Führung der Ukraine darum geht, die notwendigen Schritte zu gehen, die aus unserer Sicht ebenso wie aus Sicht der internationalen Finanzorganisationen und unserer Partner absolut nötig sind.

Frage: An das Verkehrsministerium: Die Lkw-Maut soll ab 2018 auf alle Bundesstaaten ausgeweitet werden, und im Moment geht es um die Vergabe des Verfahrens. Das "Handelsblatt" berichtet nun, der österreichische Mautanbieter Kapsch hätte einen Antrag auf Nachprüfung gestellt, und zwar vermutlich unterstellend, dass der Bund den bisherigen Mautbetreiber Toll Collect schon weiter beauftragen wolle. Ist Ihnen dazu etwas Konkretes bekannt, trifft es zu, dass Toll Collect bereits mit der Aufrüstung des Systems beauftragt worden ist, und wie stehen Sie grundsätzlich zum Antrag des Konkurrenten Kapsch?

Strater: Dazu kann ich Folgendes sagen: Die Maus-Ausweitung auf alle Bundesstraßen ist ein wichtiges Element des Investitionshochlaufs des Ministers. Wir planen neben den Schritten, die schon gegangen worden sind - die Vertiefung auf 7,5 Tonnen und die Ausweitung auf weitere 1000 Kilometer Bundesstraßen ab 2018 -, die Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen auszudehnen. Dazu, dass dies auch planmäßig geschehen kann, werden jetzt alle Voraussetzungen geschaffen. Dazu haben wir ein Konzept erarbeitet beziehungsweise erarbeiten wir ein Konzept. Toll Collect ist aufgefordert, für die technische Aufrüstung ein Angebot vorzulegen. Sie müssen hier unterscheiden zwischen der technischen Aufrüstung des Systems und dann nachher dem Betrieb des Systems, wobei der Betrieb ab 2018 nur durch eine europaweite Ausschreibung möglich sein wird. Aber noch einmal zurück: Wir spekulieren jetzt nicht über Verzögerungen oder Ähnliches, wie das "Handelsblatt" heute berichtet, sondern wir gehen davon aus, dass alles planmäßig realisiert werden kann.

Zusatzfrage: Ist schon irgendeine Vorentscheidung gefallen, die dem Konflikt, der sich da abzeichnet, möglicherweise zugrunde liegt?

Strater: Welchen Konflikt meinen Sie?

Zusatz: Zwischen Kapsch und Toll Collect möglicherweise.

Strater: Die Firma, die Sie ansprechen, hat ein Nachprüfungsverfahren bei der Vergabekammer des Bundes eingeleitet, aber wir haben die Vergabe an Toll Collect für die technische Aufrüstung unter vergaberechtlichen Gesichtspunkten geprüft und gehen davon aus, dass das alles rechtmäßig ist.

Frage: Ich hätte noch eine Frage zu einem lebenspraktischen Thema an das Umweltministerium: Wie schaut es denn mit dem Verbot von Plastiktüten aus? Am Freitag hatte der Handelsverband verkündet, man habe eine freiwillige Einigung erreicht. Nun gibt es ein Interview mit der Ministerin, die sagt, sie behalte sich ein Verbot vor. Gibt es jetzt eine Einigung mit dem Handel, oder wird nur ein Verbot kommen?

Haufe: Es geht nicht um ein Verbot von Plastiktüten, sondern es geht um eine deutliche Reduzierung. Die EU hat in ihrer Regulierung vorgeschlagen, bis 2025 den jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch auf 40 Kunststofftragetaschen zu reduzieren, und darum geht es in der Diskussion. Die Ministerin hat immer klar gemacht, dass sie eine Selbstverpflichtung des Handels bevorzugt. Dafür brauchen wir aber eine breite Unterstützung im Handel selbst; das heißt, wir brauchen viele Einzelhandelsverbände, viele Branchen im Handel, die sagen: Ja, wir wollen Kunststofftragetaschen generell reduzieren. Der Handelsverband hat letzte Woche eine Meldung herausgegeben, die uns - so hat es auch die Ministerin gesagt - durchaus irritiert hat. Insofern sehen wir noch nicht, dass es ausreichend Unterstützung gibt. Wir als Ministerium werben für so eine Selbstverpflichtung, aber die Ministerin sagt: Ich mache keine Selbstverpflichtung um jeden Preis - ich mache nur eine, die wirksam ist und die wirklich zur Reduzierung beiträgt. Das haben wir im Moment noch nicht.

Zusatzfrage: Was passiert, wenn diese Selbstverpflichtung des Handels nicht zustande kommt?

Haufe: Auch das hat die Ministerin mehrfach gesagt: Dann wird sie eine Regelung per Ordnungsrecht, das heißt, per Verordnung oder per Gesetz vornehmen, um die Reduzierung der Plastiktüten voranzubringen.

Montag, 15. Februar 2016

*

Quelle:
Regierungspressekonferenz vom 15. Februar
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2016/02/2016-02-15-regpk.html
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Dorotheenstr. 84, 10117 Berlin
Telefon: 030 18 272-0, Fax: 030 18 10 272-25 55
E-Mail: internetpost@bpa.bund.de
Internet: www.bundesregierung.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Februar 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang