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PRESSEKONFERENZ/1166: Bundeskanzlerin Merkel zum Teil 1 des Europäischen Rates, 19.02.2016 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz in Brüssel - Freitag, 19. Februar 2016
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel zum Teil 1 des Europäischen Rates


StS Seibert: Guten Morgen, Teil 1 dieses Europäischen Rates: Die Bundeskanzlerin wird Ihnen berichten.

BK'in Merkel: Ja - ich muss nur mal kurz meine Papiere ordnen -, meine Damen und Herren, wir haben den ersten Teil des Rates abgeschlossen. Wir hatten, wie Sie wissen, ja heute zuerst eine Aussprache zum Thema Großbritannien, das wird morgen Vormittag dann fortgesetzt - und alle haben diese Aussprache in dem Geist geführt, dass der Wunsch besteht, Großbritannien als Mitglied der Europäischen Union zu erhalten. Es sind alle Körbe der Wünsche und der Forderungen Großbritanniens durchgegangen worden, und es ist sichtbar geworden, dass die Einigung sicherlich vielen nicht ganz leicht fällt, aber dass doch der Wille da ist.

Es geht hier natürlich ganz wesentlich auch um die Frage des Sozialmissbrauchs, die von Großbritannien auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Hier geht es einmal um die Indexierung des Kindesgeldes, zum anderen um die Frage der Ausnahmen auch für soziale Leistungen. Hier, glaube ich, kann man eine Einigung finden. Wie sie genau aussieht, werden wir morgen sehen. Aber Deutschland unterstützt insbesondere auch die Frage der Indexierung des Kindergeldes ganz besonders.

Wir haben dann darüber gesprochen, wie sich die Frage auch der Bankenunion und der Finanzmarktunion auswirkt. Hier wird noch an Formulierungen gearbeitet, denn wir wollen natürlich ein level playing field haben innerhalb des Binnenmarktes - auch der Finanzmärkte. Gleichzeitig hat Großbritannien legitime Interessen, auch wenn es um Aufsichtsfragen geht, hier eine eigene Gestaltungsmöglichkeit zu haben. An diesen Fragen wird jetzt in den nächsten Stunden noch gearbeitet.

Es hat sich natürlich auch herausgestellt, dass an der Frage einer immer engeren Union auch sehr unterschiedliche Auffassungen durchaus existieren. Die Auffassungen über die Vorstellung zur europäischen Integration gehen weit auseinander - das ist heute in der Diskussion deutlich geworden -, aber wir sind bereit, hier einen Kompromiss einzugehen, auch wenn es schwerfällt, weil die Vorteile einer Mitgliedschaft Großbritanniens um ein so Vieles höher sind, als die Nachteile eines Ausscheidens wären, so dass wir uns hier auch kompromissbereit gezeigt haben.

Nachdem wir diese Diskussion um den Tisch herum - alle Mitgliedsstaaten haben sich dazu geäußert, auch Deutschland natürlich mit der von mir jetzt intendierten Aussage, dass wir kompromissbereit sind im Blick auf eine Mitgliedschaft Großbritanniens, natürlich müssen die britischen Wählerinnen und Wähler dann zum Schluss selbst entscheiden, aber die Voraussetzungen wollen wir helfen mitzugestalten - [geführt haben,] haben wir dann heute Abend eine sehr lange und intensive Diskussion im Zusammenhang mit der Migration geführt.

Ich will vorwegschicken, dass wir natürlich der Türkei unser Mitgefühl ausgesprochen haben - ganz zu Beginn des Rates heute - und die Terroranschläge auch auf das Schärfste verurteilt haben. Wir denken an die Familien und die Freunde der Opfer. Terroristische Anschläge, gleich von wem sie verübt werden, können niemals hingenommen werden. Das war unsere gemeinsame Meinung.

Ich bin sehr zufrieden mit der Diskussion, die wir heute Abend geführt haben, weil sie sehr deutlich gemacht hat, was uns eint. Und das ist doch unter den 28 Mitgliedsstaaten eine ganze Menge. Es war heute deutlich zu spüren, trotz aller unterschiedlichen Meinungen auch, dass wir die Entscheidungen zu achtundzwanzigst treffen wollen, dass alle unterstützen, dass wir unsere Außengrenze schützen müssen und wollen, dass wir die Zahl der Flüchtlinge spürbar reduzieren wollen, und wir wollen illegale Migration bekämpfen.

Die wesentliche Aussage für mich heute ist, dass wir den EU-Türkei- Aktionsplan nicht nur bekräftigt haben, sondern dass wir gesagt haben: "Er ist unsere Priorität bei der Umsetzung dieser Ziele." Und deshalb werden wir diesem EU-Türkei-Aktionsplan jetzt auch eine besondere Aufmerksamkeit widmen. Wir können sagen, dass wir hier jetzt auch natürlich schauen werden, dass wir relativ schnell Ergebnisse sehen. Und deshalb werden wir Anfang März - der Termin muss mit der türkischen Seite natürlich noch abgesprochen werden, weil die türkische Seite heute nicht teilnehmen konnte - zu einem Sonderrat zusammenkommen mit der Türkei - aber dann auch unter uns bewerten: Wo stehen wir und was haben wir erreicht?

Wir werden eine wesentliche Veränderung der Möglichkeiten des Außengrenzenschutzes dadurch haben, dass wir einen Nato-Einsatz beschlossen haben und den heute hier auch von allen gebilligt und unterstützt [bekommen] haben. Mithilfe der Nato soll die Überwachung der Ägäis verbessert werden und die Koordination dann auch mit der türkischen Küstenwache und Frontex. Auch das ist von allen bestätigt worden. Und dieser Einsatz - so die Vorstellung der Nato - wird ja spätestens am 24. Februar beginnen, sodass wir Anfang März dann auch die ersten Eindrücke haben, was genau erreicht werden kann und wie der Schutz der Außen-grenze funktioniert. Und ich glaube, dass das eine wichtige Bilanz dann ist.

Wir alle wissen, dass der Frühling jetzt kommt und dass aufgrund des Frühlings auch die Gefahr besteht, dass die Zahl der Flüchtlinge, die zu uns kommen, wieder steigt. Und da wir das erklärte, gemeinsame Ziel haben, illegale Migration zu bekämpfen und dadurch dann auch Schmugglern und Schleppern das Handwerk zu legen - auch Menschenleben zu retten -, müssen wir jetzt schnell sehen, ob die von uns eingeleiteten und beschlossenen Maßnahmen auch wirklich ihre Wirkung zeigen.

Ich habe gesagt, dass ich nach diesem Rat - und wir haben ja die Beschlüsse zur Migration gefasst - dann auch eine Zwischenbilanz ziehen möchte, und das reflektiert sich auch in unserer Schlussfolgerung, die wir heute hier verabschiedet haben. Ich glaube, wenn wir mal als Referenzpunkt den Tag nehmen, an dem wir die EU-Türkei-Agenda beschlossen haben, nämlich den 29. November des Jahres 2015, und mal überlegen, was seitdem passiert ist, dann können wir sagen: Wir sind vorangekommen bei der Bekämpfung der Fluchtursachen.

Wir hatten die Londoner Konferenz, die erhebliche finanzielle Beiträge erbracht hat, sodass wir mit gutem Gewissen sagen können, dass das Welternährungsprogramm jetzt für dieses Jahr für die Länder um Syrien herum und Syrien gut ausgestattet ist, dass die Kinder in den Ländern Libanon und Jordanien beschult werden können und dass auch für viele Flüchtlinge bessere Arbeitsmöglichkeiten da sind. Wir haben uns heute nochmal daran erinnert, dass wir den EU-Afrika-Gipfel hatten in Valletta und dass die dort beschlossenen Punkte jetzt auch nachverfolgt und schrittweise umgesetzt werden. Also auch mit unserem Nachbarkontinent Afrika werden die Bedingungen so verbessert, dass wir die Fluchtursachen bekämpfen können.

Wir haben die 3 Milliarden Euro für Flüchtlingsprojekte in der Türkei bereitgestellt, um die Lebensbedingungen der 2,5 Millionen Flüchtlinge dort zu verbessern und heute nochmal bestätigt, dass hier schnell Projekte umgesetzt werden müssen. Und wir haben von Seiten Deutschlands - das will ich hier noch hinzufügen - einen ungebundenen Finanzkredit für den Irak gegeben, der sicherstellt, dass Menschen auch zurückkehren können in ihre Heimatstädte, die vom IS befreit wurden. Und die Türkei hat inzwischen in Umsetzung der EU-Türkei-Agenda - all das gab es ja bis zum 29. November nicht - Arbeitserlaubnisse für syrische Flüchtlinge erteilt und an vielen Stellen auch die Visapflicht für Einreisende erforderlich gemacht, sodass auch hier Quellen illegaler Migration eingedämmt wurden. All das ist also seit dem 29.11. vorangegangen.

Zweitens - und damit sind wir dann bei dem EU-Türkei-Aktionsplan - haben wir diese Nato-Operation verabredet, über die ich eben schon sprach. Wir werden eine bessere Kooperation mit Frontex haben über die Nato - und dann auch mit der türkischen Küstenwache. Wir wollen das Rückführungsabkommen zwischen Grie-chenland und der Türkei intensivieren und auch praktikabler machen, was bis jetzt sehr schwerfällig ist. Und wir haben uns heute in den Schlussfolgerungen noch einmal dazu bekannt, dass, wenn die illegale Migration substantiell reduziert werden kann, dass dann ein legales Umsiedlungsprogramm von der Türkei in die EU auch in Betracht gezogen werden kann, auf freiwilliger Basis. Auch das haben alle mitge-tragen.

Wir haben die Zahl der Personen, die bei Frontex arbeiten, erheblich aufgestockt und haben dann auch sehr intensiv heute über die Fortschritte bei dem Ausbau der Hotspots gesprochen. Hier hat sich in Griechenland - insbesondere dadurch, dass das Militär jetzt eingesetzt wurde zum Bau solcher Hotspots - vieles verbessert. Lesbos, Chios, Leros, Samos - Samos ist Ende Februar fertig -, aber die anderen sind jetzt schon fertig - Kos wird bis Mitte März fertig sein - und jeweils mit erheblichen Kapazitäten ausgestattet, auch mit den notwendigen EURODAC-Maschinen. Und wir beginnen auch in Griechenland - aber das ist verspätet, das muss man sagen - die sogenannten Siedlungen für Relocation-Programme voranzubringen.

Wir stellen fest, dass jetzt im Winter die Zahlen geringer waren. Inwieweit das aufs Wetter zurückzuführen ist, wie weit auf die schon eingeleiteten Maßnahmen, sei dahingestellt. Aber die Zahl der auf den griechischen Inseln ankommenden Flüchtlinge lag im Dezember deutlich über 3.000 Menschen pro Tag, im Januar bei etwa 2.000 und die bisherigen Februarzahlen sind bei 1.300 im Durchschnitt. Es sind Wettereinflüsse, aber es sind durchaus auch im Augenblick nicht steigende Zahlen. Nun weiß ich, dass das oft mit dem vergangenen Jahr verglichen wird, das ist aber, glaube ich, nicht redlich, weil sich diese Route von Griechenland nach Europa erst schrittweise herausgebildet hat und wir auf dem Höhepunkt - das war der Oktober 2015 - immerhin 211.000 Flüchtlinge hatten, die in Deutschland angekommen sind.

Wir stehen also jetzt vor der Frage: Wie fällt die Bewertung aus all dessen, was geschafft wurde? Und da würde ich sagen, dass vieles seit dem 29.11. in Gang gekommen ist. Und die Frage stellt sich: Gehen wir diesen Weg weiter? Und die muss ich für mich ganz eindeutig mit Ja beantworten. Wir gehen ihn weiter und setzen als Priorität auf den EU-Türkei-Aktionsplan zum Schutz der Außengrenze. Und das wurde auch in unseren Schlussfolgerungen -, darüber haben wir heute lange gesprochen und [das auch] immer wieder betont: Außengrenzenschutz ist die Voraussetzung dafür, dass wir dann auch die Freizügigkeit der Bewegung innerhalb der Europäischen Union haben können.

Aber wir brauchen schnelle Bewertungen, ob dieser Weg, den wir eingeschlagen haben, der richtige ist. Und die Unsicherheit auf der westlichen Balkanroute ist groß, wie die Dinge sich weiterentwickeln. Das haben die Beteiligten heute von Griechenland über Kroatien bis Slowenien auch immer wieder deutlich gemacht, insbesondere auch durch die österreichischen Beschlüsse, die jetzt gefasst wurden.

Und deshalb habe ich mich auch sehr dafür eingesetzt, dass wir uns Anfang März anschauen: Wo stehen wir und welche Maßnahmen müssen gegebenenfalls dann auch ergriffen werden? Aber erst einmal steht dann im Mittelpunkt die Bewertung der Zusammenarbeit mit der Türkei. Und - ich wiederhole mich, aber sage es noch einmal -, weil der türkische Ministerpräsident nun aus wirklich verständlichen Gründen gestern - weil's ja heute schon heute ist - nicht teilnehmen konnte, glaube ich, ist es auch sehr gut, dass wir uns da in absehbarer Zeit, also in etwa 14 Tagen wiedersehen.

Das ist das, was ich Ihnen als Ergebnis des heutigen Tages mitteilen kann. Wie gesagt, die Schlussfolgerungen sind dann auch einvernehmlich verabschiedet worden. Wir haben heute das gemeinsame Bestreben gehabt, dort wo Verzögerungen eintreten und eingetreten sind - und das gibt es -, ist klar geworden, dass die Dringlichkeit, schneller zu werden, absolut gegeben ist. Und das haben viele Beiträge auch meiner Kollegen deutlich gemacht - des bulgarischen Ministerpräsidenten, der Balkanroutenvertreter, Griechenlands und vieler anderer.

Herzlichen Dank.

StS Seibert: Dann ist noch Zeit für ein paar Fragen:

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben kurz diese österreichischen Entscheidungen genannt. Wir wollten wissen, wie es denn jetzt weitergeht. Geht der Herr Faymann weiterhin mit der geplanten Obergrenze von täglich 80 plus 3.200 und so weiter? Oder gibt es jetzt eine Verspätung bis März über diese Entscheidung?

BK'in Merkel: Nein, nein, es gibt keine Verschiebung, das hat er heute deutlich gemacht. Er will die 80. Wenn ich das richtig verstanden habe, will Österreich die 80 ab morgen einführen. Und das hat uns ja noch einmal die Dringlichkeit vor Augen geführt, dass wir insgesamt Lösungen brauchen und auch insgesamt schauen müssen, inwieweit der EU-Türkei-Aktionsplan dann auch seine Wirkungen zeigt.

Deutschland - ich bin ganz entschieden, dass wir weiter auf diesen EU- Türkei-Aktionsplan setzen. Wir haben da jetzt sehr viel Kraft reingesetzt und das ist auch von allen unterstützt worden. Insbesondere ist auch hervorgehoben worden, dass über die Mitwirkung der Nato bei der Überwachung und der Koordinierung auch der Aktivitäten doch eine qualitative Verbesserung auch eintreten könnte. Aber das müssen wir dann abwarten.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, es gab offenbar eine hitzige Diskussion zu diesem Punkt mit den Österreichern. Könnten Sie etwas zu dieser Diskussion sagen, also zu dem Ton, und ob Sie mit diesen Beschlüssen einverstanden sind und ob Sie Österreich nach wie vor als Partner in der Flüchtlingskrise betrachten?

BK'in Merkel: In Europa sind wir immer alle Partner. Dies ist eine Entscheidung Österreichs. Sie hat manch einen überrascht, insbesondere auch entlang der Westbalkanroute. Ich würde also ehrlich gesagt - von hitziger Debatte - ich habe das schon in den Agenturen gelesen. Wir haben uns ausgetauscht, aber wir haben gemeinsame Schlussfolgerungen.

Der österreichische Bundeskanzler hat noch mal deutlich gemacht, dass er diese Schlussfolgerungen voll mitträgt, auch die Aktivitäten mit der Türkei, hat seine Beweggründe dargelegt - das wird er Ihnen auch selber gut sagen -, aber es hat sich natürlich dadurch noch einmal die Dringlichkeit verschärft, jetzt auch zu wissen: Sind wir auf dem richtigen Weg und wie müssen wir gegebenenfalls sonst reagieren?

Frage: Frau Bundeskanzlerin, eine Frage zu Großbritannien: Ist über das Verfahren gesprochen worden, was passiert, wenn das Referendum schiefgehen sollte? Werden die Sachen, die vereinbart werden dann, trotzdem umgesetzt oder gilt das nur für den Fall, dass das Referendum erfolgreich ist?

BK'in Merkel: Also, da ist heute gesagt worden, dass das natürlich davon abhängt, dass das Referendum erfolgreich ist. Ich weiß auch nicht, was das dann für jemanden, der kein Mitglied ist, noch bedeutet, wenn er irgendwie seine Beziehungen zum Finanzbinnenmarkt reguliert, oder so. Also, wir sprechen über den Fall, dass das Referendum positiv ausgeht. So ist das allgemein verstanden worden.

Ich meine, es sind ja für viele Mitgliedsstaaten auch schmerzliche Kompromisse, die man eingehen muss. Und insofern ist das, glaube ich, auch verständlich, dass das für den Fall ist, dass das Referendum positiv ausgeht. Und nicht für alle denkbaren Fälle.

Frage: Ich habe auch nochmal eine Frage zu den Verhandlungen mit Großbritannien: Da hat ja offenbar Herr Cameron so ein bisschen sein Leid geklagt, dass das, was er da bislang vorlegen konnte in Großbritannien, nicht gut angekommen ist in seinem Land und hat ja gleichzeitig nochmal eine Nachforderung vorgelegt mit diesen, glaube ich, insgesamt 13 Jahren, die diese Ausnahme bei den Sozialleistungen gelten soll.

Wäre das für Sie ein akzeptabler Zeitraum? Der hört sich ja sehr lang an. Und sehen Sie da auch die Notwendigkeit, damit er ein besseres Echo in Großbritannien kriegt, dass man ihm da noch mehr entgegenkommt, als es in diesem Schriftstück schon der Fall ist?

BK'in Merkel: Ja, in diesem Schriftstück ist, wenn ich mich recht erinnere - kommen solche Variablen wie X, Y und Z vor. Das heißt, hier konnte man noch nicht erkennen, wie viele Jahre das jeweils sind.

Es geht einmal um die Frage: Wie lange ist diese Notbremse in Kraft? Sie soll ja sozusagen eine Anlehnung sein an die Übergangsfristen, die man bei der Einführung der Freizügigkeit für die mittel- und osteuropäischen Länder gehabt hat. Da wird um die Jahreszahl noch gerungen.

Und das Zweite ist dann: Wie sieht sozusagen die Ausnahme aus? Wie viele Jahre und auch in welcher Art (werden) sozusagen die Ausnahmen degressiv aufgebaut? Darüber wird jetzt gesprochen und dann - innerhalb der Dauer der Notbremse immer noch: Wie teilt sich das auf? Ist das jetzt 5 + 2 + 2? Und Sie haben jetzt sozusagen den Extremfall genommen: 7 + 1 + 1, plus 4 Jahre für die, die dann am letzten Tag der Dauer noch hinein kommen.

Da werden jetzt Kompromisse gesucht und ich glaube, man wird da auch etwas finden. Aber meiner Meinung nach sollte man hier auch sehr deutlich auf die britischen Vorstellungen hören. Also, ich werde da nicht um jeden Monat feilschen, muss ich ganz ehrlich sagen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Serbien, Mazedonien, Kroatien und Slowenien und Österreich haben ja über ihre Polizeidirektoren mitteilen lassen, dass sie jetzt in Zügen die Flüchtlinge nach Deutschland schicken werden. Wissen Sie davon und wie gehen Sie damit um?

Und die österreichische Seite hat ja gesagt, dass sich die "Koalition der Willigen" eigentlich erledigt hat. Wie sehen Sie das? Und zählen Sie Österreich da noch dazu?

BK'in Merkel: Ich glaube, wenn wir - also, das war heute spürbar - sehen, dass man die illegale Migration herunterbringen kann, dann wird man über die Frage "Wie kann man legal auch etwas tun?" sehr offen sprechen. Ich kann jetzt nicht genau sagen, wer sich da offen zeigen wird. Ich habe auch jetzt mit dem österreichischen Bundeskanzler nicht über das Ende der "Koalition der Willigen" gesprochen, sondern heute Abend war da große Übereinstimmung, wobei jeder gesagt hat - das ist ja immer sehr wichtig bei diesen ganzen Umsiedlungsprogrammen -, dass es freiwillig ist, weil viele Mitgliedsstaaten das dann eher realisieren können.

Für uns im Vordergrund steht jetzt erstmal nicht das. Das ist der zweite und dritte Schritt. Der erste Schritt ist: Schaffen wir es jetzt, mit den eingeleiteten Maßnahmen - Frontex, türkische Küstenwache, Nato - wirklich die illegale Migration runterzubringen? Kriegen wir auch schnell Projekte mit der Türkei hin? Und dann wird man sehr schnell weitersehen, wie wir da voranschreiten können.

Was die Frage des Transports anbelangt: Ehrlich gesagt, ist das jetzt aus meiner Sicht nicht das zentrale Thema. Das zentrale Thema ist, wir müssen - da stimme ich der Kommission auch zu, die auch diese Vorschläge gemacht (hat) - wieder die Schengen-Systeme einführen. Und in diese Richtung arbeiten wir. Das heißt, das ist ja klar, dass wir in Richtung der wieder vollen Geltung von Schengen arbeiten müssen. Und da sind die notwendigen Maßnahmen zu treffen. Und das bedeutet eben Hotspots - da sind wir vorangekommen aber noch nicht am Ziel -, das bedeutet Umsiedlungsmöglichkeiten von den Hotspots aus - das gilt für Italien, aber das gilt vor allen Dingen für Griechenland.

Und dann müssen alle eben auch die eingegangene Verantwortung erst einmal umsetzen. Und das hat uns heute beschäftigt. Und um dem - ich sage es noch einmal abschließend - um dem EU-Türkei-Aktionsplan eine Chance zu geben, schauen wir uns das jetzt mal eine Weile an: bis Anfang März. Wir müssen das Datum, wie gesagt - es ist nicht der 1., es geht mehr um den 5., 6., 7.; in der Größenordnung -, dann haben wir 14 Tage mindestens Erfahrung mit dieser Überwachung und dann kann man, glaube ich, mit der Türkei gemeinsam eine Bewertung vornehmen.

Frage: Einige von uns sind heute mit dem Eindruck rausgegangen, dass Sie der österreichischen Regierung sehr dringend nahegelegt haben, dass sie die Durchreise von Flüchtlingen und Migranten durch Österreich nach Deutschland beenden muss. Ist dem so?

BK'in Merkel: Nein, darüber habe ich überhaupt nicht gesprochen. Ich habe mich nach den Beschlüssen erkundigt, weil wir das natürlich gehört hatten, aber wir haben über weitere Fragen jetzt gar nicht geredet.

Wie gesagt, ich glaube, wir sollten alles daransetzen, diese EU-Türkei- Agenda mal zu testen. Das finde ich sehr, sehr wichtig und dafür brauchen wir jetzt einen bestimmten Zeitraum und den nehmen wir uns.

StS Seibert: Herzlichen Dank, gute Nacht.

Freitag, 19. Februar 2016

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Quelle:
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel zum Teil 1 des Europäischen Rates, 19.02.2016
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2016/02/2016-02-19-pk-bruessel.html;jsessionid=7487BB90214A69F34639E5EE221461F3.s1t2
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Februar 2016

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