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PRESSEKONFERENZ/1183: Bundeskanzlerin Merkel zum Teil 1 des Europäischen Rates, 18.03.2016 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz in Brüssel - Donnerstag, 18. März 2016
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel zum Teil 1 des Europäischen Rates in Brüssel

Sprecher: Bundeskanzlerin Angela Merkel


StS Seibert: Guten Abend meine Damen und Herren, die Bundeskanzlerin berichtet Ihnen jetzt über die Arbeitssitzung und das Arbeitsabendessen des Europäischen Rates.

BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, wir haben uns heute Nachmittag mit den Wirtschaftsfragen beschäftigt. Das wird dann natürlich im Juni noch mal besonders detailliert passieren, im Blick auf das Europäische Semester. Heute gab es dazu nur allgemeine Schlussfolgerungen: Arbeitsplätze, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit.

Wir haben hierüber einen guten Austausch gehabt, auch in Anwesenheit des Präsidenten der Europäischen Zentralbank, der auch gemeinsam mit Jean-Claude Juncker noch einmal darauf hingewiesen hat, dass vor allen Dingen eben auch Strukturreformen und auch die Stärkung von Investitionen wichtig sind. Wir haben den Juncker-Plan ausgewertet - also die ersten Ergebnisse aus diesem Plan - und das Ganze als wichtig und richtig betrachtet.

Eine besondere Rolle hat heute auch noch mal die besorgniserregende Situation der Stahlindustrie gespielt, denn die moderne Stahlindustrie ist ein tragender Pfeiler auch des Industriestandortes Europa, aber auch des Innovationsstandortes Europa. Es wird in den Schlussfolgerungen auch noch einmal Bezug genommen auf die Arbeiten der Landwirtschaftsminister angesichts der Krise in der Landwirtschaft, insbesondere bei den Milchpreisen.

Der Hauptpunkt war dann heute das Abendessen, bei dem wir die vorbereitenden Diskussionen für das Treffen morgen mit dem türkischen Ministerpräsidenten geführt haben. Hierzu kann ich Ihnen nur einen Zwischenbericht geben, weil wir heute quasi die Elemente, die wesentlichen Elemente besprochen haben, auf deren Grundlage dann morgen noch einmal die Gespräche des Ratspräsidenten, des Kommissionspräsidenten und der Präsidentschaft der Niederlande mit dem türkischen Premierminister geführt werden, um dann ein gemeinsames EU-Türkei-Kommuniqué zu erarbeiten.

Wir haben ja die Grundrichtung bereits vor zehn Tagen, am 7. März, vorgegeben und der Ratspräsident, Donald Tusk, war ja seitdem auch noch einmal in der Türkei, auch in Zypern, um vorbereitende Arbeiten durchzuführen, so dass wir darauf heute auch aufbauen konnten.

Natürlich bietet das Angebot der Türkei, die irreguläre Migration dadurch zu beenden, dass wir dann die Flüchtlinge wieder von den griechischen Inseln in die Türkei zurückschicken, eine gute Möglichkeit, Schmugglern und Schleppern das Handwerk zu legen. Aber natürlich muss dies auf einer eindeutigen rechtlichen Grundlage erfolgen - und das hat heute auch einen großen Teil der Beratungen ausgemacht.

Wir haben uns also noch einmal vergewissert, dass natürlich ein Prüfverfahren, ein individuelles Prüfverfahren mit jedem auf den Inseln ankommenden Migranten durchgeführt werden muss. Hier wird es natürlich auch logistisch sehr schwierig sein oder wichtig sein, die nötige Personalkapazität zur Verfügung zu stellen. Und deshalb werden die Mitgliedsstaaten verschiedene Angebote machen. Deutschland wird sich daran auch beteiligen. Die konkreten Zahlen werden wir morgen oder in wenigen Tagen dann auch zur Verfügung stellen. Hier wird die Koordinierung dieser gesamten Operation - mit Einverständnis Griechenlands natürlich, weil Griechenland ja sozusagen den Hut aufhat - unter dem Mantel, unter dem Schirm der europäischen Asylbehörde wird dann die koordinierte Arbeit all der Fachkräfte auch stattfinden.

Wir haben dann natürlich auch über die Frage der rechtlichen Grundlagen insgesamt gesprochen, auch auf der türkischen Seite. Hier muss man Folgendes wissen: Zur Umsetzung der Visa-Freiheit, die die Türkei ja sehr bald will und für die sie bereits eine Reihe von vorbereitenden Arbeiten getroffen hat, muss sie auch Zusagen und rechtliche Implikationen, rechtliche Einführungen für den internationalen Schutz von Flüchtlingen machen - das ist Teil der Visa-Roadmap -, so dass sich hier also auch sehr automatisch ergibt, dass der Wunsch nach Visa-Liberalisierung gleichzeitig auch bedeutet, dass Standards des internationalen Rechts in türkisches Recht entweder schon überführt wurden oder überführt werden müssen.

Wir haben uns dann noch ausführlich mit der Situation in Griechenland beschäftigt, dass wir Griechenland Unterstützung zuteilwerden lassen, nicht nur bezüglich der Rückführung von illegalen Migranten in die Türkei, sondern auch bezüglich der Situation, die Griechenland jetzt hat. Und hier geht es natürlich vor allen Dingen auch um finanzielle Mittel, die zur Verfügung gestellt werden, damit Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlinge in Griechenland zur Verfügung gestellt werden.

Wir haben darüber gesprochen, dass wir natürlich auch andere Flüchtlingsrouten im Auge behalten müssen. Hier ist natürlich von den Ländern, die an der Mittelmeerroute liegen, auch ganz besonders Italien, im Blick auf Libyen, deutlich gemacht worden, dass wir diese Wege natürlich auch im Auge haben müssen. Und noch einmal zurück zu Griechenland: Hier ist auch noch einmal deutlich geworden, dass wir es auch schnell schaffen müssen, dass die Nato-Mission nicht nur begonnen hat zu arbeiten, sondern dass sie auch umfänglich arbeitet. Insofern gibt es auch hier noch einiges zu tun.

Sie kennen die Dinge, die von Seiten der Türkei erwartet werden - darüber wird morgen natürlich noch einmal zu sprechen sein: Geld, die Frage der Visa-Liberalisierung und die Eröffnung neuer Kapitel. All das wird morgen verhandelt. Und wir haben hier, wie gesagt, die Eckpunkte heute beraten, aber es ist und bleibt heute nur ein Zwischenbericht.

Insgesamt war die Diskussionsatmosphäre sehr konstruktiv und es waren sich eigentlich alle, die ich gehört habe, - und das heißt alle - einig, dass wir alle Anstrengungen darauf lenken sollten, eine Abmachung mit der Türkei hinzubekommen. Es war ganz klar, dass wir bestimmte rechtliche Gegebenheiten einhalten wollen und uns auch alle dazu verpflichten. Es werden sicherlich morgen nicht ganz einfache Verhandlungen, aber von dem Angang, von der Gesamtatmosphäre her, hat der Ratspräsident von uns allen heute sozusagen den Wunsch mitbekommen, in harten und auch auf Interessenausgleich bedachten Verhandlungen doch ergebnisorientiert zu verhandeln.

Das ist das, was ich Ihnen heute Abend oder heute früh - wie immer Sie es wollen - sagen kann.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich wollte zur Visa-Freiheit fragen: Ist das Thema gewesen und haben einzelne Mitgliedsstaaten Vorbehalte gegen eine völlige Visa-Liberalisierung angemeldet? Und gibt es eigentlich einen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Visa-Freiheit für Ukrainer und für die Türkei?

BK'in Merkel: Von Seiten der polnischen Ministerpräsidentin ist darauf hingewiesen worden, dass es noch andere Visa-Liberalisierungen oder Visa-Freiheitsvorgänge gibt und unter anderem auf die Ukraine hingewiesen worden. Das Thema ist sonst nur dahingehend thematisiert worden, dass man gesagt hat, dass ja die verschiedenen Dinge auch sehr gut zusammenspielen müssen. Die Visa-Freiheit ist das eine, die Frage der Rückführung der Flüchtlinge ist das andere.

Aber da das Ganze zeitlich gestaffelt ist, werden wir ja einen Einblick bekommen: Wie erfolgt die Rückführung der Flüchtlinge? Klappt das? Welche Modalitäten muss man da anwenden? Geht das reibungslos? Und natürlich wird - das ist auch Teil dessen, was wir morgen wahrscheinlich beschließen werden -, dass man dann monatlich überprüft, ob auch alle Dinge so laufen, wie wir uns das gegenseitig vorstellen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich wollte Sie etwas zum Thema Geld fragen. Diese drei extra Milliarden für die Türkei: Gibt es jetzt ein Abkommen, ein Verständnis, dass bis 2018 noch diese extra drei Milliarden fließen sollten und wie genau wird das finanziert?

BK'in Merkel: Ich möchte heute auf diese ganzen Details noch nicht genau eingehen. Klar ist, es gibt eine grundsätzliche Bereitschaft, weiteres Geld zur Verfügung zu stellen. Zweitens: Alle diese Finanzmittel werden ausschließlich für Projekte für Flüchtlinge - syrische Flüchtlinge - in der Türkei verwendet. Wie das dann genau formuliert ist, werden wir morgen in dem EU-Türkei-Statement, wie es heißt, sehen.

Sie müssen sich das morgen so vorstellen, damit klar ist, was wir machen: Wir werden sozusagen Schlussfolgerungen der 28 haben. Da werden einige technische Details drinstehen, die jetzt für die Türkei nicht von besonderer Bedeutung sind. Und auf der anderen Seite werden wir das EU-Türkei-Statement haben, in dem dann das, was zwischen der Europäischen Union und der Türkei von Wichtigkeit ist, niedergelegt ist. Also, zwei Dokumente nochmal. Das eine als Teil der Schlussfolgerung, wo wir heute schon die Wirtschaftsschlussfolgerungen verabschiedet haben - und das andere dann das gemeinsame Statement mit dem türkischen Ministerpräsidenten, das ja hoffentlich dann zustande kommt.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, es müssen ja erst mal alle technischen und logistischen Voraussetzungen, zum Beispiel in Griechenland für die individuellen Verfahren auf den Inseln, geschaffen werden usw., bevor man an eine Rücknahme denken kann. Wenn das aber jetzt noch eine ganze Zeit dauert, fürchten Sie nicht bis dahin einen erheblichen Pull-Effekt?

Und die zweite Frage: Sind in dem Draft Agreement die Formulierungen verschärft worden, was die Visa-Liberalisierung angeht, dass also genau gesagt wird, dass alle 72 Bedingungen erfüllt werden müssen, was im ersten Entwurf ja wohl nicht drin war?

BK'in Merkel: Das kann ich Ihnen jetzt gar nicht genau sagen. Wie gesagt, wir haben jetzt kein Dokument genau verabschiedet. Es gibt das gemeinsame Verständnis, dass alle Verpflichtungen erfüllt werden müssen. Und da weiß ja jeder eigentlich, dass es sich um 72 handelte, von denen jetzt allerdings schon einige umgesetzt sind. Ich glaube, es waren jetzt irgendwas zwischen 50 und 60, die noch offen waren nach dem letzten Zwischenbericht.

(Zum Pull-Effekt:) Das Verständnis ist - obwohl wir uns da noch nicht festgelegt haben, wann genau -, dass es doch recht schnell erfolgen soll. Es ist heute Abend schon darüber gesprochen worden, dass jetzt sehr schnell auch Personal zur Verfügung gestellt wird, weil man natürlich weiß: Wenn es zu lange dauert, dass dann auch die entsprechenden Pull-Effekte da sind. Aber einen Tag haben wir heute Abend noch nicht festgelegt.

Frage: Wenn ich nicht unaufmerksam war, haben Sie noch nichts über das Resettlement gesagt. Sind alle Europäischen Länder bereit, sich an der legalen Aufnahme von Flüchtlingen zu beteiligen?

Und wenn ich noch darf: Haben Sie einen Zeitpunkt ins Auge gefasst, ab wann dieses neue Verfahren mit der Rücknahme der Flüchtlinge von den griechischen Inseln - der legalen Migration etc. - beginnen soll?

BK'in Merkel: Das haben wir auch noch nicht festgelegt. Aber das Verständnis der Türkei ist - und ich glaube, das meint die Türkei auch sehr ernst und das verstehe ich auch -, dass wenige Tage nach dem Beginn der Rückführung auch das Resettlement für die Syrer - also nach dem Prinzip 1:1 - beginnt. Das heißt also, auch dafür müssen die Vorbereitungen dann natürlich getroffen werden.

Und es sind, so wie das letzte Woche schon war, alle Staaten bereit, sich daran zu beteiligen. Letzte Woche gab es eine Fußnote, glaube ich, von Ungarn - ich weiß nicht genau, ob auch von der Slowakei, aber zumindest erinnere ich mich an Ungarn -, dass man dort dahingehend Vorbehalte hat, dass man das Ganze ja beim Europäischen Gerichtshof überprüfen lässt. Aber ansonsten nehmen daran alle Länder teil, ohne dass sie zusätzliche Verpflichtungen übernehmen wollen. Und das ist ja möglich durch die Zahl der Flüchtlinge, die schon für das Resettlement vorgesehen waren, also die 18.000 zum Beispiel. - War das ausreichend?

Frage: Nicht ganz.

BK'in Merkel: Ich habe ja eben gesagt: Wir haben uns auf den Tag noch nicht verständigt, weil jetzt auch noch Gespräche über die logistische Operation und ihre Vorbereitung stattfinden müssen. Aber das Verständnis ist, dass wir hier jetzt nicht in vielen Wochen rechnen, sondern dass es relativ schnell sein soll. Unabdingbar ist, dass mit dem Tag der Rückführung von den griechischen Inseln in die Türkei nur noch wenige Tage vergehen dürfen, bis der Resettlement-Mechanismus nach dem Prinzip 1:1 auch in Gang gesetzt werden wird.

Das hat mir der türkische Ministerpräsident - und das wird er genauso Donald Tusk gesagt haben - sehr eindeutig gesagt, weil es aus der Perspektive der Türkei natürlich wichtig ist, dass da nicht der Eindruck entsteht, die Türkei nimmt alle Syrer zurück, aus Syrien kommen auch noch syrische Flüchtlinge und Europa nimmt gar keinen mehr. Also, das muss in einem engen zeitlichen Zusammenhang zu sehen sein.

Okay, bis morgen oder bis heute besser gesagt - hoffentlich.

Freitag, 18. März 2016

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Quelle:
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel zum Teil 1 des Europäischen Rates in Brüssel, 18.03.2016
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2016/03/2016-03-18-pk-merkel-bruessel- er.html;jsessionid=3AF0A16E963C5DE9DCD696B119C72C43.s5t1
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2016

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