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PRESSEKONFERENZ/1237: Kanzlerin Merkel und der chinesische Ministerpräsident Li Keqiang, 13.06.2016


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz in Peking - 13. Juni 2016
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem chinesischen Ministerpräsidenten Li Keqiang

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)


MP LI: Ich hatte eben ein Gespräch mit Frau Merkel. Wir hatten gemeinsam den Vorsitz bei den 4. chinesisch-deutschen Regierungskonsultationen.

In den Gesprächen haben wir gehört, dass im Bundesstaat Florida, morgens am 12. Juni, viele Schüsse fielen, mit vielen Toten und Verletzten. Wir sind beide der Auffassung, dass wir gerade auf dieser Pressekonferenz unsere Haltung kundgeben müssen. China, die chinesische Seite, ist gegen Gewalt und Terrorismus jeglicher Art. Wir sprechen unsere tief empfundene Anteilnahme für die Opfer aus. Unser Trost gilt den Hinterbliebenen. Wir wünschen den Verletzten baldige Genesung.

Heute Vormittag waren wir beide bei den 4. Regierungskonsultationen dabei. Fast 30 Minister und Vizeminister nahmen daran teil. Vorher haben schon Fachgespräche stattgefunden. Man konnte sich in vielen Punkten einigen. Im Rahmen dieser Regierungskonsultationsmechanismen haben unsere Ministerinnen und Minister ihre Wünsche und Anliegen geäußert. Sie haben uns auch über Konsens, der erzielt werden konnte, berichtet. Das ist an sich auch ein Beleg dafür, dass diese Regierungskonsultationen zwischen China und Deutschland inzwischen der Supermotor für die Entwicklung unserer Beziehungen geworden sind.

Beide Seiten waren sich einig: Wir hatten in der vergangenen Runde einen Aktionsrahmen für die chinesisch-deutsche Zusammenarbeit erarbeitet. Den haben wir veröffentlicht. Das wird umfassend umgesetzt. Beide Seiten sollten die Kooperation im Aktionsrahmen nun weiter im Geiste von Innovation gemeinsam gestalten und auch vertiefen, indem wir die Chancen besser nutzen.

Dann sollten wir unser gegenseitiges politisches Vertrauen steigern. Wir haben unsere Bereitschaft kundgetan. Wir wollen gemeinsam zu Frieden und Stabilität in der Region beitragen. Dann können wir gemeinsam zu einer Erholung der Weltwirtschaft beitragen, zu der Entwicklung der ergebnisorientierten Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland. Wir sind beide der Meinung, dass wir die Zusammenarbeit in Wirtschaft, Investitionen und Finanzwesen weiter vertiefen müssen. Dann können wir auch neue Dynamik für unsere Zusammenarbeit entstehen lassen.

Anders formuliert: Wir wollen den traditionellen Motor umgestalten. Beide Seiten arbeiten an einem Handels- und Investitionsumfeld mit noch mehr Freiheit und Erleichterung. Wir bauen wechselseitige Investitionen und die grenzüberschreitenden Renminbi-Geschäfte aus. Wir wollen darüber hinaus auch unsere Zusammenarbeit in der intelligenten Fertigung ausbauen. Wir wollen auch die dreiseitige Zusammenarbeit gestalten. Beide Seiten unterstützen die Unternehmen auf beiden Seiten bei der strategischen Zusammenarbeit in Drittstaaten. In Afghanistan wollen wir im Hochschulbereich für das Personal im Bergbau zusammenarbeiten, und wir werden gemeinsam eine Katastrophenschutzbehörde aufbauen. Das ist auch ein Paradebeispiel für die dreiseitige Zusammenarbeit.

Wir werden beides miteinander verbinden, nämlich "Made in China 2025" und Industrie 4.0. Das wollen wir beschleunigen. Wir haben inzwischen schon Koordinierungsmechanismen. Im Rahmen dieser Mechanismen finden noch weitere Konsultationen statt. Wir werden auch gemeinsame Demonstrationsprojekte festlegen. Beide Seiten waren darüber hinaus auch der Meinung, dass wir im Bereich der Innovation und der Unternehmensgründung besser zusammenarbeiten wollen, insbesondere auch mit Plattformen für Innovation und Unternehmertum.

Das Niveau der gesellschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit ist weiter zu steigern. Wir müssen neue Wege effektiver Mechanismen für den Jugendaustausch sondieren. Wir müssen auch weiter an Visaerleichterungen arbeiten. Das gilt auch für den Sportbereich. Da wollen wir stärker zusammenarbeiten.

Darüber hinaus haben wir auch die Beziehungen zwischen China und Europa angesprochen. Unser Wunsch an die deutsche Seite ist, dass sie weiterhin eine konstruktive Rolle bei der Gestaltung unserer Beziehungen spielt.

China und Deutschland sind gern bereit, auf der Plattform G20 weiter zusammenzusitzen. Dieses Jahr ist China das Vorsitzland; nächstes Jahr hat Deutschland die G20-Präsidentschaft. Wir begrüßen Sie zum G20-Gipfel, der im Herbst in China stattfinden wird. Frau Merkel, dann werden Sie unser Land zum zehnten Mal besuchen.

Wir haben auch Themen wie die Pflicht aus Artikel 15 des Protokolls über Chinas WTO-Beitritt adressiert. Wir haben auch darüber kommuniziert. Chinas Standpunkt lautet: Die EU ist verpflichtet, ihr Versprechen einzuhalten, das wir schon vor 15 Jahren vereinbart haben. China und die EU haben das vereinbart. Das heißt: Sie müssen, wie vereinbart, zum vereinbarten Zeitpunkt ihre Pflichten erfüllen.

Wir haben auch andere Themen angesprochen. Im Bereich Wirtschaft und Handel sollten wir im Geiste von Konsultationen auf Augenhöhe die Herausforderungen angemessen angehen und die Handelsdispute beilegen. Wir erwarten von der deutschen Seite, bei der Pflichterfüllung durch die EU weiterhin eine positive Rolle zu übernehmen.

Zusammengefasst kann ich sagen: China und Deutschland werden sich wie bisher weiter ehrlich behandeln. Wir werden uns aufeinander zu bewegen und den Konsens erweitern. Dann müssen wir auch sorgfältiger und angemessener Streitigkeiten, die ja nur einen ganz winzigen Anteil haben, beilegen, damit unsere umfassende strategische Partnerschaft ständig neue Stufen erreichen wird. - Danke schön.

BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, Herr Ministerpräsident, ich möchte mich für die Gastfreundschaft bedanken, mit der die ganze Delegation und auch ich hier empfangen wurden.

Aus aktuellem Anlass möchte ich mein Erschrecken über die schrecklichen Nachrichten aus Orlando deutlich machen. Unser Herz ist schwer - ich denke, ich sage das auch im Namen aller, die aus Deutschland hier zu Gast sind -, dass der Hass und die Bösartigkeit eines einzelnen Menschen über 50 Menschen das Leben gekostet haben. Auch wenn solche mörderischen Anschläge uns in tiefe Trauer versetzen, sind wir doch fest entschlossen, unser offenes, tolerantes Leben fortzusetzen. Ich werde dem amerikanischen Präsidenten im Namen der Menschen in Deutschland unser Beileid und unsere Anteilnahme übersenden. Wir denken an die Angehörigen, an die vielen Verwundeten und auch an die vielen Hilfsbereiten in diesen Stunden, die durch Blutspenden und andere Hilfe an der Seite der Verletzten stehen.

Was die 4. deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen anbelangt, so haben wir intensive Gespräche in vielen Formaten und zum Schluss auch im Plenum geführt. Ich denke, es war richtig, 2014 einen Aktionsrahmen zu vereinbaren. Mit diesem Aktionsrahmen haben wir die Breite unserer Zusammenarbeit noch einmal sehr vergrößert. Unsere Innovationspartnerschaft umfasst ja nicht nur Kooperation in Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie, sondern auch in Bildung, im Rechtswesen, in den Sozialsystemen. Gerade durch die aufeinanderfolgende G20-Präsidentschaft sind die Beziehungen jetzt in vielen Bereichen noch sehr viel enger geworden.

Wir haben rund 70 Foren und Dialogformate, in denen die Probleme besprochen werden. Ein qualitativ neuer Ansatz ist, dass wir auch in einer Vielzahl von Drittlandprojekten aktiv sind - sowohl im wirtschaftlichen Bereich, aber auch zum Beispiel beim Aufbau von Katastrophenschutz und Bergbauausbildung in Afghanistan und bei der Entwicklung von Entwicklungshilfe in afrikanischen Staaten oder aber auch durch wirtschaftliche Aktivitäten in Drittmärkten. Deutschland und China gemeinsam - ich denke, das ist eine Dimension, die es so bisher nicht gab und die durchaus eine große Zukunft hat.

Bei den Wirtschaftsbeziehungen - heute wird es noch ein Treffen mit der Wirtschaft geben - geht es darum, dass wir sie ausbauen wollen, dass wir auf der Basis von Reziprozität oder - man kann auch sagen - von Win-win-Situationen arbeiten wollen. Dazu gehören Gleichbehandlung und das Thema Rechtssicherheit. Deshalb ist es auch sehr wichtig, dass ein Bestandteil unserer Dialogformate der Rechtsstaatsdialog ist - in diesem Zusammenhang auch der Menschenrechtsdialog. Wir haben dazu zum nächsten Mal nach Deutschland eingeladen. Menschenrechte und die damit verbundenen Probleme sind fester Bestandteil unserer Gespräche und Beziehungen.

Wir haben auch über das neue NGO-Gesetz gesprochen. Wir haben festgestellt, dass es sehr wichtig ist, dass Nichtregierungsorganisationen als Teil unserer engen Zusammenarbeit auch ihre Arbeit durchführen können, von den Handelskammern über die Fragen der Wissenschaftsorganisation, aber auch bis hin zu den politischen Stiftungen. Wir haben vereinbart, dass wir uns, wenn dieses Gesetz in Kraft tritt, sehr eng austauschen werden, wenn das notwendig sein sollte.

Wir haben über außenpolitischen Themen gesprochen, vor allen Dingen aber auch die Außenminister. Es gibt erfreuliche Beispiele, dass uns die Lösung großer Konflikte zumindest ein Stück weit gelungen ist. Ich denke an die Gespräche mit dem Iran, bei denen Deutschland und China gleichermaßen dabei waren. Ähnliche Fortschritte wünschen wir uns natürlich in Syrien und in Libyen. Wir haben auch darüber gesprochen, dass es gelingen muss, die maritime Sicherheit zu gewährleisten, insbesondere auch dann, wenn es um das Südchinesische Meer geht, dass es gelingen muss, die Konflikte friedlich zu lösen - wenn möglich, in den verschiedensten Formaten - auch multilateralen Formaten -, damit hier keine neuen Spannungen entstehen. Denn wir alle waren uns einig, dass die Welt schon genügend Konfliktpotenzial beinhaltet.

Wir haben über das Thema Artikel 15 oder Marktwirtschaftsstatus gesprochen. Für die deutsche Seite will ich erklären, dass wir uns sehr gut an die damaligen Zusagen erinnern und diese Zusagen jetzt nicht infrage stellen wollen. Deutschland ist Teil der Europäischen Union. Die Europäische Kommission führt diese Verhandlungen und Gespräche. Mit Blick auf das, was jetzt im Zusammenhang mit Artikel 15 zu entscheiden ist, brauchen wir weitere Fachgespräche auf der Fachebene, um Ergebnisse zu finden, die dann WTO-konforme Lösungen hervorbringen und die auch den wirtschaftlichen Problemlagen gerecht werden.

Ich bin der Überzeugung, dass das gelingen kann, und zwar so, dass wir uns auf der Linie dessen, was wir vor 15 Jahren zugesagt haben, bewegen werden. Wir werden in diesem Sinne noch einmal mit der Europäischen Kommission sprechen. Noch vor der Sommerpause wird es ein EU-China-Treffen geben, auf dem diese Gespräche fortgesetzt werden können. Dann müssen die entsprechenden Entscheidungen noch in diesem Jahr getroffen werden.

Alles in allem ist es also ein wichtiges Treffen. In der Tat werde ich in diesem Jahr zum G20-Treffen noch einmal nach China reisen. Aber hier sind es erst einmal die bilateralen Gespräche, von denen ich denke, dass sie sehr fruchtbringend und sehr konstruktiv verlaufen sind. Eine Vielzahl neuer Projekte steht jetzt auf der Tagesordnung. Wenn ich mir anschaue, was für Probleme in diesem Jahr noch zu lösen sind, kann ich feststellen, dass wir auch in diesem Jahr noch eine Menge zu tun haben.

Frage: Danke schön, dass ich hier eine Frage an Sie stellen darf. Ich habe eine Frage zum Marktwirtschaftsstatus: Ist China bereit, mit Deutschland und der EU an einem Kompromiss mit Schutzmechanismen in einzelnen Branchen zu arbeiten, oder müssen wir uns sogar Sorgen über einen möglichen Handelskrieg in nächster Zukunft machen?

Frau Bundeskanzlerin, meine Frage an Sie ist: Gestern haben Sie die Rechtsstaatlichkeit betont. Es gibt Ärger im Menschenrechtsdialog. Aus der deutschen Wirtschaft klingt sehr viel Unmut, auch Ärger, über weniger Marktzugang und eine Ungleichbehandlung deutscher Unternehmen, während chinesische Unternehmen in Deutschland offen auch Hochtechnologie kaufen können. Gleichzeitig tritt China außenpolitisch recht selbstbewusst auf. Im Südchinesischen Meer gibt es Spannungen. So gibt es doch einige Kritiker in Deutschland, die sagen: China bewegt sich in die falsche Richtung. - Teilen Sie diese Sorge?

MP LI: Als Erstes möchte ich Folgendes vorwegschicken: Als China der Welthandelsorganisation beitrat, haben wir mit der EU, aber auch mit den anderen betroffenen Seiten vereinbart, dass die Pflicht aus Artikel 15 bis Ende dieses Jahres entsprechend zu erfüllen ist. Das haben wir vereinbart.

Die andere Frage ist der Marktwirtschaftsstatus. Da sehe ich keinen direkten oder engen Bezug. Ob China eine Marktwirtschaft ist, entscheidet vor allem die lokale Situation vor Ort in China. Hinzu kommt: Wir arbeiten daran, eine marktorientierte Reform voranzutreiben. Gerade aufgrund der Reform und des Öffnungskurses ist China so erfolgreich. Unsere Leistungen sind weltweit anerkannt.

Die Pflicht zur Erfüllung gemäß Artikel 15 aus diesem Protokoll wirft einen anderen Begriff auf. China hat seine Pflichten schon erfüllt. Unsere Zusagen beim Beitritt zur Welthandelsorganisation haben wir eingehalten. Wir haben unsere Pflichten erfüllt. Jetzt sind andere an der Reihe, zu ihrem Ja-Wort, zu ihren damaligen Zusagen zu stehen. Wir wollen keinen Handelskrieg, weil er für niemanden von Vorteil ist, insbesondere nicht in einer Welt und in einem Moment, in dem die Konjunktur schwach ist. Wir haben in der Tat auch Probleme, Handelsdispute, mit der EU. Aber der Anteil dieser Streitigkeiten am EU-China-Handel ist so winzig klein. Man darf das nicht aufbauschen. Wir sollten die Weisheit haben, diese Streitigkeiten beizulegen. Die Pflichterfüllung ist nicht singulär. Es hat ja durchaus Konsequenzen, ob man das erfüllt oder nicht. Es gilt, dass wir weltweit das Völkerrecht und internationale Gepflogenheiten und Reglungen einhalten. Ja, das gilt eben auch für den Geschäftsbereich. Nur so können wir vorwärtsgehen, und zwar stabil. Wir sind gern bereit, auch in anderen Fragen mit der EU zu sprechen, also zu einem Dialog mit der EU, mit Europa, im Sinne einer angemessen Lösung anderer Problemfelder.

China ist weltweit die zweitgrößte Volkswirtschaft. Dennoch bleibt China noch ein Entwicklungsland. Für unsere Modernisierung haben wir noch einen langen Weg vor uns. Das entscheidet mit darüber, dass wir Frieden in der Welt brauchen. Wir brauchen auch Stabilität in unserer Region. Dies liegt im ureigenen Interesse Chinas.

Auch wenn wir so große Fortschritte bei der Entwicklung machen, auch wenn wir so erfolgreich sind, bestimmen unsere Kultur, Tradition, unsere Geschichte darüber, dass wir den Weg der friedlichen Entwicklung fortsetzen werden.

In Bezug auf das Südchinesische Meer ist die ständige, konsequente Position Chinas, dass wir für Frieden und Stabilität im Südchinesischen Meer eintreten. Strittigkeiten über Inseln oder Gruppen sind friedlich und diplomatisch durch Dialoge, Gespräche und Konsultationen zu lösen, und zwar zwischen unmittelbar Betroffenen. Man sollte das dann nicht komplizieren, die Komplexität nicht noch erhöhen. Frau Merkel, wir haben schon jede Menge Probleme. Es ist nicht notwendig. Wir sollten es unterlassen, neue Krisenherde entstehen zu lassen. Wir wünschen uns doch beide Frieden, Stabilität und Ruhe in unserer Welt.

Ich denke, ich habe Ihnen auch stellvertretend für Frau Merkel eine Antwort auf Ihre Frage gegeben. Das habe ich auch für Frau Merkel getan. Ich denke, Sie verstehen mich nicht falsch und nehmen mir das nicht übel, Frau Merkel. - Vielen Dank.

BK'in Merkel: Ich nehme es Ihnen nicht übel, nehme mir aber auch die Freiheit, etwas dazu zu sagen. Ich möchte dazu Folgendes sagen: Wenn ich mir die letzten Jahre daraufhin anschaue, was die chinesisch-deutschen Beziehungen anbelangt, so gibt es an sehr vielen Stellen große Vertiefungen und auch eine große Verbreiterung dieser Beziehungen.

China hat eine sehr dynamische Entwicklung. Wir alle sind immer schon ein bisschen schockiert, wenn die Wachstumszahlen etwas heruntergehen. Aber Sie sind natürlich noch weit von unseren Wachstumszahlen entfernt. Wir als eine schon weiter entwickelte Volkswirtschaft haben sehr kleine Wachstumszahlen. China entwickelt sich immer noch sehr dynamisch.

China hat angesichts der Tatsache, dass es die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt ist, an vielen Stellen sehr viel mehr Verantwortung übernommen und hat in dem multilateralen System auch mehr Gewicht bekommen. Ich denke zum Beispiel an die Veränderung der Quoten beim IWF und bei der Weltbank oder an Aktivitäten wie die Asiatische Investitions- und Entwicklungsbank. Diese Initiativen haben wir immer positiv begleitet und das stärkere Gewicht Chinas immer unterstützt, weil das der Realität und den Ansprüchen, die China stellt, entspricht. Dies teilen wir.

Wir freuen uns, wenn China einen Beitrag dazu leistet, dass auch die weltweite Governance, die Beilegung von Konflikten mit Hilfe von China geschehen kann - deshalb auch das ganze Thema der Drittlandprojekte, die wir jetzt aufgelegt haben. Aber auch die Beteiligung von China an UN-Missionen ist ein sehr wichtiger Beitrag.

Wir teilen die grundsätzliche Meinung, dass man Konflikte vermeiden und Spannungen abbauen sollte. In einigen Fragen gibt es hier unterschiedliche Sichtweisen. Was die Frage bilateraler Kontakte oder internationaler Mechanismen anbelangt, so müssen wir darüber weiter sprechen. Das wird uns auch weiter begleiten

Was den Zugang deutscher Wirtschaftsunternehmen zum chinesischen Markt anbelangt, so kann man daran, dass allein 60 Milliarden Investitionen von Deutschland in China stattfinden und ein signifikant geringerer Teil von China in Deutschland, sehen, dass wir hier viele Aktivitäten haben, eben nicht immer nur in der politischen Zusammenarbeit, sondern auch in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Immer wieder gibt es hier die Frage, wie China seine einheimischen Unternehmen fördert, wie der Marktzugang der Joint Ventures ist und wie der Importzugang von in Deutschland hergestellten Produkten ist. Das ist tägliche Arbeit, die wir immer wieder miteinander besprechen müssen: Wo geht etwas zu langsam? Wo fühlen sich die einen benachteiligt und wo die anderen?

Deutschland hat sich immer als ein offener Investitionsmarkt für die Wirtschaft angeboten - auch für die chinesischen Unternehmen. Jetzt gibt es das Erlebnis, dass chinesisches Interesse an Unternehmen besteht, die uns in Deutschland sehr viel wert sind. Aber wenn man offen ist, muss man auch hier gute Lösungen finden. Wir erwarten diese Reziprozität natürlich auch auf der chinesischen Seite. Wir wissen, dass es in China noch eine Wirtschaft in einer Entwicklungsphase ist. Aber ich denke, wir müssen hier Schritt für Schritt immer weiter kommen. Das sind wir auch: Ich denke zum Beispiel daran, dass es im Bereich der Banken über Jahre überhaupt keine Öffnung gab. Da hat sich jetzt eine Öffnung angebahnt. Aber der Fortschritt kommt manchmal nicht so schnell, wie jeder einzelne Akteur es möchte. Deshalb werden wir weiter daran arbeiten.

Insgesamt also, im Resümee: Ja, es gibt Unterschiede; ja, es gibt Fragen, zum Beispiel auch das neue NGO-Gesetz. Da werden wir sehr aufmerksam beobachten, was das bedeutet. Aber wir haben über die Jahre gelernt, in vielen Fragen vertrauensvoll miteinander zu arbeiten. Diese Arbeit werden wir fortsetzen. Auf jeden Fall ist es gut und wichtig - auch für andere -, wenn Deutschland und China einen engen, einen ehrlichen und aufrichtigen Austausch pflegen. Das schließt Interessengegensätze und auch Meinungsunterschiede nicht aus.

Frage: Danke schön. Ich habe zwei Fragen. Die erste stelle ich an Frau Merkel. Sie und Herr Li haben beide davon gesprochen, dass die EU die Pflicht termingerecht erfüllen muss. Das haben Sie in den Konsultationen angesprochen. Sie haben auch den deutschen Standpunkt vorgestellt. Wir hören auch in der EU Stimmen, die gegen die Anerkennung Chinas als Marktwirtschaft und gegen die Aufhebung des Drittländerverfahrens sind. Die Tonlage ist sehr, sehr hoch.

Das Übernahmeangebot von Midea an den Roboterbauer KUKA hat für großes Aufsehen gesorgt. Wir hören in Deutschland und der EU eben auch kritische Stimmen. Man befürchtet, dass dann Wissen in einer Kerntechnologie verlorengeht.

MP LI: Wenn Sie möchten, dann kann man beide Fragen zusammen beantworten.

BK'in Merkel: Das kann ich machen. Das erste - - -

MP LI: Sie beantworten die erste Frage.

BK'in Merkel: War die zweite gar nicht für mich? Ich dachte, beide Fragen waren für mich. Aber wenn die zweite für den chinesischen Ministerpräsidenten ist, dann - - - Egal, ich sage einfach, was ich möchte.

Ich denke, die hohe Tonlage hilft uns auf beiden Seiten in der Frage des Artikels 15 und des Marktwirtschaftsstatus nicht weiter. Die EU kennt ihre Pflichten. Die Kommission arbeitet an einer Lösung. Ich habe hier für die deutsche Seite deutlich gemacht, dass wir uns an die Versprechungen von vor 15 Jahren sehr gut erinnern. Im Kern geht es um die Frage von Antidumpingverfahren und eine Veränderung, die mit dem Artikel 15 verbunden ist. Wir haben in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, dass es uns selbst unter den jetzigen Regelungen insgesamt nicht gut tut, wenn wir uns gegenseitig mit Antidumpingverfahren überziehen. Deshalb ist es am besten, man braucht solche Verfahren überhaupt nicht.

Im Augenblick findet insbesondere im Stahlbereich eine ganze Menge Diskussionen in Europa über die Frage statt, was das für die Weltstahlproduktion insgesamt und für Europa bedeutet. Das werden wir sachlich klären. Ich werde zurückkommen und auch mit dem Kommissionpräsidenten Jean-Claude Juncker meine Eindrücke aus den Gesprächen hier wiedergeben. Dann wird es noch vor dem Sommer einen EU-China-Gipfel geben. Dort wird man auf der Fachebene sicherlich noch einmal sehr detailliert darüber sprechen, wie man die verschiedenen Probleme bewältigen kann. Dann haben wir immer noch ein paar Monate Zeit, um rechtzeitig die entsprechenden Beschlüsse fällen zu können. Da liegt noch Arbeit vor uns. Ich will das gar nicht in Abrede stellen. Aber ich denke, es tut uns nicht gut, das Ganze zu sehr zu emotionalisieren, sondern wir beide haben gestern besprochen, dass wir auf der Sach- und Fachebene und auf Expertenebene noch Arbeit zu leisten haben.

Was KUKA anbelangt, so wissen jetzt alle Menschen in Deutschland, dass wir einen guten Roboterhersteller haben - vielleicht auch bald alle Menschen in China. Was sie nicht wissen, ist, dass Midea heute schon einen bestimmten Anteil an KUKA hat. Das heißt, es ist kein vollkommen neues Engagement, sondern man möchte den Prozentsatz erhöhen, indem man sich dort beteiligt. Ich sehe nach wie vor die Möglichkeit, dass man hier zu einer guten Lösung kommt. Im Übrigen ist auch niemandem in Deutschland verboten, sich bei KUKA zu engagieren. Jetzt muss man schauen, welche Lösung man da findet.

MP LI: Wir beide teilen die Auffassung, dass man Differenzen zwischen uns unter Kontrolle halten muss. Es ist nicht notwendig, Handelsdispute zu überhöhen oder die Komplexität weiter zu erhöhen.

Jetzt zu Artikel 15. Meine Sicht der Dinge lautet: Wenn man eine Lösung will, dann gilt der Grundsatz: die Pflicht erfüllen, auf beiden Seiten. China hat das getan. Dann gilt jetzt auch die Pflichterfüllung durch die EU. Das darf man nicht von einer Anerkennung als Marktwirtschaft abhängig machen.

Marktwirtschaft - das wollen wir, und zwar ausgehend von unseren nationalen Gegebenheiten. Wir sind auf der anderen Seite gern bereit, auch vom Ausland, von anderen Staaten zu lernen, solange die Erfahrungen zu uns passen. China wird immer offener. Das haben Sie auch gesagt. Wir öffnen jetzt auch den Finanzmarkt. Vor 15 oder 30 Jahren konnte man sich gar nicht vorstellen, dass der Finanzbereich derart liberalisiert ist. Aber wir werden die Liberalisierung erweitern. Heute beobachtet man Schritte in diese Richtung. Aber Sie wissen, dass China ein sehr bevölkerungsreiches Land ist. Wenn man fünf oder zehn Jahre auf diese Öffnung zurückblickt, dann wird man es erstaunlich finden, welche Fortschritte wir gemacht haben.

Artikel 15 ist die eine Sache. Die andere Sache ist, dass es ja doch Handelsstreitigkeiten zwischen China und der EU gibt. Das leugnen wir nicht. Aufgebauschte Themen wie Stahlproduktion, Stahlstreit, Überkapazitäten bei der Stahlproduktion sind kein nur chinesisches Phänomen. Das beobachtet man in der ganzen Welt, und zwar weil der gesamte Stahlmarkt weltweit schrumpft. Gegenseitige Vorwürfe oder einseitige, protektionistische Schritte sind keine Lösung. Vielmehr braucht China gleichermaßen wie die EU eine konstruktive Haltung, eine angemessene Beilegung der Streitigkeiten, die es zwischen uns noch gibt.

Einige Zahlen - Frau Merkel, das habe ich gestern schon angeführt -: Vergangenes Jahr haben wir über 8 Millionen Tonnen Stahl in die EU exportiert. In der gleichen Zeit haben wir über 1 Million Tonnen Stahl aus der EU importiert. Werfen wir jetzt einen Blick auf den Wert: Unser Export betrug etwas mehr als 5 Milliarden US-Dollar. Unser Import lag bei 2,8 Milliarden. Das heißt, wir haben Low-End-Produkte. Sie werden in der EU nicht hergestellt. Wir müssen unsere Industrie aufwerten. Das heißt: Modernisierung. Wir wollen eigentlich nicht, dass billige Produkte hergestellt werden, zum Beispiel Rohstahl. Wenn wir das zu Hause herstellen, belastet das unsere Umwelt. Das verschmutzt unsere Umwelt. Daher werden wir den Strukturwandel beschleunigen.

Man sagt: Na ja, man wird ja Rohstahl nicht mehr in China herstellen. Wenn dann die Nachfrage auf dem Weltmarkt nicht gedeckt wird, dann hoffe ich, dass China das nicht schon wieder vorgeworfen wird.

Vergangenes Jahr haben wir aus Deutschland etwa eine halbe Million - also 500 Tonnen - Stahl importiert und etwas mehr als 200 Tonnen exportiert. Wie kann man das berechnen? Unser Import überwiegt. Wir haben mehr importiert, als es in die andere Richtung geschehen ist. Wie sollte man dazu stehen? Einseitige Schritte sollte man also unterlassen. Vielmehr sollte man auf Liberalisierung des Handels setzen. Gemeinsam sind wir besser in der Lage, das Problem zu lösen.

Wir haben über 90 Millionen Tonnen Stahlprodukte abgebaut. In den kommenden Jahren bauen wir weitere 100 Millionen Tonnen ab. Meistens deckt das den Stahlbedarf auf dem Binnenmarkt nicht. Wir belasten den Rest der Welt nicht so. Wir brauchen das sehr. Das haben wir aus eigener Initiative auf den Weg gebracht, weil wir das für unsere eigene Entwicklung brauchen. Das beeinträchtigt auch unsere Beschäftigung. Die Aufgaben sind ja gewaltig. Wir müssen Überkapazitäten aussondern und dafür sorgen, dass die Entlassenen, die Stahlarbeiter, die ihren Job verloren haben, umgeschult werden und anderswo einen Job finden.

Ein chinesisches Unternehmen macht jetzt das Übernahmeangebot an den Roboterhersteller KUKA. Ich denke, das ist ein Marktgeschehen im Rahmen des Gesetzes. Wenn das nach internationalen Gepflogenheiten erfolgt, dann muss man die Zusammenarbeit unterstützen.

Sie haben gesagt, die Bundesregierung ist dafür. Sie haben nur darauf hingewiesen, dass die chinesische Regierung auch ihren Markt weiter öffnen sollte. An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass deutsche Investitionen in China ständig zunehmen. Derzeit sind fast 10 deutsche Unternehmen in China tätig. Ist das nicht ein Beleg an sich für den offenen Markt Chinas? Natürlich brauchen wir noch mehr Maßnahmen, also gleiche Behandlung. Die Geschäftsumwelt muss fair, gerecht und transparent sein.

Wir laden deutsche Unternehmen herzlich ein, weiter in China zu investieren - das gilt auch für Unternehmen aus anderen Staaten -, sodass wir zusammen wachsen. Wir haben von den wechselseitigen Investitionen profitiert. Wir hoffen, dass wir mit anderen Staaten stärker zusammenarbeiten. Dabei haben auch wir ein Anliegen, dass nämlich die betroffene Seite Chinas Entwicklung vernünftig, das heißt, ganz gelassen betrachtet. Schließlich werden alle davon profitieren. - Danke schön.

Die Pressekonferenz erkläre ich jetzt für beendet. Danke schön.

Montag, 13. Juni 2016

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Quelle:
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem
chinesischen Ministerpräsidenten Li Keqiang am 13. Juni 2016 in Peking
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2016/06/2016-06-13-merkel-mp-li.html;jsessionid=5AC530B51D212C1FC55CC9171C5A5F8F.s7t1
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juni 2016

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