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PRESSEKONFERENZ/1302: Kanzlerin Merkel und der französische Präsident Hollande, 15.09.2016 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz in Paris - Donnerstag, 15. September 2016

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)


P Hollande: Ich freue mich sehr, dass ich heute, vor dem Gipfel in Bratislava, Angela Merkel hier in Paris begrüßen kann. Angela Merkel und ich waren übereingekommen, dass wir diesen Besuch, diesen Gipfel in Bratislava, gemeinsam vorbereiten; denn wir wissen ja um die Bedeutung der Entscheidung der Briten, die Europäische Union zu verlassen.

Die Bundeskanzlerin und ich sind ständig in Sitzungen. Zunächst einmal haben wir Matteo Renzi zu unserem Tandem hinzugenommen, und dann haben wir gemeinsam das vorbereitet, was wir uns für den Gipfel in Bratislava vorstellen, der ein nützlicher Gipfel für Europa sein soll. Wir haben außerdem Treffen mit allen Staats- und Regierungschefs der 27 Länder gehabt. Wir haben außerdem gemeinsam versucht, darauf zu achten, dass wir die bestmöglichen Beziehungen mit Jean-Claude Juncker und Donald Tusk unterhalten, damit wir die gleichen Prioritäten teilen und uns um das Gleiche kümmern.

Ich glaube, man muss in Bezug auf die Situation, in der sich Europa befindet, sehr hellsichtig sein. Ich habe häufig gesagt: Es ist nicht eine Krise mehr, es ist nicht noch eine Krise, sondern es könnte zu einer existenziellen Krise für Europa werden. Aus diesem Grunde müssen wir im Kopf behalten, dass wir den Europäern eine klare Vision dessen geben können, was ihre Zukunft sein wird.

Was ich gemeinsam mit der Bundeskanzlerin erreichen will, ist, dass wir uns genau anschauen, was Großbritannien dazu verleitet hat, die Europäische Union zu verlassen, damit wir uns bewusst werden, welche Sorgen die Europäer in Bezug auf die Fähigkeit der Europäischen Union, die Grenzen zu schützen, die Migration zu begrenzen und den Bedrohungen entgegenzutreten, die auf Europa lasten, umtreiben. Dazu gehört auch die Arbeit, die die Kanzlerin und ich in Bezug auf die Ukraine gemeinsam leisten, und dazu gehört, was Frankreich angeht, auch das, was wir im Irak und in Syrien tun, um eine politische Lösung herbeizuführen.

Kurz gesagt: Wir kennen die Herausforderungen, wir wissen, was auf dem Spiel steht. Wir müssen aber auch unterstreichen, was Europa ist, was Europa bedeutet - und das sind Werte, es ist ein Geist Europas, es sind sehr große Vorteile. Ich spreche dabei nicht nur von der wirtschaftlichen Kraft, sondern ich möchte auch sagen, dass Europa die erste, die größte Wirtschaftsmacht in der Welt ist. Ich denke auch an unsere Lebensart, an unser Sozialmodell, an die Kraft unserer Industrie, ich denke an unsere Kultur, die wir gemeinsam haben. Wir nutzen unsere Unterschiedlichkeit ja auch, um unsere Kultur noch stärker zu bereichern. Das ist Europa. Europa muss immer eine Hoffnung für die junge Generation bleiben, indem wir sagen, wie wir gemeinsam leben können - auf der Grundlage der Geschichte, aber dennoch auch mit den Zielen vor Augen, die wir uns für die Welt vorstellen können. Wir haben in Paris ja auch in Bezug auf das Klimaabkommen gezeigt, dass wir dazu fähig sind. Europa wird hoffentlich bald in der Lage sein, das Pariser Abkommen zu ratifizieren, denn auch hier müssen wir Modell sein, müssen wir Vorbild sein.

Wir sind übereingekommen, dass der Gipfel von Bratislava drei große Prioritäten ins Auge fassen muss.

Die erste große Priorität ist die Sicherheit. Wir müssen die Europäer beschützen. Es geht also um die Sicherheit der Grenzen und auch um Sicherheit in Bezug auf Bedrohungen, die von außen kommen, es geht um den Kampf gegen den Terrorismus. Unsere beiden Innenminister - der französische und der deutsche Innenminister - haben ein Papier vorgelegt, das auch schon von allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union verwendet worden ist. Was wir auch machen müssen, ist, dass wir über einen neuen Impuls ein Europa der Verteidigung schaffen müssen, neue Fähigkeiten der Verteidigung schaffen müssen und auch dafür sorgen müssen, dass die Streitkräfte außerhalb Europas eingesetzt werden können. Ich möchte daran erinnern, dass Deutschland - wie auch alle anderen europäischen Länder - nach den terroristischen Angriffen auf Frankreich seine Solidarität angeboten hat, damit wir in dem einen oder anderen afrikanischen Land unsere Streitkräfte reduzieren können, um sie anderweitig einzusetzen. Das wäre die erste Priorität.

Die zweite Priorität ist die Vorbereitung der Zukunft und dass wir zukunftsfähig werden. Europa muss neue Industrien entwickeln helfen, neue Technologien entwickeln helfen - Technologien der Zukunft in Bezug auf die Energiewende, in Bezug auf das, was wir im digitalen Bereich oder im Weltraum tun können. Europa muss ein großes Projekt sein, um gemeinsam noch stärker zu sein. Beschäftigung und Wachstum werden die Folgen davon sein. Auch diesbezüglich haben wir in den verschiedenen Erklärungen - beispielsweise von Jean-Claude Juncker gestern - gehört, welche Bedingungen wir brauchen, damit der Juncker-Plan in Europa umgesetzt werden kann.

Die dritte Priorität ist vielleicht die wichtigste Priorität, wenn wir ein zukunftsfähiger Kontinent sein wollen: nämlich dass wir Werte tragen, Kultur und Geist tragen können, damit die Jugend die erste Bevölkerungsschicht sein kann, die davon einen Nutzen hat. Dazu möchten wir Programme für Forschung und Universitäten entwickeln - all das, was der europäischen Kultur etwas geben kann und was uns eine Vision geben kann, die wir mit dem Rest der Welt teilen können und die es ermöglicht, dass die Menschheit gemeinsam und geschlossen auftritt und sich nicht trennt.

Ich möchte noch sagen, was wir heute machen wollen und was wir vor allem morgen in Bratislava machen wollen: Wir wollen einen Plan von Bratislava erarbeiten, eine Agenda mit einem Zeitplan für die Maßnahmen mit verschiedenen Etappen und einen praktischen Fahrplan. Das ist das Ziel von Bratislava, und deswegen treffen wir uns heute auch noch einmal und das rechtfertigt auch das Treffen von heute. Ich weiß, dass Angela es immer schwer hat, vor einem großen Gipfel noch einmal ein Eckchen Zeit zu finden, aber es ist immer so - das gilt auch für meinen Besuch in Berlin vor einiger Zeit -, dass die Freundschaft uns trägt und wir immer noch ein bisschen Zeit finden.

BK'in Merkel: Dankeschön, lieber François! - Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass wir uns hier am Tag vor dem Treffen der 27 Mitgliedstaaten in Bratislava noch einmal abstimmen können.

Europa befindet sich an einem sehr entscheidenden Zeitpunkt. Die Tatsache, dass wir so intensiv gemeinsam und in verschiedensten Gesprächsrunden diesen Gipfel vorbereitet haben - auch mit Jean-Claude Juncker und mit Donald Tusk -, zeigt, dass wir verstanden haben, dass es jetzt wirklich darum geht, eine Agenda aufzulegen - eine Agenda von Bratislava, die deutlich macht, dass wir entschlossen sind, gemeinsam auf die Schwächen und die Aufgaben, die sich uns stellen, zu reagieren. Ich glaube, es gibt auch unter den Mitgliedstaaten, so wie wir das in den Gesprächen auch wahrgenommen haben, diesen Willen, zum Teil zielstrebiger und schneller zu arbeiten und die Dinge, die wir uns vornehmen, besser zu implementieren und besser umzusetzen, damit sozusagen unsere Vision und die Realitäten für die Bürger in Europa wieder besser zusammenkommen.

Es ist in der Tat so, dass wir eine Gemeinschaft sind, die sich auf Werte gründet, und dass wir eine Gemeinschaft sind, die ein einzigartiges Modell hat, in dem wirtschaftliche Leistungskraft und sozialer Ausgleich zusammenkommen. Das heißt, wir haben das, was wir in Deutschland soziale Marktwirtschaft nennen, also den Zusammenhalt der Gesellschaft in Europa, immer im Auge und wissen, dass das im Augenblick nicht an allen Stellen ausreichend realisiert wird. Wir haben außerdem eine großartige kulturelle Tradition, so wie der französische Präsident François Hollande das eben gesagt hat.

Deutschland und Frankreich wollen in dieser Stunde und in diesen Tagen Verantwortung übernehmen und deutlich machen, dass wir uns gut vorbereiten und dass wir auch die gleichen Prioritäten haben, die sich zusammenfassen lassen

Das gilt zum einen in der Frage der Sicherheit - Sicherheit nach innen und außen. Wir können unseren Ministern - unseren Außenministern, unseren Innenministern, unseren Verteidigungsministern - dafür danken, dass sie Vorbereitungsarbeiten geleistet haben. Wir werden als Staats- und Regierungschefs auch die Räte der Verteidigungs- und der Innenminister sowie natürlich auch den Rat für Allgemeine Angelegenheiten bitten, die Vorschläge, die jetzt von Deutschland und Frankreich auf den Tisch gelegt werden, weiter zu verfolgen; denn wir wollen inklusiv arbeiten. Das heißt, alle 27 Mitgliedstaaten sollen natürlich die Möglichkeit haben, mitzuwirken und die Dinge gemeinsam zu beschließen.

Wir stehen vor Bedrohungen durch den Terrorismus. Wir stehen vor der Herausforderung durch die Migration. Das ist zum Teil eine Migration, die aus Bürgerkriegen und dem Kampf gegen den IS herrührt, wie es im Irak und in Syrien der Fall ist, aber es ist zum Teil auch eine Migration, die aus wirtschaftlichen Problemen herrührt - ich denke da an den afrikanischen Kontinent. Auf diese Fragen müssen wir eine Antwort geben. Wir müssen unsere Außengrenzen schützen können, und wir müssen hierbei natürlich auch gemeinsam Verantwortung übernehmen.

In diesem Zusammenhang will ich noch einmal erwähnen, dass ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass sich Italien, Frankreich und Deutschland entschlossen haben, gemeinsam mit der Kommission auch Migrationspartnerschaften zu übernehmen - zum Beispiel mit Niger und Mali, die, wenn es um die Stabilisierung der Region in Afrika geht, zwei Schlüsselländer sind, durch die die Flüchtlinge in großem Maße nach Europa kommen.

Zweitens. Das Versprechen von Arbeit und Wohlstand war neben dem Friedensversprechen eines der Gründungsversprechen für die Europäische Union und für die Bürgerinnen und Bürger Europas. Dieses Wohlstandsversprechen muss immer wieder neu erarbeitet werden.

Deshalb begrüße ich auch sehr das, was Jean-Claude Juncker dazu gestern in seiner Rede an die Union gesagt hat. Ich glaube, dass wir jetzt eine klare Agenda dafür brauchen, wie wir insbesondere die digitale Veränderung in unsere Arbeit einbeziehen und wie wir den digitalen Binnenmarkt schaffen. Die Ziele, die gestern vorgegeben wurden - dass WLAN bis 2020 in allen europäischen Zentren verfügbar sein soll, wie Jean-Claude Juncker sagte, oder dass wir bis 2025 den 5G-Standard haben wollen -, sind die Voraussetzungen dafür, dass sich Start-ups entwickeln können, dass sich Arbeitsplätze entwickeln können und dass unsere Industrie in Zeiten des Internets der Dinge oder der Industrie 4.0 neu ist.

Natürlich gehört dazu auch die Zusammenarbeit im Energiebereich und im Klimabereich. Hier haben wir die Möglichkeit, innovativ zu sein. Auch ich möchte unterstreichen: Wir werden alles daransetzen, das Pariser Abkommen jetzt möglichst schnell zu unterzeichnen, um nicht hinter die Vereinigten Staaten und China zurückzufallen, sondern in Marrakesch, wenn es irgend möglich ist, eine gute Rolle zu spielen.

Drittens - das hat sehr viel mit der Jugend, mit der Aussicht auf die Zukunft und mit der Verheißung zu tun, die Europa ausdrückt - soll es auch darum gehen, dass Europa ein weltoffener Kontinent ist, der seine Errungenschaften und seine Stärken der Welt zeigen kann und der im Rahmen von Entwicklungshilfe und anderem tätig wird. Deshalb finde ich gerade für die Jugend neben den Plänen, die wir haben, um die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen, auch den Freiwilligendienst für junge Menschen in aller Welt eine wichtige Komponente, an der wir weiter arbeiten wollen.

Morgen wird es also um eine Bratislava-Agenda auf dem Weg zu "60 Jahre Römische Verträge" im März 2017 gehen, die die Sorgen, die Hoffnungen und die Wünsche der Menschen aufnimmt und gleichzeitig realistisch ist, einen realistischen Plan darstellt, den wir dann auch wirklich umsetzen können; denn zum Schluss überzeugen die Bürgerinnen und Bürger vor allen Dingen Taten.

Ich freue mich sehr, dass Deutschland und Frankreich hier so eng zusammengearbeitet haben, und ich glaube, dass wir morgen die Chance haben werden, einen guten Tag für Europa im Sinne dieser Agenda von Bratislava zu erleben.

Herzlichen Dank!

Donnerstag, 15. September 2016

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Quelle:
Pressestatements von Bundeskanzlerin Merkel und dem
französischen Präsidenten Hollande, 15. September 2016
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2016/09/2016-09-15-statement-bkin-hollande.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. September 2016

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