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PRESSEKONFERENZ/1436: Kanzlerin mit Vorsitzenden internationaler Wirtschafts- und Finanzorganisationen, 10.04.2017 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz in Berlin - Montag, 10. April 2017
Pressekonferenz nach Treffen der Bundeskanzlerin mit den Vorsitzenden internationaler Wirtschafts- und Finanzorganisationen


BK'IN DR. MERKEL: Meine Damen und Herren, ich freue mich, heute zum neunten Mal die Vorsitzenden von OECD, IWF, Weltbank, ILO und WTO in Berlin begrüßen zu können. Natürlich war dieses Treffen für uns in diesem Jahr angesichts der deutschen G20-Präsidentschaft von einer besonderen Bedeutung. Die Tatsache, dass wir uns schon neunmal getroffen haben, deutet auch darauf hin davon bin ich überzeugt , dass die Kooperation der multilateralen Organisationen von allergrößter Bedeutung für ein gutes wirtschaftliches Wachstum und für eine gedeihliche Entwicklung für alle Teile der Welt unter den Bedingungen der Globalisierung und der Digitalisierung ist.

Die G20-Präsidenschaft setzt viele Schwerpunkte, die auch etwas mit der Arbeit der Organisationen zu tun haben, die hier vertreten sind. Wir haben heute sehr intensiv darüber gesprochen, wie die weltwirtschaftliche Lage eingeschätzt wird, was dies auch für den Wohlstand der Menschen weltweit bedeutet und wie wir die Bedingungen verbessern können. Hierzu werden die einzelnen Teilnehmer noch etwas sagen.

Wir stellen fest, dass es über die Jahre hinweg eine Zunahme der Sorgen um die Globalisierung gibt, weil die Menschen in den einzelnen Ländern weltweit unterschiedlich an bestimmten Entwicklungen partizipieren. Deshalb hat uns heute auch das Thema des inklusiven Wachstums beschäftigt. Darüber haben wir gesprochen.

Ich glaube, wir müssen deutlich machen das ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin ganz selbstverständlich , dass wir in Deutschland immer auf soziale Marktwirtschaft gesetzt haben ich nenne nur den Vater der sozialen Marktwirtschaft, Ludwig Erhard , die letztlich immer Wohlstand für alle und Wohlstand nicht nur für einige bedeutet hat. Dazu, wie dies durch eine vernünftige internationale Vernetzung besser und zum Wohle von uns allen zu leisten ist, haben die einzelnen Organisationen ihre Beiträge geleistet.

Wir benennen in unserem Kommuniqué einige der Entwicklungen, die sozusagen Treiber der Veränderungen weltweit sind. Das ist zum einen die Digitalisierung. Es ist ganz offensichtlich, dass dies zu einer Vielzahl von strukturellen Veränderungen führen wird, nicht nur in der Wertschöpfungskette, sondern auch was die Beschäftigung der Menschen anbelangt. Deshalb ist das Thema Weiterbildung, das Thema Bildung und lebenslanges Lernen von zentraler Bedeutung. Dies wird von allen diesen Organisationen unterstrichen.

Zum anderen spielt die Frage der Handelspolitik eine zentrale Rolle. Wir glauben, dass die wirtschaftliche Entwicklung insgesamt und auch der Wohlstand durch multilateralen Handel vernünftiger gestaltet werden können.

Wir haben das Thema Klimawandel angesprochen. In diesem Zusammenhang müssen wir das, was in Paris erfolgreich vereinbart wurde, natürlich auch in die Praxis umsetzen.

Wir alle fühlen uns den Zielen der Agenda 2030 verpflichtet, die sehr umfassend ist und in der auch das Thema des inklusiven Wachstums eine Rolle spielt.

Von allen wurde begrüßt, dass wir uns in unserer deutschen G20-Präsidentschaft ganz besonders des Themas Afrika annehmen. Das Thema "Compact with Africa" ist hier sehr unterstützt worden. Ich glaube, die einzelnen Organisationen können auch gerade für die afrikanische Entwicklung einen wichtigen Beitrag leisten.

Da uns das Thema Migranten und Flüchtlingsbewegung weltweit sehr beschäftigt, sind wir alle davon überzeugt das darf ich wohl im Namen aller sagen , dass eine gute wirtschaftliche Entwicklung in allen Teilen der Welt die Ursachen von Flucht und Migration am besten minimieren kann und dass wir genau deshalb daran arbeiten müssen.

Insofern möchte ich mich bei allen für ihre Beiträge bedanken und als Erster Christine Lagarde das Wort geben.

LAGARDE: Herzlichen Dank, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie uns heute hier zum neunten Treffen willkommen geheißen haben. Dies zeigt zwei Dinge auf, die heute sehr wichtig sind. Das eine ist Widerstandsfähigkeit wir haben das Jahr um Jahr gehabt , und das andere ist, wie wichtig Zusammenarbeit ist. Wir im IWF sind auf jeden Fall für diese zwei Punkte. Das ist sehr nachdrücklich auch Teil der Tagesordnung und des Programms der G20-Präsidentschaft der Bundesrepublik Deutschland.

Heute Nachmittag konnte ich der Bundeskanzlerin, ihren Ratgebern, aber auch meinen Kollegen hier deutlich machen, wie wir die weltwirtschaftliche Entwicklung sehen. Ich habe auch gesagt, dass wir für 2017 und 2018 Positiveres an Entwicklungen sehen als das, was wir 2016 beobachtet haben, und sicherlich auch als das, was unsere Voraussagen für die vorangegangenen Jahre betrifft. Dies ist eine positive kurzfristige Vorausschau und natürlich noch mit gewissen Risiken behaftet. Aber wir dürfen auf gar keinen Fall in Untätigkeit und Selbstzufriedenheit verfallen. Das wäre das größte Risiko.

Ich habe vor allen Dingen zwei Sorgen herausgestellt, die wir beim IWF haben, nämlich die nach wie vor anhaltende niedrige Produktivität und eine übermäßige Ungleichgewichtigkeit und Ungleichheit, die wir gleichzeitig beobachten. Da gibt es einen Unterschied zwischen der Perzeption und der Realität. Wir haben das Gefühl, dass dies anwächst. Es ist absolut unverzichtbar, zu verstehen, warum diese niedrige Produktivität so lange anhält, und dann auch entsprechende Politiken aufzulegen, die dafür sorgen, dass Wachstum inklusiver ist, als es in der Vergangenheit der Fall war.

Dafür gibt es verschiedene Instrumente, derer man sich bedienen kann. Eines der wichtigsten Instrumente, um die Produktivität weiter voranzutreiben und Wachstum zu stärken, ist der Handel. Darüber bin ich mir mit meinen Kollegen Jim Kim und Roberto Azevêdo einig. Wir haben den Bericht zum Thema "Handel als ein Motor des Wachstums für alle" hier in Berlin vorgelegt.

Was die G20-Präsidentschaft angeht, so freuen wir uns sehr darüber, dass das Augenmerk vor allem auf Nachhaltigkeit, Widerstandsfähigkeit und Digitales gelegt wird und dass die Staats- und Regierungschefs der G20 dazu aufgerufen werden, auch den menschlichen Faktor bei der digitalen Verbesserung nicht aus dem Auge zu verlieren.

Wir freuen uns ebenfalls darüber, dass sich die deutsche Präsidentschaft vor allen Dingen auch auf die ärmsten Länder der Welt, auf die Länder mit den niedrigsten Einkommen konzentriert. Es ist nicht selbstverständlich, dass man sich bei den G20 wirklich auf diese Länder konzentriert.

Der Compact with Africa ist ein Vertragswerk, das schon fünf Länder umfasst. Es wird mit politischer Unterstützung noch mehr unterfüttert werden. Die internationalen Organisationen hier am Tisch werden sich daran beteiligen. Aber noch viel wichtiger ist: Der Privatsektor muss gestärkt werden. Wir müssen den Privatsektor ermutigen, Investitionen in die Infrastruktur in diesen Ländern zu tätigen.

Meine Botschaft heute war: Wir wollen die globale Wirtschaft insgesamt stärken, ein besseres Wachstum erzielen und die Spaltung überwinden, die es durch die lang anhaltende niedrige Produktivität und das gleichzeitige Ansteigen von Ungleichheiten überall in der Welt noch immer gibt. Die Politik, die dem entgegenwirkt, muss natürlich auf nationaler Ebene ergriffen werden; das ist auch möglich. Aber auch die Zusammenarbeit unter den verschiedenen Politikern muss gestärkt werden; denn es kann immer sein, dass dieses Risiko nicht von allen beherrscht werden kann.

GURRÍA: Herzlichen Dank, Frau Bundeskanzlerin, für die Einladung! Die Frage eines Rückschlags, einer Ablehnung der Globalisierung ist ja fast zu einem Klischee geworden, und man muss sich doch fragen: Bis zu welchem Grad gibt es dieses Phänomen überhaupt, und was können wir dagegen unternehmen sowohl auf globaler Ebene und auf europäischer Ebene als auch auf nationaler Ebene? Dieses Phänomen existiert, das haben wir auch dokumentiert; weniger Menschen glauben heute daran, dass es eine gute Sache ist, Verbindungen zur übrigen Welt zu unterhalten. Es ist sogar nur ein sehr niedriger Teil der Bevölkerung der Ansicht, dass Handel gut ist, um Arbeitsplätze zu schaffen. Ein solches Auseinanderfallen und solche schwerwiegenden Zweifel gibt es.

Die Ungleichheit ist sehr groß geworden, und sie ist im Laufe der Zeit auch gestiegen und zwar bereits seit 1980, also schon vor der Krise; nach der Krise hat sich das natürlich noch beschleunigt. Diese Ungleichheit sieht man nicht nur im Bereich der Einkommen, sondern auch im Bereich dessen, was jeder einzelne an Vermögenswerten, aber auch an Chancen und an Möglichkeiten zur Erfüllung beruflicher Ziele hat. Wir sehen auch, dass die Menschen das Gefühl haben: Dieses System dient nicht ihnen im Gegenteil.

Was kann man tun? Natürlich müssen alle, die einen Anteil an der Gesellschaft haben, Verhandlungen anstreben, sie müssen über Handel verhandeln, und es ist auf jeden Fall wichtig, dass man mehr und mehr Menschen an solchen Verträgen, an solchen Abkommen beteiligt. Aber was wir eben auch sehen, ist, dass wir auf globaler Ebene nachdrückliche politische Reformen brauchen. Wir haben im Moment und das ist ein Paradoxon sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene so etwas wie eine Ermüdung, was Reformen angeht. Die Bereitschaft der Menschen zu Reformen verlangsamt sich und das zu einem Zeitpunkt, zu dem wir solche Reformen am meisten brauchen. Jeder Versuch, Wachstum und Produktivität zu verbessern, muss aber einhergehen mit einer Politik, die auch wirklich zu besserer Inklusion führt, sodass dieses Gleichgewicht zwischen Produktivität auf der einen Seite und Inklusion auf der anderen Seite wirklich der Schlüssel zum Erfolg zukünftiger Politik sein wird. Sich nur auf Umverteilung oder nur auf inklusives Wachstum zu konzentrieren, wird nicht ausreichen; es muss diese Verbindung zwischen Produktivität und inklusivem Wachstum geben.

Deutschland hatte im vorletzten Jahr die Präsidentschaft bei den G7, jetzt haben Sie die Präsidentschaft bei den G20, und Sie haben diese internationale Zusammenarbeit sehr stark gefördert und auch sehr stark angeführt. Wir haben auch schon über die europäische Ebene gesprochen, und auch da muss man sagen: Dieses Muster wiederholt sich. Die Öffentlichkeit sieht die Europäische Union immer negativer weniger als 50 Prozent sind der Auffassung, dass das Parlament und die Kommission eine sinnvolle Tätigkeit ausüben , und es gibt immer wieder neue Sorgen. Die Migration steht dabei ganz oben auf der Liste der Ängste, die die Menschen haben. Im Jahre 2016 war es eher die wirtschaftliche Entwicklung, dann wurde die Frage der Sicherheit aufgrund der terroristischen Gewaltakte wichtig, und zum heutigen Zeitpunkt ist es die Migration und die Frage, wie man damit umgeht. Die Priorität Nummer eins ist also: Integration, Integration, Integration.

An dieser Stelle möchte ich gerne sagen: Frau Bundeskanzlerin, da haben Sie eine führende Rolle gespielt. Sie hatten, was die absoluten Zahlen angeht, die höchste Anzahl an Migranten aber natürlich nicht nur solche, die aus wirtschaftlichen Gründen hierher kamen, sondern auch Flüchtlinge , und Sie waren eines dieser Beispiele für erfolgreiche Integration, die wir sehr gerne herzeigen. Es gab viele Länder, die dabei nicht so erfolgreich waren. Natürlich muss man immer vergleichen: Wie ist es global, wie ist es regional? Länder wie Schweden und die Bundesrepublik Deutschland sind hier Länder, die am besten dastehen, was die Integration dieser Migranten angeht. Wir glauben, dass das eine langfristige Investition darstellt, und wir glauben, dass das auch positive Auswirkungen auf die Haushaltssituation in den einzelnen Ländern haben wird. Ich muss sagen, dass Sie das sehr gut organisiert haben; die Maßnahmen, die Sie ergriffen haben, um diese Migrationsströme zu bewältigen und zu kanalisieren, funktionieren.

Was den Handel und die Investitionsströme angeht, so hat es eine Reduzierung gegeben; durch die fallende Produktivität gab es relativ geringes Wachstum. Nur die Hälfte der Bevölkerung in der Europäischen Union ist für ein Abkommen mit den Vereinigten Staaten. Das bedeutet also, dass die führenden Politiker da eine erhebliche Herausforderung zu gewärtigen haben, was multilaterale Abkommen angeht. Aber ungeachtet dessen, dass sie diese führende Rolle haben, müssen wir trotzdem unsere Aufgabe erfüllen. Wir dürfen nicht nachlassen, der Handel muss gefördert und gestärkt werden; denn nur durch den Handel kann es zu einer Gleichheit der Lebensverhältnisse und zu Investitionen kommen. Die Frage einer politischen Führung und auch des nötigen politischen Muts wird daher noch wichtiger als je zuvor.

AZEVÊDO: Vielen Dank, Frau Bundeskanzlerin. Nur ein paar kurze Anmerkungen zum Handel und einem multilateralen Handelssystem: Nach fünf Jahren mit geringem Handelswachstum zeigen die wirtschaftlichen Indikatoren im ersten Quartal des Jahres 2017 erste positive Anzeichen. Dennoch ist es so, dass ein hohes Maß an politischer Unsicherheit ein Risiko für die globale Entwicklung darstellt, und diese politischen Unsicherheiten werden natürlich verstärkt durch negative Einschätzungen der Menschen gegenüber dem Handel und der Globalisierung. Wir bemühen uns, dies in dem Bericht, den Frau Lagarde eben erwähnt hat ein Bericht, den die IWF und die Weltbank gemeinsam mit der OECD erstellt haben , anzusprechen. Wir wollen den positiven Aspekt des Handels verstärkt herausstreichen. Gleichzeitig aber möchten wir uns auch den Besorgnissen der Menschen hinsichtlich des Handels und der Auswirkungen, die der Handel auf ihr eigenes Leben haben kann, stellen.

Wir möchten dafür sorgen, dass der Nutzen des Handels einer breiteren Menge von Menschen zugutekommt. Gleichzeitig erkennen wir aber, dass 80 Prozent der Arbeitsplätze, die verlorengehen, nicht die Folge von Importen sind, sondern die Auswirkungen von Innovation, höherer Produktivität und technologischen Neuerungen. Der Handel kann hier eine sehr positive Rolle spielen, und das ist auch genau das, was aus unserem Bericht hervorgeht. Der Handel trägt dazu bei, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Allein in Deutschland hängen 30 Prozent der Arbeitsplätze von Exporten ab das ist eine sehr deutliche Aussage. Natürlich kann der Wettbewerb in einzelnen Gruppierungen zu Verzerrungen und negativen Entwicklungen beitragen; das hat aber auch mit dem politischen Mix zu tun, und nicht ausschließlich mit dem Handel.

Drei Säulen sind in dem Bericht beschrieben: Anpassungspolitiken und Einkommensstützung, verstärkte Investitionen in die Bildung und in die Ausbildung sowie die Entwicklung neuer Fähigkeiten. Protektionistische Maßnahmen werden das Problem nicht lösen, sondern werden Arbeitsplätze langfristig weiter abbauen. Wir sind davon überzeugt, dass wir, wenn wir Handelsverzerrungen als das Problem betrachten, das Problem nicht an der Wurzel angehen werden und das Problem auch nicht lösen können. Der Handel trägt vielmehr zur Lösung aller Probleme bei. Wir möchten, wie gesagt, dazu beitragen, dass der Nutzen einer größeren Gruppe von Menschen zugutekommt, und die WTO ist hier sicherlich in ihrem Bemühen aktiv, den Handel inklusiver zu gestalten und die Teilhabe der Menschen zu verstärken. Im Dezember dieses Jahres wird in Buenos Aires die nächste WTO-Ministerkonferenz stattfinden, und wir hoffen, dass wir dort weitere Fortschritte erzielen werden.

Ich möchte der Bundeskanzlerin sehr herzlich dafür danken, dass sie in dieser Hinsicht eine Führungsrolle übernommen hat. Wir danken auch der EU und der G20 für ihr Engagement.

RYDER: Vielen Dank, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie uns hier heute zusammen empfangen haben! In den heutigen Diskussionen haben wir uns sehr umfangreich mit der Einstellung der Menschen zur Globalisierung befasst, und in diesem Zusammenhang haben wir auch über die Erfahrungen der Menschen auf dem Arbeitsmarkt gesprochen. Die Frage der Arbeitslosigkeit und von Gleichheit im Arbeitssektor ist ein wichtiger Faktor für eine positive Einschätzung der Globalisierung und ihrer Auswirkungen.

Ich glaube, eine der weniger ermutigenden Nachrichten in jüngster Vergangenheit ist hier: Obwohl wir einen leichten Aufschwung beim Wachstum erlebt haben Christine Lagarde hat das ja auch aufgezeigt , ist es so, dass die globale Arbeitslosigkeit weiterhin angestiegen ist ein weiterer Anstieg um 3,4 Prozent ist hier zu verzeichnen gewesen. Es gibt natürlich positive Ausnahmen. Einzelne Länder wie zum Beispiel Deutschland oder China wären hier zu nennen.

Wir sehen zum Beispiel in Afrika einen Anstieg, und zwar einen absoluten Anstieg der Menschen, die arm sind, obwohl sie Arbeit haben. Das hat auch Auswirkungen physischer Art, die uns allen nur zu gut bekannt sind. Wir sind uns der Realitäten bewusst und auch der wachsenden Frustration angesichts der Unfähigkeit, mit der Globalisierung umzugehen. Wir müssen den Menschen eine Chance bieten, einer menschenwürdigen Arbeit nachzugehen und sich am Leben und der Betätigung beteiligen zu können.

Es ist sehr gut zu verstehen, dass Menschen sagen: Dann stoppt doch die Globalisierung. Aber das ist kein politischer Ansatz. Ich glaube, dass es politische Ansätze geben muss. Die Bundeskanzlerin hat uns hier an einige wichtige Faktoren des deutschen Modells der sozialen Marktwirtschaft erinnert. Ich glaube, dass wir von dem deutschen Beispiel lernen können. Wir wollen nicht eine absolute Kopie Deutschlands drucken und auf die Welt übertragen. Aber wir können Elemente übertragen, so zum Beispiel im Bereich der Herausbildung der Fähigkeiten, der Bildung, der Regulierung der Arbeitsmarktbeziehungen, der Schaffung von Infrastruktur und Institutionen oder zum Beispiel der Schaffung eines Mindestlohns und eines Systems der Tarifverhandlungen.

Wir freuen uns darüber, dass Deutschland innerhalb der G20 eine so prominente Rolle spielt und innerhalb der G20 die Präsidentschaft übernommen hat, wenn es um Fragen wie Migration oder eine stärkere Beteiligung der Frauen am Arbeitsleben, die Lieferketten und die Zukunft der Arbeit geht. Das sind Themen, die Deutschland auf die internationale Tagesordnung gesetzt hat. Wir bemühen uns, mit den Problemen der Globalisierung fertig zu werden. Wir wissen, dass sich die Dinge vor unseren Augen verändern, während wir in einem Tempo nach Lösungen streben, das national und international sicherlich noch ganz neu ist. Aber wir versuchen, uns in einer Art und Weise auf die Zukunft vorzubereiten, die den Befürchtungen der Menschen gerecht wird und sie beruhigt, und zwar immer ausgehend von der Erkenntnis, dass die Zukunft der Arbeitswelt und der Weltwirtschaft nicht von anderen für uns entschieden wird.

Wir werden bestimmen, wie diese Welt in Zukunft aussehen wird. Wir sind uns alle unserer Verantwortung bewusst. Wir wissen auch, welchen Beitrag wir als die Vertreter der multilateralen Organisationen leisten können. Aber auch unser System sieht sich Fragen gegenüber. Auch wir haben zu liefern, so zum Beispiel die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, die "global compacts" für eine sichere, geordnete und reguläre Migration und Flüchtlinge, denen sich die Vereinten Nationen verpflichtet haben.

Frau Bundeskanzlerin, das war ein sehr produktives Treffen.

KIM: Vielen Dank. Wie die Vorredner bin ich sehr dankbar für die Gelegenheit zu diesem Austausch. Das ist so sehe ich das jedenfalls sicherlich eines der besten Treffen, das wir hier einmal im Jahr durchführen.

Die Bundeskanzlerin ermutigt und ermuntert uns immer wieder und gibt uns gleichzeitig ein paar Aufgaben, die wir zu bewältigen haben. Das sind zum Beispiel der Klimawandel und die Bewältigung der Flüchtlings- und Migrationsströme. Ich habe heute deutlich gemacht, dass wir glauben, dass wir, wenn wir Fragen wie den Klimawandel oder Fragen der Migrationszuströme erfolgreich angehen wollen, unsere Arbeit in einer ganz neuen Art und Weise sehen müssen.

Die Welt verändert sich in einem gewaltigen Tempo. So viele Pensionsfonds, Staatsfonds verfügen über Kapital, das aber nur sehr wenige Gewinne erwirtschaftet. Am besten lassen sich die Flüchtlings- und Migrantenströme stoppen, wenn man ihnen dort, wo sie herkommen, Arbeitsplätze bietet. Wir glauben, dass die Finanzierung der notwendigen Infrastruktur anders angegangen werden muss. Ein deutscher Pensionsfonds könnte sehr viel mehr an Gewinn produzieren, wenn er diese Frage anders angehen und einen Beitrag dazu leisten würde, Arbeitsplätze in Afrika zu schaffen. Wir haben das gesehen und haben das erlebt. Aber natürlich müssen die Anreize anders gesetzt werden, und zwar in ganz grundsätzlicher Art und Weise. Wir glauben, dass wir jetzt an dem Punkt stehen, wo das geschehen muss.

Der Klimawandel und die Klimafinanzierung laufen nicht so, wie sie sollten. Es ist gleichzeitig etwas, was alles, was in Afrika geschieht, in einem dramatischen Maße beeinflusst. Jeder, der sich in Afrika in der Landwirtschaft betätigt, sieht die Auswirkungen des Klimawandels auf die Ernten und den Lebensunterhalt der Menschen. Sie alle hier kennen das Problem nur zu gut. Sie erleben die Folgen der Probleme vor Ort durch die Flüchtlingsströme. Dies lässt sich am besten angehen, indem man neue Investitionen dort hinbringt, die dann Arbeitsplätze vor Ort schaffen können. Das ist für uns eine grundsätzlich andere Sichtweise. Das ist aber etwas, was wir durchführen müssen, damit wir uns den Herausforderungen stellen können, die sich hier ergeben, wie das ja auch die Bundeskanzlerin versucht zu tun. Das ist sicherlich eine der kritischsten Aufgaben, die wir bewältigen müssen.

FRAGE: Die wichtigsten Aktionäre der internationalen Organisationen fordern eine Veränderung des amerikanischen Ansatzes. Man sagt: Amerika zuerst. Eine Frage insbesondere an die Vertreter von IWF, Weltbank und WTO: Was bedeutet das in konkreten politischen Worten? Was bedeutet das für die konkrete Finanzierung? Wie wollen Sie weitermachen, ohne diesen so wichtigen Beitragszahler?

LAGARDE: Vielen Dank für Ihre Frage. Man sagt zu Recht: Kein Land hat Freunde, jedes Land hat Interessen. Das ist keine neue Erkenntnis und die ist uns allen nur zu vertraut.

Wir, die internationalen Institutionen, haben einen Auftrag und der lautet: Identifiziert, warum es sinnvoll ist, die globalen Probleme, die sich uns allen stellen, kooperativ anzugehen. Wir sprechen nicht von Epidemien, wir sprechen von Problemen wie Klimawandel und Finanzkrisen. Dies sind globale Phänomene, globale Herausforderungen, die nicht an der Grenze eines Landes halt machen. Natürlich muss man sie durch nationale politische Maßnahmen angehen. Jedes einzelne Land hat seine einzelnen Interessen und wird diese Probleme im Interesse der eigenen Bevölkerung angehen. In der Geschichte haben wir immer und immer wieder die Erfahrung gemacht, dass sich diese Themen am besten lösen lassen, wenn wir in kooperativem Geiste agieren, wenn jeder von uns auf die Art und Weise beiträgt, auf die er es am besten kann, wir gemeinsam mehr bewirken, als wir das allein könnten, und über die eigenen Grenzen hinausblicken.

Ich habe keinerlei Veranlassung, zu denken, dass unser Auftrag beim IWF durch einen solchen Ansatz, dass wir Ländern wie Ägypten, der Ukraine oder Jamaica helfen, irgendwie gefährdet wird. Wir tun dies, weil wir denken, dass es im Interesse von uns allen, eines jeden Landes ist, wenn dort mehr Stabilität herrscht als weniger. Das ist Teil des Auftrags des IWF seit 70 Jahren. Stabilität ist definitiv ein positives Element für alle Volkswirtschaften in der Welt.

KIM: Natürlich sind die Vereinigten Staaten ein ganz wichtiger Beitragszahler, schon seit Anbeginn der Weltbank. Wir haben diese Institutionen nach 1945 aus guten Gründen aufgebaut. Vorher folgten Länder eher ihren eigenen Interessen. Das hat zu sehr schlechten Folgen geführt. Viele Gründe führten zur Gründung der Institutionen, die Sie heute hier sehen, aber dieser war eben einer.

Wir haben schon sehr früh Kontakt zur Regierung von Präsident Trump aufgenommen. Er ist flexibel. Man weiß, dass er seine Meinung durchaus auch ändert. Für uns ist es einfach so, dass wir nachdrücklich die Argumente anführen müssen, die Christine hier schon erwähnt hat. Natürlich sind multilaterale Prozesse schwierig, langwierig und dauern eine Zeit. Das kann jeder von uns bestätigen. Viele Hundert Länder müssen sich an einem Tisch versammeln und auf das gleiche Ziel eingeschworen werden. Natürlich ist das schwierig. Aber nach dem zweiten Weltkrieg war ja einer der Gründe für die Gründung dieser Institutionen die Absicht, die Welt zusammenzuhalten und Dinge zu erreichen, die ein einzelnes Land allein nicht erreichen kann.

Dies werden wir Präsident Trump und seinem ganzen Team vorstellen und haben es auch schon vorgestellt. Wir sind optimistisch, dass er sich als so flexibel erweisen wird, wie er das in der Vergangenheit auch war. Ich jedenfalls bin optimistisch.

AZEVÊDO: Herzlichen Dank. Es wurde ja schon sehr viel gesagt, aber lassen Sie mich anfügen: Ich habe noch nie irgendjemanden in der Welt, der ein Land anführt, gehört, der gesagt hätte: Mein Land kommt erst auf dem zweiten Rang.

Was bedeutet das denn jetzt für die Handelsbeziehungen, für das globale System? Die Vereinigten Staaten haben bestimmte Besorgnisse auf die Tagesordnung gebracht. Sie haben gesagt, sie machten sich Sorgen über freien Handel, über Handelsverzerrungen, über schlecht gemachte Handelsverträge. Ich denke, auf all diese verschiedenen Sorgen, die sie uns genannt haben, können wir ihnen sagen, dass wir in der WTO Instrumente haben, die es uns erlauben, damit fertig zu werden. Wir haben ein System geschaffen, das eigentlich dazu dienen soll, Eskalationen abzubauen und zu verhindern, auch das Außer-Kontrolle-Geraten auf jeden Fall zu verhindern, das ja dazu führt, dass alle Länder verlieren. Die Krisen, die wir in den 30ern erlebt haben, werden wir nicht mehr erleben, weil wir heute eben diese multinationalen und multilateralen Instrumente haben, die wir damals nicht hatten.

Schließlich und endlich wissen wir, wie es war, als es diese Instrumente nicht gab. 2008 haben wir Reaktionen erlebt, die ja relativ moderat waren, obwohl zu Anfang jeder angenommen hatte, es werde protektionistische Maßnahmen geben. Durch die Präsenz der multilateralen Institutionen gab es eben eine wesentlich moderatere Reaktion als bei der Wirtschaftskrise in den 30er-Jahren weil man eben die verschiedenen Effekte absorbieren, dämpfen konnte.

BK'IN DR. MERKEL: Ich möchte noch den einen Satz sagen: Die Tatsache, dass wir überhaupt die G20-Präsidentschaft auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs haben, ist der Tatsache geschuldet, dass wir uns in einer der schwierigsten weltwirtschaftlichen Situationen für dieses Format entschieden haben.

FRAGE: Frau Bundeskanzlerin, ich würde gern wissen, wie Sie die Chancen dafür einschätzen, dass beim G20-Gipfel in den beiden Punkten Handel und Klimaschutz doch noch Fortschritte gelingen, obwohl zum Beispiel heute eine gemeinsame Erklärung der G7-Außenminister daran gescheitert ist, dass die US-Regierung in Sachen Klimaschutz eine unklare Position hatte?

BK'IN DR. MERKEL: Ich denke, es waren die Energieminister, oder?

ZUSATZ: Oder die Energieminister, ich weiß es nicht.

BK'IN DR. MERKEL: Die Außenminister haben ihre Beratungen bei G7 gerade erst begonnen. Ich möchte mich jetzt nicht an Spekulationen beteiligen. Ich denke, wir sind jetzt noch am Beginn unserer Beratungen. Die Sherpas haben sich mit der neuen Administration überhaupt erst einmal getroffen. Wir werden darauf hinarbeiten, dass wir ein hohes Maß an Kontinuität haben. Ob das gelingt, kann ich heute nicht voraussagen.

Montag, 10. April 2017

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Quelle:
Pressekonferenz nach Treffen der Bundeskanzlerin mit den Vorsitzenden
internationaler Wirtschafts- und Finanzorganisationen, 10.04.2017 in Berlin
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2017/04/2017-04-10-pk-merkel-vorsitzende-wirtschaftsorganisationen.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. April 2017

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