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PRESSEKONFERENZ/1734: Kanzlerin Merkel und der armenische Ministerpräsident Paschinjan, 24.08.2018 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz - Freitag, 24. August 2018
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und Ministerpräsident Nikol Paschinjan

Besuch der Bundeskanzlerin in der Republik Armenien.


MP PASCHINJAN: Meine Damen und Herren, wie Sie wissen ist dies der erste offizielle Besuch der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel in der Republik Armenien. In dieser Hinsicht kann man diesen Besuch schon als historisch einstufen. Er fällt in eine Zeit, in der Armenien große Veränderungen und einen großen Umbruch erlebt, in politischer Hinsicht und in Hinsicht auf die Demokratie.

Ich freue mich sehr, dass wir zusammen mit Frau Bundeskanzlerin ein sehr umfassendes Gespräch haben führen können, über die bilateralen Beziehungen zwischen Armenien und Deutschland, über die Beziehungen zwischen Armenien und der Europäischen Union. Wir haben auch regionale Fragen besprochen.

Ich freue mich sehr, dass sehr viele Fragen unserer aktuellen bilateralen Tagesordnung einen gemeinsamen Rahmen dafür bieten, dass wir freundschaftliche Beziehungen miteinander pflegen, und dass es ein nicht ausgeschöpftes Potenzial existiert, auch wirtschaftlich, um mit der Bundesrepublik Deutschland zusammenzuarbeiten. Deutschland ist unser drittgrößter Handelspartner und auch als europäischer Partner für uns von einer besonderen Bedeutung, auch in wirtschaftlicher Beziehung. Wir hoffen sehr auf wesentliche Fortschritte im Bereich der Wirtschaft. Wir haben festgestellt, dass wir auf der Grundlage dieses Besuches eine neue Tagesordnung unter Einbeziehung mehrerer Bereiche und Projekte auflegen können. Wir können diese Fragen auch auf Arbeitsebene intensiver besprechen und versuchen, das in naher Zukunft umzusetzen.

Ich freue mich sehr, dass Frau Bundeskanzlerin bereits die Atmosphäre gespürt hat, die in Armenien herrscht, und dass sie auch gespürt hat, welch positive Wahrnehmung ihres Landes und des deutschen Volkes es gibt. Ich hoffe sehr, dass sich dies jetzt weiterhin unter Beweis stellen wird und diese Wahrnehmung entsprechend transportiert wird. Vielen Dank.

BK'IN DR. MERKEL: Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Nikol Paschinjan, ich freue mich, dass ich heute zum ersten Mal als Bundeskanzlerin hier in Armenien zu Gast sein kann und bedanke mich auch für den herzlichen, freundschaftlichen Empfang. Ich komme in einer ganz besonderen Zeit in Ihr Land. Sie feiern nicht nur den 100. Jahrestag der Gründung der Demokratischen Republik Armenien, sondern hier sind auch viele Veränderungen im Gang.

Ich habe meinen Besuch Armeniens heute bei der Gedenkstätte Zizernakaberd begonnen. Als Freunde und Partner Armeniens sind wir Deutsche uns sehr bewusst, welche Gräueltaten den Armeniern 1915 und in den folgenden Jahren zugefügt wurden. Dieses Leid unzähliger Armenier darf und wird nicht vergessen werden. Dazu wird Deutschland seinen Beitrag leisten.

Sie sind Ministerpräsident in einem Land mit einer jahrtausendealten Geschichte. Wir sind hier in Eriwan zu Gast, in einer Stadt, die 2800-jähriges Jubiläum feiert. Das zeigt, dass wir hier wirklich eine lange und historische Kultur haben.

Gerade wieder lebt Armenien in einem Umbruch. Viele neue Dinge werden hier in Angriff genommen, die von der Bevölkerung Armeniens natürlich auch gewünscht werden. Wir alle haben im vergangenen Frühjahr die Veränderungen hier verfolgt und auch mit großem Wohlwollen betrachtet. Hundertausende sind Ihrem Aufruf gefolgt und haben friedlich demonstriert, sodass wir das auch als eine samtene Revolution bezeichnen können.

Wir haben intensiv darüber gesprochen, welcher Art die Beziehungen Armeniens sein können, gerade zu Deutschland, aber eben auch zu der Europäischen Union. Unsere bilaterale Zusammenarbeit ist sehr gut, aber sie kann verbessert, intensiviert werden. Ich denke, dafür haben wir heute eine gute Tagesordnung aufgestellt, was zum einen die kulturellen Bereiche anbelangt, aber ich werde auch von einer Wirtschaftsdelegation begleitet. Wir werden im Anschluss noch einmal Gelegenheit haben, mit den einzelnen Vertretern zu sprechen. Wir können hier sowohl im Infrastrukturbereich als auch bei der Digitalisierung helfen. Wir können die Rohstoffzusammenarbeit verstärken. Wir können im Bereich der Dienstleistungen und auch des Bildungssystems noch vieles tun. Es gibt hier eine Vielzahl von Schulen, in denen die Kinder Deutsch lernen. Das deutsche Außenministerium hat auch eine ganze Reihe dieser Deutschlernschulen hier installiert, und darauf kann man aufbauen. Wir wollen unsere wissenschaftliche Kooperation vertiefen. Dafür gibt es bereits einige gute Beispiele. Aber das lässt sich mit den Wissenschaftsorganisationen und den Universitäten in Deutschland noch weiter voranbringen.

Wir haben auch darüber gesprochen, dass wir in den Fragen von Asyl sehr eng zusammenarbeiten wollen. Hierbei gibt es eine gute Kooperation, aber wir haben einige schwierige Fälle. Das hat auch etwas mit einer besseren medizinischen Versorgung in Armenien zu tun. Auch hierbei können wir eine Kooperation suchen und fortsetzen.

Ich freue mich sehr, dass es gelungen ist, dass Armenien in den vergangenen Monaten ein Abkommen mit der Europäischen Union abgeschlossen hat, was der Tatsache Rechnung trägt, dass Armenien einerseits Mitglied der Eurasischen Wirtschaftsorganisation ist, aber andererseits auch die Kooperation mit der Europäischen Union vertiefen will. Deutschland wird alles dafür tun, dass die Möglichkeiten dieses CEPA-Abkommens, wie es genannt wird, wirklich genutzt und umgesetzt werden und dass daraus eine vertiefte Kooperation mit allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union gelingen kann.

Wir sind bereit, Verantwortung bei der Lösung des Bergkarabach-Konfliktes zu übernehmen. Dazu gibt es ja die sogenannte OSZE-Minsk-Gruppe, in der Deutschland Mitglied ist. Wir haben darüber gesprochen, dass es gut wäre, solche Konflikte zu lösen, aber sie müssen natürlich in einem Klima gelöst werden, in dem alle Seiten dazu bereit sind. Aber Deutschland ist bereit, hierbei auch politische Verantwortung zu übernehmen.

Herzlichen Dank also noch einmal für den freundlichen Empfang. Ich habe heute das Tumo-Zentrum besucht, das auf ganz wunderbare Weise gezeigt hat, welche Bildungsphilosophie hier herrscht und wie viele hunderte Kinder jeden Tag dort in die moderne Welt der Digitalisierung eintauchen. Das hat mich sehr beeindruckt. Deshalb wünsche ich Ihnen wirklich viel Erfolg bei Ihrer nicht einfachen politischen Arbeit. Manche Dinge, die die Menschen gestört haben, wie Korruption und anderes haben sich hier sehr eingeschlichen. Sie sind entschlossen, dem entgegenzutreten. Dafür alles, alles Gute auf diesem Weg.

MP PASCHINJAN: Danke. Sehr geehrte Kollegin, jetzt ist die Phase der Statements schon abgeschlossen, und die Vertreter der deutschen und der armenischen Presse haben zwei Fragen.

FRAGE: Die Unterzeichnung dieses Partnerschaftsabkommens zwischen Armenien und der Europäischen Union hat natürlich die Möglichkeit gegeben, auch die Frage der Visaliberalisierung zu besprechen. Wie sehen Sie diese Frage? - Vielen Dank.

BK'IN DR. MERKEL: Wir haben Verständnis; denn wir haben uns im Zusammenhang mit Georgien und auch der Ukraine und den von diesen Ländern geschlossenen Assoziierungsabkommen auch mit den Visafragen beschäftigt. Beide Länder haben jetzt schon eine Visaliberalisierung. Das hängt auch sehr eng mit der Kooperation in den Migrationsfragen zusammen. Deshalb ist diese Kooperation wichtig, damit wir auch bei der Visafrage im Blick auf Armenien vorankommen. Die Perspektive bleibt natürlich, aber wir haben noch einige Schritte zu gehen.

MP PASCHINJAN: Lassen Sie mich noch etwas hinzufügen. Während unserer Gespräche haben wir festgehalten, dass die Statistik nach den politischen Veränderungen in Armenien zeigt, dass jetzt mehr Menschen nach Armenien kommen als Menschen Armenien verlassen, was bedeutet, dass die politischen Veränderungen in Armenien jetzt als Prozess praktisch nicht nur die Abwanderungswelle aus Armenien verändern werden, sondern auch die Repatriierung der Armenier nach Armenien fördern werden. Der Erfolg der politischen Prozesse wird auch diesen Prozess garantieren.

FRAGE DETJEN: Frau Bundeskanzlerin, haben Sie heute mit dem Pflanzen der Tanne eines Völkermordes gedacht?

Wenn ich darf, dann an Herrn Ministerpräsidenten Paschinjan die Frage: Was macht Sie so optimistisch, dass Sie das Verhältnis zur Europäischen Union und Ihr Verhältnis zu Russland gleichermaßen gut ausbalancieren können?

BK'IN DR. MERKEL: Ich habe das Gedenken in dem Geiste vorgenommen, den auch die Resolution des Deutschen Bundestages aus dem Juni 2016 ausgedrückt hat. Ich glaube, damit ist ein wichtiger Schritt für die Entwicklung der Erinnerungskultur gegangen und auch eine politische Einordnung vorgenommen worden, aber eben ausdrücklich keine juristische. In diesem Geist habe ich das Gedenken heute vollzogen.

MP PASCHINJAN: In Ihrer Frage habe ich folgende Nuance gespürt. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann haben Sie von der Politik mit Russland gesprochen, die ausgeglichen werden soll. Ich möchte festhalten, dass die Republik Armenien keine Außenpolitik gegenüber einem Partnerland auf Kosten eines anderen Partnerlandes führt.

Wir haben immer gesagt, dass nach der samtenen Revolution in der armenischen Außenpolitik keine Umwälzungen und stattfinden werden. Wir bauen unsere Beziehungen zu Russland weiter aus, natürlich auch im Rahmen der Eurasischen Wirtschaftsunion. Wir bauen auch unsere Beziehungen zu der Europäischen Union und zu den europäischen Ländern, insbesondere auch zu Deutschland, weiterhin aus. Während unseres Gesprächs wurde festgehalten, dass dieser unser außenpolitischer Ansatz für die Seite der Bundesrepublik Deutschland vollkommen akzeptabel ist und dass wir eigentlich keine Notwendigkeiten von Gegengewichten und Ausgleichen sehen. Das ist eigentlich auch der Geist unserer Außenpolitik, und ich glaube, dass Frau Bundeskanzlerin diese unsere Position auch bestätigen wird.

FRAGE: Frau Bundeskanzlerin, soweit wir informiert sind, hat es Kontakte für eine Zusammenarbeit zwischen der Eurasischen Wirtschaftsunion und der Europäischen Union gegeben. Sehen Sie eine Möglichkeit dafür? Welche Rolle denken Sie Armenien eigentlich zu?

BK'IN DR. MERKEL: Armenien kann ein Beispiel dafür sein, wie wir eine gute Zusammenarbeit mit Russland finden können und wie man gleichzeitig auch eine gute Zusammenarbeit mit der Europäischen Union haben kann. Natürlich gibt es dabei bestimmte Möglichkeiten nicht. Da die Eurasische Union praktisch eine Freihandelszone ist, kann nicht wie zum Beispiel bei Georgien ein Freihandelsabkommen mit Armenien geschlossen werden. Aber es gibt viele andere Möglichkeiten der wirtschaftlichen Kooperation, und die können genutzt werden.

Ich persönlich, um auf Ihre Frage zu antworten, glaube nicht, dass in allernächster Zukunft formale Verhandlungen zwischen der Eurasischen Wirtschaftsunion und der Europäischen Union aufgenommen werden, sondern ich denke eher, dass wir es so machen, wie wir es jetzt mit dem CEPA-Abkommen im Blick auf Armenien gemacht haben. Damit schließe ich nicht aus, dass es solche Verhandlungen eines Tages einmal geben könnte. Aber im Augenblick sehe ich das für die nächsten Monate nicht.

MP PASCHINJAN: Ich möchte noch Folgendes unterstreichen. Das Territorium der Eurasischen Wirtschaftsunion hat für die armenische Wirtschaft natürlich eine große Bedeutung. Wir haben bei unseren Gesprächen natürlich auch die Tatsache festgehalten, dass wir ein bestimmtes Handelsregime mit der Europäischen Union haben, das GSP+. Dieser Umstand gibt uns die Möglichkeit, den Handelsumfang mit der Europäischen Union zu vergrößern. Wir haben unseren Wunsch geäußert, diesbezüglich nicht nur den Umfang zu vergrößern, sondern auch die Qualität zu verbessern, damit wir einen bestimmten Fortschritt sichern können.

FRAGE: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben den Konflikt in Bergkarabach bereits angesprochen. Nun gab es im Vorfeld Ihres Besuchs in Aserbaidschan die Zurückweisung eines Delegationsmitgliedes, eines Bundestagsabgeordneten. Ist das ein Affront? Belastet das die Reise?

Herr Präsident, wie bewerten Sie das Vorgehen und das Handeln von Aserbaidschan in diesem Konflikt?

BK'IN DR. MERKEL: Zu dem Vorgang hatte ich mich schon geäußert. Wir haben dann entschieden, dass die Begleitung nach Aserbaidschan morgen durch einen anderen Abgeordneten stattfinden wird. Das ist im Einvernehmen mit der Begleitung durch den Kollegen Weiler hier in Armenien und in Georgien geschehen. Morgen wird der Kollege Wadephul an der Reise teilnehmen.

Wir haben uns zu dritt deshalb zu diesem Schritt entschlossen, weil es wichtig ist, immer wieder Gespräche zu führen. Nur in Gesprächen kann man die Konflikte überhaupt lösen. Durch Nichtsprechen werden Konflikte mit Sicherheit nicht gelöst. Deshalb ist es aus meiner Sicht wichtig, dass diese Reise stattfindet. Aber es zeigt auch, welche Spannung besteht. Deshalb drängt im Grunde die Zeit und müssen wir alles versuchen, um den Konflikt möglichst zu lösen. Deshalb haben wir heute auch eine ganze Zeit darüber gesprochen.

MP PASCHINJAN: Ich möchte hier mit Freude festhalten, dass Deutschland die Bemühungen der Minsker Gruppe und der drei Vorsitzenden der Minsker Gruppe um die Regelung der Konflikts in Bergkarabach zumindest stark unterstützt. Frau Bundeskanzlerin persönlich und Deutschland haben die Überzeugung, dass der Konflikt um Bergkarabach ausschließlich auf friedlichem Wege gelöst werden kann. In dieser Hinsicht ist es natürlich auch von großer Bedeutung, dass in der Region eine entsprechende Atmosphäre geschaffen wird. Armenien misst den Bemühungen der Bundesrepublik Deutschland natürlich eine große Bedeutung bei.

Ich danke Ihnen. Liebe Freunde, somit schließen wir unsere Pressekonferenz. Auf Wiedersehen!

Freitag, 24. August 2018

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Quelle:
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und Ministerpräsident Nikol Paschinjan, 24.08.2018
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2018/08/2018-08-24-merkel-paschinjan.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2018

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