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PRESSEKONFERENZ/1939: Regierungspressekonferenz vom 23. Oktober 2019 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz - Mittwoch, 23. Oktober 2019
Regierungspressekonferenz vom 23. Oktober 2019

Themen: Fund von 39 Leichen in einem Lastwagen in Großbritannien, Unterhauswahl in Kanada, Präsidentschaftswahl in Bolivien, Situation in Nordsyrien, Kabinettssitzung (Entwurf eines Gesetzes zur Vereinheitlichung des Energieeinsparrechts für Gebäude, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Strafverfahrens, Entwurf eines Gesetzes über einen nationalen Zertifikatehandel für Emissionen aus Brennstoffen für Wärme und Verkehr), agrarpolitischer Bericht 2019, Medienberichte über geplante Reform des Gemeinnützigkeitsrechts, Situation in Chile, deutsch-französische Zusammenarbeit im Rüstungsbereich, Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Bahntickets im Fernverkehr, Nominierung von Isabel Schnabel für einen Posten im EZB-Direktorium

Sprecher: StS Seibert, Alter (BMI), Adebahr (AA), Fähnrich (BMVg), Malachowski (BMJV), Alter (BMI), Kuhn (BMF) Baron (BMWi), Alexandrin (BMVI)


Vors. Mayntz eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt StS Seibert sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

StS Seibert: Guten Tag, meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst im Namen der Bundeskanzlerin sagen: Die Bundeskanzlerin ist tief erschüttert von den Nachrichten aus Großbritannien vom Schicksal von 39 Menschen, die, in einen Lkw eingepfercht, qualvoll den Tod gefunden haben. Ihr tiefes Mitgefühl gilt den Angehörigen.

Unsere Entschlossenheit muss sich gegen diejenigen richten, die solche Transporte organisieren und durchführen. Die Hintergründe dieser schrecklichen Tat sind noch nicht voll ausgeleuchtet, und ich möchte daher hier auch nicht mutmaßen. Wenn nötig haben die britische Justiz und die britischen Behörden all unsere Unterstützung bei der Suche nach den Schuldigen und den Hintermännern.

Aber noch einmal: Heute stehen die Erschütterung über die 39 verlorenen Menschenleben im Vordergrund und der Gedanke der Anteilnahme mit all denjenigen, die heute um ihre Toten trauern.

Frage: Wahrscheinlich ist es zu früh, um das schon zu wissen. Aber es ist ja nicht unwahrscheinlich, dass ein Lkw, der aus Bulgarien nach Nordwesteuropa fährt, auch durch Deutschland fährt. Herr Alter, hat Sie dazu schon eine Anfrage der britischen Behörden erreicht?

Gibt es Ihres Wissens eine technische Möglichkeit, solche Transporte zu tracken, wenn sie durch deutsches Gebiet fahren? Bei einem Lkw dürften ja Mautdaten anfallen.

Alter: Ich verstehe Sie so, dass Sie fragen, ob man jetzt im Nachhinein feststellen kann, ob der Lkw durch Deutschland gefahren ist.

Zuruf : Genau!

Alter: Sie können davon ausgehen, dass, wie Herr Seibert es gerade gesagt hat, die deutschen Sicherheitsbehörden bei der Aufklärung dieses schrecklichen Ereignisses alle Unterstützung leisten werden. Dabei werden, soweit es notwendig und angezeigt ist, auch alle Ermittlungsmöglichkeiten in Anspruch genommen, die uns zur Verfügung stehen.

Aber im Moment ist es noch zu früh, um konkret einordnen zu können, was hinter dieser Tat, hinter diesem Ereignis steckt. Wir alle neigen dazu, bei dem, was wir wissen, ein Gefühl dafür zu haben, was dahinterstecken könnte. Aber die Tatsachenbasis ist noch nicht ausreichend, um das konkret einzuordnen. Insofern müssen wir zum jetzigen Zeitpunkt bei dieser allgemeinen Aussage bleiben, die auch Herr Seibert gerade getätigt hat.

Zusatzfrage: Hat es beispielsweise über Europol schon an andere Polizei- oder Sicherheitsbehörden eine Anfrage der Briten gegeben?

Alter: Mir ist nicht bekannt, ob es eine Anfrage gegeben hat. Wenn das noch nicht geschehen ist, dann wird es erfolgen. Das ist sicher. Aber die Information, ob es zum jetzigen Zeitpunkt bereits erfolgt ist, müsste ich Ihnen nachreichen.

Vors. Mayntz: Wir haben heute ein Softwareupdate. Deswegen wären wir dankbar für Nachlieferungen bis 15 Uhr. Alles andere können wir erst morgen früh weiterverschicken.

StS Seibert: Ich möchte vorab noch eine weitere Mitteilung machen. Kanada hat gewählt, und die Bundeskanzlerin gratuliert dem alten und neuen Premierminister Justin Trudeau sehr herzlich zu seinem erneuten Wahlerfolg.

Kanada und Deutschland arbeiten besonders eng und besonders freundschaftlich zusammen für Klimaschutz und Multilateralismus. Die Bundeskanzlerin will diese vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Premierminister Trudeau gern fortsetzen.

Frage: Auch Bolivien hat gewählt. Gab es auch bereits Glückwünsche an Evo Morales?

StS Seibert: Nach meinen Informationen ist in Bolivien eine Stichwahl notwendig. Es gab nur den ersten Wahlgang. Vor Ausgang der Stichwahl sollte man einem bolivianischen Präsidenten doch wahrscheinlich nicht gratulieren.

Zusatz: Das Auswärtige Amt kann mich gern verbessern. Aber Evo Morales hat bereits den ersten Wahlgang für sich entschieden, sodass er nicht in die Stichwahl gehen muss, sondern schon in der ersten Runde den Sieg davongetragen hat.

StS Seibert: Ist das so?

Adebahr: Nach unserem Kenntnisstand kursieren derzeit unterschiedliche Zahlen zu den Wahlergebnissen in Bolivien. Die endgültige Auszählung wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Die Bundesregierung wird sich bis zum Vorliegen eines endgültigen Wahlergebnisses, das derzeit nicht vorliegt, nicht zu diesen Wahlen äußern.

StS Seibert: Es mag sein, dass mein Kenntnisstand nicht der aktuellste war. Wir werden das abwarten, und mit wirklich amtlichem Endergebnis kommt dann auch die Reaktion der Bundesregierung.

Frage: Herr Seibert, wurde das Thema Syrien im oder nach dem Kabinett zwischen den beteiligten Häusern und der Kanzlerin behandelt? Gibt es jetzt eine abgestimmte Position innerhalb der Bundesregierung zu der Idee einer Schutzzone in Nordsyrien? Diese Frage geht auch an Frau Adebahr.

StS Seibert: Im Kabinett hat das Thema keine Rolle gespielt. Über Gespräche vor oder nach der Kabinettssitzung berichte ich hier grundsätzlich nicht. Die Bundeskanzlerin führt laufend Gespräche mit Ministern und Ministerinnen zu den aktuellen Themen, mit denen sich die Bundesregierung befasst. Über den Inhalt dieser vertraulichen Gespräche berichte ich grundsätzlich nicht.

Ich kann Ihnen sagen, dass die Meinungsbildung in der Bundesregierung zum Vorschlag der Verteidigungsministerin noch nicht abgeschlossen ist. Der Vorschlag wird in den nächsten Tagen in den verschiedenen internationalen Kontakten der Bundesregierung eine Rolle spielen, insbesondere natürlich bei den Treffen der Verteidigungsministerin mit ihren Kollegen beim Nato-Treffen. Der Außenminister wird sein Engagement mit Blick auf die erste Sitzung des Verfassungskomitees, das nächste Woche in Genf tagen wird, intensivieren. Deutschland bringt sich dadurch also stärker in den politischen Prozess zur Konfliktlösung ein.

Zusatz: Ich hatte auch noch Frau Adebahr gefragt.

Adebahr: Dem habe ich erst einmal nichts hinzuzufügen. Zum aktuellen Stand hat Herr Seibert gerade vorgetragen.

Zusatzfrage: Können Sie uns sagen, welche Art von Vorschlag die Verteidigungsministerin beim Nato-Treffen in Brüssel überhaupt vortragen kann, wenn es keine abgestimmte Position gibt?

Fähnrich: Das hat sie auch bereits in den zahlreichen Interviews erklärt. Es geht ja darum - da wiederhole ich natürlich große Teile -, dass wir nicht tatenlos zuschauen können, wenn Menschen sterben, und dass wir nicht tatenlos zuschauen können, wenn der Kampf gegen den IS quasi zum Erliegen kommt und sich die humanitäre Situation verschlechtert. Die Ministerin hat das Momentum genutzt, zum einen den Zeitpunkt der noch existierenden Waffenruhe und zum anderen die von Herrn Seibert angesprochenen zahlreichen Gespräche auch in dieser Woche, um mit Partnern über den Vorschlag einer international kontrollierbaren Sicherheitszone in Nordsyrien zu sprechen.

Dieser Vorschlag ist jetzt mit den Partnern zu besprechen. Welche Partner sie in den nächsten beiden Tagen, Donnerstag und Freitag, spricht, ist zum einen dem Format des Verteidigungsministertreffens geschuldet, aber natürlich auch den Terminen der anderen Verteidigungsministerinnen und - minister. Deshalb kann ich jetzt auch noch keine Termine oder festen Zusagen vorwegnehmen. Seien Sie aber gewiss, dass die Ministerin sehr bemüht ist, mit zahlreichen Partnern zu sprechen, und dass wir von den Partnern auch bereits eine Bereitschaft signalisiert bekommen haben, über diesen Vorschlag zu sprechen.

Frage: Zum einen eine Frage an das Auswärtige Amt: Die Verteidigungsministerin hat sich vorhin im Verteidigungsausschuss geäußert. Die Teilnehmer aus verschiedenen Fraktionen haben hinterher offen gesagt, dass es der Kernpunkt sei, ein UN-Mandat, ein Mandat des UN-Sicherheitsrats für eine solche Sicherheitszone anzustreben.

Ist das mit dem Auswärtigen Amt schon in irgendeiner Form abgestimmt und vorbesprochen? Wer wird das tun? Wer wird ganz praktisch in New York die Hand heben und den Zettel vorlegen?

Die zweite Frage an Herrn Seibert: Die Meinungsbildung in der Bundesregierung ist noch nicht abgeschlossen. Heißt das, dass die Ministerin bei ihren Gesprächen in Brüssel als Einzelperson agiert und nicht die Rückendeckung der Bundesregierung hat?

Adebahr: Zu geschlossenen Sitzungen von Ausschüssen des Bundestages und dazu, was darüber, was dort gesagt worden ist, berichtetet wird, nehmen wir hier, denke ich, keine Stellung.

Zusatz: Das war nicht meine Frage.

Adebahr: Ich verweise Sie auch gern auf die öffentlichen Äußerungen des Ministers, auch heute Morgen in einem Fernsehsender. Dort hat er auch zur Bedeutung der Vereinten Nationen Stellung genommen.

Wir selbst als Auswärtiges Amt sind in den Vereinten Nationen und auch im Sicherheitsrat als Mitglied zum Thema Syrien sehr aktiv, und zwar seit Langem, in ganz verschiedenen Fragen, etwa in humanitären Fragen und auch in Fragen der Beratungen dort. Das war so, und das wird natürlich so bleiben.

Zusatzfrage: Das ist also ein Nein. Eine Frage war, ob der Vorstoß der Verteidigungsministerin, ein UN-Mandat anzustreben, mit Ihrem Haus abgestimmt ist. Aus dem, was Sie gesagt haben, höre ich ein klares Nein.

Adebahr: Ich verweise Sie zu Ihrer Frage auf die öffentlichen Äußerungen des Ministers. Denen füge ich nichts hinzu.

Grundsätzlich zum Engagement des Auswärtigen Amtes in den Vereinten Nationen habe ich das Zweite angefügt.

StS Seibert: Zu der Frage an mich: Die Bundeskanzlerin findet es richtig, dass sich Deutschland und Europa in einem Konflikt, der sich direkt vor unserer europäischen Haustür abspielt und der intensive Auswirkungen auf unsere Interessen und unsere Sicherheit hat, stärker und aktiver engagieren.

Gleichzeitig gilt natürlich, dass Regierungshandeln immer auf Abstimmung in der Regierung und auf dem Herstellen von Einverständnis der Regierungspartner beruht. Die Meinungsbildung in der Bundesregierung zum Vorschlag der Verteidigungsministerin ist eben, wie ich es vorhin gesagt habe, noch nicht abgeschlossen. Trotzdem ist vollkommen klar, dass die Verteidigungsministerin in genau dieser Funktion zum Treffen der Nato-Partner reist.

Frage: Gestern gab es eine Vereinbarung zwischen dem türkischen und dem russischen Präsidenten unter Einbeziehung auch der syrischen Regierung. Findet diese Vereinbarung irgendeinen Widerhall in den Plänen der Verteidigungsministerin, oder hält sie an den bisherigen Plänen fest?

StS Seibert: Vielleicht darf ich etwas zu unserer Einschätzung der Vereinbarung sagen, die gestern zwischen Russland und der Türkei getroffen wurde.

Zusatz: Bei allem Respekt, ich hatte das Verteidigungsministerium gefragt.

StS Seibert: Ach so! Dann, bei allem Respekt, bekommen Sie die Antwort sicherlich gern auch vom Verteidigungsministerium.

Vors. Mayntz: Aber die Bundesregierung entscheidet schon selbst, wer antwortet.

StS Seibert: Ich möchte mich nicht aufdrängen.

Zusatz: Sie können ja gern ergänzen, aber an sich hatte ich das Verteidigungsministerium gefragt.

StS Seibert: Ich möchte mich auf keinen Fall aufdrängen, auch nicht Russia Today, wirklich nicht.

Fähnrich: Ich kann dazu nur relativ grundsätzlich sagen, dass diese Entscheidung, diese Verbindung der beiden bei uns Berücksichtigung findet und dies auch in den Gesprächen mit etabliert wird.

Frage : Aus der SPD-Fraktion hörten wir heute Morgen vom Fraktionsmanager Carsten Schneider, der sagte, nach dem, was Erdogan und Putin gestern beschlossen hätten, müsste sich der Vorschlag von Frau Kramp-Karrenbauer doch eigentlich erledigt haben.

Meine Frage an das BMVg: Das sehen Sie also nicht so.

Eine zweite Frage, und zwar an Herrn Seibert: Mich verwundert an dieser Sache am meisten, dass das Vorgehen der Ministerin und CDU-Chefin offenbar mit der Kanzlerin abgesprochen war. Denn ich kannte Frau Merkel bisher als eine, die ihre Partner nicht überrumpelt und deren Pläne, wenn sie sie an die Öffentlichkeit bringt, immer sehr gut durchdacht sind.

Machen Sie mich einmal ein bisschen schlauer, warum die Kanzlerin offensichtlich ein Vorgehen mitgetragen hat, das so überhaupt nicht ihrem normalen Vorgehen entspricht.

Fähnrich: Zu der Vereinbarung zwischen den Staatspräsidenten Putin und Erdogan habe ich zum einen gesagt, dass sie im Zuge der Verhandlungen und Gespräche Einfluss nehmen wird. Grundsätzlich ist diese Art der Sicherheitszone aber nicht Grundlage unseres Vorschlages und unserer Intention.

StS Seibert: Dann nehme ich jetzt den Ball zu Sotschi auf. Ich denke, es ist wichtig, daran zu erinnern, dass die Waffenruhe, die zwischen den USA und der Türkei ausgehandelt war, gestern um 21 Uhr abgelaufen ist. Sie hatte zu einer deutlichen Beruhigung der Lage geführt.

Alle Schritte, die jetzt zu einer Beendigung des Blutvergießens und zu einer Linderung des Leids der Zivilbevölkerung führen, sind im Grundsatz positiv zu bewerten. Jetzt kommt es darauf an, diese Waffenruhe zu verstetigen.

Bei ihrem gestrigen Treffen in Sotschi haben die Präsidenten Erdogan und Putin dazu weitere Schritte vereinbart. Wir begrüßen also, dass die Waffenruhe durch die gestrige Übereinkunft um weitere 150 Stunden verlängert wurde.

Wichtig ist aus unserer Sicht auch, dass es in dem schriftlichen Ergebnis dieses Treffens einen klaren positiven Bezug auf das Verfassungskomitee für Syrien gibt, das in der nächsten Woche in Genf zusammentreten soll. Wichtig ist, dass beide Präsidenten das bestätigen. Denn aus unserer Überzeugung ist die Bildung dieses Verfassungskomitees der Einstieg in den so oft geforderten politischen Prozess, der für eine friedliche Zukunft in Syrien von ganz entscheidender Bedeutung ist.

Wir sind jetzt damit befasst, die Details der gestern getroffenen Vereinbarung auszuwerten. Viele wichtigen Fragen sind weiterhin offen, und diese wichtigen Fragen werden wir sicherlich auch gemeinsam mit den europäischen Partnern, mit Russland und mit der Türkei aufnehmen.

Grundsätzlich ist es wichtig, dass sich das internationale Zusammenwirken bei der Lösung dieser Krise nicht nur auf die Türkei und Russland beschränkt. Europa muss sich - ich habe es vorhin schon gesagt - mit diesen aktuellen Vorgängen unmittelbar an der Grenze zu unserem Kontinent befassen, weil es um Fragen geht, die viele EU-Mitgliedsstaaten ganz unmittelbar betreffen.

Unser Anliegen ist und bleibt die Wahrung der Stabilität in der Region. Unser Anliegen bleibt der Kampf gegen den IS. Unser Anliegen bleibt, dass es eine Rückkehr von Flüchtlingen nur in Sicherheit, Würde, Freiwilligkeit und in Abstimmung mit dem UNHCR geben kann. Natürlich bleibt es auch unser Anliegen, dass die berechtigten Interessen der kurdischen Bevölkerungsanteile berücksichtigt werden.

Nun zu Ihrer zweiten Frage: Ich habe es vorhin gesagt; die Kanzlerin führt laufend Gespräche mit Ministern und Ministerinnen, über deren Inhalt ich ganz grundsätzlich nicht berichte, weil diese Gespräche vertraulich sind. Deswegen nur das eine: Die Bundeskanzlerin war vorab über die Vorstellungen der Verteidigungsministerin informiert und findet es, wie ich es schon vorhin gesagt habe, richtig, dass sich Deutschland und Europa in diesem Konflikt direkt vor unserer Haustür aktiv engagieren. Gleichzeitig gilt - darauf habe ich vorhin schon hingewiesen -, dass Regierungshandeln nur in abgestimmter Form und mit Einvernehmen der Regierungspartner möglich ist.

Zusatzfrage: Sie war vorab informiert. Gleichzeitig gilt, dass die Dinge in Absprache erfolgen sollten. Hätte es die Bundeskanzlerin besser gefunden, wenn solche wichtigen Fragen innerhalb der Bundesregierung vorab abgestimmt worden wären?

StS Seibert: Ich habe Ihnen zu der Kommunikation in der Bundesregierung jetzt nicht mehr zu sagen, als ich nun mehrfach gesagt habe. Die Meinungsbildung ist noch nicht abgeschlossen, und es ist natürlich wichtig, dass diese Meinungsbildung stattfindet.

Frage: Wie verhalten sich die beiden Ziele zueinander, die gerade noch einmal genannt wurden, nämlich einerseits Sicherheitszone und andererseits Verfassungsdebatte? Soll beides als politisches Ziel am Ende dieser jetzt gestarteten Initiative stehen? Ist es das Ziel, beides zu erreichen?

Meine zweite Frage, zur Debatte im Rahmen der Nato: Bezieht sich das nur auf die europäischen Partner? Ist überhaupt einmal daran gedacht worden oder wird es erwogen, die neuen Systeme kollektiver Sicherheit im Rahmen der EU zu aktivieren?

Fähnrich: Zur letzten Frage kann ich relativ einfach Auskunft geben. Würde am Donnerstag ein Gespräch im Rahmen eines Treffens der europäischen Verteidigungsminister stattfinden, würde dieses Forum genutzt werden. Jetzt findet ein Treffen der Verteidigungsminister der Nato statt, und dieses wird genutzt.

Die Aussage ist, dass wir mit den Verbündeten und unter Einschluss der Türkei und auch Russlands - - - Damit verbietet sich eine reine Nato-Aktion. Der Wunsch der Ministerin und das Ziel ist - das hat sie auch öfter gesagt - eine VN-Resolution, unter deren Dach diese Mission dann starten könnte.

Es ist auch die Frage, wie diese Mission aussehen soll. Es wird immer wieder gefragt, wie viele Soldaten, wie viele Flugzeuge, wie viele Panzer daran beteiligt sein sollten. Diese Frage stellt sich zurzeit gar nicht. Denn die Lösung kann und soll eine politische Lösung sein. Wie man dahin kommt, wird sich doch in den nächsten Tagen und anhand der Gespräche zeigen, nämlich dahingehend, auf welche tragfähige, internationale Grundlage dieser Vorschlag gestellt werden kann, was dann in einem politischen Konsens und dem Ziel endet, eben danach zu fragen, welche Rolle das Militär spielt.

Adebahr: Zu Ihrer ersten Frage: Die Meinungsbildung zu dem Vorschlag von Frau Kramp-Karrenbauer ist ja noch nicht abgeschlossen. Das steht dort.

Zum Verfassungskomitee und zum politischen Prozess: Darüber haben wir in der Syria Small Group seit mehr als einem Jahr intensive Diskussionen geführt, um unter der Leitung des VN-Sondergesandten - früher Herr de Mistura, jetzt Herr Pedersen - dieses Verfassungskomitee zustande zu bekommen. Es gab auch intensive Diskussionen zwischen Russland und der Türkei über die Namen, die dort zu nominieren sind. Es ist uns in der Woche der VN-Generalversammlung auf einer Sitzung der Syria Small Group gelungen, jetzt die Namen für dieses Verfassungskomitee festzuzurren und zu begrüßen - "endorsen", würde man sagen -, dass dieses Komitee jetzt Ende des Monats tagen soll.

Wir unterstützen diesen Prozess der VN ja seit Jahren ganz intensiv auf verschiedene Art und Weise. Wir haben die Delegation der syrischen Opposition bei den Verhandlungen unterstützt. Wir unterstützen jetzt den Aufbau dieses Verfassungskomitees und überlegen, wie wir uns da weiter einbringen. Das ist ein ganz wichtiger Schritt, um eben zu dieser umfassenden politischen Lösung für Syrien zu kommen, weil - was passiert da? - dort passiert, dass sich die ganz verschiedenen Parteien zusammensetzen und darüber reden, welche Verfassung Syrien in Zukunft haben könnte, wie sie aussehen soll und wie dieses Land seinen Weg geht. Das ist ein ganz entscheidender Punkt dafür, eine dauerhafte Befriedung in Sicherheit für Syrien zu erreichen.

Zusatzfrage: Sehen Sie da einen Zusammenhang mit der Initiative von Frau Kramp-Karrenbauer?

Adebahr: Wie gesagt: Diese Initiative wird besprochen. Darüber ist die Meinungsbildung nicht abgeschlossen. Das, was wir dort tun, ist ein Prozess, der seit Jahren läuft. Das machen wir intensiv, und das wollen wir natürlich in dieser wichtigen Phase, die jetzt bevorsteht und in der das Komitee endlich zum ersten Mal zusammentritt, auch noch intensivieren.

Frage: Ich habe eine Frage an das Verteidigungsministerium und an das Außenministerium. Der Außenminister hat ja gestern schon über Irritationen und Fragen von Partnern gesprochen. Mich würde interessieren, ob es weitere Irritationen gibt. Herr Fähnrich, Sie hatten gesagt, es gäbe die Bereitschaft, darüber zu diskutieren, wie Sie von Partnern gehört hätten. Gab es denn auch Zustimmung von Partnern?

An das Außenministerium: Ist da inzwischen mehr eingegangen, auch in diese Richtung?

Ganz konkret würde mich noch interessieren, ob der Vorschlag mit Frankreich abgestimmt war oder, falls nicht, wie die französische Regierung bisher darauf reagiert hat.

Fähnrich: Zu den Reaktionen: Die sind vielfältig. Details würde ich hier eigentlich ungern bekannt geben, weil sie eben zu den vertraulichen Gesprächen zwischen den Partnern gehören.

Vorabgestimmt war in dem Falle, dass wir die drei Großen informiert haben. Dazu gehört natürlich Frankreich.

Es war heute auch zu lesen, dass es da Verstimmungen gibt. Die kann ich nicht bestätigen. Ich kann Ihnen sagen, dass es entsprechend positive Signale gab. Wir werden in den nächsten zwei, drei Tagen, wenn der Vorschlag diskutiert wird, dann auch erörtern, in welcher Form Zustimmung oder Diskussionsbedarf vorliegt.

Adebahr: Ich würde es gerne in diesem Forum dabei belassen, auf die Äußerungen des Außenministers von gestern zu verweisen.

Frage: Nur für mein Verständnis, Herr Fähnrich: Sie hatten gesagt, dass die Verteidigungsministerin mit den Partnern über diese Idee sprechen will. Zu den Partnern zählt wahrscheinlich noch die Türkei - die ist ja in der Nato - , aber nicht unbedingt Russland und der Iran, die ja auch involviert sind. Will die Verteidigungsministerin, dass das Auswärtige Amt ihren Vorschlag mit Russland, dem Iran und anderen Nicht-Nato-Ländern bespricht, oder wird sie das selbst tun?

Fähnrich: Zum einen hat sie ja auch klargemacht, dass sie erst einmal innerhalb Europas mit den Partnern Verbindung und entsprechende Konsultationen aufnehmen möchte und das Forum gerade gegenüber Frankreich und Großbritannien dazu nutzt, um darüber zu diskutieren. Dann würde der zweite Schritt folgen, nämlich die Partner, die eben auch erwähnt wurden und die dazugehören - die Türkei und Russland -, hinzuzuziehen.

Zusatzfrage : Vor der Abstimmung mit dem Rest der Bundesregierung oder danach?

Fähnrich: Diese Abstimmung läuft ja gerade, und wir konsultieren eben in beiden Fällen, sowohl international als auch national.

Frage: Ich hätte noch eine Nachfrage an Herrn Fähnrich. Der Aussage des deutschen Außenministers, dass es Irritationen vonseiten der Alliierten gibt und dass auch fehlende Details im Vorschlag von AKK beklagt werden, haben Sie gerade ziemlich vehement widersprochen. Heißt das, der deutsche Außenminister hat in dem Fall gelogen? Können Sie vielleicht noch einmal darlegen, wie Sie Ihre Aussage meinten?

Fähnrich: Ich finde es immer schön, wie Sie das interpretieren. - Ich habe das nicht mit einem Wort gesagt! Ich habe nur gesagt, dass ich in einem Bericht gelesen habe, dass es Irritationen aus Frankreich geben soll. Diese, habe ich gesagt, kann ich nicht bestätigen.

Zusatz: Aber der bundesdeutsche Außenminister hat ja direkt und live vor Kameras gesagt "Es gibt Irritationen vonseiten der Alliierten". Das ist also eine veritable, nachweisbare Aussage des Außenministers, und Sie haben diesen Sachverhalt gerade negiert. Das muss man ja als Bundesregierung irgendwie zusammenbringen.

Fähnrich: Ja, und das habe ich zusammengebracht, indem ich auf ein einziges Land und darauf Bezug genommen habe, dass wir Gespräche im Rahmen dessen suchen, was für morgen beziehungsweise übermorgen geplant ist. Dafür, dass dort Bereitschaft besteht, mit uns zu reden, haben wir - ebenfalls von diesem Land - positive Signale bekommen.

Zusatzfrage: Sie hatten vorhin - ich habe mitgeschrieben - "unter Einschluss unserer Verbündeten Russland und Türkei" gesagt. Jetzt ist der Terminus Verbündete im Kontext Russland/Nahost bisher eher selten gefallen.

Mich würde vonseiten des Außenministeriums interessieren, ob Sie diesen Terminus in der aktuellen Lage ebenfalls nutzen.

Adebahr: Ich glaube, Herr Fähnrich kann gerne noch einmal einordnen, wie er das gemeint hat. Das muss ich jetzt nicht tun.

Fähnrich: Die Verbündeten, die wir in den nächsten zwei, drei Tagen im Rahmen des Nato-Verteidigungsministertreffens treffen werden, brauche ich nicht mehr zu erläutern.

Zum Vorschlag, hat die Ministerin ganz klar gesagt, gehört die Hinzuziehung von Russland und der Türkei mit dazu.

Zusatzfrage: In ihren Ausführungen hatten Sie von "unseren Verbündeten Türkei und Russland" gesprochen. Heißt das, es muss "Verbündete/Russland" heißen?

Fähnrich: Nach meiner Kenntnis ist die Türkei immer noch ein Nato Partner und bleibt es. Sie ist ein Verbündeter.

Ich habe das explizit unter den Aspekten gesehen, die dort vor Ort zurzeit die Szenerie bestimmen, nämlich dass man eben alle Beteiligten an einen Tisch bekommt und nicht nur Europa oder nicht nur andere Staaten.

Frage: Ich habe eine Frage an das Kanzleramt und an das Auswärtige Amt. Herr Seibert, in deutschen Medienberichten wird über ein Gipfeltreffen der Bundeskanzlerin mit Macron, Johnson, Erdogan und Putin gesprochen. Wie konkret sind solche Pläne?

Frau Adebahr, Sie haben gerade noch einmal die deutsche Unterstützung für die syrische Opposition betont. Kann Assad aus Ihrer Sicht oder aus Sicht der Bundesregierung ein Teil der politischen Zukunft Syriens sein?

StS Seibert: Ich glaube, da gerät etwas ein bisschen durcheinander. Es gibt tatsächlich Medienberichte über ein geplantes Treffen zwischen Premierminister Johnson, Präsident Macron, Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Erdogan. Dafür kann ich Ihnen jetzt keinen Termin nennen.

Adebahr: Ich habe etwas zur Genese des Verfassungskomitees und des politischen Prozesses ausgeführt. Auch was die Rolle des Regimes in Syrien betrifft, haben wir unsere Position hier oft dargestellt. Ich verweise Sie auch noch einmal gerne auf den Außenminister, der gestern gesagt hat, dass eine Stärkung des Assad-Regimes kein Ergebnis wäre, das in Syrien wünschenswert ist.

Frage: Herr Seibert, Sie hatten vorhin ausgeführt, dass im Kontext der gestrigen Vereinbarung noch wichtige Fragen offengeblieben seien. Könnten Sie die konkretisieren oder zumindest eine oder zwei Fragen nennen, die Ihrer Meinung nach offengeblieben sind?

StS Seibert: Die Fragen beziehen sich auf die insgesamt zehn Punkte der schriftlichen Vereinbarung, und die werden wir dann mit der Türkei und Russland aufnehmen.

Zusatz: Aber die Punkte liegen ja der Öffentlichkeit vor. Dann können Sie doch beispielweise "Uns liegen Fragen zu Punkt 5 vor" sagen.

StS Seibert: Ich nehme trotzdem die Gespräche, die darüber mit der Türkei und auch mit den Russen zu führen sind, jetzt hier nicht vorweg. Aber ich habe ja unsere wesentlichen Interessen genannt. Dazu gehört zum Beispiel, dass die berechtigten Anliegen kurdischer Bevölkerungsanteile auch berücksichtigt werden müssen. Eine mögliche Frage wäre also: Wie wird in dieser Einigung dafür Gewähr geleistet? Wie geht der Kampf gegen den IS weiter? Wie ist es mit der Rückkehr von Flüchtlingen und beispielsweise mit der Zusammenarbeit mit dem UNHCR? - Es gibt viele Fragen.

Frage: Herr Seibert, Sie haben vorhin von kurdischen Interessen gesprochen. Welche Gruppen sind das? Welche Interessen sind das? Die Türkei hat immer gesagt, dass dieser Kampf gegen die YPG stattfinde, nicht gegen alle Kurden. Welche Interessen meinen Sie damit?

StS Seibert: Ich meine die Interessen der kurdischen Bevölkerungsanteile in dieser Region, nicht die Interessen einer politischen Gruppierung, sondern die Interessen der kurdischen Bevölkerungsanteile.

Zusatzfrage: Wie sieht die Bundesregierung die YPG?

StS Seibert: Darüber haben wir hier oft gesprochen, und es gibt dazu auch keinen neuen Stand.

Frage: Herr Seibert, ich habe noch zwei Kleine Nachfragen zum Part der Kanzlerin in dieser Schrittfolge. Sie sagten, die Meinungsbildung innerhalb der Regierung sei nicht abgeschlossen. Wann ist denn der Zeitpunkt für die Kanzlerin gekommen, auch ihre internationalen Kontakte in diesem Bereich zu aktivieren? Wird das nach Abschluss der Meinungsbildung innerhalb der Bundesregierung stattfinden?

Zum anderen sagten Sie vorhin, sie finde es richtig, dass sich Europa und Deutschland in diesen Konflikt aktiv engagierten. Nur zur Sicherheit nachgefragt: Schließt das dezidiert auch eine militärische Aktivität Deutschlands mit ein?

StS Seibert: Sie findet es richtig, dass sich Deutschland und Europa in diesem Konflikt, der direkt vor unserer Haustür stattfindet, der unsere Sicherheitsinteressen betrifft und der die große Frage der Migration und der Flucht betrifft, aktiv verhalten. Das tun wir im Übrigen bereits seit vielen Jahren, indem wir versuchen, zu dem politischen Prozess beizutragen. Die Bundeskanzlerin und auch der Außenminister haben viele, viele, viele Gespräche über die Zusammensetzung des Verfassungskomitees geführt, das nun glücklicherweise nächste Woche gebildet werden kann. Das ist ja also kein Einstieg in eine Aktivität, sondern es ist Aktivität, die immer wieder unter den sich ändernden Bedingungen der Lage weiterentwickelt werden muss.

Ich kann nur wiederholen: Die Meinungsbildung ist nicht abgeschlossen. Aber das Thema Syrien und das Thema, wie mit der Militärintervention der Türkei umzugehen ist, haben für die Bundeskanzlerin in sehr vielen Gesprächen auch in den letzten Wochen eine Rolle gespielt und werden sicherlich auch weiterhin eine Rolle spielen, nur dass es jetzt beispielsweise heißt, wie mit der Einigung von Sotschi umzugehen ist.

Zusatzfrage: Die neue Qualität wäre ja jetzt ein deutscher Vorstoß, der eigentlich ohne ein deutsches militärisches Engagement nicht vorstellbar wäre. Also noch einmal nachgefragt: Gibt es einen dezidierten Einschluss einer Bundeswehrpräsenz in dieser möglicherweise angestrebten Sicherheitszone?

StS Seibert: Aber aktuell stellt sich diese Frage doch nicht, weil das doch davon abhängt, zu welchem europäischen Vorstoß es dann am Ende kommen wird und wie die Gespräche ausgehen, die zu führen sind.

Frage: Ich habe vielleicht noch einmal eine Frage an das Auswärtige Amt. Sie haben ja gerade auf die Aussagen Ihres Ministers von gestern und auch von heute Morgen verwiesen. Es bleibt für mich die Frage bestehen: Sind denn die Irritationen, die es gestern offenbar gab und die er auch beschrieben hat, mittlerweile ausgeräumt?

Adebahr: Er hat gestern beschrieben, wie die Reaktion unmittelbar nach dem Herauskommen des Vorschlages war. Das ist der Stand, der sich gestern im Laufe des Tages manifestiert hat. Ich werde jetzt nicht von hier aus auf einzelne Gespräche und fortdauernde Gespräche, die verschiedene Akteure der Bundesregierung offenbar führen, eingehen, aber auf diese Grundaussage des Außenministers verweise ich gerne noch einmal.

Zusatzfrage: Arbeiten das BMVg und das Auswärtige Amt in dieser Sache Hand in Hand oder voneinander getrennt?

Fähnrich: Nein, wir stimmen uns ab und diskutieren.

Frage: Herr Seibert, nur noch einmal kurz eine Nachfrage zur Frage des militärischen Engagements: Grundsätzlich ist doch ein solcher Vorstoß, wie ihn Frau Kramp-Karrenbauer gemacht hat, ohne eine Bundeswehrbeteiligung nicht denkbar, oder?

StS Seibert: Ich möchte jetzt hier nicht weiter über einen Plan sprechen, über den die Meinungsbildung innerhalb der Bundesregierung noch nicht abgeschlossen ist. Dafür ist es zu früh.

Zusatz: Ich wollte ja auch nur grundsätzlich wissen, ob ein Mitglied der Bundesregierung oder die Bundesregierung selbst Militäraktionen einfordern könnte, für die man dann selbst keine Soldaten stellen würde.

StS Seibert: Ich halte das jetzt für eine ein bisschen spekulative oder theoretische Frage. Sie wissen, dass wir mit unserer Bundeswehr, mit unseren Soldatinnen und Soldaten, in einer Vielzahl von Militäreinsätzen engagiert sind. Sie kennen also und die Welt kennt unsere Bereitschaft, da, wo wir es nötig finden, und da, wo es ein parlamentarisches Mandat dafür gibt, auch vorzugehen. Das ist jetzt eine ganz grundsätzliche Betrachtung.

Vors. Mayntz: Ich kann mir vorstellen, dass wir übermorgen an dieser Stelle weiterfragen werden und wir uns jetzt erst einmal mit dem beschäftigen, wozu die Meinungsbildung der Bundesregierung heute zum Abschluss gekommen ist.

StS Seibert: Das war eine geschickte Überleitung. Auch da sind viele Prozesse dabei.

Die Kabinettsthemen:

Zunächst hat das Kabinett einen Gesetzentwurf zur Vereinheitlichung des Energieeinsparrechts für Gebäude beschlossen. Das ist ein Gesetz, das im Wesentlichen mehrere bestehende Regelungen zusammenführt, Vorgaben vereinfacht und damit Bürokratie abbaut. Es ändert zunächst nichts an den aktuellen Anforderungen für Neubauten und Gebäudebestand; die gelten erst einmal fort. Allerdings sollen die energetischen Standards 2023 überprüft und weiterentwickelt werden. Ölheizkessel - das wissen Sie sicher schon aus dem Klimaschutzprogramm - sollen ab 2026 grundsätzlich nicht mehr eingebaut werden dürfen, wodurch die Anzahl reiner Ölheizungen künftig zugunsten klimafreundlicherer Alternativen sinken wird, und wer seine alte Ölheizung durch ein klimafreundliches Modell ersetzen lässt, der kann eine attraktive Austauschprämie erhalten.

Der zweite Beschluss des Kabinetts geht auf eine Vorlage des Justizministeriums zurück. Es ist der Gesetzentwurf zur Modernisierung des Strafverfahrens. Wir wollen also Strafverfahren moderner und effektiver ausgestalten. Auch das ist ein Beitrag dazu, unseren Rechtsstaat zu stärken.

Es gibt eine Reihe von Neuregelungen in diesem Gesetzentwurf. Ich will nur einige wenige herausgreifen: Die Interessenvertretung mehrerer Nebenkläger kann künftig durch einen gemeinschaftlichen Rechtsbeistand gebündelt werden. Das kann eben ganz besonders in sehr umfangreichen Verfahren die Dauer der Hauptverhandlung verkürzen, ohne dass die Interessen der Nebenkläger beeinträchtigt werden.

Das Befangenheits- und Beweisantragsrecht soll verbessert werden. Damit soll dem möglichen Missbrauch von Verfahrensrechten besser begegnen werden können. Unnötige Verzögerungen der Hauptverhandlung sollen verhindert werden.

Der prozessuale Schutz der Opfer von Sexualstraftaten wird weiter gestärkt. Alle Vergewaltigungsopfer haben einen Anspruch auf einen Rechtsbeistand. Außerdem können Richter erwachsene Opfer eines Sexualdelikts schon im Ermittlungsverfahren vernehmen. Da gibt es dann die Möglichkeit audiovisueller Aufzeichnungen, die in der späteren Hauptverhandlung verwendet werden können. Das kann eine belastende Mehrfachvernehmung des Opfers vermeiden.

Zur Bekämpfung des Wohnungseinbruchdiebstahls sollen die Befugnisse der Ermittlungsbehörden im Bereich der Telekommunikationsüberwachung erweitert werden.

Dann ging es um einen sehr wichtigen Beschluss im Rahmen unserer Klimaschutzpolitik, einen wesentlichen Teil des am 9. Oktober beschlossenen Klimaschutzprogramms 2030, nämlich den Gesetzentwurf der Bundesumweltministerin zum nationalen Emissionshandel mit fossilen Brennstoffen für Wärme und für Verkehr. Das Brennstoffemissionshandelsgesetz - so heißt es - schafft also erstmals in diesen beiden Sektoren Gebäudewärme und Verkehr einen Preis für CO2, für die Verbrennung von Ottokraftstoffen, von Diesel, von Heizöl, von Erdgas und von Kohle. Diese beiden Sektoren Gebäudewärme und Verkehr sind eben wesentliche CO2-Verursacher und bisher nicht Teil des Europäischen Emissionshandelssystems. Wir setzen mit dieser Bepreisung von CO2-Emissionen ein klares Signal. Wir stellen sicher, dass wir zusammen mit vielen anderen Maßnahmen, die Sie hier inzwischen mehrfach vorgestellt bekommen haben, unsere nationalen Klimaziele für 2030 erreichen.

Wir beginnen 2021 erst einmal mit einem Festpreis von 10 Euro pro Tonne CO2, der sich dann jährlich bis 2025 auf 35 Euro pro Tonne erhöht. Gleichzeitig wird ein Budget an Emissionszertifikaten festgelegt und von Jahr zu Jahr verringert. Diese Zertifikate werden an Unternehmen verkauft, die Heiz- und Kraftstoffe in Verkehr bringen oder liefern. Dieser verlässliche Preispfad ermöglicht es den Bürgern und der Wirtschaft, sich auf die Entwicklung einzustellen und die kommenden Entwicklungen eben dann zu berücksichtigen, wenn wesentliche Investitionsentscheidungen anstehen.

Ab 2026 wird sich der Preis am Markt bilden, erst einmal in einem festgelegten Korridor zwischen mindestens 35 und höchstens 60 Euro pro Tonne CO2. Inwieweit dann ab 2027 Höchst- und Mindestpreise noch sinnvoll und erforderlich sind, wird die Bundesregierung 2025 überprüfen. - Das ist das, was ich Ihnen dazu heute sagen kann.

Zum Abschluss noch der agrarpolitische Bericht der Bundesregierung.

Ich will vor dem Hintergrund der gestrigen Protestaktionen noch einmal vorab Folgendes sagen:

Die Bundesregierung möchte ihre hohe Wertschätzung für die Landwirtschaft und die tägliche Arbeit unserer Bäuerinnen und Bauern zum Ausdruck bringen. Vor dem Hintergrund sich wandelnder gesellschaftlicher Anforderungen sind sie es, die Bauern, die Bäuerinnen, die unsere Ernährung sicherstellen und maßgeblich auch für den Erhalt unserer Kulturlandschaft sorgen.

Im Übrigen hat das Kabinett, wie ich gesagt habe, heute den agrarpolitischen Bericht 2019 verabschiedet, der erläutert, in welcher Lage die Landwirtschaft in Deutschland ist. Er erläutert die agrarpolitischen Ziele, Vorstellungen und Vorhaben der Bundesregierung.

Wenn man auf die vergangenen vier Jahre schaut, wird deutlich: Wir haben eine sehr leistungsfähige Landwirtschaft. Sie beschäftigt etwa 4,7 Millionen Menschen rund um unsere Lebensmittel - so kann man es sagen. Die Bruttowertschöpfung - "vom Acker bis zum Teller", wie es heißt - liegt bei über 190 Milliarden Euro. Das sind mehr als 6,5 Prozent der Wertschöpfung aller Wirtschaftsbetriebe in Deutschland. Wir stehen weltweit an dritter Stelle der Agrarexporteure nach den USA und den Niederlanden. Zugleich ist Deutschland aber auch drittgrößter Agrarimporteur mit deutlichen Einfuhrüberschüssen.

Die Einkommen der Landwirte waren in diesem Berichtszeitraum - der Bericht wird alle vier Jahre abgegeben - starken Schwankungen unterworfen: 2017/2018 hat sich das Einkommen der landwirtschaftlichen Betriebe deutlich um rund 14 Prozent auf rund 36 000 Euro je Arbeitskraft gesteigert. Das war im Zehnjahresvergleich der höchste Wert. Nun zeichnet sich ab, dass die Einkommen 2018/201919 unterhalb des Durchschnitts dieser beiden sehr guten Vorjahre liegen werden.

Es gibt weiterhin einen Strukturwandel in der deutschen Landwirtschaft. Er setzt sich aber langsamer als in früheren Jahren fort. Es gibt insgesamt 275 400 landwirtschaftliche Betriebe. Das ist die Zahl von 2016.

Aber natürlich zeigt der Bericht, dass es für die deutsche Landwirtschaft große Herausforderungen gibt. Stärker schwankende Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse und steigende Risiken durch den Klimawandel machen es notwendig, weitere Anstrengungen zu unternehmen, um unsere Landwirtschaft zukunftsfest auszurichten. Dabei setzt sich die Bundesregierung auch künftig für den Erhalt und die Weiterentwicklung einer nachhaltigen, vielseitigen und wirtschaftlich tragbaren Landwirtschaft sowohl konventionell wie ökologisch ein. Die Rolle der Bundesregierung ist es, zwischen den Anforderungen der Verbraucher, den Erfordernissen der Umwelt, des Klima- und Naturschutzes und den Belangen der Landwirtschaft immer wieder zu vermitteln. - So viel dazu.

Frage: Ich habe eine Frage an das Wirtschaftsministerium zu den Energieeinsparungen, was die Ausnahmen angeht. Man kann Ölheizungen auch unter bestimmten Bedingungen weiter einbauen. Das ist mir nicht richtig klar. Im Gesetz steht: wenn es keine Möglichkeit für Gas- oder Fernwärme gibt. Ich habe nicht verstanden, ob diese Ölheizung dann mit erneuerbaren Energien kombiniert sein muss oder nicht. Es gibt zwei verschiedene Aussagen dazu.

Baron: Ich kann dazu gerne Stellung nehmen. Wie gesagt, wir haben heute den Gesetzentwurf zum Gebäudeenergiegesetz im Kabinett verabschiedet. Damit werden Teile des Klimaeckpunktepapiers umgesetzt. Das ist vor allem der Punkt Ölheizung, den Sie ansprachen. Daneben sichern wir auch Entbürokratisierung und Vereinfachung. Auch das ist in dem Fall für Bauherren eine ganz wichtige Nachricht, da zum Beispiel ein neues gleichwertiges Nachweisverfahren, das sogenannte Modellgebäudeverfahren, eingeführt wird. Das ist also künftig eine Erleichterung für Bauherren.

Sie haben recht: Ein wesentlicher Bestandteil der Umsetzung der Eckpunkte der Klimaschutzprogramme ist der Punkt Heizungen. Wenn in Bestandsgebäuden ab dem Jahr 2026 ein Ölkessel ausgebaut werden muss, kann nur noch dann ein Ölkessel eingebaut werden, wenn in diesem Gebäude der Wärme- und Kältebedarf anteilig durch erneuerbare Energien gedeckt wird. Dann gibt es eine Ausnahme, die das Gebäudeenergiegesetz regelt. Wenn im Jahr 2026 mit Blick auf ein bestimmtes Gebäude die Alternative nicht zur Verfügung steht - das heißt, wenn ein Fernwärme- oder Gasanschluss nicht vorhanden ist -, kann ausnahmsweise noch einmal eine Ölheizung eingebaut werden. Dann muss aber der Nachweis erbracht werden, dass anteilig mit erneuerbaren Energien kombiniert werden kann, zum Beispiel mit Warmwasser durch erneuerbare Energien. Dieser Nachweis muss erbracht werden. Wenn er erbracht wird, gibt es, wie gesagt, eine äußerste Ausnahme, und dann kann noch einmal ein Ölkessel eingebaut werden.

Zusatzfrage: Entschuldigen Sie, dass ich in dem Punkt begriffsstutzig bin. Eine Ölheizung, die nur Ölheizung ist, kann nicht mehr eingebaut werden. Dafür gibt es keine Ausnahme. Habe ich das jetzt richtig verstanden?

Baron: Dann muss ich es noch einmal erläutern. Eine Ölheizung im Bestand ab 2026 kann im Grundsatz nicht mehr eingebaut werden. Die Ausnahme gilt dann, wenn eine Alternative nicht zur Verfügung steht, das heißt, wenn ein Fernwärme- oder Gasanschluss, was ja die Alternative wäre, nicht zur Verfügung steht. Zusätzlich muss in diesem Fall - keine Alternative, kein Gasanschluss, kein Fernwärmeanschluss - der Nachweis erbracht werden, dass dann der Kälte- und Wärmebedarf anteilig durch erneuerbare Energien gedeckt werden kann. Wenn das nicht der Fall ist, kann ausnahmsweise nur eine Ölheizung eingebaut werden. Das dürfte für uns aber praktisch kaum denkbar sein, da eine Kombination bei der Wärmenutzung mit erneuerbaren Energien heute schon sehr oft vorgenommen wird, dass also die hybriden Lösungen bei der Warmwassernutzung angewendet werden.

Frage: Frau Baron, wenn Sie sagen, dass der Bedarf anteilig aus Erneuerbaren erbracht werden muss, können Sie das spezifizieren? 80 Prozent, 30 Prozent oder 0,3 Prozent sind ja alles Anteile, und das wäre ja doch ein großer Unterschied.

Zum anderen war ja ursprünglich in diesem Gesetz auch einmal geplant, eine allmähliche Verstärkung der Energiestandards bis hin zum klimaneutralen Gebäudebestand in 2050 zu führen, was ja mit dem Ziel der Klimaneutralität bis 2050 auch zwingend erforderlich wäre. Wo ist das denn geblieben?

Wie will man ohne eine solche Vorgabe die Klimaneutralität bis 2050 erreichen?

Baron: Das waren verschiedene Fragen. Ich bleibe noch einmal bei dem Thema Ölheizung und dem Nachweis des Anteils von erneuerbaren Energien. Auch da ist es, wie gesagt, so, dass die Praxis die Warmwasserkombination aus erneuerbaren Energien ist. Da zeigt die Praxis, dass ein erneuerbarer Anteil von rund 15 Prozent der Standard ist. Wenn Sie jetzt Erwägungen zu Rate ziehen, ob man mit einem Anteil von 0,3 Prozent die Dinge unterlaufen und sich irgendwie herausmogeln kann, so halte ich das für eine sehr theoretische Frage. Das, was wir aus der Praxis kennen, sind die Kombinationen mit Warmwasser. Sobald ich Warmwasser kombiniere, ist man typischerweise bei einem Anteil von 15 Prozent.

Zusatzfrage: Und die andere Frage?

Baron: Beim Punkt der Anforderungsniveaus ist es so, dass die Anforderungsniveaus den europäischen Vorgaben entsprechen, die wir im Gebäudeenergiegesetz regeln. Diese werden nicht weiter verschärft, da sie jetzt schon sehr ambitioniert sind. Vielleicht darf ich ein Beispiel nennen: Es geht natürlich um energetische Anforderungen, die dem Stand der Technik entsprechen. Der Endenergiebedarf eines Neubaus nach Gebäudeenergiegesetz, das heute verabschiedet wurde, liegt bei 45 bis 60 Kilowattstunden pro Quadratmeter Nutzfläche. Das ist ein sehr ambitionierter Wert. Das sind 65 bis 73 Prozent weniger, als der mittlere Endenergieverbrauch im Gebäudebestand darstellt. Die Zahl soll nur zeigen, dass es ein ambitioniertes Niveau ist und dass hier die europäischen Vorgaben mit diesem Niveau eingehalten werden.

Gleichzeitig - das hat Herr Seibert ja schon erwähnt - sieht das Gesetz eine Überprüfung im Jahr 2023 vor.

Frage: Ich habe eine Frage zum Thema Strafverfahren, was die Befangenheits- und Beweisanträge angeht. Meine juristische Phantasie beziehungsweise mein juristischer Sachverstand reicht aus, um mir vorzustellen, welche Prozesse und Strafverfahren gemeint sind, um Missbrauch zu verhindern, wie Herr Seibert das angedeutet hat. Es gibt ja wesentlich mehr Verfahren, wo Beweisanträge für die Verfahrenspartner beziehungsweise Verfahrensgegner wichtig sind. Wie will das Bundesjustizministerium sicherstellen, dass es hier nicht zu einer unzulässigen Verkürzung des Rechts auf Beweisanträge unter dem Deckmantel kommt, Verfahren zu verkürzen, verkürzen zu wollen beziehungsweise Missbrauch zu verhindern?

Malachowski: Die Antwort darauf finden Sie im Gesetzentwurf, der auf unserer Internetseite zu finden ist. Ganz einfach zusammengefasst nehmen wir im Wesentlichen die Kodifizierung von ständiger Rechtsprechung des BGH vor. Das bedeutet im konkreten Fall, dass ein Beweisantrag, der ausschließlich in der Absicht gestellt wird, den Prozess zu verschleppen, zu verzögern oder ganz platzen zu lassen, wenn ich das so salopp sagen darf, nicht als Beweisantrag gelten soll und dadurch keines Beschlusses bedarf, um abgelehnt zu werden. Die Details können Sie im Gesetzentwurf nachlesen, oder wir können auch im Anschluss darüber reden. Ich nehme an, dass das hier ein bisschen zu sehr in die Tiefe geht.

Frage: Ich habe eine Frage zu der ausweiteten DNA-Analyse. Herr Malachowski, was versprechen Sie sich von dieser erweiterten DNA-Analyse?

Wie gehen Sie damit um, dass es sehr unterschiedliche Trefferwahrscheinlichkeiten bei Haut-, Haarfarben usw. gibt? Wird es eine Art Handreichung für die Ermittler geben, dass man sie irgendwie dafür sensibilisiert?

Alter: Zunächst einmal ist das eine Ergänzung der bisher bestehenden Ermittlungsbefugnis bei Ermittlungshandeln von Sicherheitsbehörden oder vielmehr von Strafverfolgungsbehörden, bestimmte körperliche Merkmale im Rahmen der erkennungsdienstlichen Bearbeitung hinzuzufügen. Das heißt, es besteht schon jetzt eine gewisse Praxiserfahrung und Routine im Umgang mit körperlichen Merkmalen. Die Sicherheitsbehörden haben diesen Bedarf für sich definiert und haben zur Verfolgung von Straftaten eine Ergänzung um eine Erweiterung der Merkmale Augenfarbe, Haarfarbe, Hautfarbe und Alter gebeten. Dies wird nun gesetzlich geregelt.

Üblicherweise ist es so, dass es in den Strafverfolgungsbehörden auch Handreichungen gibt. Aber es wird sie nicht von zentraler Ebene, von ministerieller Ebene aus geben.

Zusatzfrage: Denken Sie denn auch darüber nach, diese DNA-Analyse auch auf biogeografische Informationen auszuweiten? Es gibt ja Experten, die sagen, dass Haar- und Augenfarbe viel weniger bringt, als wenn man diese Informationen hätte.

Alter: Ich kann nur dazu Stellung nehmen, worüber man sich heute im Kabinett verständigt hat. Dieses Ergebnis - aus unserer Sicht und aus Sicht der Strafverfolgungsbehörden ist es sehr erfreulich, dass wir dazu gemeinsam mit dem Bundesjustizministerium ein Ergebnis gestalten konnten - ist nicht mit der Forderung verbunden, jetzt gleich noch zusätzliche Nachschärfungen einzufordern. Die Ermittlungspraxis, die Strafverfolgungspraxis wird zeigen, ob künftig weitere gesetzliche Regelungen erforderlich sind. Im Moment ist das nicht Gegenstand unserer Überlegungen.

Zusatzfrage: Könnte das BMJV auch noch kurz etwas zu den Fragen sagen?

Malachowski: Wenn ich als federführendes Haus ergänzen darf: Das ist derzeit nicht vorgesehen.

Frage: Eine Frage an das Bundesfinanzministerium. Herr Scholz hat gestern angekündigt, dass er Änderungen im Gemeinnützigkeitsrecht oder im Steuerrecht für gemeinnützige Organisationen zumindest plant. Es waren aber nicht besonders viele Details zu erkennen. Was genau ist geplant? Wann soll das kommen? Was ist davon mit den Ländern und dem Koalitionspartner schon geeint?

Kuhn: Ehrenamtliches Engagement und auch eine aktive Zivilgesellschaft sind wichtige Grundlagen für eine lebendige Demokratie. Im Koalitionsvertrag ist ja auch deswegen vereinbart, das Ehrenamt zu entbürokratisieren und das bürgerschaftliche Engagement besser zu fördern.

Wie Sie gesagt haben, hat sich der Bundesfinanzminister gestern dazu geäußert, dass unser Haus mit Hochdruck an der Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts arbeitet. Dazu laufen jetzt gerade die Gespräche mit einer ganzen Reihe von Nichtregierungsorganisationen sowie den zuständigen Landesfinanzministerien. Er hat noch ergänzt:

"Wenn Organisationen, die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzen, schlechter gestellt werden als jeder x-beliebige Verein, müssen wir das Steuerrecht ändern. In den nächsten Wochen werden wir dazu einen Vorschlag vorlegen."

Daraus ergibt sich ja schon, dass wir mit Hochdruck daran arbeiten und dass wir in den nächsten Wochen einen Vorschlag vorlegen.

Was die Gespräche angeht, so geht es hierbei ja um Steuerrecht. Das ist in der Abgabenordnung alles geregelt. Wir müssen uns natürlich auch intensiv mit den Landesfinanzministerien abstimmen.

Zusatzfrage: Aber in dieser Arbeitsgruppe mit den Ländern ist ja nach meiner Information sehr wenig geeint. Es gibt sehr gegensätzliche Vorschläge. Können Sie denn etwas dazu sagen, in welche Richtung der Vorschlag gehen wird?

Kuhn: Ich kann dazu sagen, dass es intensive Gespräche gibt, dass alle Aspekte, die mit dem Thema zusammenhängen, dort diskutiert werden. Ich kann natürlich die Ergebnisse dieser Gespräche jetzt nicht vorwegnehmen.

Zusatz: Aber was Sie als BMF Ergebnis anstreben, könnten Sie ja vielleicht vorwegnehmen.

Kuhn: Wir streben eine Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts an, wie der Minister es gesagt hat.

Frage: Der chilenische Präsident Piñera hat nach Schüler- und Studentenprotesten gegen Fahrpreiserhöhungen den Ausnahmezustand verhängt und erstmals seit Ende der Pinochet-Diktatur massiv Militär und Panzer in den Städten auffahren lassen. Mittlerweile gibt es über 5000 Festnahmen, 15 Tote, zahlreiche Belege für Polizei- und auch Militärgewalt. Chile gilt auch als enger Partner der Bundesrepublik Deutschland in Lateinamerika. Wie bewertet die Bundeskanzlerin, wie bewertet das Auswärtige Amt die aktuellen Vorfälle und Geschehnisse in Chile?

Adebahr: Wir sind sehr besorgt über die gewalttätigen Auseinandersetzungen in einigen Städten Chiles, bei denen es eben auch zu diesen Todesfällen gekommen ist. Wir sprechen den Angehörigen unser Beileid aus.

Es zeigt sich einmal mehr, dass es richtig ist, von Gewalt abzusehen. Wir dringen darauf, dass alle Seiten ihre Positionen friedlich und im Dialog in den politischen Dialog einbringen. Insbesondere fordern wir die Demonstranten auf, die dort demonstrieren, bei ihren Protestakten auf jegliche Gewalt zu verzichten. Nach den jüngsten Berichten besteht etwas Anlass zu der Hoffnung, dass die Gewalt jetzt abebbt.

In dem Zusammenhang ist es aus unserer Sicht ein Signal in die richtige Richtung, dass die chilenische Regierung auf die Demonstranten zugegangen ist und die Tariferhöhung rückgängig macht. Das ist ein Signal, das sicher helfen kann, die Situation zu beruhigen. Das gilt auch umso mehr für die erklärte Bereitschaft des Präsidenten, mit den anderen Parteien über einen nationalen Konsens in Bezug auf Reformen, insbesondere im Sozialbereich, zu beraten.

Insofern begrüßen wir diesen Schritt der angekündigten Beratungen. Das ist ein Zeichen der Deeskalation. Es ist jetzt wichtig, dass auch die Demonstrierenden einen Schritt auf die Regierung zu machen und so alle Seiten wieder in einen Dialog kommen, um die jeweiligen Fragen, die sich dort stellen, anzusprechen und zu besprechen.

Zusatzfrage: Nach dem heutigen Stand gibt es 84 Verletzte und zwei Tote durch den Einsatz von Schusswaffen seitens der Polizei und des Militärs. Venezuela beispielsweise wurde hier schon bei weit niedrigeren Zahlen kritisiert. Aus welchen Gründen hat die Bundesregierung sich entschieden, diesen massiven Einsatz von Schusswaffen gegen Demonstranten noch nicht öffentlich zu verurteilen?

Adebahr: Ich habe mich hier ja gerade sehr öffentlich dazu geäußert, dass wir dazu aufrufen, dass es dort von keiner Seite zu Gewalt kommt. Ich kann gerne noch hinzufügen: Wir vertrauen auch darauf, dass etwaige Vorwürfe gegen Sicherheitskräfte einer Aufklärung zugeführt werden und dass jetzt eben auch solchen Vorwürfen mit dem rechtsstaatlichen Instrumentarium, das Chile ohne Zweifel hat, nachgegangen wird.

Frage: Ist heute im Kabinett noch einmal über das deutsch-französische Abkommen zur Ausfuhr von gemeinsam produzierten Rüstungsgütern gesprochen worden? Wie sieht dieses Abkommen eigentlich genau aus? Nach dem deutsch-französischen Treffen blieb es ja sehr vage, gerade was die Ausfuhrbedingungen für gemeinsam produzierte Rüstungsgüter angeht.

StS Seibert: Es ist im Kabinett nicht besprochen, aber beschlossen worden - es gibt ja immer den Tagesordnungspunkt "Beschlüsse ohne Aussprache", und da war in der Tat dieses Abkommen zwischen der bundesdeutschen Regierung und der Regierung der Französischen Republik über Ausfuhrkontrollen im Rüstungsbereich Gegenstand. Wir hatten darüber auch schon ausführlich berichtet, würde ich sagen. Nun wird dieses Vorhaben aber tatsächlich umgesetzt. Es gibt für die zukünftige Zusammenarbeit der deutschen und der französischen Verteidigungsindustrie einen festen Rahmen, eine Grundlage für mehr gegenseitige Verlässlichkeit, und das ist wesentliche Voraussetzung, wenn man Rüstungskooperationen, vor allem auch staatliche Gemeinschaftsprojekte, ermöglichen will und wenn man Europa strategisch stärken will. Denn es ist klar: Wenn man gemeinsame große Projekte angeht - was wir mit Frankreich tun -, dann braucht man auch gemeinsame Exportregeln.

Inhalt des Abkommens sind nun also Regeln und Verfahren zur Exportkontrolle von Rüstungsgütern, und zwar werden da drei Fallgruppen unterschieden: Erstens regierungsamtliche Zusammenarbeit, zweitens industrielle Zusammenarbeit und drittens Zulieferung, die außerhalb von derartigen Kooperationen erfolgt. Bei Zulieferungen - das entspricht dann der dritten Fallgruppe - bis zu einem Schwellenwert von 20 Prozent greift der De-minimis-Grundsatz, das heißt, es gibt dann ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren. Ausgenommen von dieser De-minimis-Regel sind besonders sensible Zulieferungen, die in einer Ausnahmeliste im Abkommen definiert sind. Diese Ausnahmeliste entspricht im Wesentlichen den für Zulieferungen relevanten Positionen der Kriegswaffenliste, darunter auch Kleinwaffen. In allen drei Fallgruppen, die ich Ihnen genannt habe, sind Ausnahmen möglich, wenn die nationale Sicherheit oder nationale direkte Interessen betroffen sind. Da gilt dann die Vorgabe, dass man einander konsultieren muss.

Zusatzfrage: Der Punkt "nationale Sicherheit" war ja längere Zeit Gegenstand in den Diskussionen beziehungsweise in den Beratungen oder Gesprächen. Wie ist diese "nationale Sicherheit" definiert? Was bedeutet es, wenn man sagt, dass etwas die nationale Sicherheit eines der Länder betrifft?

StS Seibert: Ich weiß nicht, ob es da eine Pauschaldefinition gibt oder überhaupt geben kann, aber vielleicht kann das BMWi, das ja zuständig ist, etwas ergänzen.

Baron: Ich kann nur ergänzen, dass Bezug genommen wird auf den gemeinsamen Standpunkt der EU und dass hinsichtlich der nationalen Sicherheitsinteressen die Definitionen des gemeinsamen Standpunkts der EU gelten. Darunter können aber verschiedene Punkte fallen, etwa regionale Stabilität in Abwägung zum nationalen Sicherheitsinteresse, aber auch Fragen der Menschenrechtslage. Es gilt an dieser Stelle also der gemeinsame Standpunkt der EU. Für den Fall, dass durch einen Mitgliedstaat Ausnahmen geltend gemacht werden, sehen die Abkommen Konsultationsverfahren der beiden Regierungen vor, die dann zur Anwendung kommen würden.

Frage: Herr Seibert, noch einmal kurz zum Brexit gefragt: Es gab gestern Abend die Empfehlung von Ratspräsident Tusk, noch einmal einen Aufschub zu gewähren. Gibt es dazu schon eine Haltung der Bundesregierung? Wie lange könnte dieser Aufschub aus Ihrer Sicht sinnvollerweise sein?

StS Seibert: Tatsächlich hat sich der Ratspräsident für eine erneute Verlängerung ausgesprochen. Er hat auch mitgeteilt, dass er zu dieser Frage die Regierungschefs der 27 EU-Mitgliedstaaten konsultieren will, und dieses Verfahren des Konsultierens ist jetzt in vollem Gang. Ich kann das Ergebnis hier nicht vorwegnehmen, ich kann aber für die Bundesregierung sagen, dass an Deutschland eine Verlängerung nicht scheitern wird.

Zusatzfrage: Glauben Sie, dass das auch ohne einen Sondergipfel unter den EU-27 über die Bühne gehen kann?

StS Seibert: Es wird konsultiert. Der Vorschlag des EU-Ratspräsidenten ist ein schriftliches Verfahren. Wie gesagt, ich kann dem Ausgang dieser Konsultationen, die er durchführt, hier nicht vorgreifen.

Frage: Herr Seibert, entscheidend ist ja auch die Länge der Verlängerung. Der Außenminister hat heute Morgen gesagt, eine kurze Verlängerung um zwei oder drei Wochen wäre kein Problem. Es gibt aber auch den Vorschlag, die Verlängerungsfrist bis zum 31. Januar auszudehnen. Wäre die Bundesregierung auch damit einverstanden?

Zweitens. Gibt es eine Vorbedingung, was Großbritannien leisten muss, um einer Verlängerung zuzustimmen - zum Beispiel eine klare Aussage, wofür man diese Zeit eigentlich benötigt?

StS Seibert: Ich möchte mich jetzt über die Aussage hinaus, die ich für die Bundesregierung getroffen habe, nämlich dass an uns eine Verlängerung nicht scheitern wird, im laufenden Konsultationsverfahren nicht zu Einzelheiten äußern.

Zusatzfrage: Frau Adebahr, wenn Ihr Minister sagt, dass eine kurze technische Verlängerung möglich sei, heißt das dann, dass er Vorbehalte gegenüber einer längeren Verlängerung hat?

Adebahr: Er hat beschrieben, dass eine kurze Verlängerung sicherlich unproblematisch möglich ist, und hat dann Fragen beschrieben, die jetzt eben besprochen werden. Den Beratungen wollte er damit, glaube ich, überhaupt nicht vorgreifen; er hat vielmehr nur die Fragen beschrieben, die sich stellen.

Zusatzfrage: Das war also keine prinzipielle Absage gegenüber einer längeren Verlängerung?

Adebahr: So habe ich das nicht verstanden.

Frage: An das Verkehrsministerium oder Umweltministerium noch einmal zum Klimapaket: Soll die Mehrwertsteuerabsenkung für die Bahn auch für Fernstrecken von Bussen gelten?

Alexandrin: Soweit mir bekannt ist, sprechen wir da momentan vom Fernverkehr bei der Bahn.

Zusatz: Der Hintergrund der Frage ist, dass es jetzt wohl ein Rechtsgutachten gibt, in dem die Frage aufgeworfen wird, ob es europäisch vertretbar ist, wenn die Fernbusstrecken nicht profitieren.

Alexandrin: Da ich persönlich das entsprechende Gutachten nicht kenne, kann ich mich dazu jetzt leider nicht äußern. Wir würden das noch einmal prüfen und gegebenenfalls noch etwas nachliefern.

Frage: Herr Seibert, vielleicht habe ich es verpasst: Hat das Kabinett die Nominierung von Professor Schnabel für den EZB-Posten auch ohne Aussprache passieren lassen?

StS Seibert: Sie haben es nicht verpasst. Das Finanzministerium kann Sie da sicherlich auf den neuesten Stand bringen.

Kuhn: Das Bundeskabinett hat heute beschlossen, dem Vorsitzenden der Eurogruppe, Herrn Centeno, die Professorin Isabel Schnabel als Nachfolgerin von Frau Lautenschläger vorzuschlagen. Unser Minister hat sich heute auch schon dazu geäußert. Ich kann das hier gern zitieren:

"Wir haben mit Professor Isabel Schnabel eine sehr gute Kandidatin gefunden. Sie ist eine herausragende Ökonomin und ausgewiesene Expertin in Bank- und Währungsfragen. Sie wird meine Kolleginnen und Kollegen in Europa überzeugen und in der EZB gute Arbeit leisten für die Eurozone und für unser Land."

Mittwoch, 23. Oktober 2019

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Quelle:
Regierungspressekonferenz vom 23. Oktober 2019
https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/regierungspressekonferenz-vom-23-oktober-2019-1684742
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Oktober 2019

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