Schattenblick → INFOPOOL → PARLAMENT → FAKTEN


PRESSEKONFERENZ/1971: Regierungspressekonferenz vom 23. Dezember 2019 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz - Montag, 23. Dezember 2019
Regierungspressekonferenz vom 23. Dezember 2019


Themen: dienstliche Mobiltelefone der früheren Bundesverteidigungsministerin von der Leyen, Forderungen nach einer Aufnahme von minderjährigen Flüchtlingen aus griechischen Aufnahmelagern, Kritik des SPD-Bundesvorsitzenden Walter-Borjans am Ausmaß der Wochenendarbeit, Nord Stream 2, Ausschreibung für die zweite Förderperiode des Programms "Demokratie leben!", Ermordung eines georgischen Staatsbürgers in Berlin, Medienbericht über die Beteiligung staatlicher Stellen an der Verschleppung und Ermordung von Oppositionspolitikern in Weißrussland vor 20 Jahren, abschlagsfreier Renteneintritt mit 63 Jahren, Verringerung kommunaler Altschulden, Zustand von Brücken an Bundesfernstraßen, Erklärung der Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes zum Abschluss der vorläufigen Ermittlungen der Situation in Palästina, Berichte des UN-Sonderberichterstatters über Folter zur Lage von Julian Assange

Sprecher: SRS'in Demmer, Thiels (BMVg), Alter (BMI), Jäger (BMAS), Adebahr (AA), Baron (BMWi), Sting (BMFSFJ), Kalwey (BMF), Alexandrin (BMVI), Wickert (BMZ)

Vorsitzender Mayntz eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt SRS'in Demmer sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

Thiels: Schönen guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Am vergangenen Freitag - das haben Sie ja alle auch über das Wochenende mitverfolgt -, war hier das Thema, was mit den dienstlichen Telefonen der früheren Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen geschehen ist.

Die umfängliche Medienberichterstattung dazu am Freitag und am Samstag hat die Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer jetzt dazu bewogen, Arbeitsaufträge in das Ministerium zu erteilen. Sie war vorher nicht darüber informiert, dass es zwei Mobiltelefone gab. Das ist auch nicht verwunderlich. Denn das gehört nicht zum exekutiven Regierungshandeln dazu, dass man sich gegenseitig darüber informiert, wie viele Mobiltelefone man so hat.

Jetzt aber, nachdem es ja erhebliche Fragezeichen gibt, wie der Umgang mit mindestens einem dieser Telefone vonstattengegangen ist, möchte die Ministerin sehr schnell erfahren, wer denn die Sicherheitslöschung dieses einen Mobiltelefons, von dem hier ja in Medienberichten sehr viel die Rede war, verfügt hat, wann das durchgeführt worden ist und wo sich dieses Mobiltelefon jetzt befindet.

Das noch nach den Medienberichten unter Verschluss befindliche Mobiltelefon, das die frühere Ministerin von der Leyen zuletzt genutzt hat, bevor sie in ihre Funktion nach Brüssel gewechselt ist, wird schnellstmöglich an die Revision übergeben. Dort soll es dann unter Zustimmung der ehemaligen Nutzerin auf Dinge untersucht werden, auf Informationen, die zum Gegenstand des Untersuchungsausschusses gehören. Das Ergebnis dieser Untersuchung ist dann umgehend dem Untersuchungsausschuss mitzuteilen, spätestens bis zur nächsten Sitzung am 16. Januar. Das Gleiche gilt auch für das dienstliche Mobiltelefon des damaligen Leiters Leitungsstab, der es wohl - nach dem, was wir wissen - mit nach Brüssel genommen hat und es jetzt nach Berlin zurückschickt. Dann wird ähnlich damit verfahren.

Der Termin für die Aufträge, die die Ministerin gesetzt hat, ist der 3. Januar. Das soll jetzt also sehr schnell und umfänglich aufgeklärt werden. Wir haben da ja sehr viele Fragezeichen, für die wir jetzt auch Antworten haben wollen.

Frage: Können Sie uns denn grundsätzlich einmal erklären, wie mit den Daten, die auf den Diensthandys eines Ministers oder einer Ministerin im Verteidigungsministerium sind, umgegangen wird, und zwar nicht erst, wenn es ein Sicherheitsproblem gibt? Welche Daten werden gesichert, und welche Daten werden nicht gesichert?

SRS'in Demmer: Das würde ich Ihnen sehr gern beantworten. Aber das ist eines der Fragezeichen, das ich auch persönlich habe. Da sind wir jetzt gerade in der Klärung, ob es dafür überhaupt Regularien gibt. Wir haben am Freitag ja hier von den Kollegen aus dem BMI erfahren, dass es keine grundsätzliche Pflicht gibt, das irgendwie zu dokumentieren und zu sichern. Wir prüfen jetzt nach, ob das bei uns passiert oder nicht passiert. Das wäre natürlich auch eine ganz wichtige Frage, die da zu klären ist.

Frage: Am Freitag hieß es ja auch, dass das eine Handy sicherheitsgelöscht sei. Können Sie näher erläutern, was das bedeutet? Heißt das auch, dass die Daten unwiderruflich gelöscht sind? Versuchen Sie intern im Haus, diese Daten wiederherzustellen?

Thiels: Ich bin kein IT-Experte. Genau das gehört zu den Dingen, die wir jetzt klären müssen. Sind noch Daten vorhanden? Wenn dieses Gerät noch vorhanden sein sollte, muss man natürlich überprüfen, ob noch wiederherzustellende Daten drauf sind. Das kann ich Ihnen aber jetzt hier an der Stelle nicht beantworten.

Zusatzfrage: Ich habe noch eine Nachfrage. Wenn die ehemalige Ministerin dem nicht zustimmt, wie werden Sie damit verfahren?

Thiels: Nach meiner Kenntnis hat sie dem schon zugestimmt.

Frage: Ich habe am Freitag - ich habe das Protokoll nachgelesen - den Eindruck gehabt, dass gesagt wurde, diese Löschung sei völlig in Ordnung gewesen und üblich und richtig. Jetzt hatte ich bei Ihnen gerade einen anderen Eindruck. Sie sagten, Frau Kramp-Karrenbauer möchte wissen, wer das eigentlich angeordnet hat und wie verfahren wurde. Vielleicht können Sie das noch einmal kurz erklären. Ist am Freitag etwas Falsches erklärt worden? Haben wir etwas falsch verstanden, oder ist das alles so richtig?

Thiels: Ich glaube, wir müssen hier zwei Dinge auseinanderhalten. Das Eine ist das Standardverfahren, das passiert, wenn kryptierte, also verschlüsselte Mobiltelefone zurückgegeben werden. Das kann zum Beispiel passieren, wenn jemand versetzt wird, und dann braucht er das Telefon nicht mehr, bekommt ein neues oder wie auch immer. Das normale Standardverfahren ist dann, dass diese Geräte auf Werkseinstellungen zurückgesetzt werden. Das kennen Sie von Ihrem persönlichen Handy wahrscheinlich auch. Weil diese Handys aber so speziell verschlüsselt sind, müssen Sie an die Firma, die diese Verschlüsselungstechnologie in diese Handys implementiert, zurückgegeben werden. Da werden sie entweder komplett neu aufgesetzt - das heißt, die Software, auch diese Verschlüsselungssoftware, wird neu aufgespielt - oder sie werden, wenn es ganz alte Geräte sind, ausgesondert. Das ist das normale Verfahren. Das ist auch Standard.

Davon ist natürlich das Verfahren im konkreten Fall zu trennen. Deswegen ist es so wichtig herauszufinden, was da genau passiert ist. Denn der Untersuchungsausschuss hat ja einen Anspruch darauf, auch elektronische Kommunikation einsehen zu können. Das ist in dem Auftrag mit abgedeckt. Deswegen müssen wir klären, was mit diesem Telefon geschehen ist oder ob es dieses Moratorium sozusagen - - - Wäre es gefallen, dann hätte man es eigentlich auch in einer Form sichern müssen. Wir sind aber noch nicht an dem Punkt, wo wir das genau feststellen können.

Frage: Ich habe eine Frage zur Situation der Flüchtlinge in Griechenland und deren Aufnahme in Deutschland. Mich würde interessieren, ob ein Bundesland das aus Sicht des Bundes allein entscheiden kann.

Dann habe ich noch eine Frage. Wir haben erfahren, dass vom Berliner Innensenator die Meldung kam, dass Berlin schon am 06.12. die Bereitschaft signalisiert habe, 70 unbegleitete Flüchtlingskinder aufzunehmen. Diese Bereitschaft habe sie am 19.12. offiziell per Antrag erneuert, aber bisher keine Antwort aus dem BMI erhalten. Daher wäre die Frage, warum bisher nicht darauf geantwortet wurde.

Alter: Vielleicht zu dem ersten Teil Ihrer Frage:

Es gibt einen schon lange erprobten, gut funktionierenden Mechanismus innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, dass Aufnahmezusagen keine Entscheidungen der Länder sind, sondern die Flüchtlingspolitik ist eine Sache des Bundes. Dementsprechend werden auch alle Übernahme- oder Aufnahmeentscheidungen durch den Bund getroffen.

Wenn Flüchtlinge aus dem Ausland aufgenommen werden - es gibt ja verschiedene Möglichkeiten -, dann erfolgt üblicherweise die Zuteilung oder die Verteilung in Deutschland nach dem Königsteiner Schlüssel, das heißt die Bundesländer werden entsprechend dieses Schlüssels beteiligt.

Wir haben aus der Vergangenheit heraus die Kenntnis erhalten, dass einige Gemeinden sich für eine Aufnahme bereiterklärt haben. Das wird selbstverständlich berücksichtigt, allerdings nicht bei der Entscheidung der Verteilung in die Länder durch den Bund, sondern bei der Verteilung innerhalb des jeweiligen Landes, also durch die Landesregierung gegenüber den Kommunen. So ist der Mechanismus.

Das konkrete Schreiben, das Sie ansprechen, sagt mir jetzt nichts. Das müsste ich nachprüfen.

Frage: Frau Demmer, in der Regierungsbefragung hatte sich die Kanzlerin, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, abwartend zu der Frage geäußert und auf laufende Gespräche verwiesen. Herrscht nach der sehr deutlichen Ablehnung durch das Innenministerium zu der Frage Einmütigkeit in der Bundesregierung?

SRS'in Demmer: Natürlich ist es der Bundesregierung ein Anliegen, die Lebenssituation aller Menschen vor Ort - natürlich auch die Lage der Kinder - zu verbessern.

Deutschland wie auch andere Staaten übernehmen ja bereits im Rahmen des Dublin-Verfahrens minderjährige Personen aus Griechenland. Aber, wie Herr Alter schon gesagt hat, geht es hier insbesondere darum, eine europäische Lösung zu finden. Vor Ort unterstützt die Bundesregierung. Zuletzt hat sie 90 Lkw mit Hilfsgütern für 10 000 Flüchtlinge geschickt. Es gibt da eine Politik der Bundesregierung aus einem Guss.

Zusatzfrage: Ich frage trotzdem noch einmal nach. Sie sagten, es gehe insbesondere um eine europäische Lösung. Das ließe bei genauem Zuhören noch Spielraum offen. Das ist aber so nicht gemeint?

SRS'in Demmer: Wir sprechen hier mit einer Sprache.

Alter: Ich möchte zu dieser Frage etwas Allgemeines ergänzen.

Es ist ja so - das muss man realistisch auch so berücksichtigen -, dass der Bundesinnenminister dieses Thema, die Lage der Flüchtlinge in Griechenland, auch die Situation auf der gesamten Route aus der Türkei kommend, nicht erst jetzt, zwei Tage vor Heiligabend, erkannt hat, sondern dass er sich bereits seit Monaten intensiv mit dieser Frage beschäftigt.

Sie wissen, dass er Anfang Oktober in Ankara und in Athen war und dort Gespräche geführt hat, auch mit der griechischen Regierung. Im Ergebnis dieser Gespräche sind von Griechenland konkrete Unterstützungsmöglichkeiten definiert worden, die wir zum Teil bereits erfüllt haben.

Griechenland wird logistisch unterstützt. Griechenland wird personell unterstützt. Die Bilder kennen wir alle. Die Zustände in den Einrichtungen auf den Inseln sind so nicht tragbar und auch nicht akzeptabel. Sie müssen verändert werden.

Der Bundesinnenminister hat von Anfang an deutlich gemacht - das gilt auch jetzt -, dass eine Entscheidung über die Aufnahme von Flüchtlingen aus einzelnen Mitgliedstaaten eine Entscheidung ist, die auf europäischer Ebene getroffen werden muss. Das ist letztlich auch der Gedanke, der ihm immer beim Thema Seenotrettung geleitet hat. An diesem Gedanken hält er fest.

Frage: Herr Alter, können Sie denn differenzieren, um welche Kinder es dabei gehen könnte? Herr Habeck hat das ja in dem Interview nicht genauer spezifiziert, wie viele Kinder da unbegleitet und wie viele Kinder noch mit ihren Eltern sind.

Alter: Das ist eine Frage, die wir uns auch stellen, die aus dem Vorschlag so nicht ganz deutlich wird. Wir wissen, dass sich derzeit etwa 40 000 Personen auf den Inseln aufhalten. Wir kennen die Größenordnung um die 4000 unbegleitete Minderjährige. Tatsächlich ist das Kriterium "minderjährig". Das heißt, wir zählen auch 17-Jährige mit. Natürlich gibt es auch Kinder, die sich dort in Begleitung ihrer Eltern aufhalten. Das kann ich Ihnen an dieser Stelle nicht genau differenzieren.

SRS'in Demmer: Vielleicht kann ich daran anschließend noch einmal bekräftigen: Wir suchen für die Zukunft nach einer europäischen Lösung. Deutschland kann das nicht im Alleingang.

Zusatzfrage: Gibt es irgendeinen Austausch zwischen dem Vorsitzenden der Grünen und dem Innenministerium zu diesem Vorschlag? Oder hat Sie das sozusagen als vorgezogenes Weihnachtsgeschenk erwischt?

Alter: Nach meinen Erkenntnissen kommt für uns der Vorschlag aus den Medien.

Allerdings - das will ich vielleicht der Vollständigkeit halber hinzufügen - ist es auch kein ganz neuer Vorschlag. Denn bereits im November hatte beispielsweise Herr Pistorius diese Forderung erhoben. Insofern macht das noch einmal deutlich: Das ist kein Thema, das erst frisch entstanden ist.

Frage: Soweit ich weiß, haben die Länder Thüringen, Niedersachsen und Berlin Ihnen Anfang Dezember und zuletzt am 20. Dezember einen solchen Antrag unterbreitet und dort konkrete Zahlen genannt. Können Sie Stellung beziehen, wie Ihre Antwort darauf ausfiel?

Alter: Ich habe versucht, das gleich nach der ersten Frage zu verdeutlichen. Das Prinzip ist immer das Gleiche. Es gibt den Dublin-Mechanismus, der auch zwischen Deutschland und Griechenland Anwendung findet, also wenn es Aufnahmezusagen gegenüber Griechenland gibt, weil Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Dann werden diese Personen nach Deutschland übernommen und im Rahmen des Königsteiner Schlüssels an die Länder verteilt. In den Ländern wiederum erfolgt die Berücksichtigung von bestimmten Kommunen, die ihre besondere Bereitschaft erklärt haben. Aber das ist keine Entscheidung, die der Bund trifft.

Zusatzfrage: Der Mechanismus ist mir klar. Nachfrage: Haben Sie diesen drei Ländern, die Interesse gezeigt haben, geantwortet? Wie ist die Antwort ausgefallen? Die Frage war ja relativ konkret, dass man eine bestimmte Anzahl in diese Länder verteilt.

Alter: Ich habe es gerade eben schon einmal gesagt. Ich habe keine Kenntnis von konkreten Schreiben einzelner Länder. Ich würde das gern nachliefern, wann sie eingegangen sind und ob wir darauf schon reagiert haben. Aber die Antwort kann nur in dem Sinne erfolgen, wie ich es Ihnen gerade beschrieben habe.

Frage: Frau Demmer und Herr Alter, wenn Sie beide sagen, Sie suchen nach einer europäischen Lösung, wie tun Sie das im Moment konkret? Haben Sie schon Kontakte zur EU-Kommission und zu anderen Ländern aufgenommen? Machen Sie sich dafür stark, dass es beim nächsten Treffen in Brüssel auf der Tagesordnung ist? Laufen da jetzt von Ihrer Seite schon Gespräche?

SRS'in Demmer: Es ist ja jetzt kein neues Thema. Grundsätzlich setzt sich die Bundesregierung ja schon sehr lange nachdrücklich für eine umfassende Reform des gemeinsamen europäischen Asylrechts mit dem Ziel eines solidarischen und krisenfesten Systems ein. Das Thema muss sich jetzt nun auch die neue EU-Kommission mit Nachdruck vornehmen. Deshalb begrüßen wir es sehr, dass Ursula von der Leyen angekündigt hat, hier einen neuen Anlauf zu nehmen.

Alter: Ich ergänze das gern für den Bundesinnenminister.

Es ist so, dass der Minister - ich hatte es schon gesagt - mit der Türkei und Griechenland Gespräche führt. Darüber hinaus steht er in engem Kontakt mit weiteren Regierungsmitgliedern auf der sogenannten Westbalkanroute. In der vergangenen Woche war der serbische Innenminister bei uns im Haus. Der Minister steht mit dem kroatischen Innenminister in Kontakt. Wir haben in der vergangenen Woche auf Initiative Deutschlands und im Gespräch mit der Regierung in Bosnien und Herzegowina Hilfslieferungen geliefert. Das Technische Hilfswerk hat nach der Schließung eines untragbaren Lagers geholfen, eine andere alternative Einrichtung aufzubauen. Das heißt, unser Engagement betrifft die gesamte Route.

Der Bundesinnenminister hat diese Gespräche auch mit der Europäischen Kommission sehr zeitnah nach der Amtsübernahme geführt. Sie erinnern sich daran: Das erste Gespräch, das der Vizepräsident Schinas und die zuständige Kommissarin Johansson überhaupt formell in ihrer Amtszeit geführt haben, war das Gespräch mit unserem Bundesinnenminister in Brüssel. Vor zwei Wochen waren die beiden hier bei uns im Innenministerium. Der Minister hat deutlich gemacht, dass er sich dazu dringend für einen europäischen Ansatz positioniert und er davon ausgeht, dass das Thema im neuen Jahr zügig angegangen werden muss. Das heißt, die Gespräche laufen seit einiger Zeit in vielfältiger Weise.

SRS'in Demmer: Ich kann noch einmal konkret daran erinnern, dass Ursula von der Leyen im November in Aussicht gestellt hat, dass sie in enger Absprache mit den Mitgliedstaaten in den nächsten Monaten einen neuen Vorschlag für einen Migrationspakt vorlegen wird.

Zusatzfrage: Wenn ich darf, eine Zusatzfrage, weil das jetzt Verweise auf die vergangenen Gespräche waren.

Beim Thema Seenotrettung gab es ja immer die Ad-hoc-Gespräche, wie man sich einigt, wenn Leute zu verteilen haben, weil man das als krisenhaften Modus begriffen hat. Das heißt aber, ich verstehe es richtig, dass Sie jetzt die Situation in Griechenland als nicht so krisenhaft begreifen, dass Sie auch in solche Ad-hoc-Gespräche eintreten?

Alter: Es gibt schon einen Unterschied zwischen diesen beiden Situationen.

Bei der Seenotrettung reden wir von einer Situation, in der Menschen in Lebensgefahr waren, sie vor dem Ertrinken gerettet wurden und an Land gehen sollten.

Hier ist es so, dass die Situation, in der sich diese Menschen befinden, prekär und nicht tragbar ist, aber nicht unmittelbar Lebensgefahr besteht - jedenfalls kann man das nicht pauschal sagen -, was nicht dazu führt, dass das Engagement geringer ist. Aber man kann diese beiden Sachverhalte nicht unmittelbar miteinander vergleichen.

Frage: Tatsächlich noch einmal eine Nachfrage genau zu dem Punkt. Sie hatten eben von sich aus die Seenotrettung als Vergleich angesprochen. Das heißt, solche Gespräche laufen nicht?

Alter: Wie gesagt, ich habe ja deutlich gemacht, in welcher Weise die Gespräche laufen. Es gibt im Moment keine Gespräche über eine zusätzliche Aufnahme von Flüchtlingen.

Frage: Ich habe eine Frage an das Arbeitsministerium. Der Parteichef der SPD, Walter-Borjans, hat ja gefordert, über die Wochenendarbeit nachzudenken, dass es da Maßnahmen geben könnte, was die Bezahlung angeht, oder dass nicht mehr so viele Ausnahmen gemacht werden. Was sagt denn das Arbeitsministerium dazu? Fühlen Sie sich da angesprochen, oder sagen Sie, das ist Sache der Unternehmer?

Jäger: Ich muss zugeben, dass mir dieser Plan oder diese Anregung bislang noch nicht bewusst war, und ich insofern nicht weiß, wie wir darauf reagieren werden. Normalerweise sehen wir so etwas erst einmal nur als Anregung aus dem politischen Raum, die wir uns anschauen. Aber das heißt nicht, dass es derzeit auf irgendeiner Agenda stünde.

Zusatzfrage: Gibt es also keinerlei Überlegung in diese Richtung? Würden Sie noch einmal nachprüfen, ob es da vielleicht doch Überlegungen gibt, und das eventuell nachliefern?

Jäger: Sollte es dazu noch etwas geben, werde ich das gerne nachliefern.

Frage: Ich habe noch eine Frage zu Nord Stream 2 und die US-Sanktionen gegen die Ostsee-Pipeline. Jetzt gab es ja auch Forderungen nach Gegenmaßnahmen, Gegensanktionen. Noch einmal gefragt, vielleicht Frau Demmer und Frau Adebahr: Wie ist die Haltung der Bundesregierung? Welche Maßnahmen außer verbalen Äußerungen könnten Sie sich vielleicht theoretisch vorstellen?

SRS'in Demmer: Wir werden uns die Regelungen genau ansehen und die Auswirkungen auf das Projekt bewerten und dann über das weitere Vorgehen entscheiden.

Adebahr: Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

Zusatzfrage: Sind denn Gegensanktionen grundsätzlich auch etwas, über das man innerhalb der Bundesregierung spricht?

SRS'in Demmer: Ich kann mich nur noch einmal wiederholen: Wir schauen uns das jetzt genau an und werden dann über alles Weitere entscheiden.

Frage: An das Wirtschaftsministerium: Das erklärte Ziel der Sanktionen ist ja, den Bau der Nord-Stream-2-Pipeline absolut zu stoppen. Wie sieht das das Wirtschafts- und Energieministerium? Ist dieses Ziel erreichbar, oder geht es nur um eine Verzögerung?

Baron: Wie gesagt: Das Gesetz in den USA ist in Kraft getreten. Das bedauern wir; denn wir lehnen extraterritoriale Sanktionen klar ab. Das Unternehmen, das betroffen ist, hat sich dazu ja auch schon geäußert, die Arbeiten zunächst eingestellt und sich in seiner Pressemitteilung dahingehend geäußert, dass es jetzt auf "guidance" und auch auf Mitteilung durch die US-Behörden warte. Wir und auch das Auswärtige Amt stehen über die Botschaft vor Ort natürlich ebenfalls im Austausch mit der US-Administration. Wie gerade gesagt schauen wir uns jetzt gerade an, welche Auswirkungen es da gibt und welche Spielräume das Gesetz vielleicht auch zulässt. Das prüfen wir aktuell.

Zusatzfrage: Sie sprechen von Spielräumen. Heißt das, dass die Bundesregierung zumindest die Möglichkeit erwägt, anstelle dieses schweizerischen Schiffs irgendwie einzugreifen und Hilfestellung zu leisten?

Baron: Nein, das können Sie jetzt nicht daraus schließen. Wie gesagt: Wir schauen uns das Gesetz genau an. Es gibt einen Austausch mit der Botschaft vor Ort, den wir führen. Das Unternehmen steht ebenfalls im Austausch mit der US-Administration. Jetzt ist genau zu schauen: Was sagt das Gesetz genau? Welche Spielräume eröffnet das Gesetz? Was sind dann die Schlussfolgerungen, die zu ziehen sind?

Zusatzfrage: Aber von einem endgültigen Stopp gehen Sie nicht aus?

Baron: Wie gesagt: Das hängt genau davon ab, wie die gesetzlichen Maßnahmen jetzt zu bewerten sind und welche Spielräume es da gibt. Es ist jetzt zu früh dafür, das endgültig zu bewerten, aber das muss man sich eben genau anschauen.

Frage: An das Auswärtige Amt: Wie bewerten Sie die Aussagen des amerikanischen Botschafters in Berlin zu diesem Thema, dass die US-Regierung im Interesse der Europäischen Union gehandelt habe?

Adebahr: Ich glaube, dazu hatte Frau Demmer in der letzten Regierungspressekonferenz im Namen von uns allen schon etwas gesagt. Wir haben auch am Wochenende noch einmal die Position der Bundesregierung dazu - nicht zu den Äußerungen, sondern unsere grundsätzliche Position - sehr deutlich dargelegt. Das können Sie auf Twitter nachlesen, und dabei möchte ich es auch hier belassen.

Frage: Die EU hat ja bereits 1996 im Zuge der Helms-Burton-Gesetze extra eine EU-Verordnung - ich glaube, die hieß damals Anti-Boykott-Verordnung - erlassen, und zwar mit dem Ziel, dass allen EU-Bürgern in der EU sozusagen untersagt wird, diesen extraterritorialen Sanktionen Folge zu leisten. Mich würde interessieren: Plant die Bundesregierung oder plant man auf EU-Ebene, dieses Gesetz jetzt auch auf die extraterritorialen Sanktionen im Kontext von Nord Stream 2 anzuwenden?

Baron: Ich bräuchte noch das Mikro. - Ich kann das nur allgemein beantworten. Es gibt bestehende Regelungen auf EU-Ebene, die gelten, die galten. Die wurden auch gerade im Kontext der Iran-Sanktionen - daran erinnern Sie sich vielleicht auch noch einmal - überarbeitet. Das geltende Recht gilt. Das wenden wir an. Unsere Haltung zu extraterritorialen Sanktionen ist klar: Wir lehnen sie ab, eben weil sie extraterritoriale Wirkungen entfalten und damit Unternehmen in Deutschland und Europa betreffen. Das ist die Haltung, die es innerhalb der Bundesregierung dazu gibt.

Zusatzfrage: Aber genau darauf zielt ja meine Frage ab. Diese Verordnung wurde 1996 im Zuge des Helms-Burton-Gesetzes eingeführt, aber nie angewandt. Sie hätte im Kontext der Iran-Sanktionen angewandt werden können und wurde auch nicht angewandt. Als wie wahrscheinlich schätzen Sie es denn jetzt ein - das ist vielleicht nicht unbedingt die Aufgabe von Ihnen; das geht eher direkt an die Bundesregierung beziehungsweise das Auswärtige Amt - , dass man diese EU-Verordnung jetzt auch tatsächlich einmal anwendet? Inwieweit gibt es darüber Gespräche auf EU-Ebene?

Vorsitzender Mayntz: Meines Wissens gehört das Wirtschaftsministerium auch zur Bundesregierung.

Zusatzfrage: Wie bitte?

Vorsitzender Mayntz: Ich sagte "Meines Wissens gehört das Wirtschaftsministerium auch zur Bundesregierung", ja?

Zusatz: Nein, natürlich! Aber das war ja auch eine Antwort. Ich meinte nur, dass auf dieser Ebene der Gespräche vielleicht eher das AA in Frage kommt, aber gerne auch das Wirtschaftsministerium.

Baron: Wie gesagt: Ich habe unsere Haltung dazu geschildert, und das ist das, was ich Ihnen dazu sagen kann.

Adebahr: Die zuständige Kollegin hat, glaube ich, gerade alles dazu gesagt.

Frage: Ich habe noch eine Frage, Frau Demmer. Es gibt ja jetzt auch innerhalb der Bundesregierung - zum Beispiel vom transatlantischen Koordinator - Kritik an der, sagen wir einmal, Informationspolitik der Bundesregierung in Sachen Nord Stream 2. Zumindest die Tatsache, dass es auch eine politische Komponente dieses Projekts gibt, wurde ja ziemlich spät, also vor ungefähr eineinhalb Jahren, zugegeben. Wir halten Sie es mit dieser Kritik? Halten Sie diese Kritik für berechtigt?

SRS'in Demmer: Ich kommentiere Äußerungen aus dem politischen Raum jetzt nicht. Sie kennen unsere Haltung; Sie zitieren sie ja gerade indirekt. Das Projekt war und ist in erster Linie ein unternehmerisches Projekt mit einer politischen Dimension, der des Gastransits durch die Ukraine. Es hat zu dem Projekt auch immer unterschiedliche Meinungen innerhalb Europas gegeben. Der gefundene Kompromiss hinsichtlich der Gasrichtlinie ist ja aber ein Beleg dafür gewesen, dass Europa durchaus in der Lage ist, auch bei kontrovers diskutierten Themen zusammenzufinden.

Wir werden jetzt wie schon gesagt weiter Gespräche führen und dann auch weiterhin zum Ausdruck bringen, dass wir diese Praxis der extraterritorialen Sanktionen nicht billigen.

Frage: Ich habe eine Frage an das Familienministerium. Es gibt das Programm "Demokratie leben!". Es gibt viele Projekte, die darüber finanziert werden. Wir hören jetzt aus Sachsen, dass bei denen - die haben uns ein paar Zahlen geschickt - von 18 Projekten künftig nur sechs weitergeführt werden können, eben deshalb, weil die Mittelverteilung verändert wurde. Inwieweit ist es für Sie problematisch, dass das vielleicht auch gerade in Sachsen der Fall ist?

Sting: Vielen Dank für Ihre Frage. - Ich kann Ihnen zu den genauen Bundesländerzahlen noch nichts sagen. Das Verfahren der Ausschreibung für die zweite Förderperiode läuft gerade noch.

Aber ich kann Ihnen einige allgemeine Dinge dazu sagen, weil das für jedes Bundesland identisch ist: "Demokratie leben!" wird künftig noch gezielter das Engagement der Menschen vor Ort unterstützen. Im Januar 2020, also schon bald, wird eine neue Förderperiode beginnen. Der Grund dafür ist, dass eine dauerhafte Finanzierung von Modellprojekt rechtlich derzeit gar nicht möglich ist. Modellprojekte haben durch die rechtliche Lage einen Anfang und auch ein Ende. Die neue Aufstellung des Programms zur zweiten Förderperiode war daher zwingend notwendig. Der Bund darf nur innovative modellhafte Projekte zeitlich befristet fördern.

Zusatzfrage: Die Ministerin hat ja deswegen schon einmal gesagt, dass sie gerne ein Demokratiefördergesetz schaffen würde, um eben daran etwas zu ändern. Ist man dabei ein bisschen weitergekommen?

Sting: Ja, Ministerin Giffey hat sich dazu schon mehrfach geäußert. Damit es für die Engagierten vor Ort Planungssicherheit und Verlässlichkeit gibt, setzt sich die Ministerin für ein Demokratiefördergesetz ein. Dieses Gesetz könnte eine längerfristige und verlässliche Förderung von zivilgesellschaftlichen Projekten ermöglichen.

Es gibt ja heute ein Interview in der "Süddeutschen Zeitung". Darin hat sich Ministerin Giffey wie folgt geäußert:

"Für eine längerfristige Finanzierung von Projekten bräuchten wir in der Tat eine rechtliche Grundlage. Mein Vorschlag dafür ist ein Demokratiefördergesetz. Nach dem Anschlag in Halle hat Horst Seehofer mir signalisiert, dass er offen für dieses Anliegen ist. Er ist überzeugt davon, dass zur Sicherheit nicht nur konsequente Strafverfolgung gehört, sondern auch Prävention. Gemeinsam arbeiten wir dafür an den weiteren konkreten Schritten."

Die Tatsache, dass es in den Bundesländern - das ist nicht nur in Sachsen so, sondern in jedem einzelnen Bundesland - Projekte gibt, die nicht weiter gefördert werden, liegt eben am Dilemma dieser Förderstruktur. Es ist nicht möglich, Modellprojekte dauerhaft zu unterstützen. Es ist aber so, dass alle Projekte, die bisher gefördert wurden, sich wieder neu bewerben konnten, und alle, die fristgerecht ein Interessenbekundungsverfahren durchlaufen und später einen Antrag eingereicht haben, sind von 60 unabhängigen Gutachterinnen und Gutachtern geprüft worden. Darauf basiert die Auswahl der neuen Projekte in der zweiten Förderphase.

Frage: Ich hätte noch eine Frage zur Causa Tiergartenmord und zu der Ausweisung der russischen Diplomaten: War der Bundesregierung im Zuge der Ausweisung am 4. Dezember denn bewusst, dass zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei Rechtshilfeersuchen an die russischen Stellen gestellt worden war?

SRS'in Demmer: Dazu habe ich mich hier am Freitag sehr ausführlich geäußert. Dafür würde ich Sie auf das Protokoll verweisen.

Zusatzfrage: Das Protokoll habe ich natürlich brav gelesen. Zu dieser Thematik, ob der Bundesregierung zu diesem Zeitpunkt der Ausweisung bewusst war, dass es kein Rechtshilfeersuchen gab, hatten Sie sich nicht geäußert. Das kann man ja relativ leicht mit Ja oder Nein beantworten.

SRS'in Demmer: Ich kann mich gerne noch einmal wiederholen. Sehr klar und deutlich gilt wie schon am Freitag: Ausschlaggebend für die Bundesregierung ist, dass die deutschen Behörden seit Ende August zahlreiche Anfragen zum Tötungsdelikt im Kleinen Tiergarten an russische Stellen gerichtet haben, unter anderem an die russische Botschaft, den Föderalen Dienst für Sicherheit, den Dienst der Außenaufklärung, die Hauptverwaltung für Aufklärung und die Präsidialadministration der Russischen Föderation.

Zusatzfrage: Aber hier geht es ja darum, dass das schlussendlich Aufgabe der Judikative ist. Ich hatte hier auch am letzten Montag danach gefragt, auch mit Bezug auf den russischen Außenminister, der erklärt hatte, dass die etablierten Kanäle und Prozedere seines Wissens bisher nicht genutzt wurden. Das wurde hier von Regierungssprecher Seibert mehr oder weniger verneint. Deswegen würde mich nur interessieren, wieso die Bundesregierung über Wochen hinweg nicht einfach transparent und offen gesagt hat "Wir haben ausgewiesen, aber es gab noch kein justizielles Rechtshilfeersuchen".

SRS'in Demmer: Wir haben uns hier, glaube ich, ausführlich zu dem Fall geäußert.

Frage: Frau Adebahr, am Freitag hat Ihr Minister auf der Pressekonferenz mit seinem ukrainischen Kollegen gesagt, dass er wohl am Tag davor mit Herrn Lawrow über dieses Thema gesprochen habe. Er konnte aber nicht sagen, ob die russische Seite jetzt schon zusätzliche Informationen geliefert habe oder nicht. Jetzt sind einige Tage vergangen. Sind denn jetzt Informationen geliefert worden oder nicht?

Adebahr: Ich kann hier an dieser Stelle nicht über die Äußerungen, die der Minister da gemacht hat, hinausgehen. Bezüglich des Themas "Austausch und Informationsweitergabe" sind die zuständigen Stellen in der Bundesregierung damit beauftragt, diesen Austausch weiter zu fördern, und sie werden das sicherlich in der gebotenen Tiefe und in den gebotenen Foren bearbeiten.

Alter: Ich habe eigentlich nichts zu ergänzen. Was Frau Adebahr eben beschrieben hat, ist zutreffend. Ist in Ihrer Frage noch etwas offengeblieben, was ich beantworten kann?

Zusatzfrage: Ich habe es nicht verstanden. Kamen jetzt seit dem letzten Donnerstag zusätzliche Informationen oder nicht?

Alter: Die Gesprächskanäle, die dem Bundesinnenministerium und seinen Geschäftsbereichsbehörden zur Verfügung stehen, werden genutzt. Der Minister hat sich ja vergangene Woche dazu geäußert. Er hat gesagt: Es gibt eine gewisse Hoffnung darauf, dass diese Gesprächskanäle dazu beitragen werden, Informationen zur Aufklärung dieses Verbrechens zu gewinnen. - Der Vizegeneralstaatsanwalt hat sich auch dementsprechend geäußert. Darüber hinaus kann ich hier keine detaillierten Angaben machen.

Zusatzfrage: Frau Adebahr, zum Thema Weißrussland: Es gibt ja die Enthüllung der Deutschen Welle über die Beteiligung von staatlichen Stellen an den Morden an oppositionellen Politikern, den Kritikern von Herrn Lukaschenko vor 20 Jahren. Mich würde vor dem Hintergrund einer gewissen Normalisierung der Beziehungen zwischen Deutschland und Weißrussland oder zwischen der EU und Weißrussland interessieren, ob diese Morde beziehungsweise diese Recherche der Deutschen Welle eine Rolle in den bilateralen Beziehungen spielen könnte - bei einem Präsidenten der, was nicht ausgeschlossen ist, diese Morde in Auftrag gegeben hat.

Adebahr: Ich kann Ihnen dazu sagen, dass wir die Berichterstattung zur Kenntnis genommen haben und einfach auch noch einmal sagen, dass die EU eben aufgrund der Verfolgung und der Ermordung von Oppositionellen in Belarus Ende der 1990er- und 2000er-Jahre ein ziemlich umfangreiches Sanktionsregime erlassen hatte, das eben in der Tat, nachdem Oppositionelle entlassen wurden und sich die Menschenrechtssituation in den letzten Jahren allgemein verbessert hat, gelockert wurde. Aber, und auch das will ich noch einmal betonen, gegen einzelne Personen, denen eine Verwicklung in die Verfolgung politischer Oppositioneller in den Jahren 1999 und 2000 zur Last gelegt wird, sind auch weiterhin EU-Sanktionen in Kraft. Wenn es neue Vorwürfe gibt, dann sollten die aus Sicht der Bundesregierung natürlich umfassend aufgeklärt werden.

Was unser bilaterales Verhältnis zu Belarus betrifft, ist es richtig, dass Deutschland im Rahmen seiner europäischen Partner und im Rahmen der EU auf eine grundsätzliche Position des Ausbaus der Beziehungen zu Belarus setzt. Aber - das ist ein "aber", das ich hier auch betonen will - natürlich sind Menschenrechte und der Umgang mit der Opposition auch fester Bestandteil der Gespräche und des Dialogs mit Belarus - sowohl der EU als auch der Bundesregierung. Dabei sehen und würdigen wir natürlich Fortschritte, die es im Zuge der schrittweisen Öffnungspolitik gegeben hat, aber, und das ist auch sehr klar, wir thematisieren auch weiterhin bestehende Defizite, die wir auch sehen.

Zusatzfrage: Kann denn die Bundesregierung eventuell eigene Nachforschungen in dieser Angelegenheit anstellen? Ich erinnere daran, dass der ehemalige Henker von Weißrussland, Herr Alkajew, politisches Asyl in Deutschland bekommen hat. Der könnte etwas beitragen.

Adebahr: Eine Aufklärung von Straftaten ist Sache der Justizbehörden, zunächst einmal auch in Belarus. Wenn es da Anfragen an deutschen Justizbehörden gibt, dann werden die ganz sicher im Rahmen der rechtlichen Zusammenarbeit das tun, was dort zu tun ist.

Wir sind für den politischen Dialog zuständig, und da gilt diese Grundlinie, von der ich Ihnen gerade berichtet habe.

Frage: Zur Rente mit 63: Es gibt ja diese Meldungen, dass alles erheblich teurer als gedacht wird. Meine Frage wäre, ob da irgendetwas neue budgetiert werden muss oder ob das tatsächlich überraschen kommt, also dieser Kontrast zwischen der ursprünglich angenommenen sechsstelligen und mittlerweile längst siebenstelligen Zahl der Menschen, die das in Anspruch nehmen. Führt das zu Verwerfungen?

Jäger: Ich bin froh, dass ich die Gelegenheit bekomme, das sozusagen richtigzustellen; denn für uns sind das keine großen Überraschungen. Man ging davon aus, dass rund 200 000 Menschen pro Jahr diese Möglichkeit ergreifen würden. Das ist jetzt mehr als fünf Jahre her. Das kann man hochrechnen. Die Zahl ist ein wenig höher, aber nicht viel höher als erwartet.

Was die gezahlten Summen anbelangt, so lässt sich nicht wirklich der Schluss daraus ziehen, dass das ein starker Zuwachs wäre. Denn auch ohne die Rente mit 63 Jahren wären diese Menschen bereits in Rente und würden Abschläge auf Ihre Rente erhalten, was zu einer minimalen Reduzierung der Summe beitrüge. Aber es stimmt nicht, dass es Mehrkosten in Höhe von 2 Milliarden Euro sind. Die Mehrkosten können wir nicht genau beziffern, aber sie bewegen sich in einem weitaus Kleineren Rahmen. Insofern sehe ich keinen Anlass zu einer Neubudgetierung.

Zusatzfrage: Möchte das BMF das auch bestätigen?

Kalwey: Die zuständige Sprecherin hat alles dazu gesagt.

Frage: Ich habe eine Frage an das Bundesfinanzministerium zum Thema der kommunalen Entschuldung. An den Plänen im Finanzministerium gibt es in den letzten Tagen auch Kritik. Die FDP spricht von falschen Anreizen. Auch der Landkreistag hat Kritik an den Plänen geäußert.

Reagiert Ihr Haus darauf? Gibt es Anlass, daran zu zweifeln, oder würden Sie die Pläne verteidigen?

Kalwey: Zum einen hat sich der Minister in einem Interview dazu geäußert. Für ihn sind die gleichwertigen Lebensverhältnisse in Deutschland ein ganz besonderes Anliegen. Er setzt sich daher aktiv für einen bundesweiten Konsens zur Lösung des Problems der kommunalen Altschulden ein.

Die aktuelle Diskussion zu den kommunalen Altschulden basiert auf den Ergebnissen der Kommission "Gleichwertige Lebensverhältnisse". Die Kommission hat empfohlen, dass Bund und Länder den am höchsten verschuldeten Gemeinden helfen. Die Gespräche dazu werden zurzeit geführt.

Frage: Frau Baron, wie sieht Ihr Minister das? Aus der Union kam auch deutliche Kritik und die Forderung, dass man das nicht tun solle. Teilt Ihr Minister die Kritik an dem Vorschlag von Herrn Scholz?

Baron: Das zuständige Finanzministerium hat dazu gesprochen. Wir bewerten das jetzt nicht näher.

Frage: Uns geht es um die maroden Brücken. Nach der Kleinen Anfrage der FDP-Fraktion gab es ja neue Initiativen. Gibt es dazu möglicherweise neue Pläne aus dem BMVI?

Alexandrin: Ich will dazu einmal grundsätzlich sagen, dass Deutschland im internationalen Vergleich bereits seit Jahren die schärfsten Kontrollen für Brücken an Autobahnen und Bundesfernstraßen hat. Grundsätzlich gilt außerdem, dass die Länder gemäß Artikel 90 Abs. 3 und Artikel 85 des Grundgesetzes im Sinne des Bundes planen, bauen, erhalten und betreiben.

Ich möchte auch noch einmal daran erinnern, dass wir vor kurzem den neuen Brücken-TÜV eingeführt haben. Er gilt seit 2018. Darin ist bereits eine Verschärfung der Kontrollen enthalten. Details zum Brücken-TÜV können Sie gern auf unserer Webseite nachlesen. Ich kann sie Ihnen im Anschluss auch gern bilateral erklären.

Frage: Laut der Kleinen Anfrage soll auch die Zahl der sanierungsbedürftigen Quadratmeter zugenommen haben. Der Vorwurf der FDP ist ja der, es liege nicht am Geld, sondern an den langwierigen Planungsverfahren.

Wie erklärt sich Ihr Haus die Zunahme der Zahl der sanierungsbedürftigen Quadratmeter? Gibt es Überlegungen, wie man die entsprechende Bürokratie abbauen beziehungsweise die Planungsverfahren beschleunigen kann?

Alexandrin: Generell kann ich sagen, dass wir im Bereich der Infrastrukturplanung ganz intensiv darüber nachdenken, wie man im Planungsbereich vorankommt. Wir hatten dazu vor kurzem im Bundesrat das Beschleunigungsgesetz. Darin sind bereits einige Aspekte enthalten.

Grundsätzlich zum Thema der Brückenmodernisierung: Auch dafür ist ein Finanzrahmen vorgesehen. Für 2020 haben wir dafür 780 Millionen Euro vorgesehen, bis 2023 dann 959 Millionen Euro. Das heißt, wir sind auf einem guten Weg und investieren massiv im Programm der Brückenmodernisierung.

Zusatzfrage: Wie erklären Sie sich die Zunahme der Zahl der sanierungsbedürftigen Quadratmeter? Was waren die Versäumnisse der letzten Jahre?

Alexandrin: Ob man unbedingt von Versäumnissen sprechen kann, ist die Frage. Wir haben auf der einen Seite, wie auch in der Medienberichterstattung dargestellt wurde, eine Zunahme des Verkehrs ganz großflächig über Deutschland. Wir sind, wie gesagt, dabei, die Modernisierung der Infrastruktur in gleichem Maße aufrechtzuerhalten.

Frage: Frau Demmer und auch Frau Adebahr, die Chefanklägerin am Internationalen Strafgerichtshof sieht Gründe für Ermittlungen zu möglichen Kriegsverbrechen in den Palästinensergebieten. Darauf gibt es schon eine sehr starke Reaktion aus den USA.

Wie bewertet dies die Bundesregierung?

Adebahr: Wir haben die Erklärung der Chefanklägerin zum Abschluss der vorläufigen Ermittlungen der Situation in Palästina zur Kenntnis genommen.

Wir vertrauen auf die Unabhängigkeit des Internationalen Strafgerichtshofes und setzen nun darauf, dass das Gericht die aufgeworfenen Fragen klären wird. Dabei wird es auch um Fragen der Zulässigkeit gehen, an der eventuell Zweifel bestehen könnten, die jetzt aber Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung sein wird.

Wir als Bundesregierung können uns zu konkreten Einzelheiten laufender Verfahren nicht äußern. Aber wir vertrauen, wie gesagt, darauf, dass im weiteren Verfahren alle Argumente fair gehört werden. Wir setzen natürlich auch darauf, dass sich das Gericht streng auf der Grundlage des Römischen Statutes bewegt.

Grundsätzlich gilt für uns, dass wir uns natürlich dagegen verwenden, dass Fälle jedweder Art vor dem Gericht zu einer Politisierung benutzt werden. Wir setzen darauf, dass die Zulässigkeit geprüft wird und dass das Gericht dies streng auf der Grundlage des Römischen Statuts tun wird.

Frage: Anfang Dezember hat das Auswärtige Amt hier behauptet, es gebe keinerlei Berichte des UN-Sonderberichterstatters über Folter Nils Melzer zur Lage von Julian Assange. Daraufhin hat der UN-Sonderberichterstatter reagiert und dargelegt, dass es sehr wohl insgesamt sieben Berichte gebe, und zwar in Form sogenannter Communications, die auch in periodischen Berichten der UN zusammengefasst würden

Erstens: Haben das Auswärtige Amt oder zumindest die Menschenrechtsabteilung diese Berichte mittlerweile gelesen?

Zweitens: Der UN-Sonderberichterstatter hat die Aussagen des Auswärtigen Amtes ja widerlegt. Plant das Auswärtige Amt in irgendeiner Form eine Richtigstellung der Aussagen hier in der Bundespressekonferenz?

Adebahr: Ich denke, sowohl zu diesem Fall als auch zum Charakter der Mitteilungen haben sich meine Sprecherkollegen hier ausführlich geäußert, auch zur Position der Bundesregierung im Fall Assange.

Zusatzfrage: Das war in keinerlei Hinsicht eine Antwort auf meine Frage. Die Frage war:

Erstens: Wurden diese Berichte von der Menschenrechtsabteilung des Auswärtigen Amtes mittlerweile gelesen?

Zweitens: Plant das Auswärtige Amt eine Richtigstellung von Darstellungen hier in der Bundespressekonferenz, die offiziell vom UN-Sonderberichterstatter widerlegt wurden?

Adebahr: Das war eine Antwort. Ich verweise auf meine Kollegen, die zu den Äußerungen Stellung genommen haben und die die Position der Bundesregierung in diesem Fall hier auch dargelegt haben.

Frage: Ich möchte kurz zurück zum Thema geflüchteter Menschen. Was passiert konkret jetzt im Winter mit den Kindern in den überfüllten griechischen Lagern? Denn es dauert ja einfach lange, bis es zu europäischen Lösungen kommt.

Gibt es im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit möglicherweise Extrapläne, die diese Menschen betreffen?

Wickert: Minister Müller hat gesagt, dass es unhaltbare und unmenschliche Zustände in den Lagern gebe und dass etwas getan werden müsse, und zwar gerade auch auf europäischer Ebene. Es gibt aber noch keine weiteren Pläne, die er vorgenommen oder angeschoben hat.

SRS'in Demmer: Ich kann nur noch einmal darauf hinweisen - wir haben es ja eben schon gesagt -, dass die griechische Regierung eine sehr schwierige Lage übernommen hat und intensiv an Lösungen arbeitet, um den erheblichen Migrationsdruck zu bewältigen. Die EU und auch die Bundesregierung stehen bereit, substanzielle Unterstützung zu leisten. Gerade hat das BMI 90 Lkw mit Hilfsgütern für 10 000 Flüchtlinge nach Griechenland gebracht.

Montag, 23. Dezember 2019

*

Quelle:
Regierungspressekonferenz vom 23. Dezember 2019
https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/regierungspressekonferenz-vom-23-dezember-2019-1709134
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Dorotheenstr. 84, 10117 Berlin
Telefon: 030 18 272-0, Fax: 030 18 10 272-25 55
E-Mail: internetpost@bpa.bund.de
Internet: www.bundesregierung.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Dezember 2019

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang