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PRESSEKONFERENZ/2030: Regierungspressekonferenz vom 11. Mai 2020 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz - Montag, 11. Mai 2020
Regierungspressekonferenz vom 11. Mai 2020

Themen:Coronakabinett (Lageüberblick über das Infektionsgeschehen und die Situation in den Krankenhäusern, mögliche Fördermaßnahmen des Bundes im Zusammenhang mit der Impfstoffentwicklung, Situation in Schlachthöfen und Fleisch verarbeitenden Betrieben, ESM-Kreditlinien für Mitgliedsstaaten der Europäischen Union), COVID-19-Pandemie (Schwankungen der Basisreproduktionszahl R0, Einstellung der regelmäßigen Pressekonferenzen durch das Robert-Koch-Institut, Kritik von Wissenschaftlern und Wissenschaftsredaktionen an angeblich mangelnder Herausgabe von Daten durch das RKI, Forderung von Landräten grenznaher Landkreise nach zeitnaher Lockerung der Grenzkontrollen, Forderung nach einer Schließung von Massenunterkünften/Unterbringung von Saisonarbeitern und Schlachthausmitarbeitern, Lockerungsmaßnahmen, Nachverfolgung der Infektionswege, Demonstrationen gegen Beschränkungen, Tourismus, Contact-Tracing-App, Verbreitung einer Privatmeinung zum Corona-Krisenmanagement durch einen BMI-Mitarbeiter unter Verwendung des BMI-Briefkopfes, Eigenkapitalerhöhung bei der Deutschen Bahn, voraussichtliche Steuermindereinnahmen), möglicher Führungswechsel bei der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation, Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Staatsanleihekäufen der Europäischen Zentralbank, Aufnahme von Flüchtlingen aus griechischen Lagern

Sprecher: StS Seibert, Kautz (BMG), Alter (BMI), Ehrentraut (BMAS), Breul (AA), Kolberg (BMF), Baron (BMWi), Strater (BMVI)


Vors. Szent-Iványi eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt StS Seibert sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

StS Seibert: Meine Damen und Herren, einen schönen guten Tag! Ich komme mehr oder weniger gerade aus den heutigen Beratungen des sogenannten Coronakabinetts. Ich möchte Ihnen wenigstens kurz sagen, was die heutigen Themen waren. Im Wesentlichen ging es um Folgendes:

Zunächst gab es wie immer bei diesen Coronakabinettssitzungen einen Lageüberblick über das Infektionsgeschehen und die Situation an den Krankenhäusern durch den Bundesgesundheitsminister. Dann hat die Forschungsministerin das Thema der Impfstoffentwicklung dargelegt und über mögliche Fördermaßnahmen des Bundes in diese Richtung gesprochen. Das wird natürlich insbesondere mit dem BMF weiter abzustimmen sein. Dann ging es um die Situation in Schlachthöfen und Fleisch verarbeitenden Betrieben, in denen es ja zuletzt an einigen Orten zu zahlreichen Coronainfektionen gekommen war. Das BMAS kann darüber möglicherweise weitere Auskunft geben. Der Minister hatte sich ja am Wochenende schon geäußert. Schließlich standen heute die sogenannten ESM-Kreditlinien auf der Tagesordnung, mit denen europäischen Mitgliedsstaaten im Zusammenhang mit der Coronapandemie geholfen werden soll. Damit das geschehen kann, muss der Deutsche Bundestag seine Zustimmung geben. Die Bundesregierung leitet den Abgeordneten die für ihre Entscheidung notwendigen Unterlagen zu. Dazu hat im Falle eines Falles der Kollege des BMF sicherlich Näheres. - Das war nur ein kurzer Blick auf die Themen heute im Coronakabinett.

Frage: Meine Frage geht an das Gesundheitsministerium. In den letzten Tagen gab es ziemliche Veränderung beim sogenannten R-Faktor. Vielleicht können Sie uns sagen, wie Ihre Sicht darauf ist. Sind das normale Schwankungen? Wir erklären Sie sich das?

Im Zusammenhang damit eine zweite Frage: Es gab deutliche Kritik daran, dass Ihre nachgeordnete Behörde, das RKI, keine Pressekonferenzen mehr veranstaltet. Sehen Sie das als einen richtigen Schritt an, oder sollte das korrigiert werden?

Kautz: Zum R: Wir haben mehrfach gesagt, dass das eine Zahl unter vielen ist, um das Pandemiegeschehen zu beurteilen. Sie bezeichnet die Zahl der Menschen, die ein Infizierter ansteckt. Das RKI hat betont, dass es sich das in den nächsten Tagen anschauen will. Dieser Wert unterliegt in der Tat starken statistische Schwankungen. Vor allen Dingen wirkt das R anders, wenn man insgesamt weniger Fälle hat.

Trotzdem nehmen wir es natürlich ernst, dass die Reproduktionszahl wieder gestiegen ist. Das RKI hat, wie gesagt, angekündigt, sich die Entwicklung in den nächsten Tagen anzuschauen. Daraus kann man allerdings nicht schließen, wir hätten es jetzt wieder mit einem unkontrollierten Ausbruch zu tun.

Zur PK des RKI: Diese Entscheidung hat das RKI vor dem Hintergrund zurückgehender Fallzahlen getroffen, vor dem Hintergrund der Entscheidung der Ministerpräsidenten und des Bundes, die Verantwortung stärker in die Länder zu verlagern. Das RKI steht nach wie vor für Presseanfragen zur Verfügung und wird natürlich auch weiterhin - das hat es auch angekündigt - lageabhängig Pressekonferenzen machen. Ob es ein großer Verlust ist, dienstags und donnerstags keine Pressekonferenz mehr zu machen, sei dahingestellt.

Zusatzfrage: Herr Seibert, die Kanzlerin ist immer sehr mahnend aufgetreten und hat auch auf die Landkreise und die Entwicklungen dort verwiesen. Halten Sie es für eine glückliche Entwicklung, dass in dieser Phase die Pressekonferenzen nicht mehr stattfinden?

StS Seibert: Ich möchte die Entscheidung des RKI jetzt auch nicht kommentieren. Klar ist, dass sowohl der Rat, die wissenschaftlichen Erkenntnisse als auch die Zahlen, die das RKI erhebt, weiterhin von großer Bedeutung für das Handeln der Bundesregierung sein werden.

Kautz: Diese Zahlen sind für jeden abrufbar auf der Seite des RKI, auf dem Dashboard.

Frage: Sieht das BMG einen Zusammenhang zwischen der jetzt höheren R-Zahl und den Lockerungsmaßnahmen der letzten Wochen?

Eine Frage zum RKI: Wie steht denn die Bundesregierung an sich, Herr Seibert, Herr Kautz, zur Kritik von Wissenschaftlern und Wissenschaftsredaktionen an der Herausgabe von Coronapandemiedaten durch das RKI? Entspricht es der angekündigten Transparenzpolitik, wenn insbesondere Daten, die das Ausbreitungsgeschehen zeitnah darstellen, nicht regionalisiert zur Verfügung gestellt werden, obwohl dies ja für eine zentrale Lockerungspolitik relevant ist?

Kautz: Waren Sie schon einmal auf der Seite des RKI? Haben Sie sich mal das Dashboard des RKI angeschaut? Da finden Sie Zahlen, heruntergebrochen bis auf den Landkreis, die Sie auswerten können.

Zusatz: Das sind alte Zahlen. Das sind keine aktuellen Zahlen.

Kautz: Einen gewissen Zeitverzug von der Meldung bis zur Verarbeitung müssen Sie schon hinnehmen. Es gibt immer noch Gesundheitsämter, die per Fax melden. Diese Zahlen müssen natürlich aufgearbeitet werden; das ist ja klar.

Ich sehe nicht, dass die Transparenz durch das RKI nicht dargestellt würde.

Zusatz: Das Problem ist ja, dass diese - so will ich das einmal nennen - Datenzurückhaltung durch das RKI - - -

Kautz: Es gibt keine Datenzurückhaltung durch das RKI.

Zusatz: Offensichtlich schon! Man könnte ja nicht nur deutschlandweite Daten herausgeben, sondern auch regionalisierte, so gut es geht, und das so zeitnah wie - - -

Kautz: Es gibt regionalisierte Daten.

Zusatzfrage: Darf ich meine Frage stellen?

Kautz: Ja, aber Sie behaupten Dinge, die nicht stimmen.

Zusatzfrage: Das würde ich anders sehen.

Diese Datenzurückhaltung und die mangelnde Transparenz stärken nach Meinung der Kritiker verschwörungstheoretische Narrative. Da muss doch die Bundesregierung ein Anliegen haben, die Daten so gut es geht, so schnell wie möglich, so transparent wie möglich darzustellen.

Ich hatte auch noch keine Antwort auf meine erste Frage gehört, ob Sie einen Zusammenhang zwischen den Lockerungsmaßnahmen und dem Steigen der R-Zahl sehen.

Kautz: Nein. Die Lockerungsmaßnahmen greifen erst heute, und das R ist schon vorher gestiegen. Also kann es schon rein theoretisch keinen Zusammenhang geben.

Die zweite Frage habe ich, denke ich, beantwortet.

Frage: Landräte von grenznahen Landkreisen in Bayern und auch in Baden-Württemberg fordern sehr dringend eine baldige Öffnung der Grenzen. Ist damit in naher Zukunft zu rechnen, Herr Seibert? Ist das anhand der aktuellen Zahlen abzusehen?

StS Seibert: Ich denke, dass darüber am besten der Sprecher des Innenministeriums spricht. Denn dieses Ministerium befasst sich mit den Grenzfragen am intensivsten.

Alter: Das will ich gern tun. Ihnen ist ja bekannt - dazu haben wir uns mehrfach öffentlich geäußert -, dass die Maßnahmen, die Mitte März zur Unterbrechung der Infektionskette im grenzüberschreitenden Verkehr eingeführt wurden, im Moment bis zum 15. Mai laufen, also bis in diese Woche. In dieser Woche muss darüber entschieden werden, wie man weiter vorgeht. Diese Entscheidung wird in Abstimmung innerhalb der Bundesregierung getroffen und auch in Abstimmung mit den Bundesländern, die unmittelbar von diesen Grenzkontrollen betroffen sind. Dann wird der Bundesinnenminister darüber entscheiden.

Aber ich kann an dieser Stelle zu diesem Zeitpunkt darüber noch keine Prognose abgeben.

StS Seibert: Wenn ich zu dem, was der Kollege völlig richtigerweise gesagt hat, noch eines hinzufügen darf: Bei dieser Entscheidung muss man natürlich auch die Infektionslage beiderseits der Grenze ins Auge nehmen, um eine Entscheidung zu treffen.

Frage: Herr Alter, das Innenministerium hat immer gesagt, dass es eine Abstimmung mit den Bundesländern vornimmt. Darauf haben Sie eben auch noch einmal verwiesen. Die Ministerpräsidenten der Länder, in denen es jetzt Grenzkontrollen gibt, hatten sich damit einverstanden erklärt. Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen hatten das für die Grenze zu Belgien und den Niederlanden nicht getan.

Jetzt gibt es aber zwei Ministerpräsidenten, die ausdrücklich ein Ende, und zwar ein schnelles Ende, gefordert haben, nämlich die von Rheinland-Pfalz und des Saarlandes, also Herrn Tobias Hans und Frau Dreyer. Nach Ihrer Logik müssten die Grenzkontrollen dort doch jetzt auf jeden Fall beendet werden, spätestens zum 15. Mai.

Alter: Das ist jetzt eine etwas prognostische Aussage von Ihnen. Sie ist möglicherweise nicht ganz von der Hand zu weisen, aber noch einmal: Die Entscheidung ist noch zu treffen. Ich als Pressesprecher dieses Ministeriums kann diese Entscheidung nicht vorwegnehmen. Die Ministerpräsidenten, die sich jetzt schon öffentlich dazu geäußert haben, werden ihr Anliegen in den Beratungen vortragen. Dann wird man unter der Abwägung auch anderer Aspekte zu einem Ergebnis kommen. Das wird schon wegen des Fristablaufs der derzeitigen Grenzkontrollen so sein. Wir werden dann wissen, wie es nach dem 15. Mai weitergeht.

Zusatzfrage: Können Sie uns ein Datum nennen, wann in dieser Woche das sein wird?

Alter: Ich weiß es nicht ganz genau, auf jeden Fall aber deutlich vor dem 15. Mai.

Frage: Pro Asyl wirft der Bundesregierung vor, die Ausbreitung des Coronavirus unter Geflüchteten bewusst in Kauf zu nehmen, und fordert die Schließung von Massenunterkünften.

Wie reagiert die Bundesregierung auf den Vorwurf? Was lässt sich aus der Virusausbreitung in den Unterkünften der Schlachthausmitarbeiter lernen?

StS Seibert: Bevor sich die Kollegen aus den Ressorts dazu äußern, will ich ganz klar sagen: Den Vorwurf, die Bundesregierung nehme die Infektion von Menschen mit dem Coronavirus in Kauf, weise ich auf das Schärfste zurück. Das Coronavirus kann schwerste gesundheitliche Folgen haben, und die Bundesregierung baut ihr gesamtes Handeln darauf auf, die Menschen in Deutschland vor diesen schweren gesundheitlichen Folgen wie auch unser Gesundheitssystem zu schützen.

Kautz: Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

Frage: Seit Mitte April gilt die Arbeitsschutzverordnung, die auch auf die Unterbringung der Saisonarbeiter und der Schlachthausarbeiter abzielt. Trotzdem haben wir jetzt festgestellt, dass es solche Zustände gibt. Welche Konsequenzen müssen daraus gezogen werden? Beabsichtigen Sie, die Umsetzung der Verordnung in Zukunft stärker zu kontrollieren, gegebenenfalls zu handeln, wenn Sie Verstöße feststellen, und zum Beispiel auch zu sagen: "Dieses Jahr geht es einfach nicht mit Saisonarbeitern"?

Ehrentraut: Danke für die Frage. Sie haben richtigerweise angemerkt, dass es grundsätzliche Arbeitsschutzstandards gibt, die einzuhalten und von den zuständigen Länderbehörden auch zu überprüfen sind. Der Minister hat sich hierzu am Wochenende geäußert und betont, dass die Einhaltung von Arbeitsschutzstandards natürlich auch für Saisonarbeiter und Werkvertragsarbeiter gilt und dass sie strengstens einzuhalten sind. Er hat auch noch einmal betont, dass er erwartet, dass die zuständigen Arbeitsschutzbehörden in den Ländern verschärfte Kontrollen der Landwirtschaft und der Lebensmittelwirtschaft durchführen. Die Zuständigkeit für die Kontrollen liegt, wie gesagt, bei den Ländern.

Zusatzfrage: Wäre es, wenn das alles nicht läuft, die Kontrollen zu nichts führen und die Bedingungen so bleiben, denkbar, zu sagen: "Dann ist jetzt Schluss, beispielsweise die Saisonarbeitskräfte müssen wieder ausreisen, und der Spargel wird halt nicht geerntet"?

Ehrentraut: Wir überprüfen und schauen uns die Situation und besonders die Entwicklungen natürlich ganz genau an. Der Minister hat jetzt erst einmal einen Appell an die Länder gerichtet. Wie man heute auch an der Berichterstattung sieht, hat es schon erste Reaktionen in den Ländern gegeben.

Frage: Vielleicht kann das Landwirtschaftsministerium die Antwort nachreichen, ob das Ministerium bisher beobachtet hat, ob zum Beispiel die Auflagen und Schutzmaßnahmen für Spargelhelfer flächendeckend umgesetzt werden oder ob diejenigen, die diese Regeln einhalten, eher die Ausnahme sind. Angesichts der Berichterstattung scheint es ja der Fall zu sein, dass zum Beispiel vorbildliche Spargelbauer die Ausnahme sind.

Vors. Szent-Iványi: Das Landwirtschaftsministerium ist nicht vertreten. Die Kollegen hören aber zu und können die Antwort nachreichen.

Frage Schneider: Ich habe eine Frage zum Thema Infektionsgeschehen. Herr Kautz, Sie hatten darauf hingewiesen, dass die R-Zahl nur ein Aspekt ist. Ein anderer, erst kürzlich festgelegter Aspekt sind diese 50 Fälle bezogen auf 100 000 Einwohner. Diese Zahl wurde neben Coesfeld in mehreren Kreisen gerissen. Was heißt das in der Praxis? Müsste jetzt wieder an so etwas wie an einen Lockdown gedacht werden?

Kautz: Sie werden sicherlich gestern den Minister gehört haben, der ein beherztes Vorgehen von den Verantwortlichen vor Ort gefordert hat, dass man verstärkt testet, verstärkt Kontakte nachverfolgt. Das ist ja zum Beispiel im Fall Coesfeld auch passiert, und man hat dort reagiert. Wenn Sie sich die Kreise anschauen, werden Sie in allen betroffenen Kreisen feststellen, dass sich das Ausbruchsgeschehen vor allen Dingen auf Pflegeheime, Asylbewerberunterkünfte und die Unterkünfte der Angestellten dieser Fleischfabriken konzentriert. Das ist in dem Beschluss der Ministerpräsidenten explizit ausgenommen.

Zusatzfrage Schneider: Kann man aufgrund dieser fünf Kreise Schlüsse auf das Lockerungsgeschehen im Allgemeinen ziehen?

Kautz: Nein, das können Sie noch nicht. Wie gesagt, die Lockerungen gelten ab heute. Wenn Sie jetzt schon sagen würden, wie sich das Lockerungsgeschehen auf die Epidemie auswirkt, dann wäre das, glaube ich, verfrüht.

Ich möchte noch eine Sache hinzufügen: Auch dadurch, dass sich die Teststrategie verändert hat, auch dadurch, dass wir sagen, dass wir mehr testen wollen als vorher, auch dadurch, dass in Heimen getestet wird und teilweise ganze Heime durchgetestet werden, kommen natürlich andere Zahlen zustande, die diese Ausreißer - in zwei Fällen auf jeden Fall - erklären können.

StS Seibert: Ich sehe es genau wie Herr Kautz.

Ich wollte nur eines hinzufügen: Die Tatsache, dass wir jetzt diese Kennziffer haben - 50 Infektionen über sieben Tage auf 100 000 Einwohner -, soll ja nicht dazu dienen, dass man in Richtung bestimmter Landkreise, die über dieser Kennziffer liegen, Schuldzuweisungen vornimmt, sondern soll dazu dienen - und das tut sie tatsächlich auch -, dass bei dem Erreichen dieser Kennziffer wirklich dieser ganz besondere Fokus auf das Geschehen in diesem Landkreis gelegt wird und dass der Landkreis oder die regionalen Behörden darlegen müssen, mit welchen Maßnahmen sie darauf reagieren.

Ich denke, dass man das an diesen Beispielen jetzt gerade ganz gut sieht. Wenn ich mich recht erinnere, war es Coesfeld, wo zunächst einmal die eigentlich jetzt angesetzten Öffnungen eben nicht stattfinden werden. Das ist eine konkrete Maßnahme; davon abgesehen natürlich, wie Herr Kautz gesagt hat, die Nachverfolgung der Kontakte, das ganz besondere Hinschauen auf den Ort des Geschehens, also die fleischverarbeitenden Betriebe oder Pflegeheime oder Asylbewerberunterkünfte.

Frage: Ich habe eine Frage an das BMG. Sie haben eben behauptet, die Lockerungsmaßnahmen würden erst heute wirksam. Das ist ganz eindeutig falsch. Es wurden schon vor Wochen Lockerungen veranlasst, darunter die Öffnung von Zoos, Spielplätzen und größeren Läden. Herr Kautz, bleiben Sie bei Ihrer Einschätzung, es gäbe keinen Zusammenhang zur steigenden R-Zahl?

Kautz: Sie müssen erst einmal die Kollegen fragen, welche Lockerungsmaßnahmen sie gemeint haben. Ich habe das auf die neuen Lockerungsmaßnahmen bezogen. Diese sind ab heute gültig.

Frage: Ich möchte nur daran erinnern, dass meine Frage nicht war, die neuen Lockerungsmaßnahmen zu kontextualisieren, sondern die bisherigen der letzten Wochen. Ich glaube, Herr Kautz, dass Sie das auch verstanden hatten.

Ich würde eine Frage in Sachen Nachverfolgung stellen wollen, die Herr Seibert gerade angesprochen hat. Sind Sie der Meinung, dass die Personalausstattung in den Gesundheitsämtern ausreichend ist, um die Infektionswege der neu gemeldeten Infizierten zurückverfolgen zu können? Es gibt Berechnungen, nach denen bei 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohnern jedes Gesundheitsamt im Schnitt 100 Infektionsscouts für die Rückverfolgung bräuchte. Verfügen die Gesundheitsämter in Deutschland über dieses Personal oder gehen Sie von anderen Personalschlüsseln aus? Wenn ja, über welche?

Kautz: Eine Lehre aus dieser Epidemie ist, dass die Gesundheitsämter nicht ausreichend ausgestattet und aufgestellt sind, dass sie nicht gut genug aufgestellt sind. Deswegen werden wir in dem Zweiten Corona-Schnellgesetz die Gesundheitsämter fördern. Wir stellen ihnen Gesundheitsscouts oder Containmentscouts zur Verfügung, was ja auch ein Zeichen dafür ist, dass sie zusätzlicher Hilfe bedürfen. Es ist natürlich nicht richtig, jetzt zu sagen: Alles ist gut. Es ist aber schon eine Korrelation, dass Sie sagen können: Je weniger Neuinfizierte es gibt, desto eher können die Gesundheitsämter ihren Aufgaben nachkommen.

StS Seibert: Im Übrigen, haben Sie gerade eine Begründung gegeben, warum es sinnvoll ist, eine solche Kennziffer wie die 50 Infektionen zu haben, weil es nämlich jenseits dieser Ziffer nicht oder voraussichtlich nicht mehr möglich ist, die Nachverfolgung in jedem einzelnen Fall zu leisten. Also müssen oberhalb dieser Ziffer in dem Landkreis weitere Maßnahmen getroffen werden, damit die Infektionsdynamik kontrolliert werden kann. Das ist genau einer der Gründe für diese Entscheidung.

Zusatzfrage: Das Interessante ist: Jetzt gibt es diese Kennziffer, und für diese Kennziffer bräuchte es im Schnitt 100 dieser Infektionsscouts, die es aber laut Ihrer eigenen Aussage gar nicht gibt. Die Gesundheitsämter sind nicht ausreichend ausgestattet, um genau das leisten zu können. Sie setzen eine Kennziffer, die gar nicht kontrolliert werden kann, weil die Personalstärke nicht vorhanden ist.

Kautz: Das stimmt nicht. In der Tat haben die Länder die Möglichkeit, beim RKI nach Hilfe zu fragen. Wir werben Gesundheits- oder Containmentscouts an und stellen sie den Ländern zur Verfügung.

Zusatz: Aber die müssten ja jetzt schon da sein, um in Bezug auf diese 50 pro 100 00 Einwohner Kontakte nachvollziehen zu können. Richtig? Die müssten jetzt schon da sein.

Kautz: Sie sind auch teilweise schon da. Das ist ein laufendes Verfahren.

Frage: Herr Kautz, ich hätte ganz gerne gewusst, ob Sie Sorge haben, dass diese Fallzahl und die Nachverfolgbarkeit von Fällen durch die Demonstrationen, die stattgefunden haben, nicht unterlaufen werden. Dabei werden keine Namen erfasst. Teilweise kommen bei diesen Demonstrationen 3000 oder 5000 Menschen zusammen, die dann wieder in ihre Landkreise oder ihre Städte gehen und wo nicht mehr nachvollzogen werden kann, wer eigentlich wen angesteckt hat.

Herr Seibert, sind Sie angesichts dieser Demonstrationen generell besorgt, dass die Akzeptanz der Maßnahmen, die es in Deutschland in der Coronakrise gibt, sinkt? Sind die Demonstrationen dafür ein Zeichen?

StS Seibert: In Ihrer Frage sind mehrere Fragen enthalten. Ich will grundsätzlich sagen: Dass die Bürger in unserem Staat und unter unserer Verfassung das Recht auf friedliche Demonstrationen haben, braucht im Grunde nicht erwähnt zu werden. Aber da zurzeit mancher mit dem Begriff "Diktatur" herumwirft, will ich es trotzdem noch einmal ganz klar sagen: In dieses Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung sind natürlich auch diese Demonstrationen einzuordnen.

Jetzt sprechen Sie an, dass zum Teil der Abstand ganz demonstrativ nicht eingehalten wird. Dazu will ich sagen: Friedliche Demonstrationen sind in dieser Zeit wichtig, um divergierende Meinungen öffentlich darstellen zu können. Kritik ist in der Demokratie immer möglich und notwendig. Aber das befreit natürlich die Teilnehmer von Demonstrationen überhaupt nicht von ihrer Verantwortung gegenüber ihren Mitbürgerinnen und Mitbürgern. Deswegen kann man auch bei solchen Demonstrationen verlangen, dass Hygiene- und Abstandsregelungen eingehalten werden.

Noch eines macht ja bei diesen Demonstrationen Sorgen, nämlich die hohe Aggressivität sowohl gegenüber den Polizisten als auch den Journalisten bis hin zu Angriffen auf beide. Gleichgültig aus welcher politischen oder weltanschaulichen Richtung so etwas kommt, ist das streng und scharf zu verurteilen. Beide, Polizisten wie Journalisten, machen ihre Arbeit in unser aller Namen. Die einen sorgen für Ordnung und die Einhaltung unserer Gesetze, die uns alle schützen, und die anderen sorgen für Berichterstattung und Information der Bürger über das Geschehen. Das ist ein wichtiger Dienst an der Demokratie.

Wer also Polizisten oder Journalisten angreift, kann sich nicht hinter dem Recht auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung verstecken. Der greift unsere Demokratie an. Die werden wir verteidigen, und das muss jedem klar sein.

Kautz: Ich möchte dazu nicht viel ergänzen. Ich möchte nur so viel sagen, dass wir wiederholt betont haben, dass bei allen Lockerungsübungen, die es jetzt gibt, weiterhin Abstandsregeln einzuhalten sind, weiterhin die Hygieneregeln zu befolgen sind und weiterhin Alltagsmasken vor allen Dingen in solchen Bereichen zu tragen sind, wo sich die Abstandsregeln nicht unbedingt einhalten lassen. Das gilt dann auch für solche Fälle, die Sie angesprochen haben.

Zusatzfrage: Jetzt muss ich die Fragen wiederholen, weil ich finde, dass keine beantwortet worden ist.

Herr Seibert, sind diese Demonstrationen ein Anzeichen dafür, dass die Akzeptanz sinkt?

Unterlaufen diese Demonstrationen nicht das Ziel, dass man Infektionsketten nachverfolgen kann? Denn das ist bei einer Anzahl von 3000 oder 5000 Leuten, bei denen man die jeweilige Identität nicht kennt, eigentlich gar nicht mehr gegeben.

StS Seibert: Aus an manchen Orten einigen Hundert, an manchen Orten einigen Tausend Demonstranten kann man unmöglich das Verhalten und die Überzeugung von 83 Millionen Menschen in Deutschland hochrechnen. Deswegen würde ich diese Folgerung, die Sie aus diesen Demonstrationen ziehen, nicht ziehen. Ich habe gesagt, was an diesen Demonstrationen, die selbstverständlich im Rahmen unserer Gesetze erlaubt und legitim sind, besorgt.

Kautz: Ich kann einzelne Demonstrationen jetzt hier auch nicht bewerten. Generell gilt: Wenn Abstandsregeln nicht eingehalten werden, wenn die Hygieneregeln nicht eingehalten werden, besteht natürlich die Gefahr, dass sich dieses Virus weiter ausbreitet.

Frage: Ich habe dazu eine Frage an den Regierungssprecher und das Innenministerium. Befürchten Sie bei den derzeitigen sogenannten Hygienedemos nicht eine ähnliche Dynamik wie seinerzeit in der Flüchtlingsdebatte, als die Pegida-Bewegung entstanden ist?

Herr Alter, können Sie sagen, warum solche Veranstaltungen in Deutschland nicht aufgelöst werden, wenn die Teilnehmerzahlen überschritten und die Regeln nicht eingehalten werden?

Wie hoch schätzen Sie das Risiko für die Polizeibeamten ein, die dort unmaskierten Menschen gegenüberstehen und quasi direkt dem Infektionsrisiko ausgesetzt sind, und zwar offensichtlich auch bewusst?

StS Seibert: Ich möchte zur Einordnung dieser Demonstrationen hier nichts Weiteres sagen. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass man auch erleben kann, dass sich die überwältigende Mehrheit der Menschen in Deutschland in den letzten Wochen und Monaten, wie man sagen muss, sehr verantwortungsvoll, sehr diszipliniert und sehr vernünftig an die zum Teil starken Beschränkungen unseres Lebens gehalten hat und dass das für enorm viele Menschen auch immer noch gilt.

Alter: Zu den beiden Fragen, die Sie an mich gerichtet haben, kann ich, was den ersten Teil Ihrer Frage angeht, sagen: Das Verbot oder die Auflösung einer Versammlung ist eine Entscheidung, die die örtliche Versammlungsbehörde treffen muss, und zwar auf der Grundlage einer Beurteilung des jeweiligen Einzelfalls. Das kann man nicht pauschal anordnen. Die Ordnungsbehörden müssen sich das Geschehen anschauen, abwägen, mit dem Veranstalter in Kontakt treten und dann eine Entscheidung treffen. Das kann ich von dieser Stelle pauschal nicht sagen.

Was das Risiko für die Polizeibeamten angeht, sprechen Sie einen richtigen Punkt an, mit dem im Moment auch viele andere Berufsgruppen konfrontiert sind. Der Beruf des Polizeibeamten ist eben dadurch gekennzeichnet, dass im Moment ein etwas höheres Risiko besteht, in ein Infektionsgeschehen hineinzugeraten. Deswegen sind die Polizeibeamten auch grundsätzlich mit Schutzmaterialen ausgestattet. Es gibt - zumindest kann ich das für die Bundespolizei sagen - ausreichend Schutzmasken unterschiedlicher Güteklassen. Diese müssen je nach Einsatzsituation auch verwendet werden.

Aber Sie haben Recht: Aufgrund der Natur des Polizeiberufs, der ja dadurch gekennzeichnet ist, dass man mit der Bevölkerung in Kontakt kommt, dass man in Kontrollsituationen kommt und am Rande eines Versammlungsgeschehens vielleicht auch einmal in eine tumultartige oder aufgebrachte Situation hineingerät, ist das Risiko, von jemandem infiziert zu werden, natürlich höher als in anderen Berufssparten. Das geht aber anderen Berufsgruppen ähnlich.

Zusatzfrage: Noch eine kurze Nachfrage, auch zur Einschätzung. Der Kreis derer, die die Demonstrationen promoten und zum Teil auch organisieren, ist ja ein bekannter Kreis. Das ist ein Kreis, der schon bei den Pegida-Demonstrationen aufgetaucht ist, wie zum Beispiel KenFM und andere, der einem bestimmten Spektrum zugeordnet werden kann und auch sehr stark mit anderen Ländern in Verbindung steht, die in Deutschland für Unruhe sorgen. Von KenFM ist zum Beispiel bekannt, dass er mehrfach auf die Krim gereist ist. Er ist mehrfach vom Kreml gut betreut worden, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Wie beobachten Sie die Situation, und wie schätzen Sie den Kreis derer ein, die die Demonstrationen befördern und anmelden?

Frage: Ist die Bundesregierung denn besorgt über eine Unterwanderung der Demos durch radikale Gruppen und Sektierer?

Alter: Auch das ist in dieser Pauschalität, wie Sie das von mir verlangen, nur schwer möglich.

Zuruf: Sie können differenzieren.

Alter: Wir stellen durchaus fest, dass unterschiedlichste Gruppen innerhalb unserer Gesellschaft versuchen, sich die aktuelle Situation zunutze zu machen. Darüber haben wir auch an dieser Stelle schon mehrfach Stellung genommen. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz hat das sozusagen im Blick. Wir wissen auch, dass durch gezielte Desinformation versucht wird, den Eindruck zu erwecken, die Regierung handele hier aus anderen Motiven als denen, aus denen sie vorgebe zu handeln.

All das beobachten wir. All das müssen wir sehr aufmerksam begleiten. Aber es ist nicht möglich, in dieser Pauschalität zu sagen, dass dieses Demonstrations- oder Versammlungsgeschehen immer von einer bestimmten Stelle organisiert wird. Das ist alles ziemlich differenziert, und das muss man sich genau im jeweiligen Einzelfall anschauen.

Zusatzfrage: Wenn Sie sagen, dass es eine gezielte Desinformation gibt, dann müssen Sie ja wissen, wer da zielt.

Alter: Es gibt ganz viele Versuche - individuelle Versuche und auch institutionalisierte Versuche durch Falschinformation, Desinformation. Wir hatten das an dieser Stelle ja schon mehrfach. Zu Dingen, die die Bundesregierung als Schutzmaßnahme vorschlägt, wird am nächsten Tag behauptet, das bringe alles gar nichts und es gebe Belege dafür, dass es alles wirkungslos ist. Das ist also etwas, was uns seit Beginn dieser Situation begleitet. Was wir im Moment durch das verstärkte Versammlungsgeschehen sehen, dass es auch dort stattfindet.

Es bleibt aber dabei: Man muss sehr differenziert die Situation beachten und dann jeweils individuell beurteilen, welche Maßnahmen geeignet sind, um dem entgegenzutreten.

StS Seibert: Ich würde vielleicht grundsätzlich etwas zur Informationslage in Sachen Pandemie sagen.

Es gibt in Deutschland eine freie und unabhängige Medienlandschaft, die über alle Aspekte der Pandemie und der politischen Reaktion darauf informiert, die alle diese Aspekte intensiv diskutiert. Jeder kann sich in vertrauenswürdigen Quellen über den Stand und die Kontroversen innerhalb der Wissenschaft sowie über das Für und Wider politischer Entscheidungen unterrichten. Eine lebhafte Debatte ist das Zeichen eines freien Landes.

Etwas ganz Anderes sind abstruse Behauptungen, hasserfüllte Stereotype, Theorien, die entweder auf einen Sündenbock oder auf eine Art Weltbösewicht hinauslaufen, der alle Fäden in der Hand halten soll. Wer das verbreitet, der will sein verschwörungstheoretisches Süppchen kochen, mit dem er offensichtlich bei anderen Gelegenheiten nicht so recht zum Zuge gekommen ist. Wer so etwas verbreitet, der will unser Land spalten und die Menschen gegeneinander aufbringen.

Frage: Wie bewertet denn das Innenministerium die zumindest verschwörungstendenziöse Aussage des "Bild"-Kollegen, dass Russland hinter diesen sogenannten Hygienedemos steht?

StS Seibert: Das machen Sie vielleicht miteinander aus.

Zusatzfrage: Die Aussage wurde ja getroffen. Ich wollte nur fragen, inwieweit das BMI über entsprechende Erkenntnisse verfügt, die der Kollege aus dem Springer-Hochhaus hier angeführt hat.

Alter: Ich will jetzt dem, was ich eben gesagt habe, nichts hinzufügen. Ich habe deutlich gemacht, es geht jetzt nicht darum, eine Quelle zu benennen, sondern es ist höchst unterschiedlich und muss jeweils differenziert betrachtet werden.

Zuruf: Ich möchte gegenüber dem Kollegen des russischen Staatssenders doch einmal klarstellen, dass wir in Deutschland keine Staatsmedien haben. Wir haben freie Medien und argumentieren frei. Es steht unserer Regierung nicht zu, die Presse zu beurteilen. Das unterscheidet uns glücklicherweise von Ihrem Arbeitgeber und der Russischen Föderation.

Vors. Szent-Iványi: Danke, Herr Kollege.

Zuruf (ohne Mikrofon; akustisch unverständlich)

Frage: Herr Seibert, wie beobachten Sie denn auch aus dem Hause Springer die Fake-News-Berichterstattung über Drosten, der auch mit Frau Merkel ganz eng in Verbindung gebracht wurde, was sich ja nährt, worauf sich die Verschwörungstheoretiker ja beziehen? Ich meine das Verlinken, dass Herr Drosten und Frau Merkel unter einer Decke stecken und das auch mit Herrn Gates zusammenhänge, und so weiter und so fort. Ziehen Sie da Konsequenzen, dass die Kanzlerin zum Beispiel nicht mehr mit der "Bild" redet?

StS Seibert: Nein, Sie wollen mich jetzt hier in eine Richtung bringen, in die ich nicht gehen werde. Einzelbeurteilungen und Redaktionskritik durch den Regierungssprecher gibt es hier nicht. Ich habe das gesagt, was ich zur deutschen Medienlandschaft zu sagen habe, die glücklicherweise eine freie, unabhängige, alle Kontroversen abbildende ist. Ich habe das gesagt, was ich zu Verschwörungstheorien und abstrusen Behauptungen zu sagen habe.

Zusatzfrage: Es gibt eben Verschwörungstheorien auf der einen Seite. Aber es gibt auch Mitglieder hier im Haus, aus dieser Redaktion, die sich daran beteiligen und das anfeuern.

StS Seibert: Ich beteilige mich nicht an dieser Diskussion, die er jetzt hier aufmachen möchte.

Vors. Szent-Iványi: Ich auch nicht. Insofern schließen wir das Thema ab.

Frage: Herr Seibert, was passiert, wenn Landräte sich weigern, Lockerungen vorzunehmen?

StS Seibert: Das ist zunächst eine hypothetische Frage. Deswegen kann ich auf sie nicht antworten. Wir haben vorhin über den einen Landkreis gesprochen, der konkrete Maßnahmen ergriffen hat. Natürlich ist in dem Beschluss, den die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten in der letzten Woche getroffen haben, enthalten, dass das Überschreiten dieser Kennziffer auch vermehrte Anstrengungen des Landkreises und der regionalen Behörden und auch konkrete Maßnahmen nach sich ziehen muss. Es ist aber nicht festgelegt, welche Maßnahmen das sind. Das wird sicherlich sehr unterschiedlich sein, so wie das Infektionsgeschehen in den einzelnen Landkreisen unterschiedlich ist.

Frage: Ich habe eine Frage an das Auswärtige Amt und an das Wirtschaftsministerium zum Tourismus. Herr Maas hat vor einigen Tagen schon ganz klar zum Thema Urlaub im Ausland gesagt, die Reisewarnung bestehe bis zum 14. Juni. Der Chef von TUI sagt zum Beispiel, dass sich für einen Urlaub im Ausland Griechenland, Zypern und andere Länder anbieten würden. Teilen Sie diese Meinung?

An das Wirtschaftsministerium: Staatssekretär Bareiß hat sich dazu auch optimistisch geäußert. Hoffen Sie, dass die Reisewarnung nach dem 14. Juni aufgehoben wird?

Breul: Ich kann gern etwas dazu sagen. Aber es gibt keinen neuen Stand zu dem, was wir in der letzten Woche hier besprochen haben. Die Reisewarnung gilt fort, mindestens bis zum 14. Juni. Die ausschlaggebenden Gründe dafür sind zum Beispiel die Einstellung des internationalen Flugverkehrs und die zahlreichen Einreisebeschränkungen. In vielen Ländern, einschließlich Ländern der Europäischen Union, bestehen die Quarantänemaßnahmen und Einschränkungen des öffentlichen Lebens fort. Wir sehen daher keine Veranlassung, über andere Maßnahmen zu spekulieren.

Aber selbstverständlich - das hatten wir hier ja auch ausführlich gebrieft - beobachten wir die Lage laufend. Wir sind in engem Dialog mit unseren europäischen Partnern, auch mit den Tourismusunternehmen, die selbstverständlich ein Interesse daran haben, dass es wieder losgeht, sobald es zu verantworten ist. Das ist auch unser Interesse. Aber es muss eben zu verantworten sein. Diese Lage beobachten wir laufend.

Baron: Ich kann noch kurz aus Sicht des Wirtschaftsministeriums ergänzen.

Ich kann unterstreichen, was der Kollege gesagt hat. Natürlich wünschen wir uns alle Klarheit für den Sommerurlaub. Aber wir müssen aktuell noch auf Sicht fahren. Denn die Frage der Reisebeschränkungen, wie der Kollege ausgeführt hat, hängt natürlich vom weiteren Pandemiegeschehen ab. Der Tourismusbeauftragte der Bundesregierung, Herr Bareiß, ist ebenso wie die Kollegen im Auswärtigen Amt im ständigen Austausch mit den Tourismusministern, auch auf internationaler Ebene mit der Weltorganisation für Tourismus, weil man natürlich parallel die Frage nach Hygienekonzepten und Hygienestandards stellen muss, die an Urlaubsorten eingehalten werden müssen. Diese Prozesse laufen parallel. Herr Bareiß hat sich deswegen in dieser Richtung geäußert und deutlich gemacht, dass er die große Fernreise in diesem Sommer wohl nicht für möglich hält. Aber natürlich gibt es Urlaubsziele in Deutschland. Er hofft auch auf Urlaubsziele im europäischen Ausland. Aber das alles hängt natürlich am weiteren Pandemiegeschehen.

Zusatzfrage: Kann sich die Bundesregierung sogenannte touristische Korridore vorstellen, wie bestimmte Länder das machen wollen? Die baltischen Länder machen zum Beispiel die Grenzen untereinander auf. Würden Sie generell in diesem Jahr vom Urlaub im Ausland abraten?

Breul: Wir haben großes Interesse, dass wir uns in der Europäischen Union koordinieren. Da gibt es ja auch Gespräche, die in diversen Ratsarbeitsgruppen laufen. Auch die Kommission macht sich über Reisebeschränkungen und Tourismus Gedanken. Es ist für uns jetzt der richtige Weg, dass wir uns gemeinsam verständigen und über Kriterien sprechen, die dann national angewandt werden können. Das ist, denke ich, der richtige Weg. Innerhalb der Europäischen Union wollen wir möglichst schnell zu Schengen zurück. Das gelingt uns dann am besten, wenn wir koordiniert vorgehen und uns genau bei dem abstimmen, was wir tun, um zu verhindern, dass das Infektionsgeschehen unkontrolliert von einem Land aufs andere übergreifen kann.

Frage: Auch noch einmal ans Auswärtige Amt: Es gibt ja von einigen Europapolitikern die Kritik, dass die Bundesregierung diese Unterscheidung macht, die Sie eigentlich gerade auch noch einmal bestätigt haben, zwischen Urlaub im Inland, der angeblich sicherer ist, und Urlaub in EU-Ländern, der angeblich schwerer einzuschätzen ist, obwohl sich das Infektionsgeschehen in einigen Ländern ja nicht von dem in Deutschland unterscheidet und die Fälle teilweise sogar niedriger sind. Warum nimmt man also in einem EU-Binnenmarkt und in einem Schengen-Raum diese Unterscheidung zwischen Inland und EU-Ausland mit sicheren Ländern vor?

Breul: Wir nehmen eine Lagebeurteilung vor - vor allem vor dem Hintergrund der Beschlüsse, die national in den anderen Ländern getroffen werden, die also gar nicht von uns zu kontrollieren sind. Ich nannte bereits Quarantänemaßnahmen und Einschränkungen des öffentlichen Lebens, die natürlich auch einen möglichen Urlaub stark einschränken.

Dann geht es um den Reiseverkehr, und zwar nicht nur um den Reiseverkehr in ein Urlaubsland, sondern auch um den Reiseverkehr wieder zurück. Sie haben ja selbst mitverfolgen können, welchen enormen Aufwand wir betrieben haben, um deutsche Reisende aus dem Ausland zurückzubekommen. Der Außenminister hat mehrfach betont: Das wird sich im Sommer so nicht wiederholen lassen.

Diese Faktoren müssen wir also mit möglichen Reiseländern besprechen. Wie gesagt, unser Ansatz ist: Unser Vorgehen ist dann am wirkungsvollsten, wenn wir es in der Europäischen Union insgesamt koordinieren. Aber selbstverständlich ist es ein Faktor, wenn man sich von Deutschland aus in ein Land begibt, in dem andere nationale Maßnahmen und andere Reisebeschränkungen gelten, die wir als Bundesregierung natürlich nicht beeinflussen können. Von daher ist mit der Reisewarnung eine Lageeinschätzung verbunden, die wir treffen und die wir unseren Bundesbürgern in Form einer Reisewarnung präsentieren. Das ist ja kein Reiseverbot.

Zusatzfrage: Jetzt haben Sie die Argumentation noch einmal wiederholt. Aber die Frage, auch des Kollegen, bezieht sich ja darauf, dass es bestimmte EU-Länder gibt, die ausdrücklich sagen, dass sie die Abstimmung mit Deutschland suchen, damit dieser Urlaub möglich wird. Jetzt haben Sie eine Reisewarnung, die noch bis zum 14. Juni gilt. Das ist ja noch über einen Monat hin. Warum geht man dann nicht auf die einzelnen Länder zu, die so etwas anbieten, die niedrige Zahlen haben, die möglicherweise auch die Garantie geben, dass es Rückreisemöglichkeiten gibt, und vereinbart mit denen dann besondere Regelungen? Oder halten Sie das von der Systematik her für falsch?

Breul: Die Systematik halte ich nicht für falsch. Genau diese Gespräche führen wir. Auch der Außenminister telefoniert regelmäßig mit seinen Amtskolleginnen und Amtskollegen bezüglich dieses Themas. Unser Standpunkt ist, dass es am sinnvollsten ist, wenn wir das in der EU insgesamt koordinieren und auch im Schengen-Raum insgesamt koordinieren, damit es da einfach ein einheitliches Vorgehen gibt, damit es vor allem ein koordiniertes Vorgehen anhand transparenter Kriterien gibt und nicht irgendwie keiner mehr durchblickt, wer jetzt mit wem schon ein Abkommen geschlossen hat, wo das nicht der Fall ist und um welche Landesteile es geht, sondern dass es für die Menschen, die im Sommer in den Urlaub fahren möchten, einfach ein gemeinsames Vorgehen innerhalb der EU gibt, im Rahmen dessen dann jeder selbst entscheiden kann, was für ihn möglich ist und was eben nicht. In diesem Prozess befinden wir uns.

Ich möchte einfach keine Prognose treffen, wo wir da im Sommer landen werden. Auch das aktuelle Infektionsgeschehen beeinflusst das natürlich. Wir sind da ja nicht auf einem klaren Weg und wissen schon genau, wie es dann im Juli aussehen wird, sondern wir müssen auf Sicht fahren, wie die Kollegin gerade schon gesagt hat, und daran arbeiten wir weiter. Aber diese Gespräche führen wir natürlich mit den anderen Staaten.

Frage: Herr Breul, gibt es mittlerweile diese europäische Koordination, was Tourismus und den Schengen-Raum angeht, oder ist das ein Wunsch der Bundesregierung? Bestimmte Länder machen ja jetzt tatsächlich, was sie wollen. In Polen kam zum Beispiel heute die Äußerung "Touristen nur aus Visegrád-Ländern" auf. Das sieht nicht so aus, als ob das auf der europäischen Ebene koordiniert wird.

Breul: Mit der Koordination von Ländern kennen wir uns in der Bundesrepublik ja auch aus, und das trifft auch auf die EU zu. Das betrifft keine Zuständigkeit der Europäischen Union. Das betrifft vor allem Belange der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten und zum Teil auch von Bundesländern oder anderen staatlichen Ebenen in anderen Mitgliedsländern. Diese Koordinierung zu betreiben, ist aber ein Aufwand, der sich aus unserer Sicht lohnt, und zwar aufgrund der Argumente, die ich vorhin nannte. Ich habe auch erwähnt: Die Europäische Kommission macht sich selbst auch Gedanken über Empfehlungen, die sie den EU-Mitgliedstaaten geben will. Das, finden wir, ist ein vernünftiger Weg, einfach deshalb, damit wir damit ein Vorgehen hinbekommen, das verantwortungsvoll ist, weil wir koordiniert sind, das aber eben auch Transparenz für unsere Bürgerinnen und Bürger sicherstellt, die sich fragen, wohin sie im Sommer reisen können.

Frage: Arbeiten Sie mit den europäischen Kollegen eventuell auch an unterschiedlichen Maßnahmen für unterschiedliche Regionen? Madrid, Barcelona genauso wie Norditalien haben eine ziemlich hohe Anzahl von Fällen. Süditalien, Südspanien, andere Regionen oder Mallorca haben gar keine Fälle. Könnte auch die Idee aufkommen, dass nur bestimmte Ziele zu bevorzugen sein könnten?

Breul: Uns geht es um ein koordiniertes Vorgehen innerhalb der EU, was nicht damit gleichzusetzen ist, dass wir eine einheitliche Lösung für alle Gebiete innerhalb der Europäischen Union wollen. Diese Gespräche sind zu führen. Sie sind auch vor dem Hintergrund der Maßnahmen zu führen, die vor Ort ergriffen werden. Natürlich haben Gebiete, die viel Tourismus haben, ein besonders starkes Interesse daran, Tourismus auch wieder zu erlauben. Aber, wie gesagt, diese Gespräche laufen im Moment, und ich kann die Ergebnisse nicht vorwegnehmen. Ich möchte nur dem Eindruck entgegentreten, dass wir jetzt als Zielvorstellung hätten, dass es eine einheitliche Lösung bis in das Kleinste Dorf der Europäischen Union hinein gibt. Nein, das ist nicht unser Punkt, sondern uns geht es darum, das im Gespräch und koordiniert zu tun.

Zusatzfrage: Könnte auch umgekehrt gelten, dass Leute, meinetwegen aus Bayern oder Baden-Württemberg, jetzt nicht in einigen Regionen anderer Länder zugelassen werden, weil die Gefahr dort noch zu hoch ist? Könnte das auch umgekehrt gelten, also für Leute aus der Lombardei oder dem Piemont, die nicht nach Bayern gelassen werden?

Breul: Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich den Kern Ihrer Frage genau verstanden habe, aber ich glaube, da bewegen wir uns sehr im hypothetischen Bereich, sodass ich darüber im Moment nicht spekulieren möchte.

Frage: An das Gesundheitsministerium zur Contact-Tracing-App: Der CDU-Europapolitiker Axel Voss hat vorgeschlagen, dass Nutzer der Tracing-App vor anderen wieder ins Kino, Restaurant oder Theater dürfen oder Auslandsreisen unternehmen können. Kann das Ministerium die Einführung eines solchen Anreizsystems definitiv ausschließen?

Kautz: Ich werde hier weder etwas ausschließen noch einschließen noch Äußerungen eines Europapolitikers kommentieren.

Frage: Hat die Bundesregierung eigene Erkenntnisse über ein Telefonat am 21. Januar zwischen dem chinesischen Präsidenten und dem Chef der WHO, in dem Peking Druck in Bezug darauf ausgeübt haben soll, dass die Uno Informationen über Mensch-zu-Mensch-Übertragungen des Coronavirus zurückhält und die Ausrufung einer Pandemie verzögert?

StS Seibert: Nein. Das ist ein Telefonat, wenn es denn so stattgefunden hat, zwischen dem chinesischen Staatspräsidenten und dem WHO-Generalsekretär. Da werden Sie bei diesen beiden Institutionen nachfragen müssen.

Frage: Herr Alter, ein Mitarbeiter des BMI hat unter dem Briefkopf des Innenministeriums eine Analyse verbreitet, in der er die Coronamaßnahmen der Bundesregierung in Zweifel zieht. Versieht dieser Mitarbeiter weiterhin seinen Dienst im Innenministerium? Welche Disziplinarmaßnahmen drohen ihm oder wurden vielleicht schon verhängt?

Alter: Wir haben uns ja gestern auch veranlasst gesehen, zu diesem Sachverhalt eine Pressemitteilung zu veröffentlichen, um das Geschehene einzuordnen. Ich will vielleicht noch einmal deutlich machen, weil das hier auch ein anderes Informationsformat ist, dass wir es mit dem bemerkenswerten Vorgang zu tun haben, dass ein Mitarbeiter unseres Hauses seine private Auffassung zu den Maßnahmen, die die Bundesregierung ergriffen hat, veröffentlicht oder zumindest verbreitet hat. Im Ergebnis ist das Dokument in die Öffentlichkeit geraten. Er tat das unter Verwendung des BMI-Briefkopfes. Das heißt, optisch erweckt es den Anschein, es sei eine institutionelle oder offizielle Meinung des Hauses, was aber in diesem Fall nicht gegeben ist.

Wir haben jetzt durch innerdienstliche Maßnahmen sichergestellt, dass eine solche irreführende Information der Öffentlichkeit zunächst einmal nicht mehr möglich ist. Jetzt wird der Sachverhalt im Rahmen der gängigen Verfahren aufgeklärt und auf der Grundlage der vorhandenen Praktiken und Rechtsgrundlagen erhellt. Details zu dem Vorgang sind personalwirtschaftlicher Natur, über die wir in der Öffentlichkeit keine Auskunft geben.

Frage: Zum Verständnis: Das heißt, das BMI argumentiert, diese mehr als 80-seitige interne Analyse - zumindest hat der Mitarbeiter sie ja so benannt - hat dieser in seiner Freizeit verfasst, ohne dass andere Vertreter des BMI daran teilgenommen hätten.

Alter: Der Mitarbeiter hat ein Schreiben zusammengestellt, in dem er unterschiedliche Aspekte aus seiner Sicht zusammengeführt hat. Wir können davon ausgehen, dass bei dieser Arbeit auch andere Beteiligte involviert gewesen sind. Aber es ist im Moment nicht möglich, "Das waren Interne" oder "Das waren Externe" zu sagen. Es waren wohl auch Externe beteiligt, aber das ändert ja nichts am Charakter dieses Dokuments.

Es gab bei uns im Haus weder den Auftrag, ein solches Schreiben zu verfassen, noch ist die Organisationseinheit, in der der Mitarbeiter tätig ist, fachlich zuständig. Sie war auch nicht unmittelbar in die Krisenbewältigung eingebunden. Das ist also im Grunde etwas, das losgelöst von der Zuständigkeit, ohne Auftragslage und auch ohne jegliche Autorisierung erstellt und verbreitet worden ist.

Frage: Ich will es wegen der Formulierung, die Sie gerade benutzt haben, doch noch einmal versuchen. Sie sagten, es sei jetzt durch innerdienstliche Maßnahmen sichergestellt, dass eine solch irreführende Information nicht mehr an die Öffentlichkeit gelangen kann. Kann ich das mit "Er ist freigestellt worden" übersetzen?

Alter: Der betroffene Mitarbeiter ist von der Erfüllung seiner Dienstpflichten entbunden worden und hat im Moment keine Möglichkeit, im Namen des BMI die Öffentlichkeit über Dinge zu informieren.

Frage: War dieses - ich glaube, aus dem Referat KM 4 - stammende Papier heute Teil der Sitzung des Coronakabinetts? Ist der Inhalt sowohl dem Innenminister als auch der Kanzlerin bekannt?

StS Seibert: Das war kein Gegenstand der Sitzung des Coronakabinetts, und ansonsten habe ich Herrn Alter nichts hinzuzufügen.

Zusatzfrage: Meine Frage wäre noch, ob der Inhalt dieser Analyse dem Innenminister und der Kanzlerin bekannt sind.

Alter: Die Frage kann ich Ihnen nicht beantworten, weil ich es nicht weiß.

Frage: Ich habe eine Frage an das Wirtschaftsministerium. Es geht um die Deutsche Bahn, die ja jetzt auch die Folgen der Coronakrise bewältigen muss. Dazu gibt es eine Kapitalerhöhung. Ich hätte ganz gerne vom Wirtschaftsministerium, aber auch vom Finanzministerium gewusst, ob es nicht eine Wettbewerbsverzerrung ist, wenn der Bund der Deutschen Bahn jetzt finanziell unter die Arme greift, eine Wettbewerbsverzerrung mit Blick auf die privaten Konkurrenten.

Frage: Wie lässt sich das Milliardendefizit näher aufschlüsseln? Wie geht es nun weiter, wenn schon in der kommenden Woche die erste Milliardentranche bereitgestellt werden soll?

Kolberg: Vielen Dank für die Frage. Ich würde vorschlagen, dass das BMVI einsteigt.

Baron: Ja, ich würde auch an die zuständigen Kollegen verweisen.

Strater: Ich bin zwar nicht gefragt, Herr Rinke, aber ich sage gerne etwas dazu! - Es ist so: Wir sind natürlich sowohl mit der DB AG als auch mit den Ressorts über die vor allem finanziellen Auswirkungen der Coronapandemie auf den Konzern Deutsche Bahn in engem Austausch. Hierbei geht es darum, festzustellen, welcher finanzielle Schaden entstanden ist - vorwiegend natürlich durch Umsatzausfälle aufgrund von Fahrgastrückgängen etc. - und welche Möglichkeiten es gibt, diesen Finanzbedarf zu decken. Darüber sind wir, wie gesagt, in engem Austausch. Die Gespräche laufen auch auf verschiedenen Ebenen weiter, vor allen Dingen mit den Haushältern im Deutschen Bundestag.

Als nächstes Gremium wird damit der Aufsichtsrat der DB AG befasst sein, der auch in dieser Woche tagen wird. Er wird sich mit all diesen Fragen auseinandersetzen, die jetzt, wie Sie presseöffentlich lesen können, diskutiert werden. Dazu gehören eine Eigenkapitalerhöhung oder die Verschuldungsgrenze, aber natürlich auch Maßnahmen zur Gegensteuerung der DB AG selbst.

Wichtig für uns ist, dass die DB AG weiterhin ihren Kern verfolgen kann, nämlich die starke Schiene, dass die Investitionen auch weiter laufen - das ist uns ganz wichtig -, dass die Digitalisierung weiter vorangetrieben wird und dass wir einen nachhaltig starken DB-Konzern haben. Darüber befinden wir uns jetzt in engem Austausch, und die Gespräche laufen auf mehreren Ebenen weiter.

Kolberg: Genau, und das möchte ich hier noch einmal ergänzen: Die Gespräche laufen. Wir können diesen Ergebnissen noch nicht vorgreifen. Daher verbietet sich ja jetzt auch, über irgendwelche weitergehenden Fragen zu spekulieren, die Sie jetzt aufgeworfen haben. Bislang laufen die Gespräche also noch. Es gibt keine Festlegungen.

Frage: Noch einmal an Herrn Strater: Die Frage zielte ja trotzdem darauf, ob nicht eine Wettbewerbsverzerrung eintreten kann, wenn ein Unternehmen jetzt eine Milliardenhilfe bekommt und ein anderes, privates Unternehmen in dem Bereich keine Hilfe bekommt. Was sagen Sie dazu?

Strater: Alle Maßnahmen, die diskutiert werden, stehen natürlich unter dem Vorbehalt einer beihilferechtlichen Prüfung, das ist völlig klar. Dieser Prüfung kann man jetzt auch nicht vorweggreifen.

Frage: Der verschobene Arriva-Verkauf wird auch als Coronafolge angegeben; dabei ist er doch schon vergangenes Jahr geplatzt. Wie sehen Sie das, Herr Strater?

Strater: Arriva ist immer ein Thema, auch was die bilanzielle Situation der DB AG angeht. Das muss man jetzt natürlich alles auch im Gesamtzusammenhang sehen. Natürlich hat Corona auch hier Auswirkungen, und auch die Beteiligungen zählen natürlich dazu, wenn es darum geht, den Finanzbedarf zu ermitteln. Insofern ist das Teil der Gesamtbetrachtung.

Frage: Es werden Steuerausfälle von 300 Milliarden Euro, davon 100 Milliarden Euro in diesem Jahr, befürchtet. Was bedeutet das für den Bund? Werden Einsparungen unumgänglich sein?

Kolberg: Wir machen diese Woche ja die Steuerschätzung. Dann wird der Minister hier in einer Pressekonferenz auch ausführlich Auskunft geben, und zwar am Donnerstag ab 15 Uhr. Wir haben auch den Nachtragshaushalt vorgelegt, in dem erhebliche Mindereinnahmen bei den Steuereinnahmen bereits eingeplant sind. Wie gesagt, zu allen weiteren Details werden wir uns hier in der Pressekonferenz am Donnerstag äußern, wenn die Steuerschätzung vorliegt.

Frage: Wenn Geld fehlt, geht es dann grundsätzlich eher in die Richtung, dass Ausgaben gekürzt werden, oder in die Richtung, dass Einnahmen erhöht werden müssen? In welche Richtung geht es da bei Ihnen sozusagen grundphilosophisch?

Kolberg: Zu der ersten Frage: Ich würde dafür plädieren, dass wir erst einmal Schritt für Schritt vorgehen. Im Moment geht es darum, dass wir den Unternehmen und den Beschäftigten helfen, vernünftig durch die Krise zu kommen. Das führt zu erheblichen Kosten, das ist klar - das haben wir auch immer gesagt -, und das führt auch zu erheblichen Steuermindereinnahmen. Zu der Frage, wie groß die Steuermindereinnahmen sein werden, haben wir, wie ich hier eben schon ausgeführt habe, im Nachtragshaushalt bereits eine Größenordnung angegeben, und wir werden diese mit dem, was wir am Donnerstag vorlegen, weiter spezifizieren. Im Übrigen gilt, dass wir dann ein Konjunkturpaket auflegen wollen - das hat der Minister ja bereits im Januar angekündigt -, mit dem wir weitere Maßnahmen ergreifen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Über weitere Maßnahmen wie diejenigen, über die Sie jetzt gesprochen haben, wird man dann gegebenenfalls nachdenken müssen. Im Moment geht es aber darum, gut durch die Krise zu kommen.

Frage: Können Sie bestätigen, dass Andrea Nahles die Präsidentin der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation werden wird?

Kolberg: Wie üblich äußern wir uns nicht zu Personalspekulationen.

Zusatz: Das sind ja keine Spekulationen mehr, sondern das wird quasi als Fakt gemeldet. Darum wäre es ja schön, wenn wir es von Ihnen wenigstens bestätigt bekommen würden.

Kolberg: Wenn ich hier Fakten zu bestätigen habe, dann mache ich das. Wie üblich äußern wir uns nicht zu Spekulationen.

Frage: An das BMF und Herrn Seibert: Die Bundesregierung ist vom Bundesverfassungsgericht aufgefordert, darauf hinzuwirken, dass die EZB eine Verhältnismäßigkeitsprüfung bei den Anleihekäufen vorlegt. Wird die Bundesregierung dieser Aufforderung nachkommen, und wenn ja, wie?

Nach Artikel 130 darf die EZB ja keine Weisung beziehungsweise Empfehlung von nationalen Regierungen entgegennehmen. Kommissionspräsidentin von der Leyen prüft jetzt ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland. Halten Sie das für angemessen? Hat die Kanzlerin darüber mit dem französischen Präsidenten gesprochen?

Hat der Finanzminister bereits mit der EZB-Präsidentin Lagarde Kontakte aufgenommen?

StS Seibert: Auch eine Menge auf einmal. Ich will vielleicht nur in das Thema einsteigen und würde dann vielleicht an das Bundesfinanzministerium weitergeben.

Es ist ja unzweifelhaft die Aufgabe und das Recht der Europäischen Kommission, darüber zu wachen, dass das europäische Recht in der gesamten EU durch die Mitgliedstaaten korrekt angewandt und umgesetzt wird. Es ist auch verständlich, dass das Karlsruher Urteil aus Sicht der europäischen Kommission Fragen aufwirft. Diese Fragen wird sie der Bundesregierung stellen, und die Bundesregierung wird diese Fragen beantworten. Das ist das, was ich dazu sagen kann. Vertiefter kann dazu sicherlich der Kollege des Finanzministeriums etwas sagen, denn der Minister hatte dazu ja auch schon eine ganze Pressekonferenz gegeben.

Kolberg: Genau, und darauf möchte ich auch gerne verweisen. Wir haben auch hier in der Runde ja schon mehrfach darüber gesprochen, dass wir uns das Urteil jetzt natürlich, genau wie alle anderen beteiligten Institutionen, intensiv anschauen werden und schauen werden, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen. Da gilt die Zusage, die wir hier und die der Minister auch schon an anderer Stelle getroffen hat, dass wir alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, die sich aus der Integrationsverantwortung der Bundesregierung ergeben.

Frage: Sowohl an Herrn Seibert als auch an Herrn Kolberg: Es geht um die Frage, ob man den Weg einer Information oder einer Kontaktaufnahme über die Bundesbank wählen könnte. Es wäre dann ja nicht direkt die deutsche Politik oder die deutsche Regierung, die sich mit einer Forderung oder einem Wunsch nach einer Erklärung der Anleiheaufkäufe an die EZB wendet. Ich frage deswegen nach, weil im Bundestag solche Überlegungen schon angestellt werden. Gibt es die auch innerhalb der Bundesregierung?

Kolberg: Ich habe eben schon ausgeführt, dass wir uns genau anschauen werden, wie wir das jetzt machen. Es kam ja auch die Frage, mit wem wir da im Gespräch sind: Wir stehen natürlich mit allen beteiligten Institutionen immer im Austausch, und jetzt werden wir diesen Austausch natürlich weiterführen, um die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu erfüllen.

Zusatzfrage: Ich habe dazu noch eine eher juristische Frage: Wäre es denkbar, dass man damit den entsprechenden Artikel - ich glaube, es war Artikel 134 - im europäischen Vertrag umgehen könnte, indem man sich an die Bundesbank und nicht direkt an die EZB wendet?

Kolberg: Ich habe ja eben ausgeführt, dass wir uns das Urteil jetzt genau anschauen müssen. Es ist ein sehr umfangreiches Urteil, das klare Vorgaben macht. Wir werden diese Vorgaben erfüllen. Wir arbeiten daran und sprechen mit allen Institutionen, damit jetzt zeitnah und innerhalb der Frist, die das Bundesverfassungsgericht dafür vorgegeben hat, die notwendigen Schritte ergriffen werden. Dafür sind wir mit allen im Austausch, die sich jetzt zu diesen Fragen ebenfalls das Urteil anschauen.

Frage: Hat es dazu schon Kontakt zwischen Frau Merkel und Herrn Macron gegeben?

StS Seibert: Kontakte der Bundeskanzlerin mit dem französischen Präsidenten gibt es ziemlich häufig; das liegt in der Natur unseres deutsch-französischen Freundschaftsverhältnisses. Wenn es darüber aus diesen ja stets vertraulichen Gesprächen zu berichten gibt, dann tue ich das - aber jetzt tue ich das nicht.

Frage: Herr Seibert, haben Sie die Sorge, dass die Kommentierung dieses Urteils in anderen EU-Ländern - Polen wurde als Beispiel genannt - und von einigen Europapolitikern die EU und die EU-Institutionen insgesamt schwächen könnte, weil zumindest der Eindruck entstanden ist, dass nationale Gerichte die Gerichtsbarkeit der EU infrage stellen?

StS Seibert: Es ist gesagt worden, dass das ein sehr umfangreiches, komplexes Urteil ist, das zu prüfen ist, und deswegen will ich jetzt nicht zu tief eindringen. Ich will nur sagen: Es gilt nach wie vor, dass der Europäische Gerichtshof der sogenannte Hüter der europäischen Verträge ist. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht nach unserer Auffassung nicht angezweifelt, sondern es hat lediglich angemahnt, in diesem Fall eine sorgfältige Abwägung und Begründung vorzunehmen. Den grundsätzlichen Auslegungsvorrang des Europäischen Gerichtshofs zweifelt das Bundesverfassungsgericht nach unserer Analyse des Urteils also nicht an.

Frage: Zum Thema Flüchtlinge/Griechenland: Wird die Bundesregierung ihren bisherigen Widerstand gegen ein eigenes Aufnahmeprogramm lockern? Wie steht sie zu Programmen einzelner Bundesländer wie möglicherweise in Thüringen?

Alter: Zu diesem Themenkomplex haben wir uns ja bereits mehrfach auch an dieser Stelle geäußert und gesagt, dass solche Aufnahmeentscheidungen grundsätzlich auf Bundesebene zu verorten sind. Auch die rechtlichen Grundlagen sind so gestaltet, dass der Bund darüber entscheidet. Es ist ja auch eine Entscheidung getroffen worden. Die Bundesregierung setzt im Moment einen Beschluss um beziehungsweise ist jedenfalls bestrebt, einen Beschluss umzusetzen, der die Aufnahme von Flüchtlingen aus Griechenland, die besonders schutzbedürftig sind, vorsieht. Diese administrativen Maßnahmen sind bereits eingeleitet, 47 Kinder sind in Deutschland bereits angekommen, und wir arbeiten derzeit daran, dass wir diesen Beschluss auch weiterhin umsetzen können.

Frage: Können Sie einen Zeitpunkt in Aussicht stellen, zu dem weitere Kinder oder Jugendliche aus Griechenland hier aufgenommen werden?

Alter: Das ist momentan noch nicht möglich. Wir sind im Moment auch noch einmal in der Informationsverdichtung, insbesondere zu der Frage, welche Personen in einer etwaigen nächsten Tranche nach Deutschland aufgenommen werden könnten. Es gibt ja in dem Koalitionsbeschluss ein klares Bild darüber, welcher Personenkreis davon betroffen sein soll, und im Moment sind die Behörden bestrebt, die Informationslage so weit aufzuklären, dass die entsprechenden Dossiers vorliegen und die Aufnahme dann auch praktisch erfolgen kann. Dieser Prozess läuft, und ich kann an dieser Stelle im Moment noch nicht sagen, wann konkret ein nächster Termin bevorsteht.

Montag, 11. Mai 2020

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Quelle:
Mitschrift der Pressekonferenz - Montag, 11. Mai 2020
https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/regierungspressekonferenz-
vom-11-mai-2020-1752096
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Mai 2020

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