FDP-Pressemitteilung vom 6. April 2020
BESCHLUSS DES FDP-PRÄSIDIUMS: Liberale Positionen zur Bewältigung der Corona-Krise in der Europäischen Union
Das Präsidium der Freien Demokratischen Partei hat auf seiner digitalen Sitzung am 06. April 2020 den folgenden Beschluss gefasst:
Die Corona-Pandemie ist eine historisch einmalige Herausforderung unseres Landes und unserer Gesellschaft. Wir Freie Demokraten unterstützen dabei alle Maßnahmen in Deutschland, die dazu dienen Menschenleben zu schützen, Arbeitsplätze und Wohlstand der Menschen über die Krise hinweg zu erhalten und unsere Freiheiten so schnell wie möglich wiederherzustellen.
Die Krise ist nicht nur eine nationale Bewährungsprobe, sondern auch eine europäische Herausforderung. Wir haben die Chance, durch gemeinsame Lösungen in Europa die Pandemie besser zu bewältigen und der Welt zu beweisen, dass die Kooperation freier und demokratischer Gesellschaften der beste Weg ist, um selbst größte Krisen zu bewältigen. Gleichzeitig stehen wir vor der Herausforderung, gerade in dieser historischen Situation die Einheit und die Werte Europas bewahren zu müssen.
Die Corona-Krise stellt nicht nur Deutschland, sondern alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union vor gewaltige Herausforderungen. Vor allem Italien, Spanien und Frankreich sind bereits heute schwer von der Pandemie getroffen. Auch andere europäische Nachbarstaaten wie zum Beispiel Belgien und die Niederlande verzeichnen immer mehr Todesfälle. Auch Deutschland wird noch höhere Infektionszahlen und Todesfälle bekommen.
Um die Pandemie in den Griff zu bekommen und so viele Menschenleben wie möglich zu retten, muss Europa noch mehr tun. Zugleich müssen wir uns auch schon jetzt für den Zeitpunkt rüsten, wenn Kontaktsperren, Ausgangsbeschränkungen und Grenzschließungen in den Mitgliedstaaten zurückgenommen werden, damit wir wieder dauerhaft zu einem Europa mit offenen Binnengrenzen zurückkehren können. Und schließlich müssen wir beginnen, auf europäischer Ebene Strukturen zu schaffen, um Krisenreaktionen zukünftig besser aufeinander abzustimmen.
Die Corona-Rezession hat nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa fest im Griff. Alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union stehen derzeit - wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß - vor der gewaltigen Herausforderung, einen weitestgehenden Stillstand des Wirtschaftslebens und damit zunehmende Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit bekämpfen und gleichzeitig Maßnahmen für die anschließende konjunkturelle Erholung vorbereiten zu müssen, während Steuereinnahmen einbrechen.
Eine höhere Neuverschuldung, wie sie auch in Deutschland die Schuldenbremse des Grundgesetzes für solche Notlagen ausdrücklich vorsieht, ist darum unumgänglich. Das Ziel muss aber sein, diese Verschuldung nach Überwindung der Krise unverzüglich wieder zurückzuführen, um eine Wiederholung der Schuldenkrise zu vermeiden. Nur mit soliden Haushalten bleibt Europa handlungsfähig und kann auch in Zukunft weitere Herausforderungen souverän bewältigen.
Die notwendigen wirtschafts- und haushaltspolitischen Maßnahmen zur Überwindung der Krise zu treffen, ist selbstverständliche Aufgabe der Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Doch kein Land muss diese Aufgabe allein bewältigen.
Gerade in der Krise gilt: Gemeinsam sind wir stärker! Auch auf europäischer Ebene müssen wir zusätzliche Maßnahmen ergreifen, um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu mildern, eine starke wirtschaftliche Basis für unsere Gesundheits-, Sozial- und Altersvorsorgesysteme zu erhalten und nach der Krise schnell neue Chancen und Wachstumsperspektiven für die Staaten Europas und ihre Bürger zu eröffnen. Beim Aufkommen der Krise ist zu wenig europäisch abgestimmt gehandelt worden, beim Weg aus der Krise darf sich dieser Fehler nicht wiederholen. Wir wollen das europäische Versprechen mit Leben erfüllen und gerade in der Krise Wege aufzeigen, um Wohlstand und Sicherheit zu bewahren. Dazu gehört für uns auch, das Prinzip von Handeln und Haften in der Währungsunion zu bewahren, das die Voraussetzung für nachhaltige Politik und eine stabile Währung ist.
In der Krise zeigt sich der Charakter. Das gilt auch für die Europäische Union. Die EU war immer mehr als ein Binnenmarkt. Sie ist eine Wertegemeinschaft. Gerade angesichts der aktuellen Herausforderungen müssen wir die europäischen Werte hochhalten: Die Wahrung der Menschenrechte, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Wir müssen alles dafür tun, dass diese Werte gerade in der jetzigen Situation in Europa gelebt werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass Populisten und Nationalisten die Notlage ausnutzen, um in ihrem Windschatten Demokratie, Rechtsstaat und Freiheitsrechte in einzelnen europäischen Mitgliedstaaten auszuhöhlen.
Es darf keinen Zweifel daran geben, dass wir die tiefgreifenden Freiheitseinschränkungen in allen Mitgliedstaaten so schnell wie möglich beenden und schrittweise die vollständige Freiheit wiederherstellen werden. Diese Freiheitseinschränkungen sind kein Selbstzweck, sondern dienen dem Schutz von Leben und Gesundheit und sind fortlaufend auf ihre Verhältnismäßigkeit hin zu prüfen.
Mit besonderer Besorgnis erfüllt uns die Entwicklung in Ungarn. Die unbefristete Ermächtigung der Regierung, die Entmachtung des Parlamentes und die Einschränkungen der Meinungsfreiheit verstoßen gegen Grundregeln der europäischen Gemeinschaft. Europäische Werte dürfen aber auch in Krisenzeiten nicht verhandelbar werden.
Wir fühlen uns dem ungarischen Volk eng verbunden, das seine Liebe zur Freiheit immer wieder unter Beweis gestellt und 1989 den Eisernen Vorhang zerrissen und damit auch vielen Deutschen den Weg in die Freiheit eröffnet hat. Die Regierung von Viktor Orbán tritt diese Tradition Ungarns aber mit Füßen. Uns berührt und bewegt das Geschehen in diesem auch für uns historisch so bedeutungsvollen europäischen Land und wir erwarten von Bundeskanzlerin Merkel, dass sie den ungarischen Regierungschef mit Nachdruck zur umgehenden Rücknahme der Notstandsgesetze auffordert.
- Die Europäische Kommission muss im Rahmen ihrer Kompetenzen und als Wächterin der Verträge die Notstandsregelungen aller Mitgliedstaaten prüfen und das politische Handeln der nationalen Regierungen, etwa in Polen und Tschechien, aufmerksam beobachten. - Die Bundesregierung muss sich gemeinsam mit weiteren Mitgliedstaaten dafür einsetzen, dass das Verfahren gegen Ungarn nach Artikel 7 EU-Vertrag zum Abschluss gebracht wird und so bald wie möglich zu beantragen, dass im Rat der Europäischen Union die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der Grundwerte der EU durch die Republik Ungarn festgestellt wird. Sollten die ungarischen Notstandsgesetze nicht zurückgenommen werden, muss die Bundesregierung gemeinsam mit anderen Mitgliedstaaten auf eine Suspendierung des Stimmrechts Ungarns im Rat hinwirken. - Darüber hinaus muss auch vor dem Hintergrund der Entwicklungen in Ungarn als weiterer Sanktionsmechanismus, neben dem Entzug von Stimmrechten, die Möglichkeit geschaffen und genutzt werden, bei Missachtung der Grundwerte der Union die Bereitstellung von Finanzmitteln für den betreffenden Mitgliedstaat auszusetzen (Konditionalitätsklauseln).
Die Corona-Pandemie ist ein globales Phänomen und Europa einer von vielen Brandherden in der Welt. Wir haben die Chance, der Welt zu zeigen, dass Krisen am besten im Geiste der Freundschaft und Zusammenarbeit zu bewältigen sind. Und dass freie, demokratische Gesellschaften große Herausforderungen besser und nachhaltiger bewältigen können als ein autokratisches System wie China, das durch Täuschung, Vertuschung und Zensur ganz wesentlich dazu beigetragen hat, dass aus einer regionalen Epidemie eine weltweite Pandemie werden konnte.
Wir dürfen in dieser Krise nicht nur auf uns selbst schauen, sondern müssen auch helfen, die Pandemie und ihre Folgen in anderen Teilen der Welt wirksam zu bekämpfen. Und wir müssen gemeinsam mit unseren europäischen Partnern alle diplomatischen Anstrengungen unternehmen, um Konflikte zu entschärfen, die dazu beitragen, die humanitäre Situation in dieser Krisenlage weiter zu verschlimmern.
Gleichzeitig müssen wir Antworten darauf geben, dass Staaten wie China und Russland auf ganz unterschiedliche Weise versuchen, über Propagandamaßnahmen und Desinformationskampagnen politischen Nutzen aus der Krise zu ziehen.
- Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen Nothilfen für Entwicklungs- und Schwellenländer aufstocken und ihre Maßnahmen zur weltweiten Bekämpfung der Corona-Pandemie abstimmen und koordinieren. Neben der medizinischen Versorgung und wirtschaftlicher Hilfestellung im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit muss ein Schwerpunkt besonders auf die Förderung von Gesundheitsinfrastruktur und Gesundheitssystemen sowie gesundheitliche Aufklärung gelegt werden. Insbesondere die medizinische Versorgung und Unterbringung in Flüchtlingslagern muss schnell und durchgreifend verbessert werden. Dazu ist insbesondere die finanzielle Unterstützung für WHO, UNHCR und das World Food Programme (WFP) der Vereinten Nationen zu verstärken. Zudem sollten umgehend Maßnahmen ergriffen werden, um eine finanzielle Aufstockung der globalen Impfallianz (GAVI) zu ermöglichen. Sobald ein Impfstoff gegen das Coronavirus zur Verfügung steht, muss dieser schnellstmöglich weltweit verteilt werden. - Der konsequente Schutz der griechisch-türkischen Grenze ist zwingend notwendig, um erneute starke illegale Migration nach Europa zu unterbinden. Gleichzeitig muss die EU-Türkei-Vereinbarung weiterentwickelt und die Versorgung der syrischen Flüchtlinge vor Ort sichergestellt werden. Die Europäische Union ist zudem gefordert, eine humanitäre Katastrophe auf den griechischen Inseln zu verhindern. Wir unterstützen daher die Evakuierung gefährdeter Kinder und ihrer Familien in Mitgliedstaaten der EU. Darüber hinaus sollte die EU-Kommission Maßnahmen prüfen, wie die Flüchtlingslager auf den Inseln in den kommenden Wochen insgesamt aufgelöst werden und Migranten in geordnete und hygienisch einwandfreie Unterkünfte auf dem griechischen Festland verbracht werden können, um dort reguläre Verfahren zu durchlaufen. Pull-Effekte, die unter normalen Bedingungen zu erwarten wären, gehen in der aktuellen Gesamtlage von dieser humanitären Maßnahme nicht aus. - Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen auch während der Corona-Krise alle diplomatischen Anstrengungen unternehmen, um für die Konflikte und Spannungen vor allem in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft Lösungen zu suchen oder zumindest für den Augenblick der Pandemie eine Beilegung der Kampfhandlungen zu erreichen. Das gilt insbesondere für die erneut eskalierende Situation in Libyen, die auch die konsequente Unterstützung der EU-Mission Irini erforderlich macht, die fortgesetzten Spannungen in der syrischen Provinz Idlib und die sich andeutende Verschärfung der Lage in der Ostukraine. - Um gezielten Desinformationskampagnen von Drittstaaten besser begegnen zu können, muss die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene und mit den Mitgliedstaaten vertieft und besser koordiniert werden, auch im Bereich der Aufklärung. Desinformationskampagnen, die nachweislich auf einen Drittstaat zurückzuführen sind, müssen im Verhältnis zwischen den Staaten angesprochen werden und gegebenenfalls in geeigneter Weise diplomatisch beantwortet werden.
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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. April 2020
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