Schattenblick →INFOPOOL →PARLAMENT → LANDESPARLAMENTE

NORDRHEIN-WESTFALEN/1900: Gott bewahre? (Li)


Landtag intern 1/2012
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

Gott bewahre?
Alle anderen Fraktionen wenden sich gegen die Forderungen der Linken, den Gottesbezug aus der Verfassung zu streichen

Von Sonja Wand


22. Dezember 2011 - In der nordrhein-westfälischen Landesverfassung ist als eines der Erziehungsziele die Ehrfurcht vor Gott beschrieben. Das möchte die Linksfraktion per Gesetzentwurf ändern (Drs. 15/3532), weil ihr die Formulierung als widersprüchlich zur Religionsfreiheit erscheint, die im Grundgesetz festgeschrieben ist. Auch eine Erziehung "in Liebe zu Volk und Heimat" lehnt die Fraktion ab, weil Liebe nicht anerzogen werden könne. In der Aussprache zum Gesetzentwurf zeigten sich jedoch alle anderen Fraktionen anderer Meinung, verwiesen auf den historischen Kontext und auf die damaligen Beratungen der Verfassungsväter und -mütter, die keineswegs eine Festlegung auf einen bestimmten Glauben im Sinn gehabt hätten.


Gunhild Böth (Linke) zeigte Verständnis dafür, dass damals vor dem Hintergrund des Faschismus eine klare Ausrichtung auf eine christliche Erziehung in der Verfassung verankert worden sei. Über eine einheitliche christliche Gesellschaft allerdings seien die Zeichen der Zeit und die gesellschaftlichen Entwicklungen hinweggegangen. Nicht nur Menschen ohne monotheistische Glaubensvorstellungen würden heute durch das Erziehungsziel ausgeschlossen, sondern auch Menschen, die nicht gläubig seien. Eine Verfassung aber müsse sich an alle Menschen im Land richten und dem Nichtglauben denselben Stellenwert einräumen wie dem Glauben.

In der Politik sei man nicht nur der Mehrheitsmeinung, sondern darüber hinaus dem Gewissen verpflichtet, verwies Prof. Dr. Dr. Thomas Sternberg (CDU) auf die Präambel der Verfassung. Das jedoch setze eine Gründung der sittlichen Person in ihrem Gottesverständnis voraus. Für Nichtgläubige gelte dasselbe wie für den neutralen Staat: die religiösen Gefühle anderer zu achten. Dies bedeute gerade nicht das Ausklammern religiöser Werte, sondern Toleranz - in multikulturellen Gesellschaften unabdingbar. Die Erziehungsziele Liebe und Ehrfurcht seien zwar nicht "pisafähig", räumte Sternberg ein, schützten aber vor Radikalismus.

"Gott bleibt in der nordrhein-westfälischen Landesverfassung", bekräftigte Wolfram Kuschke (SPD). Mit der Rücksicht auf Migrantinnen und Migranten sei eine Verfassungsänderung jedenfalls nicht begründbar. Das Erziehungsziel "Ehrfurcht vor Gott" beziehe sich ebenso auf Jahwe, Allah oder transzendentale Vorstellungen. Möglicherweise, vermutete der SPD-Abgeordnete, gehe es auch weniger um den Respekt vor Atheisten, womit die SPD kein Problem habe, sondern mehr um Nihilisten. Eines sei für die Verfassungsväter und -mütter damals wesentlich gewesen: Bei allem Respekt komme es auch darauf an, einen eigenen Standpunkt zu haben.

Ehrfurcht bedeute Respekt und Anerkennung, erklärte Sigrid Beer (Grüne). Sie zitierte aus Protokollen des Verfassungsausschusses, der den Gottesbezug ausgiebig diskutiert habe. Niemand habe anderen einen Glauben vorschreiben wollen. Auch der Parlamentarische Rat habe in einem Gottesbezug im Grundgesetz keine Bevormundung, keine Vermischung von Kirche und Staat und keine Beeinträchtigung der Freiheitsgarantie für Nichtgläubige gesehen. Er sei aber nach den Erfahrungen der NS-Zeit überzeugt gewesen, dass Grundrechte einer metaphysischen Verankerung bedürften. "Ist das eine Diskussion, die überholt ist?", fragte Beer erstaunt.

Dietmar Brockes (FDP) unterstrich, "Ehrfurcht vor Gott" meine eher die Ehrfurcht vor dem Höheren. So seien auch Erziehungsziele nicht unabdingbar religiös ausgeprägt. Eine Erziehung zu christlichen Werten ziele auch auf Offenheit gegenüber Anders- und Nichtgläubigen. Es gehe darum sicherzustellen, dass Kinder zu einem Wertebewusstsein, Miteinander und gegenseitigem Respekt erzogen würden. Wie im Grundgesetz stärke das Erziehungsziel die Freiheit zu glauben, aber auch die Freiheit, nicht zu glauben. Dies berühre die Grundfeste der Demokratie. "Und das wollen Sie ändern?", fragte Brockes in Richtung der Links-Fraktion.

Die Formulierungen seien offen genug für jedes persönliche Gottesverständnis, für Nichtgläubige und für alle, denen die "Liebe zu Volk und Heimat" etwas altmodisch vorkomme, meinte Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne). Heute spreche man eher von Wertschätzung. Diese habe nichts mit nationaler Überheblichkeit zu tun, wie die folgenden Erziehungsziele, nämlich Völkergemeinschaft und Friedensgesinnung, zeigten. Die "Ehrfurcht vor Gott" habe klarstellen sollen, dass der Mensch nicht das Maß aller Dinge sei. Und gläubige Menschen seien vielleicht allen im Parlament lieber als solche, deren einziger Gott Mammon heiße.

ÜBERWEISUNG
Einstimmig hat das Plenum den Gesetzentwurf zur Fachberatung an den Haupt- und Medienausschuss - federführend - sowie an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung überwiesen.


*


Quelle:
Landtag intern 1 - 43. Jahrgang, 25.01.2012, S. 5
Herausgeber: Der Präsident des Landtags Nordrhein-Westfalen,
Eckhard Uhlenberg, Platz des Landtags 1, 40221 Düsseldorf
Postfach 10 11 43, 40002 Düsseldorf
Telefon (0211) 884-25 45, -23 04, -23 09
Telefax (0211) 884-35 51
email@landtag.nrw.de
Internet: www.landtag.nrw.de, www.landtagintern.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Februar 2012