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NORDRHEIN-WESTFALEN/1935: Ein Schulsystem für alle (Li)


Landtag intern 8/2012
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

Ein Schulsystem für alle
Debatte über gemeinsames Lernen von Behinderten und Nichtbehinderten

Von Daniela Braun



4. Juli 2012 - Jahrelang hat das Schlagwort "Integration" die sozialpolitische Debatte beherrscht. Spätestens seit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechts-Konvention rückt zunehmend auch das Thema "Inklusion" in den Fokus der Diskussion. Auf Initiative der rot-grünen Regierungsfraktionen haben die Abgeordneten im Landtag über Eckpunkte eines inklusiven Schulsystems debattiert und den entsprechenden Antrag an den Schulausschuss überwiesen (Drs. 16/118). Wenige Stunden zuvor hatte das Kabinett einen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Konvention beschlossen.


"Speziell in der Schule bedeutet Inklusion einen umfassenden Paradigmenwechsel", betonte Renate Hendricks (SPD). Es gehe um das einklagbare Recht auf einen Platz in der Regelschule. Diesen Anspruch müsse NRW schnellstmöglich in Landesrecht umsetzen, forderte die SPD-Politikerin. Darauf ziele auch der rot-grüne Antrag ab: Demnach soll die Regierung einen Referentenentwurf vorlegen, auf dessen Basis das Parlament beraten kann. "Wir werden jedoch nicht mit einem Schlag von null auf hundert starten", warnte Hendricks vor Illusionen, die schon allein an der finanziellen Realität scheiterten. Zwischenlösungen seien nötig, Förderschulen würden langsam abgeschmolzen.

Für einen solchen schrittweisen Prozess sprach sich auch Sigrid Beer (GRÜNE) aus. Rot-Grün habe hierfür bereits erste wichtige Grundlagen gelegt: 600 zusätzliche sonderpädagogische Stellen sowie entsprechende Fortbildungsmittel. Zudem werde Nordrhein-Westfalen den demografischen Effekt bei der Schüler-Lehrer-Relation nutzen, um die Schulen zu verbessern. "Wir sind bereits auf dem Weg, und wissen: Inklusion gibt es nicht zum Nulltarif", sagte Beer und kritisierte die CDU. Diese weiche vom erarbeiteten Konsens der vergangenen Jahre ab. Unter anderem verabschiede sie sich davon, den Rechtsanspruch zu realisieren, bemängelte Beer: "Das finde ich äußerst bedenklich."

Die UN-Konvention umzusetzen, sei für seine Fraktion von höchster Priorität, entgegnete Klaus Kaiser (CDU) und warnte vor "kleinkarierten tagespolitischen" Debatten. Gleichzeitig verwies er auf den aus seiner Sicht zentralen Unterschied: "Rot-Grün formuliert als oberstes Ziel die Festlegung des Rechtsanspruchs ab dem Schuljahr 2013/2014." Bei den dafür nötigen Ressourcen aber blieben die Koalitionsfraktionen, anders als die CDU, zu unkonkret, kritisierte Kaiser: "Ich sehe die Landesregierung hier in der gleichen Klemme wie beim U3-Ausbau." Neben einer Doppelbesetzung in den Klassen forderte Kaiser zusätzliche 30 Millionen Euro als Startbudget für den Prozess.

Ähnliche Kritik kam auch von Yvonne Gebauer (FDP). Sie wertete den Umfang des Inklusionsfonds als unzureichend und betonte: Beim Thema Inklusion sei größtmögliche Sorgfalt gefragt. Dem werde Rot-Grün aber nicht gerecht. "Die Schulen brauchen einen wirklich allumfassenden Inklusionsplan und kein Stückwerk", sagte Gebauer sowohl in Bezug auf den Antrag als auch den am Vortag vorgelegten Aktionsplan. "Sie geben keinerlei konkrete Antworten auf drängende Fragen, damit Städte und Gemeinden handeln und aktiv werden können." Nicht jede Kommune könne in Vorleistung treten. Unabhängig davon sprach sich Gebauer für den flächendeckenden Erhalt eines Förderschulangebots aus.

"Elternwille heißt auch, dass sich Eltern ganz bewusst für eine Förderschule entscheiden können", betonte Monika Pieper (PIRATEN). Dies müsse solange gelten, wie das allgemeine Schulsystem keine gleichwertige Alternative darstelle. Daneben forderte die Piratin aber auch den Anspruch auf einen Platz in der allgemeinen Schule sowie das Recht der Eltern, selbst eine Prüfung auf Förderbedarf zu starten. Dies sei bislang nicht möglich. "In vielen Fällen sind die Schüler, für die wir eigentlich alle etwas Gutes wollen, Opfer der aktuellen Entwicklung", befand Pieper. Die Zeit dränge. Doch der rot-grüne Antrag sei zu schwammig, als dass er Abhilfe schaffen könne.

Dem Antrag fehle Konkretes? "Das ist kein Wunder, wenn hier die ausdrückliche Aufforderung ergeht, diese konkreten Aussagen im Zusammenhang mit der Schulgesetznovelle zu treffen", verteidigte Schulministerin Sylvia Löhrmann (GRÜNE). Dies schließe Ressourcenfragen mit ein. Die von der CDU geforderte Doppelbesetzung bewertete Löhrmann als "schön". Das bedeutete aber auch 10.000 Stellen mehr: "Wie passt das mit Ihren Haushaltsforderungen zusammen?" Inklusion sei ein herausfordernder Prozess und der Antrag ein politisches Signal, betonte die Ministerin. "Aber wir fangen auch nicht bei null an." Schon heute lernten mehr und mehr Kinder gemeinsam, mit und ohne Handicap.

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Quelle:
Landtag intern 8 - 43. Jahrgang, 12.09.2012, S. 6
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Oktober 2012