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NORDRHEIN-WESTFALEN/1937: PIRATEN fordern obligatorischen Volksentscheid bei Verfassungsänderungen (Li)


Landtag intern 8/2012
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

Nicht ohne meine Zustimmung
PIRATEN fordern obligatorischen Volksentscheid bei Verfassungsänderungen

Von Daniela Braun



5. Juli 2012 - Mehr unmittelbare Demokratie auch bei Verfassungsfragen: Das fordern die PIRATEN in einem ihrer ersten Gesetzentwürfe im NRW-Parlament (Drs. 16/119). Bislang reicht für eine Verfassungsänderung eine Zweidrittel-Mehrheit der Abgeordneten. Die PIRATEN sprechen sich nun zusätzlich für einen obligatorischen Volksentscheid aus. Um dies durchzusetzen, müsste der Landtag allerdings zunächst die Verfassung ändern - mit der besagten Zweidrittel-Mehrheit.


"Der Bürger soll das letzte Wort haben", fasste Dietmar Schulz den Antrag der PIRATEN in der Plenardebatte zusammen. Zu hohe Hürden bei Volksentscheiden und Volksbegehren sowie zu wenig Mitbestimmung insgesamt: Viele Menschen hätten längst aufgegeben, sich einzumischen. "Auf der Straße hören wir nichts anderes als: Die machen doch sowieso, was sie wollen, und wir haben gar nicht mitzureden", schilderte Schulz seine Sicht der Situation vor Ort. Das müsse sich ändern. Die Bürgerinnen und Bürger sollten als Souverän mit darüber entscheiden können, wie das Zusammenleben im Land funktioniere. Das gelte insbesondere für Fälle, in denen das Parlament die Verfassung ändern wolle.

"Wir haben hier kein Defizit an Demokratie im nordrhein-westfälischen Landtag", reagierte der SPD-Abgeordnete Hans-Willi Körfges auf die "Belehrungen" seines Vorredners. Vielmehr habe das Parlament in den letzten Jahren daran gearbeitet, die Menschen im Land mitwirken zu lassen, wo es nur möglich sei. Auch die stärkere Mitbestimmung speziell bei Verfassungsfragen stehe längst auf der Agenda - dürfe jedoch nicht isoliert diskutiert werden, betonte der SPD-Politiker. "Insoweit sind Sie mit ihrem Gesetzentwurf und Ihrem Ansatz zu kurz gesprungen." Gleichzeitig bekannte sich Körfges in der Diskussion klar zum Prinzip der repräsentativen parlamentarischen Demokratie.

"Der Aufwand für einen Volksentscheid ist in etwa so groß wie der bei einer Landtagswahl", gab der CDU-Politiker Peter Biesenbach zu bedenken. Angesichts sinkender Wahlbeteiligung bezweifle er, dass dabei überhaupt akzeptable Mehrheiten zustande kämen. 20 Mal habe NRW seit dem Jahr 1949 seine Verfassung geändert - teils nur, um einzelne Worte umzuformulieren. "Wollen Sie dazu einen Volksentscheid?", fragte der Abgeordnete. Abgesehen davon sei es in der ganzen Zeit zu keinem Volksentscheid gekommen. "Weil immer dann, wenn es ein Volksbegehren gab, es auch angenommen wurde", stellte Biesenbach fest. Er plädierte daher dafür, eher das Verfahren für Volksbegehren zu erleichtern.

"Wir wollen mehr Demokratie fördern", sagte auch Matthi Bolte (GRÜNE). Unter Rot-Grün habe NRW jüngst Bürgerbegehren und Bürgerentscheide erleichtert sowie die Stichwahl bei Bürgermeister- und Landratswahlen wiedereingeführt. Eine "große demokratische Revolution" sei in NRW also nicht so drängend, wie es im Antrag anklinge. Nichtsdestotrotz habe sich die Koalition in Sachen direkter Demokratie auch weiterhin viel vorgenommen: "Natürlich müssen wir an das Quorum bei den Volksbegehren herangehen." Gleichzeitig betonte Bolte die Notwendigkeit einer umfassenderen Demokratie-Diskussion: Als Plattform hierfür wolle Rot-Grün eine Verfassungskommission einrichten.

Für eine solche fraktionsübergreifende Kommission und integrierte Debatte über alle geplanten Verfassungsänderungen plädierte auch Dirk Wedel (FDP). Die direkte Demokratie als Instrument unmittelbarer politischer Einflussnahme sei wichtig. Doch: "Es verbietet sich, mit Schnellschüssen und handwerklich unausgereiften Gesetzentwürfen Hand an unsere Verfassung zu legen." Zudem wies der FDP-Sprecher darauf hin, dass lediglich Bayern bei Verfassungsänderungen neben einer Zweidrittel-Mehrheit zusätzlich auch einen Volksentscheid fordere. Und diese Lösung habe Schwächen, insbesondere wenn die Menschen in einem Durchlauf über mehrere Änderungen gleichzeitig abstimmen müssten.

"So richtig es ist, die direkte Demokratie zu stärken, so falsch ist es, repräsentative Demokratie klein zu machen", betonte Innenminister Ralf Jäger (SPD). Auch er unterstrich die Bemühungen in den letzten zwei Jahren für mehr direkte Demokratie, vor allem auf kommunaler Ebene. Gleichzeitig kündigte er an: "Auch auf Landesebene wollen wir die Bürgerbeteiligung erleichtern." Dabei verwies Jäger auf die im rot-grünen Koalitionsvertrag vereinbarte Kommission. Diese solle prüfen, wie zeitgemäß die Verfassung noch sei und wo direkte Demokratie noch mehr Raum erhalten könne. Dabei gelte: "An der Verfassung zu operieren, bedarf immer der Seriosität und Sorgfalt."


KASTEN

VOLKSBEGEHREN UND VOLKSENTSCHEID

Neben Wahlen sind Volksbegehren und Volksentscheid in der Landesverfassung aufgeführte Mittel der politischen Willensbekundung des Volkes. Mit dem Volksbegehren können Bürgerinnen und Bürger ihr Verlangen äußern, ein Gesetz zu erlassen, zu ändern oder aufzuheben. Es bedarf der Unterstützung von acht Prozent der Stimmberechtigten in NRW (ca. 1,1 Millionen Stimmen). Gegenstand des Begehrens muss ein förmliches Gesetz sein, für das dem Land die Gesetzgebungszuständigkeit zusteht. Zu einem Volksentscheid kommt es im Anschluss an ein Volksbegehren nur, wenn der Landtag diesem nicht entsprochen hat. Das Ziel eines Volksentscheids ist ein Gesetzesbeschluss der Bürgerinnen und Bürger anstelle des Landtags.

Dies gilt auch in Bezug auf die Verfassung. Das Änderungsgesetz ist angenommen, wenn mindestens die Hälfte der Stimmberechtigten sich an dem Volksentscheid beteiligt und mindestens zwei Drittel der Abstimmenden dem Gesetzentwurf zustimmen. Zusätzlich können sowohl der Landtag als auch die Regierung die Zustimmung zu einer begehrten Verfassungsänderung durch Volksentscheid einholen, wenn im Parlament die notwendige Mehrheit nicht zustande gekommen ist.

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Quelle:
Landtag intern 8 - 43. Jahrgang, 12.09.2012, S. 7
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
Carina Gödecke, Platz des Landtags 1, 40221 Düsseldorf
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Oktober 2012