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NORDRHEIN-WESTFALEN/2177: "Arbeit unter anderen Bedingungen" - Auf den Spuren des NSU-Terrors (Li)


Landtag intern 2/2015
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

"Arbeit unter anderen Bedingungen"
Auf den Spuren des NSU-Terrors in NRW

Text und Interview von Christoph Weißkirchen und Michael Zabka


Die Blutspur des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) zieht sich über Jahre hinweg quer durch die Bundesrepublik. Die Straftaten des NSU in Nordrhein-Westfalen sind Gegenstand eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA), den der Landtag NRW auf Antrag aller fünf Fraktionen am 5. November 2014 eingesetzt hat.


Zu seinen Aufgaben gehört die Ermittlung der Aktivitäten des NSU, die Nachverfolgung der Ermittlungsverfahren, die Erarbeitung von Schlussfolgerungen für die Sicherheits- und Justizbehörden sowie die Erörterung einer möglichen Verbesserung der Bekämpfung rechtsextremistischer Gewalt. Im Einsetzungsbeschluss (Drs. 16/7148) werden dazu 181 Einzelfragen aufgeführt. Der Untersuchungszeitraum geht zurück bis zum Oktober 1991.

Zur Begründung der Untersuchungsarbeit des Landtags führt der Beschluss aus: "Das Bekanntwerden des NSU hat zu umfangreichen Diskussionen in der Öffentlichkeit geführt. In diesem Zusammenhang wurde der Vorwurf erhoben, dass es bei den Ermittlungen bezüglich der mutmaßlichen Taten des NSU zu Defiziten bei Sicherheits- und Justizbehörden in verschiedenen Bundesländern und auf Bundesebene gekommen sei. Zudem wurden Spekulationen geäußert, Verfassungsschutzbehörden könnten mit dem Trio in Verbindung gestanden und ihm 1998 möglicherweise zur Flucht verholfen haben." Hier wollen die Abgeordneten Klarheit schaffen.


Ursachensuche

Kritisch zu diskutieren sei im Rahmen der NSU-Debatte auch die Rolle von V-Leuten und Vertrauenspersonen, heißt es im Einsetzungsbeschluss. Hier gebe es auch im Hinblick auf Nordrhein-Westfalen Fragen.

In ihre Arbeit werden sie unter anderem die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses des Bundestags einbeziehen. Neben dem Bundestag haben auch die Landtage von Thüringen, Sachsen, Bayern und Hessen parlamentarische Untersuchungsausschüsse eingesetzt. Auch bei diesen ging und geht es um die Frage, weshalb die Entstehung des NSU nicht rechtzeitig erkannt und die von den Mitgliedern dieser Gruppierung mutmaßlich begangenen Verbrechen nicht aufgeklärt bzw. verhindert werden konnten.


Abschluss bis 2017

Zum Zeitrahmen erklärte Ausschussvorsitzende Nadja Lüders (SPD), der Untersuchungsausschuss werde seine Arbeit bis Mai 2017 beenden und noch vor Ende der Legislaturperiode einen Bericht vorlegen. Man werde hoffentlich viele wertvolle Hinweise geben, wie die Zusammenarbeit von Verfassungsschutz und Polizei untereinander verbessert werden könne, erklärte ihr Stellvertreter Peter Biesenbach (CDU).

Seiner Meinung nach begegnet man der Gefahr von Rechts am besten durch politische Auseinandersetzung zu jedem Augenblick und an jedem Ort. Nadja Lüders unterstrich auch das Engagement der Zivilgesellschaft, genaueres Hinsehen, Bildung, Nicht-Vergessen und die Aufgabe, den Staat handlungsfähig zu halten.

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Zur Arbeit des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses NSU (PUA) sprach Landtag Intern mit der Vorsitzenden Nadja Lüders (SPD) sowie ihrem Stellvertreter Peter Biesenbach (CDU).


Landtag Intern: Frau Lüders, Herr Biesenbach, der Untersuchungsausschuss hat sich bis zum Ende der Legislaturperiode viel vorgenommen. Wir haben mal nachgezählt und kommen auf vier große Themenkomplexe und 181 Einzelfragen. Haben Sie dafür ausreichend Zeit?

Nadja Lüders: Wir hätten uns die Aufgabe nicht so gestellt, wenn wir das nicht im Blick gehabt hätten. Es ist der gemeinsame Wille aller Fraktionen, dass der PUA auch zu einem Abschluss kommt. Deshalb wollen wir alle so arbeiten, dass wir den Auftrag, den uns das Parlament gegeben hat, auch erfüllen.

Peter Biesenbach: Wenn Sie 181 Einzelfragen gezählt haben, sind die ja nicht alle vollkommen unterschiedlich. Aus meinem Verständnis heraus stellen sie vielmehr die inhaltliche Gliederung unserer Arbeit dar. Bisher ist die Zusammenarbeit im Ausschuss wirklich gut. Da gibt es keine Eifersüchteleien, die Chemie stimmt.


Landtag Intern: Dieser PUA unterscheidet sich von anderen - Stichwort Geheimhaltung. Der Raum, in dem Sie tagen, ist abhörsicher. Gab es das schon einmal?

Lüders: Nein, natürlich nicht. Wir haben uns lange und intensiv mit der Landtagsverwaltung beraten und auch die Erkenntnisse aus Berlin und Thüringen einbezogen, wie denn Sicherheitsvorkehrungen zu gewährleisten sind und was zwingend notwendig ist, um diesen Untersuchungsausschuss überhaupt durchführen zu können. Das ist von baulicher Seite, aber auch für unsere Arbeit teilweise Neuland.

Biesenbach: Wir werden, die Auseinandersetzung ist absehbar, auch mit den zuliefernden Dienststellen und Behörden zu einem späteren Zeitpunkt darüber diskutieren müssen, was denn nun als geheim oder vertraulich eingestuft bleiben soll und was nicht. Ansonsten wären die zuliefernden Behörden in der Lage, uns zu blockieren. Es geht uns ja darum, dass wir auch vieles öffentlich verwenden dürfen.


Landtag Intern: Es gilt also auch verfahrenstechnisch einiges zu beachten.

Lüders: Genau. Wenn zum Beispiel eine Fraktion beantragt, einen V-Mann zu vernehmen - wie arrangieren wir uns dann? Vernehmung mit Perücke? Oder in einem gesonderten Raum mit Videoübertragung? Hinter einer spanischen Wand? Das ist schon speziell. Aber da sind wir noch lange nicht.


Landtag Intern: Arbeiten unter erschwerten Bedingungen?

Lüders: Unter anderen Bedingungen.

Biesenbach: Ja, unter anderen Bedingungen. Es erfordert aber auch eine ungeheure Disziplin der Mitglieder.


Landtag Intern: Warum?

Biesenbach: Auch wir dürfen zwar alle in den als geheim eingestuften Akten lesen, bei den Zeugenbefragungen dürfen wir aber Dinge, die wir aus diesen Akten haben, nicht verwenden. Wir dürfen also nur nach Dingen fragen, die auch öffentlich behandelt werden können. Hinzu kommt: Einerseits verbietet das PUA-Gesetz den Mitgliedern bis zum Abschluss die Abgabe von Wertungen, andererseits warten die Medien auf Stellungnahmen. Wir werden versuchen, Presseerklärungen gemeinsam abzugeben.


Landtag Intern: Sie haben auf die anderen NSU-Untersuchungsausschüsse hingewiesen. Kommt dem Ausschuss in Nordrhein-Westfalen eine besondere Bedeutung zu? Beim Anschlag in der Keupstraße in Köln hatte es Medienberichten zufolge Indizien für einen möglichen rechtsextremistischen Hintergrund gegeben.

Lüders: Ja, das sehe ich schon so. Neben Probsteigasse und Keupstraße hatten wir in der Serie in NRW auch einen Mord in Dortmund. Wenn man den Bericht aus Berlin liest, wird sehr schnell klar, dass die Kolleginnen und Kollegen nicht viel Zeit hatten, diese Fälle intensiv zu behandeln. Deshalb ist es unsere Aufgabe, das zu tun. Wir haben nicht nur die Aufgabe, sondern auch die Verantwortung, für NRW sehr gründlich hinzugucken, was da genau passiert ist.

Biesenbach: Aus heutiger Sicht besteht auch der Verdacht, dass es bei dem Anschlag in der Keupstraße Bildmaterial gab, das unmittelbar zur Ermittlung der beiden Täter geführt hätte, wenn es in die Datei auf Bundesebene eingepflegt worden wäre.


Landtag Intern: Ihre Ermittlungen reichen bis Oktober 1991 zurück. Das ist eine lange Zeit.

Lüders: Wir haben Oktober 1991 gewählt, weil zu diesem Zeitpunkt der Brandanschlag in Hünxe war. Wir wollen sehen, wie sich die rechtsextreme Szene in NRW seither entwickelt hat, sprich: Wie hat die Radikalisierung eingesetzt, und hätte man daraus vielleicht etwas ableiten können? Hätte man Hinweise haben können, dass es in der Szene eine Untergrundorganisation geben kann, geben wird oder gegeben hat?

Biesenbach: Es gab im Ausschuss in den Vorbesprechungen den Wunsch, doch seit 1991 alle noch vorhandenen Akten zu bekommen, die mit Personen zusammenhängen, die im rechtsradikalen Bereich aktiv gewesen sind. Wir haben uns dann an das Landesinnenministerium gewandt, dort hieß es: Bitte überlegt euch das genau, denn die Zahl wird irgendwo zwischen 40.000 und 80.000 liegen.

Lüders: Außerdem - wo setzt man an bei rechtsradikalen Personen? Bei der Hakenkreuzschmiererei eines betrunkenen Jugendlichen oder erst beim harten Kern? Ein anderes Problem: Welche Akten gibt es noch, bekommen wir tatsächlich ein rundes Bild? Wo laufen wir vielleicht auch Gefahr, uns zu verzetteln?

Biesenbach: Die Zahl der Akten hätte uns erschlagen. Als Anwalt habe ich an Großverfahren mitgearbeitet, aber wenn wir da mehr als 300 Akten hatten, wurde es schon sehr schwierig, die Details zuzuordnen.


Landtag Intern: Haben Sie einen Überblick, mit wie vielen Akten Sie sich im Untersuchungsausschuss beschäftigen werden?

Biesenbach: Wenn wir mit einer vierstelligen Zahl auskommen, haben wir Glück.

Lüders: Ja. Und Akte heißt ja nicht 30 Seiten und dann Ende.

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Quelle:
Landtag Intern 2 - 46. Jahrgang, 18.3.2015, S. 6-7
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
Carina Gödecke, Platz des Landtags 1, 40221 Düsseldorf
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Mai 2015

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