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NORDRHEIN-WESTFALEN/2210: NRW macht fit für den Mars (Li)


Landtag intern 8/2015
Informationen für die Bürgerinnen und Bürger

NRW macht fit für den Mars

Von Michael Zabka


Als der Mars-Rover "Curiosity" am 6. August 2012 auf dem Roten Planeten landete, war auch Technik aus Nordrhein-Westfalen an Bord: das Strahlenmessgerät, eine gemeinsame Entwicklung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit Hauptsitz in Köln und der Universität Kiel. Der Detektor misst den Strahlenhintergrund auf dem Planeten und liefert Daten, die für eine bemannte Mars-Mission in möglicherweise nicht allzu ferner Zukunft überlebenswichtig sind.


Menschen auf dem Mars - Science Fiction? Nicht unbedingt. Die Nasa strebt eine solche Mission für die 2030er Jahre an. Allein der Hinflug würde ca. sechs Monate dauern. Hinzu kommt: Die Astronauten müssten mindestens ein Jahr lang auf dem Roten Planeten bleiben. Erst dann sind sich Erde und Mars wieder nahe genug, um den Rückflug antreten zu können. Um es in Kilometern auszudrücken: Im günstigsten Fall sind die Planeten rund 55 Millionen, im ungünstigsten etwa 400 Millionen Kilometer voneinander entfernt. Hintergrund: Der Mars dreht sich in einer langgezogenen Ellipse um die Sonne.

Eine lange Reise also, die Körper und Psyche extrem fordern wird. In der DLR-Forschungseinrichtung "envihab" in Köln (siehe Kasten) werden mögliche Auswirkungen erforscht - zum Beispiel im Rahmen einer "Bettruhe-Studie". Zwölf Männer im Alter zwischen 21 und 42 Jahren nehmen derzeit daran teil. Das heißt: Sie liegen zwei Monate lang im Bett, in sogenannter 6-Grad-Kopftieflage. "Auf diese Weise sollen die Auswirkungen von Schwerelosigkeit auch hier auf der Erde erreicht werden", erklärt DLR-Raumfahrtredakteurin Manuela Braun. Schwerelosigkeit macht dem Körper zu schaffen: Weil sich Astronauten kaum bewegen, kommt es zum Abbau von Muskeln und Knochenmasse, zur Verschiebung von Flüssigkeiten in die oberen Körperareale, was sich wiederum auf das Herz-Kreislaufsystem auswirkt.

Die Teilnehmer müssen absolut gesund sein. Es sind übrigens ausschließlich Männer. Da sich Hormone auf den Stoffwechsel auswirken, seien Frauen wegen ihrer unterschiedlichen Zyklen nicht geeignet. "Die Studie würde dann keine vergleichbaren Daten liefern", erklärt Braun. Raucher werden nicht zugelassen, Leistungssportler ebenfalls nicht. Potenzielle Teilnehmer werden ausführlich über alle Experimente und Untersuchungen aufgeklärt. Sie erfahren auch, dass sie das Bett nicht einmal zum Toilettengang verlassen dürfen. Dass sie liegend duschen werden. Dass sie keinen Besuch empfangen dürfen. Dass Alkohol und Süßigkeiten tabu sind. Dass sie von ihren täglichen Mahlzeiten und Snacks nichts übrig lassen dürfen. Braun: "Jeder bekommt ausgewogenes Essen, das genau auf seinen Grundumsatz im Liegen ausgerichtet ist."

Vor dem eigentlichen Experiment stehen zwei Wochen lang medizinische Untersuchungen auf dem Programm, ebenso nach der zweimonatigen Bettruhe. Hinzu kommen fünf weitere Nachuntersuchungen, die letzte nach zwei Jahren. Die Entschädigungen für die Strapazen sind gestaffelt: Wer alles durchsteht, darf sich über insgesamt 15.000 Euro freuen. Das Ziel dieser Studie: Die Wissenschaftler testen u.a. eine möglichst effektive Gegenmaßnahme für Knochen- und Muskelabbau - einen Sprungschlitten, in dem die Probanden im Liegen mit kurzen, kräftigen Sprüngen trainieren.

Das DLR-Team erforscht aber auch mit anderen Geräten, wie sich Muskel- und Knochenschwund während einer Reise durchs All verhindern lassen. "Wenn Menschen eines Tages zum Mars fliegen, müssen sie dort fit ankommen. Es erwartet sie kein Arzt, der ihnen wieder auf die Beine hilft", erklärt Guido Petrat. Er ist für die Technik der Zentrifuge zuständig - ein 2,6 Millionen Euro teures Gerät, das künstlich Schwerkraft erzeugt. Vom Prinzip her funktioniert es wie ein Karussell, dreht sich allerdings deutlich schneller. Innerhalb dieser Zentrifuge absolvieren die Probanden Übungen: Radfahren, Kniebeugen, Sprünge. Im Nebenraum beobachten Ärzte und Wissenschaftler die Experimente auf Monitoren. Sie können mit den Probanden in der Zentrifuge über Mikrofone sprechen und sehen stets deren medizinische Werte wie Puls und Blutdruck. Die NASA, sagt Petrat, warte auf die Ergebnisse aus Köln. Werden die erhofften Resultate erzielt, könnten Raumschiffe mit Zentrifugen ausgerüstet werden.

"Wir forschen nicht für einen konkreten Marsflug, sondern an dem Wissen, das dafür einmal notwendig sein wird", betont Manuela Braun. Von der Bettruhe-Studie zum Beispiel könne aber auch die Medizin auf der Erde profitieren. Patienten in Krankenhäusern, bettlägerige Menschen in Pflegeheimen befänden sich in vergleichbaren Situationen. Erforscht wird am DLR zudem, wie sich Pflanzen im All züchten lassen - ohne Erde. Das wiederum könnte auch Marsreisenden eines Tages gefallen: frische Tomaten auf der langen Reise statt der üblichen Astronautenkost.

Im DLR-Zentrum passiert noch viel mehr. Einige Kontrollräume für das europäische Forschungslabor "Columbus" der ISS befinden sich in Köln. Von dort aus werden die materialphysikalischen und biologischen Experimente auf der Internationalen Raumstation betreut. Auch der Lander "Philae", der am 12. November 2014 auf dem Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko aufsetzte, wird vom DLR von Köln aus gesteuert.

Zurück zu den zwölf Männern, die derzeit das Bett hüten. "Der erste soll am 8. November aufstehen", sagt Manuela Braun. Wobei "aufstehen" nicht ganz richtig ist. Er wird mithilfe eines Kipptisches in die Senkrechte befördert.


KASTEN
 
Von Köln aus ins All

Deutschland zählt zu den führenden europäischen Raumfahrtnationen - und Nordrhein-Westfalen spielt dabei eine besondere Rolle. Unternehmen aus NRW haben für die Raumfahrt wichtige Komponenten und Programme entwickelt. In Köln befindet sich mit dem DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin sogar eine weltweit führende Forschungseinrichtung. Anlass genug also für einen Parlamentarischen Abend zum Thema "Raumfahrt aus Nordrhein-Westfalen für Deutschland".

Nordrhein-Westfalen gilt als einer der wichtigsten deutschen Raumfahrtstandorte. Die Industrie entwickelt in NRW zum Beispiel Komponenten für die europäische Trägerrakete "Ariane", aber auch Software zur Bahnund Lageregelung von Raumfahrzeugen. Systeme zur Steuerung und Überwachung des Columbus-Bodensegments wurden ebenfalls von der nordrhein-westfälischen Raumfahrtindustrie realisiert. Für alle, die in der Materie nicht ganz so firm sind: "Columbus" ist ein Weltraumlabor, angedockt an die Internationale Raumstation ISS.

Die Bedeutung der Raumfahrt und die Leistungsfähigkeit der Raumfahrtindustrie sowie der mit ihr verbundenen Institutionen standen am 4. November 2015 im Mittelpunkt eines Parlamentarischen Abends in der Villa Horion. Landespolitik, Raumfahrtindustrie und Anwender diskutierten über aktuelle Entwicklungen, Herausforderungen und Handlungsfelder. Eingeladen hatten neben Landtagspräsidentin Carina Gödecke auch Evert Dudok, Vizepräsident Raumfahrt im Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie, sowie Prof. Dr. Pascale Ehrenfreund, Vorstandsvorsitzende des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR).


Bundesweit 16 Standorte

Beim DLR handelt es sich um das Forschungszentrum der Bundesrepublik Deutschland für Luft- und Raumfahrt. Seinen Hauptsitz hat es in Nordrhein-Westfalen - die Hauptverwaltung mit den angegliederten Forschungseinrichtungen in Köln-Porz und Jülich, das Raumfahrt Management in Bonn-Oberkassel. "Das DLR erforscht Erde und Sonnensystem, es stellt Wissen für den Erhalt der Umwelt zur Verfügung und entwickelt umweltverträgliche Technologien für Energieversorgung, Mobilität, Kommunikation und Sicherheit", heißt es im Internetauftritt des Zentrums.

Das DLR ist bundesweit an 16 Standorten vertreten. Darüber hinaus unterhält es Büros in Brüssel, Paris, Tokio und Washington. Insgesamt beschäftigt das Zentrum rund 8.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Etat für Forschung und Betrieb betrug im Geschäftsjahr 2014 DLR-Angaben zufolge 871 Millionen Euro. Davon seien 52 Prozent im Wettbewerb erworbene Drittmittel gewesen.

Weltweit führend ist das DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin in Köln. In der dort angesiedelten Forschungseinrichtung "envihab" - der Name steht für "environment" (Umwelt) und "habitat" (Lebensraum) - werden u. a. die Wirkungen extremer Umweltbedingungen auf den Menschen und mögliche Gegenmaßnahmen erforscht. In acht nach einem "Haus-in-Haus-Prinzip" voneinander getrennten Modulen werden etwa die Folgen erhöhter Schwerkraft auf das Herz-Kreislaufsystem, auf Muskeln und Knochen untersucht. In einem anderen Labor des auf 3.500 Quadratmetern untergebrachten Instituts wiederum geht es um die Wirkung von Sauerstoffreduktion und Druck auf den Körper. Und da eine Reise zum Mars und zurück etwa anderthalb bis zwei Jahre dauern würde, werden im Psychologielabor entsprechende psychische Auswirkungen auf die Astronauten erforscht.

Weitere Informationen zum Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt finden Sie im Internet unter der Adresse www.dlr.de.

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Quelle:
Landtag intern 8 - 46. Jahrgang, 10.11.2015, S. 6-7
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
Carina Gödecke, Platz des Landtags 1, 40221 Düsseldorf
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Internet: www.landtag.nrw.de, www.landtagintern.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Dezember 2015

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