Schattenblick → INFOPOOL → PARLAMENT → LANDESPARLAMENTE


NORDRHEIN-WESTFALEN/2219: Mehr Wertschätzung für berufliche Bildung (Li)


Landtag intern 1/2016
Informationen für die Bürgerinnen und Bürger

Mehr Wertschätzung für berufliche Bildung
Sachverständige diskutieren Probleme und Lösungen

Von Sonja Wand


20. Januar 2016 - Allgemeine Bildung, Abitur und Studium zählten in der Gesellschaft häufig mehr als berufliche Bildung und ein Ausbildungsberuf, kritisiert die CDU-Fraktion in einem Antrag (Drs. 16/9580). Auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels in technischen Berufen müsse umgesteuert werden. Um technische Berufe mehr ins Bewusstsein zu rücken, sollen alle Schulen außer Gymnasien eine technische Grundbildung bieten.


Im Schulausschuss haben Sachverständige zu diesen und weiteren Forderungen Stellung bezogen. Einigkeit herrschte dahingehend, dass berufliche Bildung ebenso wichtig wie allgemeine Bildung sei. Allerdings sei diese Gleichwertigkeit in der Gesellschaft noch nicht angekommen, erklärte Wilhelm Schröder vom Verband der Lehrerinnen und Lehrer an Berufskollegs. Es gelte, "den besonderen Schatz derer zu heben, die bisher Bildungsbenachteiligte sind", verwies Schröder auf Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge.

"Viele Menschen sind abiturbesoffen", meinte Andreas Oehme vom Westdeutschen Handwerkskammertag. Das Abitur sei zum Selbstzweck geworden. Jährlich begännen rund 350 junge Menschen mit Abitur eine Friseurlehre. Auch Georg Greshake vom Robert-Bosch-Berufskolleg Dortmund erläuterte seine Wahrnehmung, dass das Abitur als "gesellschaftliche Eintrittskarte" gelte. "Die These des Akademisierungswahns teilen wir nicht", entgegnete Norbert Wichmann vom Deutschen Gewerkschaftsbund NRW. Es gebe ein "unglaubliches Potenzial" für die berufliche Bildung.

Kritisiert wurde der Vorschlag, Gymnasien von der geforderten technischen Grundbildung auszunehmen. "Technische Bildung muss selbstverständlicher Bestandteil von allgemeiner Bildung sein", meinte Sandra Heidemann von der Deutschen Telekom Stiftung. Tanja Nackmayr (Unternehmer NRW) warnte davor, die Bildungsgänge gegeneinander auszuspielen. Wichtig sei es, die Wege der allgemeinen Bildung und der beruflichen Bildung zu verzahnen, betonten mehrere Sachverständige. Schulstrukturelle Maßnahmen, mit denen implizit nach der 4. Klasse über den weiteren Bildungsweg entschieden werde, "brauchen wir nicht", unterstrich Gewerkschafter Wichmann.

Fehlende Lehrkräfte

Die von der CDU beschriebene Kritik an zu wenig Lehrkräften in MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) teilten alle Sachverständigen. "Wo sollen die so schnell herkommen?", fragte Elke Vormfenne vom Verband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen. Sie forderte, die Politik müsse Anreize schaffen. Monika Reusmann von der Initiative Teachmint regte eine Mangelfachzulage an. Im MINT-Bereich gebe es gute Einzelprojekte, es fehle aber an Nachhaltigkeit, analysierte Unternehmerin Nackmayr.

Es komme darauf an, Begeisterung für die MINT-Fächer zu wecken, sowohl bei Jugendlichen als auch bei Eltern, erläuterte Sophie Tiemann von den Industrie- und Handelskammern NRW. Weiterer Instrumente bedürfe es nicht. Dem widersprach Brigitte Balbach (Lehrer NRW). "Wir brauchen in Schulen eine Förderung des MINT-Bereichs" und mehr Praxisbezug, forderte sie. "Wir müssen die Programme nicht neu erfinden, nur besser verzahnen", argumentierte Michael Urhahne vom Kreisberufskolleg Brakel. Er regte die Zusammenarbeit des Berufskollegs mit Gesamt- und Realschulen an - eine Idee, die Unterstützung unter den Sachverständigen fand. Marc Bücker vom Hans-Sachs-Berufskolleg Oberhausen schlug vor, die Sekundarstufe I direkt am Berufskolleg anzudocken und von Anfang an offen zu kommunizieren, dass die Jugendlichen dort sowohl einen Weg in Richtung Ausbildung als auch in Richtung Abitur gehen könnten.

Viele Sachverständige unterstützten die Forderung, sich auf Bundesebene für Institutionen ähnlich wie Jugendberufsagenturen einzusetzen, um Jugendliche bei der Berufsfindung zu unterstützen. Dazu sollen Arbeitsagentur, Jobcenter und Jugendhilfe zusammenarbeiten. Frühe Investitionen in die schulische Berufswahlorientierung seien zentral, sagte auch Thomas Sieling von der Freien Christlichen Hauptschule Gummersbach. Eine Potenzialanalyse in der 8. Klasse hielt Dr. Matthias Burchardt, Pädagoge an der Universität Köln, für "Kokolores". Das sei eine bloße Momentaufnahme.

"25 Prozent der Ausbildungswilligen gehen uns verloren, weil wir ihnen keine Ausbildungsplätze anbieten können", sagte Teachmint-Sprecherin Reusmann. "Solange die Wirtschaft nicht genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung stellt und solange Ausbildungsberufe nicht besser bezahlt werden, ist das Marktgeschehen eben so, wie es ist", erklärte Sebastian Krebs von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft die Tatsache, dass sich viele Jugendliche gegen die berufliche Bildung entschieden.

*

Quelle:
Landtag intern 1 - 47. Jahrgang, 02.02.2016, S. 15
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
Carina Gödecke, Platz des Landtags 1, 40221 Düsseldorf
Postfach 10 11 43, 40002 Düsseldorf
Telefon (0211) 884-2472, -2324, -2304, -2309
Telefax (0211) 884-2250
email@landtag.nrw.de
Internet: www.landtag.nrw.de, www.landtagintern.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Februar 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang