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NORDRHEIN-WESTFALEN/2250: Gefahr Extremismus (Li)


Landtag intern 6/2016
Informationen für die Bürgerinnen und Bürger

PLENUM
Gefahr Extremismus
Schlagabtausch über Ergebnisse des Verfassungsschutzberichts

Von Michael Zabka, Sonja Wand und Daniela Braun


7. Juli 2016 - Der Verfassungsschutzbericht für 2015 liegt vor: Demnach sind die politisch motivierten Straftaten von rechten, linken oder anders motivierten Extremisten um 28 Prozent gestiegen (ca. 7.500 Delikte). Die Zahl der Salafisten erhöht sich weiter. Derzeit werden rund 640 Personen als gewaltbereit eingestuft. Die Ergebnisse lösten eine kontroverse Debatte im Landtag aus.


Der Aktuellen Stunde lag ein Antrag der FDP-Fraktion (Drs. 16/12420) zugrunde. Die Fraktion kritisiert darin u. a., dass die islamistische Gefahr "so groß wie noch nie" sei. Dennoch habe die Landesregierung "immer noch kein wirksames Konzept zur Bekämpfung des Salafismus und Terrorismus".

Es wäre "billig und unredlich", allein Innenminister Ralf Jäger (SPD) und der Landesregierung die Schuld an der Entwicklung zu geben, sagte Dr. Joachim Stamp (FDP). Ebenso billig und unredlich wäre es aber zu sagen, der Innenminister habe damit nichts zu tun. Dass Jäger von "Turboradikalisierung" als neuem Phänomen spreche, stelle den durchsichtigen Versuch dar, von eigenem Versagen abzulenken. Der Innenminister habe stets zwei Erklärungsmuster: Entweder seien andere schuld oder es handle sich um ein "neues Phänomen". Die FDP-Fraktion würde Fehler verzeihen, sagte Stamp. Voraussetzung sei aber, dass der Minister sie eingestehe.

Hans-Willi Körfges (SPD) sprach von einer "Anhäufung von Vorwürfen", die substanziell nichts mit dem Thema zu tun hätten. In der Tat zeige der Bericht des Verfassungsschutzes bedrohliche Entwicklungen auf. Dass sich Menschen innerhalb kurzer Zeit radikalisierten, sei ein neues Phänomen. Fakt sei, dass politisch oder religiös motivierter Extremismus nicht geduldet werde. Allerdings sei es nicht möglich, den Entwicklungen allein mit Landesmitteln entgegenzutreten. Wichtig sei die Zusammenarbeit von Bund und Bundesländern. Körfges warnte vor "pauschalen Verunglimpfungen" und empfahl, gemeinsam nach Lösungen zu suchen.

PRÄVENTION

Der Verfassungsschutzbericht biete als Frühwarnsystem eine genaue Analyse, sagte Peter Biesenbach (CDU). Daraus resultiere aber seitens Rot-Grün kein politisches Handlungskonzept. "Wo ist die Prävention?", fragte der Abgeordnete und forderte dreierlei: erstens mehr Personal beim Verfassungsschutz, spezialisiert auf die Herausforderung, dass sich Gewaltbereite im Internet fänden. Zweitens müsse der Verfassungsschutz die Namen der "selbsternannten Imame" öffentlich machen, die den Koran verteilten und zu Gesprächen in Hinterzimmern einlüden. Drittens forderte er ein Integrationsprogramm für perspektivlose junge Zugewanderte.

"Die Spezialisten sind da und an den richtigen Stellen", antwortete Verena Schäffer (GRÜNE). Rot-Grün habe den Verfassungsschutz reformiert und massiv personell gestärkt. Aber er könne die Arbeit engagierter Demokraten nicht ersetzen. Denn rechtsradikale Einstellungen seien in NRW kein Randphänomen, sondern in der Mitte der Gesellschaft angesiedelt. Schäffer nannte verschiedene Maßnahmen der Regierung gegen Extremismus, beispielsweise das Verbot von rechtsextremen Kameradschaften als wichtiges Signal in die Szene. Bei vielen beschlossenen Präventionsmaßnahmen habe sie die Unterstützung von CDU und FDP vermisst.

Prävention sei die adäquate Antwort auf den Extremismus, betonte Dirk Schatz (PIRATEN): "Nur so verhindern wir Straftaten." Repressionen, so die Auffassung des Abgeordneten, bewirkten das Gegenteil. Zudem, mahnte Schatz, stelle eine nicht funktionierende Integration von Zugewanderten eine große Gefahr dar, denn: "Extremisten füllen eine Lücke im Leben der Betroffenen." Schatz kritisierte, dass die Landesregierung ihre Aussteigerprogramme als Erfolg feiere, dies aber nicht ausreichend wissenschaftlich evaluiert belegen könne. Auch sei das Misstrauen von Betroffenen gegenüber dem Verfassungsschutz groß.

Der fraktionslose Abgeordnete Daniel Schwerd bezeichnete den aktuellen Verfassungsschutzbericht als "Zeugnis organisierten Staatsversagens".

Die Bedrohungslage habe sich verschärft, sagte Innenminister Ralf Jäger (SPD). Das Land reagiere darauf mit einer Kombination aus Repression und Prävention. So habe man beim Verfassungsschutz in den vergangenen zwei Jahren 85 zusätzliche Stellen geschaffen und auch der polizeiliche Staatsschutz werde "deutlich ausgebaut". Dennoch werde es keinen hundertprozentigen Schutz geben. Menschen radikalisierten sich schneller. So seien mehr als zwei Drittel der im Verfassungsschutzbericht genannten Täter zuvor nicht in der rechtsradikalen Szene aktiv gewesen. Den Kampf gegen den Extremismus nannte er eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

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Quelle:
Landtag intern 6 - 47. Jahrgang, 12.07.2016, S. 5
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. August 2016

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