Schattenblick → INFOPOOL → PARLAMENT → LANDESPARLAMENTE


NORDRHEIN-WESTFALEN/2277: Debatte um den Doppelpass (Li)


Landtag intern 10/2016
Informationen für die Bürgerinnen und Bürger

Debatte um den Doppelpass

Aktuelle Stunde zum Thema Staatsbürgerschaft

von Sonja Wand, Michael Zabka und Wibke Busch


15. Dezember 2016 - Die von der Bundes-CDU beabsichtigte Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern stand im Mittelpunkt einer Aktuellen Stunde. Die Fraktionen von SPD und GRÜNEN hatten sie beantragt. Die geplante "Abkehr vom Doppelpass" sei "Gift für die Integration in NRW".


Die CDU hatte den entsprechenden Beschluss auf ihrem Bundesparteitag am 7. Dezember 2016 in Essen gefasst. Die Fraktionen von SPD und GRÜNEN halten ihn jedoch für ein falsches Signal. "In einer modernen Einwanderungsgesellschaft bedeutet Integration auch, Menschen mit Migrationshintergrund mit ihrer gesamten Identität anzuerkennen", hieß es in dem Antrag (Drs. 16/13744).

Norbert Römer, Fraktionschef der SPD, sah in dem Beschluss eine "Sabotage der Integrationspolitik in Deutschland und Nordrhein-Westfalen". Er wandte sich gegen das Argument, wer sich nicht für die deutsche Staatsbürgerschaft als einzige entscheide, dem mangele es an Loyalität: "Gefühle der Loyalität sind keine abgezählten Güter." Gemischte Identitäten gehörten zur Realität eines offenen Einwanderungslandes. Da die doppelte Staatsbürgerschaft für EU-Bürgerinnen und -Bürger erhalten bleiben solle, vermutete Römer ein tiefes Misstrauen gegenüber Türkinnen, Türken und Menschen islamischen Glaubens.


"Schmelztiegel"

GRÜNEN-Fraktionsvorsitzender Mehrdad Mostofizadeh beschrieb den Beschluss des CDU-Bundesparteitags als "Gift für Integration in unserem Land und für das Zusammenleben in der Gesellschaft". Gerade Nordrhein-Westfalen beweise seit langer Zeit, "wie Melting Pot funktioniert" - der "Schmelztiegel" verschiedener Nationalitäten habe hier erfolgreiche Tradition, betonte der Fraktionsvorsitzende. "Lassen Sie doch die Menschen entscheiden, ob sie eine Wahl treffen wollen", appellierte er an die CDU. Dass diese Möglichkeit nur noch für EU-Bürgerinnen und -Bürger gelten solle, bewertete er als ungerecht.

André Kuper (CDU) sprach von der "interessanten Inszenierung", ein Bundesthema in den Landtag zu verlagern, um von Missständen auf Landesebene abzulenken. Parteitagsbeschlüsse fänden sich nur selten eins zu eins im Regierungshandeln wieder. Zudem sei die Optionspflicht vor 16 Jahren von der damaligen rot-grünen Bundesregierung eingeführt worden. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe darauf hingewiesen, dass sich in dieser Wahlperiode nichts ändern werde. Dass die Wiedereinführung der Optionspflicht mit hohem bürokratischem Aufwand verbunden sei, wie SPD und GRÜNE behaupteten, sei "blanker Unsinn".

Die CDU habe bei ihrem Bundesparteitag einen falschen Beschluss gefasst, sagte Dr. Joachim Stamp (FDP). Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) habe selbst von einer "verkappten Türkeidiskussion" gesprochen. EU-Bürger und Schweizer, so Stamp, könnten den Doppelpass erhalten, ebenso alle, die von ihren Heimatländern nicht aus der Staatsbürgerschaft entlassen werden: "Dann haben Sie die Situation, dass Ali aus Marokko die deutsche Staatsbürgerschaft bekommt und Ali aus der Türkei bekommt sie nicht." Die FDP wolle, "dass türkische Einwanderer nicht anders behandelt werden als Marokkaner, als Schweizer oder als Bulgaren".

Michele Marsching, Vorsitzender der PIRATEN-Fraktion, hielt die Debatte über den Doppelpass im Landtag für überflüssig und Parteitaktik. SPD und GRÜNE hätten bessere Themen für eine Aktuelle Stunde finden können, so Marsching. Es handle sich um ein "reines Bundesthema". Auch sei es derzeit "völlig utopisch", dass es im Bundestag eine Mehrheit dafür geben könne, zur sogenannten Optionspflicht bei der Staatsbürgerschaft zurückzukehren, weil die SPD dies ablehne. Es entscheide nicht der CDU-Bundesparteitag, "was am Ende herauskommt". Der Fraktionsvorsitzende nannte die Debatte auch "Karnevalstheater".

NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) forderte von der CDU eine "klare Aussage", welche Beschlusslage gelte: die Vereinbarung des schwarz-roten Koalitionsvertrags zur Abkehr von der Optionspflicht von 2012 oder die Entscheidung des CDU-Bundesparteitags. Junge Menschen mit türkischen Wurzeln seien damals erleichtert gewesen, dass sie sich bei der Staatsbürgerschaft nicht mehr entscheiden müssten. Die Forderung, zur Optionspflicht zurückzukehren, sei nicht das Signal an sie: "Ihr gehört zu uns." Vielmehr handle es sich um eine "Form der Ausgrenzung", die wiederum der Nährboden für Radikalsierungen sei.

*

Quelle:
Landtag intern 10 - 47. Jahrgang, 20.12.2016, S. 3
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
Carina Gödecke, Platz des Landtags 1, 40221 Düsseldorf
Postfach 10 11 43, 40002 Düsseldorf
Telefon (0211) 884-2472, -2850, -2442, -2304, -2107, -2309
Telefax (0211) 884-2250
email@landtag.nrw.de
Internet: www.landtag.nrw.de, www.landtagintern.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. März 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang