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NORDRHEIN-WESTFALEN/2379: "Eine Aufgabe von uns allen" - Zum Kampf gegen Antisemitismus (Li)


Landtag intern 2/2019
Informationen für die Bürgerinnen und Bürger

"Eine Aufgabe von uns allen"
Parlamentsgespräch zum Kampf gegen Antisemitismus

von Wibke Busch


12. Februar 2019 - Der zunehmende Antisemitismus in Deutschland stand im Mittelpunkt des vierten Parlamentsgesprächs, zu dem der Präsident des Landtags, André Kuper, eingeladen hatte. Es diskutierten u. a. die Beauftragte der Landesregierung gegen Antisemitismus, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, und der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Abraham Lehrer.


Der Autor Arye Shalicar las Passagen aus seinem Buch "Der neu-deutsche Antisemit - Gehören Juden heute zu Deutschland?". Darin schildert er eindringlich den "Spießrutenlauf", den er als Jugendlicher im Berliner Brennpunkt Wedding erlebte. Wie ihm ein Mitschüler sagte, dass "die Juden unsere Feinde" seien und "alle getötet" werden müssten.

Und er berichtete, wie ihm dieser Mitschüler die Freundschaft aufkündigte, als er erfuhr, dass der Deutsch-Iraner Shalicar nicht Moslem, sondern Jude ist. Shalicar, der 2001 nach Israel auswanderte und für die israelische Regierung arbeitet, sagte "Das verfolgt mich bis heute." Und bis heute werde er täglich bedroht, beispielsweise in Hassmails.

Präsident Kuper betonte zu Beginn der Veranstaltung, dass Antisemitismus kein Thema der Vergangenheit sei. "Es ist nach wie vor ein aktuelles Thema in unserem Land. Damit werden wir uns nicht abfinden. Wenn unsere Demokratie wehrhaft ist, dann ist sie es besonders in diesem Punkt."

Seit November vergangenen Jahres ist die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Beauftragte gegen Antisemitismus der Landesregierung NordrheinWestfalen. Dass 74 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz im Bund und den Bundesländern Beauftragte gegen Antisemitismus benötigt würden, habe sie sich nicht vorstellen können.

Die Beauftragte berichtete aus einer aktuellen Studie, wonach 41 Prozent der Befragten jüdischen Glaubens angegeben hätten, im vorangegangenen Jahr persönlich Antisemitismus erlebt zu haben. In 41 Prozent der Fälle seien es Arbeitskollegen, Mitschülerinnen und Mitschüler oder Bekannte gewesen, die Juden ausgegrenzt oder beleidigt hätten. Mehr als 70 Prozent hätten Angst, bedroht zu werden oder in Gefahr zu geraten. Viele überlegten, Deutschland zu verlassen.


Schulen starkmachen

"Es gibt Menschen, die uns Alarmismus vorwerfen. Ich würde mich freuen, wenn sie Recht hätten. Aber sie liegen leider völlig falsch", mahnte der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Abraham Lehrer. Er berichtete, wie sich bereits jüdische Kinder und Jugendliche bedroht fühlten. "Wir müssen feststellen, dass der Respekt der Mehrheitsgesellschaft gegen Juden abnimmt." Sein größter Wunsch: dass Kinder jüdischen Glaubens in Deutschland in Synagogen gehen könnten, die nicht von der Polizei bewacht werden müssen.

In der engagierten Diskussion, durch die Moderatorin Anne Gesthuysen führte, waren sich Shalicar, Leutheusser-Schnarrenberger und Lehrer einig: Im Kampf gegen Antisemitismus müsse die deutsche Gesellschaft insbesondere bei den Kindern und Jugendlichen ansetzen. Schulen müssten so starkgemacht werden, dass sie Antisemitismus etwas entgegensetzen könnten, mahnte Lehrer.

Und auch Leutheusser-Schnarrenberger zeigte sich überzeugt: "Schule kann viel bewirken." Sie richtete zugleich einen Appell an die gesamte deutsche Gesellschaft: Der Kampf gegen den Antisemitismus, gegen dieses "schleichende Gift", sei "eine Aufgabe für uns alle". Und sie erinnerte an Artikel 1 des Grundgesetzes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Kein Mensch dürfe ausgegrenzt oder diffamiert werden.

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Quelle:
Landtag intern 2 - 50. Jahrgang, 26.02.2019, S. 17
Herausgeber: Der Präsident des Landtags Nordrhein-Westfalen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. März 2019

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